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Bundesgerichtshof
Urt. v. 15.01.1997, Az.: StB 27/96

Abhörmanöver; Technische Mittel; Wohnung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
15.01.1997
Aktenzeichen
StB 27/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 12157
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHSt 42, 372 - 378
  • CR 1997, 551-553 (Volltext mit amtl. LS)
  • JuS 1997, 758 (Volltext mit amtl. LS)
  • JuS 1997, XVIII Heft 4 (Kurzinformation)
  • Kriminalistik 1997, 162
  • NJ 1997, 131 (Pressemitteilung)
  • NJ 1997, 223 (amtl. Leitsatz)
  • NJW 1997, 1018-1019 (Volltext mit amtl. LS)
  • NStZ 1997, 195-196 (Volltext mit amtl. LS)
  • NStZ 1997, 351 (amtl. Leitsatz)
  • wistra 1997, 150

Amtlicher Leitsatz

Der Einsatz technischer Mittel zum Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes nach § 100c I Nr. 2 StPO ist in Wohnungen i. S. des Art. 13 GG unzulässig. Eine solche Wohnung ist auch ein nicht allgemein zugängliches Vereinsbüro.

Gründe

1

Der Deutsch-Kurdische Freundschaftsverein verfügt in einem Gebäude in Stuttgart über Räumlichkeiten. Ausweislich der Feststellungen im polizeilichen Durchsuchungsbericht vom 9. Dezember 1994 hatte der Verein im Erdgeschoß neben den Geschäftsräumen des Gebäudeeigentümers einen Verkaufsraum mit Lagerraum, einen Aufenthaltsraum, ein Musikzimmer, einen Spielraum, einen bestuhlbaren Raum sowie einen weiteren Lagerraum, die später zum Teil anders genutzt wurden. Im Obergeschoß stehen dem Verein ein etwa 120 qm großer Veranstaltungsraum und eine etwa 45 qm große Gaststätte zur Verfügung. Zwischen beiden liegen eine Küche (mit Durchreiche zum Gastraum), daneben ein zu allen anderen Räumen geschlossenes, fast 16 qm großes Büro mit Tür zum Flur und auf der anderen Flurseite Toilette und Lager.

2

Anläßlich einer in einem anderen Ermittlungsverfahren vom Amtsgericht Stuttgart angeordneten Durchsuchung der Vereinsräume wurde in dem Büroraum des Vereins am 23. Oktober 1995 aufgrund des vom Generalbundesanwalt beantragten Beschlusses des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 2. Oktober 1995 eine versteckte Einrichtung zum Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes angebracht, nachdem eine Telefonüberwachung wirkungslos gewesen war. Es bestand der Verdacht, daß sich ein nur mit Decknamen bekanntes Mitglied einer terroristischen Vereinigung innerhalb der PKK in den Vereinsräumlichkeiten aufhielt, um illegale Aktionen zu besprechen und zu planen. Entsprechend den Angaben des Generalbundesanwalts ging der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs davon aus, daß "die Räumlichkeiten weder nach ihrer Einrichtung noch nach ihrer Nutzung als Wohnung anzusehen" seien. Der Büroraum wurde ab 23. Oktober 1995 - nach Verlängerung der Maßnahme - bis zum 22. März 1996 akustisch überwacht. Die Aufzeichnungen wurden zur Identifizierung der Angeschuldigten sowie zur Feststellung ihrer Position in der PKK und ihrer Tatbeiträge ausgewertet. Sie sind das entscheidende Beweismittel der Anklage. Diese legt den Angeschuldigten zur Last, sich ab September/Oktober 1995 als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung in der PKK betätigt und versucht zu haben, zur schweren Brandstiftung anzustiften.

3

Das Oberlandesgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Seiner Auffassung nach dürfen die durch die Abhörmaßnahme gewonnenen Tonbänder für Strafverfolgungsmaßnahmen gegen die Angeschuldigten nicht verwendet werden. Die Abhörmaßnahme wäre nach § 100 c Abs. 1 Nr. 2 StPO nur "außerhalb von Wohnräumen" zulässig gewesen, nicht aber in dem Vereinsbüro. Unter den Begriff der Wohnung nach Art. 13 GG fielen auch Geschäfts- und Büroräume jedenfalls dann, wenn der abzuhörende Raum nach der Bestimmung des Berechtigten nicht allgemein zugänglich sei. Der Büroraum des Vereins sei nicht dem Publikumsverkehr gewidmet gewesen. Dagegen sprächen schon Lage, Große und Ausstattung des Raumes. Der Büroraum sei nur von einem kleinen Personenkreis ständig benutzt worden und häufig abgeschlossen gewesen. Schließlich spreche auch die der Anordnung der Abhörmaßnahme zugrundeliegende Annahme, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung überführen zu können, gegen eine allgemeine Zugänglichkeit des Raumes.

4

Mit der sofortigen Beschwerde beantragt der Generalbundesanwalt, die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren vor dem Strafsenat des Oberlandesgerichts zu eröffnen. Der Raum sei keine Wohnung im Sinne von Art. 13 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei das bei Geschäftsräumen nur der Fall, wenn sich dort die Berufsarbeit als wesentliches Stück der Persönlichkeitsentfaltung vollziehe. Das Bundesverfassungsgericht habe entscheidend auf die "räumliche Privatsphäre" abgestellt und darauf, daß der Raum als Rückzugsbereich der individuellen Lebensgestaltung ausgewiesen sei. Dem Vereinsbüro habe die notwendige räumliche Privatsphäre gefehlt. Das ergebe sich auch aus der durch die Ermittlungen belegten tatsächlichen Nutzung. Die Vereinsräume, aber auch der Büroraum seien allgemein zugänglich gewesen. Bereits aus den ausgewerteten Abhöraufzeichnungen ergebe sich, daß der Raum von Vereins- und Nichtvereinsmitgliedern, u.a. den Angeschuldigten, als Begegnungs- und Aufenthaltsraum genutzt worden sei. Der Raum sei tagsüber nicht abgeschlossen und auch nicht mit einem Hinweisschild als Büro gekennzeichnet gewesen. Im übrigen könne eine "kriminell bemakelte" Räumlichkeit, die benutzt werde, um kriminelles Handeln ungestört zu betreiben, schwerlich als "Wohnung" begriffen werden. Schließlich ziehe nicht jeder prozessuale Verstoß "automatisch" ein Verwertungsverbot nach sich.

5

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Oberlandesgericht die zur Überführung der Angeschuldigten notwendigen Aufzeichnungen als unverwertbar angesehen. Daß die Angeschuldigten mit anderen Beweismitteln überführt werden könnten, macht auch der Generalbundesanwalt nicht geltend.

6

Zutreffend nimmt das Oberlandesgericht an, daß der Einsatz technischer Mittel nach § 100 c Abs. 1 Nr. 2 StPO nur außerhalb einer nach Art. 13 GG geschützten Wohnung zulässig ist. Ein entsprechender klarstellender Zusatz ist nur deshalb als überflüssig nicht in das Gesetz aufgenommen worden, weil sich dies aus dem Gesamtzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der - durch das OrgKG in die Strafprozeßordnung eingefügten - Norm ergebe (BT-Drucks. 12/2720 S. 46; vgl. Nack in KK 3. Aufl. § 100 c Rdn. 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. § 100 c Rdn. 5). Dem entspricht, daß in Art. 11 OrgKGArt. 13 GG in der Liste der durch das Gesetz eingeschränkten Grundrechte nicht erwähnt wird. Der.Bundestag beschloß auf Empfehlung des Rechtsausschusses "wegen der schwierigen rechtlichen, insbesondere auch verfassungsrechtlichen Fragen" von einer Regelung des - in der politischen Diskussion "großer Lauschangriff" genannten - Einsatzes technischer Mittel in Wohnungen vorerst abzusehen (BT-Drucks. 12/2720 S. 5; vgl. Nack aaO. Rdn. 2).

7

Jedenfalls fällt der Büroraum des Deutsch-Kurdischen Freundschaftsvereins in dem Gebäude in Stuttgart in den Schutzbereich des Art. 13 GG. Zwar nennt diese Grundrechtsnorm ausdrücklich nur die "Wohnung". Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Begriff "Wohnung" in Art. 13 GG aber nicht im engen Sinne der Umgangssprache zu verstehen. Vielmehr ist er weit auszulegen; er umfaßt auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume (BVerfGE 32, 54). Die seit mehr als einem Jahrhundert unverändert gebliebene Auslegung des verfassungsrechtlichen Wohnungsschutzes (aaO. 71) erfaßt auch die Geschäftsräume von Vereinen (aaO. 69).

8

Im Einklang hiermit versteht die Literatur als "Wohnung" im Sinne von Art. 13 GG jeden nicht allgemein zugänglichen Raum, der zur Stätte des Aufenthalts oder Wirkens von Menschen gemacht wird. Außer den zu Aufenthalts- oder Arbeitszwecken bestimmten Räumen einschließlich der Nebenräume sind "die nicht allgemein zugänglichen Geschäfts- und Büroräume, Personalaufenthalts- ... und ähnliche Räume" nach Art. 13 GG geschützt (für viele Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 13 Rdn. 3 c; Herdegen in Bonner Kommentar, Lfg. Oktober 1993, Art. 13 Rdn. 26 ff). Als Träger des Grundrechts kommen neben Ausländern in Deutschland auch Vereine in Betracht, da sie berechtigterweise Inhaber von Geschäftsräumen sein können (BVerfGE 42, 212, 219;  44, 353, 371). Daher kann auch in Vereinshäusern, Clubräumen, Spielsälen eine räumliche Privatsphäre bestehen, so daß sie dann als "Wohnung" im Sinne des Art. 13 GG anzusehen sind (Maunz/Dürig/Herzog aaO. Rdn. 6). Maßgeblich ist die nach außen erkennbare Zweckbestimmung des Nutzungsberechtigten (Herdegen aaO. Rdn. 27; Maunz/Dürig/Herzog aaO. Rdn. 4; Dagtoglou JuS 1975, 753, 754). Selbst nicht allgemein zugängliche Geschäftsräume, die erfahrungsgemäß Treffpunkt Krimineller sind (Bordelle, Spielclubs, übelbeleumundete Hotels), werden als nach Art. 13 GG geschützt angesehen (Hilger NStZ 1992, 457, 462 Fn. 101).

9

Der Senat kann offen lassen, ob der Schutz des Art. 13 GG für alle Räumlichkeiten des Deutsch-Kurdischen Freundschaftsvereins gilt, ob der Verein ausdrücklich oder stillschweigend einen Teil seiner Räumlichkeiten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, was jedenfalls bei Einladungen der Öffentlichkeit zu einer Veranstaltung bezüglich der Veranstaltungsräume der Fall wäre, oder nur Vereinsmitgliedern und deren Gästen vorbehalten hat. Der Senat braucht auch nicht über Fragen des Maßes der Zugänglichkeit, die der Inhaber allgemein hinnimmt, zu befinden, ob etwa eine Gaststätte wohl dem Betreten, nicht aber einer Durchsuchung zugänglich ist (so Dagtoglou aaO.). Denn jedenfalls der Büroraum des Vereins war nicht ein allgemein zugänglicher Geschäftsraum.

10

Dieser Raum war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und wurde auch nicht stillschweigend so genutzt. Der mit zwei Schreibtischen, einem Aktenschrank, einem Telefon-Telefaxgerät und Sitzgelegenheiten eingerichtete Raum wurde nach der Bekundung des Zeugen EKHK K. vor dem Oberlandesgericht "nur von einem kleinen Personenkreis ständig genutzt".

11

Daß sich dort, wie der Generalbundesanwalt vorträgt, "Vereins- wie auch Nichtvereinsmitglieder, darunter auch die Angeschuldigten", trafen, steht der nur eingeschränkten Nutzung des Raumes entsprechend der Gestattung des Grundrechtsträgers nicht entgegen. Ein Abgeschlossenhalten des Raumes oder seine Kennzeichnung mit einem Hinweisschild als Büro waren nicht erforderlich. Die fehlende Zugänglichkeit für jedermann ergab sich schon daraus, daß es sich um einen im Obergeschoß eines Hauses befindlichen umschlossenen Raum mit im allgemeinen geschlossener Tür handelt, zu dessen Betreten die Öffentlichkeit nicht eingeladen war. Bezogen auf das Vereinsleben war gerade das Büro als räumliche Privatsphäre ausgewiesen. Die vom Generalbundesanwalt aus den unverwertbaren Protokollen festgestellten Besucherfrequenzen belegen, unbeschadet der Unverwertbarkeit, ebenfalls keine allgemeine Zugänglichkeit. Ihnen ist im übrigen zu entnehmen, daß von Besuchern, die nicht zum Benutzerkreis des Raumes gehörten, auch angeklopft wurde. Dann wurde eine konkrete Gestattung zum Betreten des Raumes ausgesprochen, wenn etwa ein Vereinsmitglied ein Anliegen oder eine Frage hatte. Auf die denkbare allgemeine Zugänglichkeit des großen Veranstaltungsraumes oder der Gaststätte im Obergeschoß kommt es nicht an.

12

Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts dürfen auch in eine "kriminell bemakelte" Räumlichkeit, solange eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage nicht geschaffen ist, Abhöreinrichtungen ohne Wissen des Betroffenen nicht angebracht werden. Gerade deshalb wird im Gesetzgebungsverfahren und im politischen Raum diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen dieses Grundrecht zum Anbringen technischer Mittel einzuschränken ist.

13

Schließlich hat das Oberlandesgericht mit Recht die aus der Abhörmaßnahme gewonnenen Erkenntnisse für die Strafverfolgung der Angeschuldigten als unverwertbar angesehen. Die Unzulässigkeit der Abhörmaßnahme führt zu dem Verbot, die Erkenntnisse, die auf der Auswertung der erlangten Aufnahmen beruhen, als Beweismittel zu verwenden (vgl. BGHSt 34, 39, 52). Zwar kommt die Annahme eines Verwertungsverbotes nur bei gewichtigen Rechtsverstößen in Betracht, weil im Hinblick auf das in der Verfassung niedergelegte Gebot einer effektiven Strafrechtspflege Verwertungsverbote, die stets einen Eingriff in die richterliche Wahrheitsfindung darstellen, auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben müssen (Jähnke in FS für Odersky S. 427, 429). Übergeordnete Gründe gebieten aber ein solches Verbot - jedenfalls bei der gegenwärtigen Rechtslage - für unzulässig erlangte Erkenntnisse aus einer gegen Art. 13 GG verstoßenden Abhörmaßnahme. Es fehlt nicht nur an einer Eingriffsnorm, die nach verbreiteter Meinung auch eine Grundgesetzänderung erfordern wurde (vgl. etwa Hilger NStZ 1992, 457, 462 Fn. 95, 101; Ostendorf Neue Kriminalpolitik 1996, 32; Staechelin ZRP 1996, 430). Es handelt sich um schwerwiegende Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 13 GG und das auch durch § 201 StGB geschützte Persönlichkeitsrecht am nichtöffentlich gesprochenen Wort (vgl. BGHSt 34, 39, 52; ferner 36, 396; 35, 32, 34, 33, 347, 352; 32, 68, 70; 31, 304, 307). Aus der Entscheidung des Senats in BGHR POG-RhPf § 25 b Lausch-Eingriff 1 kann nichts anderes hergeleitet werden. Sie betrifft nicht die Verwertbarkeit der in einem strafprozessualen Ermittlungsverfahren unzulässig erlangten Erkenntnisse für eine Anklage, sondern mit Rechtsgrundlage und Gerichtsbeschluß gewonnene Präventiverkenntnisse der Polizei zur Verwertung im Rahmen des auf Gefahrenabwehr ausgerichteten Gesetzeszwecks des § 25 c POG-RhPf.