Bundesgerichtshof
Urt. v. 13.11.1996, Az.: VIII ZR 210/95
Zur Frage der Berechtigung an einem Geldbetrag zweier Forderungsprätendenten und diesbzgl. Zustimmungserfordernis des Schuldners zur Auszahlung des hinterlegten Betrages
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 13.11.1996
- Aktenzeichen
- VIII ZR 210/95
- Entscheidungsform
- Versäumnisurteil
- Referenz
- WKRS 1996, 15433
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Frankfurt am Main - 22.06.1995
- LG Limburg - 30.11.1994
Rechtsgrundlagen
- § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB
- § 372 S. 2 BGB
Fundstellen
- BB 1997, 441 (Volltext mit amtl. LS)
- DB 1997, 572 (Volltext mit amtl. LS)
- EWiR 1997, 393 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- MDR 1997, 331 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1997, 495-496 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1997, 513-515 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
A. L. C., Niederlassung Deutschland,
vertreten durch den Niederlassungsleiter Robert R. O., T. straße 7, H.,
Prozessgegner
Georg P., H. ring 12, B.,
Amtlicher Leitsatz
Für die Frage, welcher von zwei Forderungsprätendenten von dem anderen die Zustimmung zur Auszahlung eines vom Schuldner hinterlegten Betrages verlangen kann, kommt es grundsätzlich allein auf die Anspruchsberechtigung gegenüber dem (hinterlegenden) Schuldner, nicht auf das Innenverhältnis der Forderungsprätendenten an.
Stimmt bei einem Rechtsstreit zweier Forderungsprätendenten um einen hinterlegten Betrag der anspruchsberechtigte Kläger der Auszahlung an den nicht berechtigten Widerkläger zu und wird die Hinterlegungssumme daraufhin an diesen ausbezahlt, so ist damit zugleich das Zustimmungsbegehren des Klägers in der Hauptsache erledigt.
In dem Rechtsstreit
hat der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 1996
durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und
die Richter Dr. Paulusch, Dr. Hübsch, Dr. Beyer und Ball
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden unter deren Zurückweisung im übrigen das Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. Juni 1995 und das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 30. November 1994 teilweise geändert und insgesamt neu gefaßt:
Es wird festgestellt, daß der Rechtsstreit hinsichtlich des Klageantrags zu 1 in der Hauptsache erledigt ist.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12,5 % Zinsen aus 84.839,40 DM für die Zeit vom 30. November 1993 bis 22. August 1995 zu zahlen.
Der weitergehende Zinsanspruch und die Widerklage werden abgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Berechtigung an einem Geldbetrag, den die B. Bank AG im Juni 1993 beim Amtsgericht Hameln hinterlegt hatte. Dem war folgendes vorausgegangen:
Die Klägerin, eine Leasinggesellschaft, schloß im November 1991 und im Januar 1992 mit der B. Bank AG verschiedene Verträge über die Vermittlung von Kredit- und Restschuldversicherungsverträgen. Als von der B. Bank AG hierfür zu leistende "Kostenerstattung" wurden monatliche Festbeträge von zuletzt 25.000,00 DM vereinbart. Über das Gesamtergebnis der von der Klägerin vermittelten Verträge sollte zum Jahres- bzw. Quartalsende abgerechnet werden. In den Vereinbarungen über Vergütungen und "Kostenerstattungen" ist jeweils der Beklagte als Zahlungsempfänger bezeichnet. Der Beklagte war damals für die Klägerin als Handelsvertreter tätig. Er vermittelte für die Klägerin auch die Vertragsabschlüsse von Kredit- und Versicherungsnehmern mit der B. Bank AG. Bis einschließlich Dezember 1992 wurde der Zahlungsverkehr unter den Beteiligten dergestalt abgewickelt, daß die B. Bank AG monatlich Schecks über jeweils 25.000,00 DM an die Klägerin sandte und diese die Schecks an den Beklagten weiterleitete.
Die Abrechnung des Gesamtergebnisses für das Jahr 1992 ergab einen restlichen Vergütungsanspruch von 94.800,00 DM. Diesen Betrag zahlte die B. Bank AG am 23. Dezember 1992 auf ein Festgeldkonto ein, das sie zu diesem Zweck auf den Namen des Beklagten eröffnet hatte. Da die Klägerin in der Folgezeit der Auszahlung des Festgeldbetrages an den Beklagten widersprach, hinterlegte die B. Bank AG am 16. Juni 1993 beim Amtsgericht Hameln zugunsten der Parteien einen Betrag von 84.839,40 DM unter Verzicht auf die Rücknahme.
Die Parteien haben mit Klage und Widerklage wechselseitig die Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten Betrages verlangt. Die Klägerin hat darüber hinaus mit ihrem Klageantrag zu 2 Zinsen in Höhe von 12,5 % aus dem hinterlegten Betrag seit 10. Juni 1993, der Beklagte solche in Höhe von 5 % seit 19. Februar 1993 eingeklagt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Die Klägerin hat nach eigenem Vorbringen am 22. August 1995 - nach Einlegung der Revision - der Auszahlung des hinterlegten Betrages an den Beklagten zugestimmt. Der hinterlegte Betrag ist daraufhin an den Beklagten ausbezahlt worden. Im Hinblick darauf hat die Klägerin den Rechtsstreit hinsichtlich des mit ihrem Klageantrag zu 1 geltend gemachten Zustimmungsbegehrens in der Hauptsache für erledigt erklärt. Im übrigen verfolgt sie mit der Revision den Zinsanspruch und den Antrag auf Abweisung der Widerklage weiter. Für den ordnungsgemäß geladenen Beklagten ist im Senatstermin niemand erschienen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im wesentlichen begründet. Insoweit entscheidet der Senat über das Rechtsmittel durch Versäumnisurteil. Inhaltlich beruht die Entscheidung allerdings nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf der Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstandes (BGHZ 37, 79, 82). Soweit die Revision - hinsichtlich eines Teils der von der Klägerin geforderten Zinsen - unbegründet ist, war sie durch kontradiktorisches Urteil zurückzuweisen (BGH, Urteil vom 10. Februar 1993 - XII ZR 239/91 = NJW 1993, 1788 unter I m.w.Nachw.).
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Nicht die Klägerin, sondern der Beklagte sei berechtigt, von der Gegenseite die Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten Betrages zu verlangen. Er habe den mit der Hinterlegung verbundenen Vermögensvorteil nicht rechtsgrundlos erlangt, denn er sei materiell Berechtigter in bezug auf den hinterlegten Betrag. Zwar stünden nach den mit der B. Bank AG geschlossenen Verträgen Provisionsansprüche für die Vermittlung von Kredit- und Restschuldversicherungsverträgen der Klägerin zu. Auch sei der Beklagte nicht nach § 328 Abs. 1 BGB Forderungsinhaber geworden, denn die Provisionsvereinbarungen zwischen der Klägerin und der B. Bank AG seien Keine Verträge zugunsten Dritter. Der Beklagte sei vielmehr nur als Zahlungsempfänger bezeichnet und von der B. Bank AG auch als solcher angesehen worden. Im Verhältnis zur Klägerin sei der Beklagte aber deswegen Forderungsinhaber, weil ihm nach der Vereinbarung der Parteien alle von der B. Bank AG gezahlten Provisionen zugestanden hätten, vorausgesetzt, die zugrundeliegenden Verträge seien von ihm als Handelsvertreter vermittelt worden. Diese Voraussetzung sei unstreitig erfüllt. Dementsprechend seien auch bis auf die umstrittene Jahresabschlußvergütung alle Provisionszahlungen der B. Bank AG in voller Höhe von der Klägerin an den Beklagten weitergeleitet worden.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1.
Grundlage des mit Klage und Widerklage wechselseitig erhobenen Anspruchs auf Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten Betrages ist, wie das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend erkennt, § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB (BGHZ 35, 165, 170; 109, 240, 244) [BGH 29.11.1989 - VIII ZR 228/88]. Hinterlegt der Schuldner - wie im Streitfall die B. Bank AG - den geschuldeten Betrag zugunsten der streitenden Forderungsprätendenten (§ 372 Satz 2 BGB), so ist für die Frage der Freigabepflicht entscheidend, wer im Verhältnis zum Schuldner Inhaber der Forderung ist, zu deren Erfüllung der hinterlegte Betrag bestimmt ist. Entscheidend ist die Gläubigerstellung gegenüber dem hinterlegenden Schuldner. Auf Rechtsbeziehungen zwischen den Forderungsprätendenten kommt es dagegen grundsätzlich nicht an.
2.
Dies hat das Berufungsgericht verkannt. Es sieht - insoweit zutreffend und von der Revision als der Klägerin günstig hingenommen - im Verhältnis zur B. Bank AG allein die Klägerin als Inhaberin der (Provisions-)Ansprüche an, zu deren Befriedigung der hinterlegte Betrag bestimmt ist. Auch nach seinen Feststellungen ist Vertragspartner der B. Bank AG allein die Klägerin. Unter diesen Umständen könnte der Beklagte im Verhältnis zur B. Bank AG nur dann Forderungsinhaber sein, wenn es sich bei den Provisionsvereinbarungen zwischen dieser und der Klägerin um Verträge zugunsten Dritter handeln würde oder die Klägerin ihre Provisionsansprüche an den Beklagten abgetreten hätte. Ersteres hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint; letzteres ist weder festgestellt noch vom Beklagten behauptet worden.
Für die Entscheidung des Streits der Parteien um die Freigabe des hinterlegten Betrages ist es dagegen unerheblich, ob die von der B. Bank AG an die Klägerin gezahlten bzw. dieser geschuldeten Provisionen im Innenverhältnis der Parteien in voller Höhe dem Beklagten zustehen. Aus einer dahingehenden Vereinbarung der Parteien, die das Berufungsgericht als erwiesen ansieht, kann der Beklagte ein Recht auf Zustimmung der Klägerin zur Auszahlung des hinterlegten Betrages an ihn nicht herleiten. Der Beklagte hat vielmehr nur Zahlungsansprüche gegen die Klägerin, die diese durch Geldleistung, im Falle des Bestehens aufrechenbarer Gegenforderungen aber auch im Wege der Aufrechnung erfüllen kann. Die Aufrechnungsbefugnis würde die Klägerin aber verlieren, wenn der Beklagte, wie das Berufungsgericht annimmt, von ihr anstelle der Zahlung die Freigabe des hinterlegten Betrages verlangen könnte. Für eine solche Benachteiligung der Klägerin findet sich auch im Sachvortrag des Beklagten keine Rechtfertigung. Auch ist nichts dafür ersichtlich, daß das Freigabeverlangen der Klägerin treuwidrig sein könnte. Zwar hat der Beklagte nach den Feststellungen der Vorinstanz im Innenverhältnis der Parteien Anspruch auf die volle von der B. Bank AG zu zahlende Provision; die Klägerin hat indessen schon der Auszahlung des Guthabens auf dem von der B. Bank AG angelegten Festgeldkonto an den Beklagten mit der Begründung widersprochen, ihr stünden erhebliche Gegenforderungen gegen den Beklagten zu. Traf dies zu oder bestand unter den Parteien jedenfalls Streit über mögliche Gegenforderungen der Klägerin, so war diese auch nicht ausnahmsweise nach Treu und Glauben verpflichtet, der Auszahlung des hinterlegten Betrages an den Beklagten zuzustimmen.
III.
Das Berufungsurteil kann somit keinen Bestand haben.
1.
Hinsichtlich des von der Klägerin mit dem Klageantrag zu 1 verfolgten Zustimmungsbegehrens ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Zwar hat die Klägerin mit der Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten Betrages an den Beklagten in erster Linie dem in den Vorinstanzen erfolgreichen Widerklagebegehren nachgegeben. Zugleich hat sie damit aber auch ihrem eigenen mit der Klage geltend gemachten Zustimmungsanspruch den Boden entzogen. Nach der Auszahlung an den Beklagten ist das Hinterlegungsverfahren endgültig abgeschlossen. Ein hinterlegter Betrag, zu dessen Freigabe das Einverständnis des Beklagten erforderlich sein könnte, ist nicht mehr vorhanden. Infolgedessen kommt eine Verurteilung des Beklagten, die Auszahlung an die Klägerin zu bewilligen, nicht mehr in Betracht. Damit ist die ursprüngliche Begründetheit der von der Klägerin erhobenen Zustimmungsklage (oben II 2) entfallen. Dem hat die Klägerin durch den Antrag, den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, Rechnung getragen.
Entsprechend diesem Antrag war festzustellen, daß der Rechtsstreit hinsichtlich des Klageantrags zu 1 in der Hauptsache erledigt ist. Die Umstände, die insoweit die Erledigung der Hauptsache herbeigeführt haben, sind zwar erst während des Revisionsverfahrens eingetreten. Sie sind gleichwohl trotz der Vorschrift des § 561 Abs. 1 ZPO ausnahmsweise als neue Tatsachen zu berücksichtigen, denn die Klägerin bringt damit im Säumnisverfahren Tatsachen vor, die in bezug auf den ursprünglichen Klageantrag zu 1 dem Beklagten günstig sind und den Erfolg dieses Klagebegehrens hindern.
2.
Der auf Ersatz des Verzugsschadens gerichtete Klageantrag zu 2, über den der Senat selbst entscheiden kann (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), ist für den Zeitraum begründet, während dessen sich der Beklagte mit der Abgabe der von ihm geschuldeten Zustimmungserklärung zur Auszahlung des hinterlegten Betrages an die Klägerin (oben II 2) in Schuldnerverzug befunden hat. Dieser Zeitraum begann mit der Zustellung der Klage, denn für einen früheren Verzugseintritt hat die Klägerin nichts vorgetragen. Beendet wurde der Schuldnerverzug des Beklagten mit der von der Klägerin erklärten Bewilligung der Auszahlung des hinterlegten Betrages an ihn. Nachdem die Klägerin diese Erklärung der Hinterlegungsstelle gegenüber abgegeben hatte, konnte sie ihrerseits von dem Beklagten nicht mehr die Zustimmung zur Auszahlung an sich selbst verlangen. Damit ist, wie dargelegt, das Hinterlegungsverfahren abgeschlossen. Der Beklagte schuldet Verzugszinsen mithin für die Zeit vom 30. November 1993 (Zustellung der Klage) bis zum 22. August 1995 (Freigabeerklärung der Klägerin). Während dieses Zeitraums ist der Klägerin der von ihr geltend gemachte Schaden entstanden. Der Beklagte ist ihrer Behauptung nicht entgegengetreten, sie nehme ständig Bankkredit in Höhe des Hinterlegungsbetrages zu einem Zinssatz von 12,5 % p.a. in Anspruch. Soweit die Klägerin den Ersatz eines weitergehenden Verzugsschadens fordert, ist die Klage unbegründet und daher im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
3.
Die Widerklage ist unbegründet. Die Klägerin war, wie dargelegt (oben II 2), nicht verpflichtet, der Auszahlung des hinterlegten Betrages an den Beklagten zuzustimmen. Daß sie diese nach Erlaß des Berufungsurteils gleichwohl bewilligt hat, ändert an der Unbegründetheit der Widerklage nichts.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO.
Dr. Paulusch,
Dr. Hübsch,
Dr. Beyer Ball