Bundesgerichtshof
Urt. v. 25.10.1996, Az.: V ZR 158/95
Deliktischer Schadensersatzanspruch; Wiederherstellungsbetrag; Kein Vorschußanspruch; Keine Abrechnung nach Reparatur
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 25.10.1996
- Aktenzeichen
- V ZR 158/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 14619
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 823 BGB
- § 249 S. 2 BGB
Fundstellen
- BB 1997, 388 (Volltext mit amtl. LS)
- BauR 1997, 324-326 (Volltext mit amtl. LS)
- IBR 1997, 69 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- MDR 1997, 237-238 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1997, 110 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1997, 520-521 (Volltext mit amtl. LS)
- NZV 1997, 117-118 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1997, 246-247 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1997, 422-423 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Ein deliktsrechtlicher Schadensersatzanspruch, mit dem die Zahlung des zur Wiederherstellung erforderlichen Betrags nach § 249 S. 2 BGB geltend gemacht wird, ist kein Vorschußanspruch, der nach durchgeführter Reparatur zu einer Abrechnung der tatsächlich entstandenen Kosten nötigt.
Tatbestand:
Die Kläger (als Mitberechtigte) und der Beklagte zu 1 sind Eigentümer benachbarter Grundstücke in paralleler Hanglage in R.. Der Beklagte zu 1 beabsichtigte, auf seinem Grundstück an der Grenze zum Grundstück der Kläger ein Garagengebäude zu errichten. Mit den Ausschachtungsarbeiten war der Beklagte zu 2 betraut. Er führte sie Ende 1991 durch, ohne daß dabei die an der Grenze stehenden Gebäude der Kläger unterfangen wurden. So kam es zu einem erheblichen Erdabrutsch, durch den die Gebäude der Kläger den Halt verloren und Schaden nahmen.
Die Kläger, die die Gebäude wieder haben herrichten lassen, machen Schadensersatz in Höhe von 70.500 DM nebst Zinsen auf der Basis eines im Beweissicherungsverfahren eingeholten Gutachtens geltend. Sie haben zunächst auch den Architekten und den Hochbauunternehmer des Beklagten zu 1 mitverklagt, sind insoweit aber in erster Instanz (Hochbauunternehmer) bzw. in zweiter Instanz (Architekt) unterlegen. Gegen die Beklagten zu 1 und 2 ist ihre Klage in beiden Tatsacheninstanzen erfolgreich gewesen. Dagegen richten sich die Revisionen, mit denen die Beklagten die Abweisung der Klage erstreben. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Der Senat hat die Revisionen nur hinsichtlich der Schadenshöhe angenommen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht geht auf der Grundlage einer gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten nach §§ 823 Abs. 2, 909, 840 Abs. 1 BGB davon aus, daß die Kläger gemäß § 249 Satz 2 BGB den zur Wiederherstellung des beschädigten Hausgrundstücks erforderlichen Geldbetrag verlangen können. Es vertritt die Auffassung, daß der von den Klägern verlangte Betrag aufgrund eines ihnen zustehenden Vorschußanspruchs zuzusprechen sei. Eine mögliche Wertverbesserung nach Wiederherstellung der Gebäude sei dabei nicht zu berücksichtigen. Diese müßten sich die Kläger bei der Abrechnung des Kostenvorschusses entgegenhalten lassen.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
II. 1. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß sich die Rechtsfolgen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs nach § 249 BGB bestimmen, begegnet keinen Bedenken. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann der Anspruch statt auf Wiederherstellung des früheren Zustandes auf Zahlung des dazu erforderlichen Geldbetrages gerichtet werden. Voraussetzung dafür ist, daß eine Wiederherstellung grundsätzlich möglich ist (arg. § 251 Abs. 1 BGB; vgl. BGHZ 102, 323, 325) [BGH 08.12.1987 - VI ZR 53/87]. Dies hat das Berufungsgericht mit Recht angenommen. Zwar wird in dem von ihm herangezogenen Sachverständigengutachten ausgeführt, daß bei einem der geschädigten Gebäude eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands nicht mehr möglich, sondern eine Neuerrichtung erforderlich sei. Der Begriff der Wiederherstellung ist jedoch ein normativer Begriff, der weit zu fassen ist, damit dem - vom Gesetzgeber durch § 249 BGB in den Vordergrund gestellten - Interesse des Geschädigten an einer vollständigen Restitution Rechnung getragen werden kann. Bei der Beseitigung von Gebäudeschäden ist daher die Möglichkeit einer Wiederherstellung im Sinne dieser Norm nur dann zu verneinen, wenn sich das Ergebnis der Wiederherstellung bei wertender Betrachtung gegenüber dem früheren Zustand als "aliud" darstellt. Hingegen ist auch bei zum Teil völliger Neuherstellung von einer Wiederherstellung im Rechtssinne auszugehen, wenn das neue Gebäude dem früheren Bauwerk baulich-technisch und wirtschaftlich-funktionell gleichwertig ist (BGHZ 102, 323, 327 ff) [BGH 08.12.1987 - VI ZR 53/87]. Dies ist nach den getroffenen Feststellungen hier zu bejahen und wird von den Revisionen auch hingenommen.
2. Keinen Bestand hat jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, den Klägern stehe der nach § 249 Satz 2 BGB geltend gemachte Geldbetrag als "Vorschußanspruch" zu, der nach endgültiger Feststellung der durch die Wiederherstellung der Gebäude entstandenen Wertverschiebungen abgerechnet werden könne.
a) Dagegen ist einzuwenden, daß ein Vorschußanspruch dem Deliktsrecht, auf das die Klageforderung gestützt ist, fremd ist. Eine nachträgliche Abrechnung, etwa nach Vorlage der Rechnungen im Anschluß an eine durchgeführte Reparatur, findet nicht statt. Dem Geschädigten steht es frei, die beschädigte Sache instandsetzen zu lassen oder den dazu erforderlichen Geldbetrag anderweit zu verwenden (BGH, Urt. v. 20. Juni 1989, VI ZR 334/88, NJW 1989, 3009 m.w.N.). Die Kläger haben außerdem ausdrücklich klargestellt, daß sie keinen Vorschuß beanspruchen, sondern Schadensersatz auf Gutachtenbasis verlangen. Dem wird das Berufungsurteil nicht gerecht.
b) Die von den Klägern vorgenommene Schadensberechnung nach den von dem Sachverständigen ermittelten Herstellungskosten ist zulässig (s. nur BGH, Urt. v. 20. Juni 1989, VI ZR 334/88, NJW 1989, 3009; Soergel/Mertens, BGB, 12. Aufl., § 249 Rdn. 32 m.w.N.). Der Geschädigte muß sich dann jedoch, nicht anders als bei der Geltendmachung der tatsächlich aufgewendeten Kosten, eine durch die Wiederherstellung bedingte Werterhöhung, die sich für ihn wirtschaftlich günstig auswirkt, im Rahmen des Zumutbaren anrechnen lassen (vgl. BGHZ 30, 29, 33 ff). Ein solcher Abzug "neu für alt" kommt hier in Betracht. Der Sachverständige hat das Alter des beschädigten und nun vollkommen neu errichteten Gebäudes auf etwa 30 Jahre geschätzt. Es ist daher zu erwarten, daß das neue Gebäude eine erheblich längere Lebensdauer hat als das frühere und auch geringere Reparaturaufwendungen verursacht. Diese Vorteile können werterhöhend zu berücksichtigen sein (BGHZ 30, 29, 33 ff; 102, 323, 331) [BGH 08.12.1987 - VI ZR 53/87]. Das Berufungsgericht wird dies folglich zu prüfen haben. Dabei werden die Beklagten auch Gelegenheit haben, auf ihre Einwendungen gegen einzelne Positionen der Feststellungen des Sachverständigen zurückzukommen.
c) Den Ausführungen der Revisionserwiderung, mit denen sie sich gegen die Berücksichtigung eines Abzugs "neu für alt" wendet, ist nicht zu folgen. Die Kläger machen geltend, sie hätten statt der Neuerrichtung auch eine Teilsanierung mit geringerem Aufwand wählen und neben diesen Kosten einen Ausgleich für den verbleibenden Minderwert beanspruchen können. In diesem Fall hätte sich nach den Feststellungen des Sachverständigen ein Schadensbetrag ergeben, der zusammen die Höhe der Kosten für die Neuerrichtung erreicht hätte. Ein Abzug "neu für alt" komme dann nicht mehr in Betracht.
Zweifelhaft ist schon, ob bei dieser Berechnung der verbleibende Minderwert zutreffend ermittelt worden ist. Es spricht manches dafür, daß der Sachverständige ihn am Wert des neuerrichteten Gebäudes gemessen hat, somit also gerade die mögliche Wertsteigerung bei einer Neuerrichtung in die Minderwertberechnung hat einfließen lassen. Der Geschädigte hat sich dann eine Werterhöhung unter denselben Voraussetzungen anrechnen zu lassen wie bei der Abrechnung auf der Grundlage einer vollständigen Neuherstellung.
Sollte hingegen bei einer Teilsanierung ein Minderwert verbleiben, der auch gemessen an dem ursprünglichen Zustand des Gebäudes den von dem Sachverständigen ermittelten Betrag erreicht, so ist den Klägern eine Abrechnung auf dieser Grundlage verwehrt. Zwar kann der Geschädigte unter Umständen einen Geldersatzanspruch nach § 249 Satz 2 BGB mit einem Entschädigungsanspruch nach § 251 Abs. 1 BGB verbinden und neben den Kosten für eine Teilsanierung auch den verbleibenden Minderwert in Rechnung stellen (MünchKomm-BGB/Grunsky, 3. Aufl., § 249 Rdn. 8; Soergel/Mertens aaO., § 251 Rdn. 2; Erman/Kuckuk, BGB, 9. Aufl., § 249 Rdn. 21). Dies gilt jedoch nur, soweit eine Wiederherstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist. Der Geschädigte hat nicht die Wahl zwischen dem Restitutionsanspruch nach § 249 BGB und dem Kompensationsanspruch nach § 251 BGB. Der Vorrang liegt bei der Restitution. Ist sie - wie hier - möglich und ausreichend, so ist er zur Kompensation nicht berechtigt (Soergel/Mertens aaO., vor § 249 Rdn. 37; Erman/Kuckuk aaO., § 249 Rdn. 10).
3. Entgegen der Auffassung der Revisionen kommt es nicht darauf an, ob die beschädigten Bauwerke baurechtlich genehmigt waren.
Ein Schaden könnte unter diesen Umständen möglicherweise dann - ganz oder teilweise - verneint werden, wenn die Gebäude infolge materieller Baurechtswidrigkeit ohnehin hätten abgerissen werden müssen oder wenn das wiederhergestellte Gebäude nicht genehmigungsfähig wäre. Beides ist hier jedoch nicht ersichtlich. Die Revisionen verweisen auch nicht auf Sachvortrag der Beklagten in den Tatsacheninstanzen, der einen dahingehenden Schluß zuließe.
Den Revisionen ist einzuräumen, daß auch erwogen werden kann, ob schon der Umstand einer nur formellen Baurechtswidrigkeit Auswirkungen auf die Schadensberechnung und damit auf die Schadenshöhe haben kann. Sollte nämlich der Verkehrswert des Gebäudes vor dem Schadensfall infolge fehlender Baugenehmigung gemindert gewesen sein (so wie eine formelle Baurechtswidrigkeit einen Sachmangel im Kaufrecht begründen kann, vgl. Senat, BGHZ 114, 260[BGH 26.04.1991 - V ZR 73/90]) und erreichen die zur Wiederherstellung geltend gemachten Kosten den (höheren) Verkehrswert eines genehmigten Gebäudes, so könnte den Klägern bei dieser Berechnung ein im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigender Mehrwert zufließen. Auch insoweit verweisen die Revisionen aber nicht auf Tatsachenvortrag in den Vorinstanzen, der die Prüfung ermöglicht, ob eine solche Fallkonstellation hier gegeben ist.