Bundesgerichtshof
Urt. v. 13.12.1995, Az.: XII ZR 185/93
Bestand eines gewerblichen Mietverhältnisses; Ausübung einer Verlängerungsoption; Vorliegen schwerwiegender Vertragsverletzungen; Wegfall der Geschäftsgrundlage; Bestehen eines Ausgleichsanspruchs; Errichtung eines neuen Kraftwerks als Geschäftsgrundlage
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 13.12.1995
- Aktenzeichen
- XII ZR 185/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 15403
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- BezG Cottbus - 05.08.1993
Rechtsgrundlagen
Redaktioneller Leitsatz
Wird ein vorzeitiger Räumungs- und Herausgabeanspruch aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls nach § 242 BGB und nicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage bejaht, so sind dabei gleichwohl die Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruchs des gekündigten Mieters zu prüfen.
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Bezirksgerichts Cottbus vom 5. August 1993 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin vermietete der Beklagten durch Vertrag vom 22. März 1991 eine Baracke im W. I mit einer Fläche von 525 qm sowie einer Parkfläche von 120 qm auf dem Gelände des ehemaligen Energiekombinats S. zum Betrieb eines Schuh-Einzelhandels. Zur Dauer des Mietverhältnisses trafen die Parteien in § 2 des Vertrages folgende Vereinbarung:
(1)
Der Abschluß des Vertrages erfolgt auf ein Jahr. Er beginnt am 1. März 1991 und endet am 1. März 1992. Dem Mieter wird nach Ablauf dieser geregelten Mietzeit eine Option von 2x5 Jahren eingeräumt.(2)
Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Ende eines Monats. Die Kündigung muß schriftlich mittels eingeschriebenen Briefs erfolgen. Für die Rechtzeitigkeit kommt es auf den Zugang beim Empfänger an.(3)
... (fristlose Kündigung bei Zahlungsverzug des Mieters)
Mit Schreiben vom 10. Juli 1991 teilte die Klägerin der Beklagten mit:
Das Unternehmen der Energiewerke S. AG bereitet zur Zeit den Bau eines Neubaukraftwerkes vor. Als Standort hierfür ist das Gelände des ehemaligen W. 1 und östlich daran anschließende Fläche vorgesehen. Gemäß Ablauf-plan wird mit dem Bau ab zweitem Quartal 1992 begonnen. Wir bitten um Kenntnisnahme der Absicht unseres Unternehmens. Nach Vorliegen des Baubeschlusses, jedoch spätestens bis 30. September 1991, erhalten Sie die notwendig werdende Kündigung. Für die Beschaffung eventueller Ersatzräume bieten wir Ihnen unsere Unterstützung an.
Die Beklagte widersprach der zum 30. September 1991 ... in Aussicht genommenen Kündigung mit Schreiben vom 24. Juli 1991 und kündigte vorsorglich die Annahme der Option für weitere fünf Jahre gemäß Mietvertrag vom 22. März 1991 an. Unter Bezugnahme auf ihr Schreiben vom 10. Juli 1991 kündigte die Klägerin sodann mit Schreiben vom 30. September 1991 das Mietverhältnis zum 31. Dezember 1991 und widersprach zugleich vorsorglich einer Fortsetzung des Mietgebrauchs gemäß § 5 68 BGB. Durch anwaltliche Schreiben vom 3. und vom 4. Oktober 1991 erklärte die Beklagte daraufhin nochmals ausdrücklich die Ausübung der Option mit dem Hinweis, daß sich das Vertragsverhältnis damit über den 1. März 1992 hinaus um weitere fünf Jahre verlängere.
Im Juli/August 1992 erhob die Klägerin, gestützt auf ihre Kündigungserklärung vom 30. September 1991, Räumungs- und Herausgabeklage gegen die Beklagte. Die Klage wurde vom Kreisgericht S. durch Urteil vom 10. November 1992 abgewiesen mit der Begründung: Nach dem Inhalt des Mietvertrages vom 22. März 1991 hätten die Parteien innerhalb des ersten fest umrissenen Jahres die Möglichkeit einer Kündigung nicht vereinbart, so daß die Klägerin das Mietverhältnis nicht wirksam zum 31. Dezember 1991 habe kündigen können; die Voraussetzungen für eine allenfalls in Betracht kommende außerordentliche Kündigung habe die Klägerin selbst nicht behauptet; folglich habe sich der Mietvertrag aufgrund der wirksam von der Beklagten ausgeübten Option um weitere fünf Jahre verlängert. Ihre Berufung gegen dieses Urteil nahm die Klägerin zurück.
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Beklagte wiederum auf Räumung und Herausgabe des Mietobjekts in Anspruch. Sie stützt das Klagebegehren auf eine weitere mit Schreiben vom 23. Oktober 1992 erklärte außerordentliche Kündigung, die sie damit begründet hat, daß der geplante Kraftwerkneubau die Räumung erforderlich mache und daß darüber hinaus das zwischen Vermieter und Mieter erforderliche Vertrauensverhältnis unheilbar zerrüttet sei. Im Verlauf einer Verhandlung vor dem Kreisgericht, in der u.a. Vergleichsmöglichkeiten - durch Stellung eines Ersatzgebäudes in der näheren Umgebung - erörtert wurden, hat die Klägerin am 19. März 1993 die fristlose Kündigung wiederholt.
Das Kreisgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Es hat die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung auf der Grundlage des § 2 Abs. 2 des Mietvertrages i.V.m. § 554a BGB bejaht, weil die Klägerin am Ort des Mietobjekts das neue Kraftwerk bauen müsse und die Beklagte mit der Ablehnung der Annahme eines Ersatzobjekts treuwidrig in einer an Schikane grenzenden Weise die ihr aus dem Mietvertrag obliegenden Pflichten verletzt habe.
Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt mit dem Antrag, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Die Klägerin hat Zurückweisung der Berufung beantragt und hilfsweise die Anpassung des Mietvertrages dahin begehrt, daß das Mietobjekt durch die mietweise Überlassung eines - näher umschriebenen - Ersatzgebäudes und Geländes ersetzt werde. Die Beklagte hat das Ersatzangebot der Klägerin abgelehnt und geltend gemacht, falls sie zur Räumung verurteilt würde, müsse die Klägerin ihr eine Abfindung zahlen, die sich auf 2 Mio. DM belaufe.
Das Bezirksgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der diese ihr zweitinstanzliches Begehren weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
A.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Beklagte durch ihre Schreiben vom 3. und 4. Oktober 1991 rechtswirksam die Option jedenfalls für den ersten Fünfjahreszeitraum ausgeübt habe und daß das demzufolge bis zum Jahre 1997 fortbestehende Mietverhältnis nicht durch Kündigung beendet worden sei. Die Kündigungserklärung der Klägerin vom 30. September 1991 sei unwirksam; denn das Mietverhältnis sei jedenfalls zunächst auf ein Jahr fest vereinbart gewesen, wie sich aus den - insoweit in Bezug genommenen - Gründen des kreisgerichtlichen Urteils vom 10. November 1992 ergebe.
Auch die Kündigungen vom 23. Oktober 1992 und vom 19. März 1993 hätten das Mietverhältnis nicht beendet. Ein Recht zur ordentlichen Kündigung habe der Klägerin nicht zugestanden. Ein Recht zur außerordentlichen Kündigung habe sie ebenfalls nicht für sich in Anspruch nehmen können, weil die tatsächlichen Voraussetzungen hierfür - entgegen der Auffassung des Kreisgerichts - nicht vorgelegen hätten und auch weiterhin nicht gegeben seien.
Schwerwiegende Vertragsverletzungen der Beklagten im Sinne von § 554a BGB seien nicht ersichtlich. Soweit das Kreisgericht meine, das Verhältnis der Parteien sei aufgrund des Verhaltens der Klägerin so sehr gestört, daß der Beklagten ein - von der Klägerin angebotener - Objekttausch nicht zuzumuten sei, könne darin kein Grund liegen, der eine Kündigung seitens der Klägerin rechtfertigen könnte. Wer, wie die Klägerin, selbst vertragsuntreu sei, dürfe nicht seine eigenen Verfehlungen zum Anlaß einer Kündigung nehmen. § 554a BGB regele das Gegenteil.
Schließlich gewähre auch § 242 BGB grundsätzlich kein Kündigungsrecht. Denn diese Vorschrift regele die Erfüllung und nicht die Auflösung von Schuldverhältnissen. Gleichwohl gebiete es hier der als fortbestehend unterstellte Mietvertrag i.V.m. § 242 BGB, daß die Beklagte das Mietobjekt zu räumen habe. Hierfür könnten allerdings die Grundsätze über die Veränderung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage schon deshalb nicht herangezogen werden, weil sich die Grundlage des Rechtsgeschäfts der Parteien nicht geändert habe oder weggefallen sei. Es sei bereits zweifelhaft, ob die Annahme, daß die Klägerin am Ort des Mietobjekts während der Vertragslaufzeit von maximal elf Jahren ein neues Kraftwerk nicht bauen werde, von beiden Vertragsparteien durch Aufnahme in ihren rechtsgeschäftlichen Willen zur Geschäftsgrundlage gemacht worden sei. Jedenfalls der Klägerin sei nach ihrem eigenen Vorbringen bei Vertragsschluß noch nicht klar gewesen, ob, wann und wo sie ein neues Kraftwerk würde errichten müssen. Nach der von ihr vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ihres Mitarbeiters H. habe dieser bereits seit Mitte 1990, also weit vor Abschluß des streitigen Mietvertrages, an der Planung des neuen Kraftwerks mitgewirkt. Es sei nach den Umständen auszuschließen, daß der nunmehr festgelegte Standort des neuen Kraftwerks nicht schon damals in die Überlegungen der Klägerin mit einbezogen gewesen wäre. Danach seien die Voraussetzungen für eine Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht erfüllt, zumal derjenige Vertragspartner, der in Kenntnis des möglichen Eintritts von - in seiner Risikosphäre liegenden und ihm die spätere Vertragserfüllung unter Umständen erschwerenden -Umständen gleichwohl ein langfristiges Schuldverhältnis eingehe, das Risiko seiner unternehmerischen Fehlentscheidung nicht auf den Vertragspartner abwälzen könne.
Mit der Ablehnung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage sei der Anwendungsbereich des § 242 BGB indessen nicht erschöpft. Vielmehr gebiete es das aus dem Grundsatz redlichen Verhaltens im Rechtsverkehr abzuleitende Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme, sich den (nachträglichen) Wünschen des Schuldners nach Änderung oder Anpassung des Schuldverhältnisses jedenfalls dann nicht zu versagen, wenn dabei eine Risikoverlagerung nicht stattfinde und die Interessen des Gläubigers durch die gewünschte Anpassung nicht oder nur unwesentlich berührt würden. Das gelte selbst dann, wenn das Interesse des Schuldners an einer Abänderung des Schuldverhältnisses die Folge seiner eigenen Entschließungen sei.
Diese Voraussetzungen seien hier gegeben. Die Klägerin könne, wenn auch aufgrund eigenverantwortlicher Entschließung, den Mietvertrag nicht buchstabengetreu erfüllen, ohne schwerwiegende Belange des Gemeinwohls zu beeinträchtigen, weil der Standort des ausbedungenen Mietobjekts einen Kraftwerkneubau auf längere Zeit verhindern, mindestens ihn unvertretbar verzögern würde. Demgegenüber habe die Beklagte kein schützenswertes existentielles Interesse daran, ihren Einzelhandel mit Schuhen unter Behinderung des geplanten Kraftwerkneubaus gerade in dem vereinbarten konkreten Mietobjekt weiter zu betreiben. Sie könne ihre mit dem Mietvertrag vom 22. März 1991 verfolgten Ziele und Interessen ohne jegliche meßbare rechtliche und wirtschaftliche Einbuße auch in dem angebotenen, ortsnäher und sogar verkehrsgünstiger gelegenen, in Größe und Ausstattung vergleichbaren Ersatzobjekt wahren.
Nachdem sie allerdings vor und in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt habe, sie werde keinesfalls ein Ersatzobjekt annehmen, komme eine ansonsten gebotene entsprechende Zug um Zug-Verurteilung nicht in Betracht. Vielmehr führe die Verweigerung der Annahme eines Ersatzobjekts - in rechtsähnlicher Anwendung der in § 326 BGB aufgestellten Grundsätze - zur einschränkungslosen Verurteilung der Beklagten zur Räumung und Herausgabe des Mietobjekts.
Von der Zahlung einer Abfindungssumme könne die Zustimmung der Beklagten zur Auflösung des Mietverhältnisses entgegen ihrer Auffassung schon nach § 308 Abs. 1 ZPO nicht abhängig gemacht werden. Weder die Klägerin noch insbesondere die Beklagte hätten einen sachlich-rechtlichen Anspruch, der eine solche Verurteilung rechtfertigen könnte. Die Rechtsordnung gewähre der Beklagten keinen Rechtsanspruch auf eine Abfindung für den Fall der Auflösung des Schuldverhältnisses. Auch aus § 242 BGB lasse sich ein solcher Anspruch nicht herleiten; denn aus dieser Vorschrift folge nur ein Anspruch auf Fortsetzung des Schuldverhältnisses. Eine - rechtlich mögliche - vertragliche Aufhebungsvereinbarung gegen Gewährung einer Abfindung sei nicht geschlossen worden. Dem Gericht sei es verwehrt, unter Eingriff in die Privatautonomie der Parteien der Beklagten eine - nur willkürlich bestimmbare - Abfindung zuzusprechen.
B.
Diese Ausführungen halten im Ergebnis der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1.
Allerdings hat das Berufungsgericht zu Recht das Vorliegen eines Kündigungsgrundes nach § 5 54a BGB verneint. Schwerwiegende Vertragsverletzungen der Beklagten im Sinne dieser Vorschrift sind nicht dargetan und nicht ersichtlich.
2.
Hingegen hält die Begründung, mit der das Berufungsgericht ein Recht der Klägerin zur Kündigung des Mietverhältnisses aus wichtigem Grund unter Anwendung der Grundsätze über den Wegfall oder die Änderung der Geschäftsgrundlage verneint hat, der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a)
Die Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Kündigung aus wichtigem Grund wird durch die gesetzliche Regelung des § 554a BGB - über den Anwendungsbereich dieser Vorschrift hinaus - nicht ausgeschlossen. Insoweit können auch Tatbestände, bei denen ein Verschulden fehlt, als wichtiger Grund in Betracht kommen. Allerdings kann eine außerordentliche Kündigung unter Berufung auf § 242 BGB in der Regel nur auf Umstände gestützt werden, die in der Person oder zumindest im Risikobereich des Kündigungsgegners begründet sind. Wird der wichtige Grund hingegen aus Vorgängen hergeleitet, die dem Einfluß des Kündigungsgegners entzogen sind und aus der eigenen Interessensphäre des Kündigenden herrühren, so rechtfertigt dies in Ausnahmefällen dann die fristlose Kündigung, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, die nach der Rechtsprechung zum Wegfall oder zur wesentlichen Veränderung der Geschäftsgrundlage führen (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 1971 - VIII ZR. 10/70 = WM 1971, 1300, 1302 unter 3 = LM § 242 (Ba) BGB Nr. 57; vom 10. Dezember 1980 - VIII ZR 186/79 = WM 1981, 66, 67; auch Senatsurteil vom 29. November 1995 - XII ZR 230/94, zur Veröffentlichung bestimmt, jeweils m.w.N.). Liegen diese Voraussetzungen im Einzelfall vor, so ist bei der sodann gebotenen, durch richterliche Gestaltung vorzunehmenden Anpassung der Rechtsbeziehungen der Vertragsparteien an die veränderten Verhältnisse das richterliche Ermessen maßgebend. Die in Ausübung dieses Ermessens vorzunehmende Anpassung der Vertragsbeziehungen kann dahin führen, daß die kündigende Partei dazu angehalten wird, dem Kündigungsgegner zum Ausgleich für die vorzeitige Beendigung, des Vertragsverhältnisses eine (Ausgleichs-) Zahlung zu leisten, um den Ausfall, den der Kündigungsgegner infolge der außerordentlichen Kündigung erleidet, ganz oder teilweise zu decken und ihm die Aufwendungen zu ersetzen, die er im Vertrauen auf die vereinbarte Vertragsdauer gemacht hat (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 1971 aaO S. 1303 unter 5 d; vom 31. Januar 1956 - V BLw 54/55 = ZMR 1956, 271; Bub in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 2.. Aufl. Kap. II Rdn. 651; BGB RGRK/Alff 12. Aufl. § 242 Rdn. 83).
b)
Diesen Grundsätzen trägt das angefochtene Urteil nicht hinreichend Rechnung.
aa)
Rechtlichen Bedenken begegnet bereits, daß das Berufungsgericht der Beklagten trotz ihrer Verurteilung zur vorzeitigen Räumung und Herausgabe des Mietobjekts keinen Ausgleich hierfür zuspricht. Auch wenn das Berufungsgericht einen Wegfall der Geschäftsgrundlage verneint und dem Räumungsbegehren der Klägerin statt dessen aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls nach § 242 BGB stattgegeben hat, waren gleichwohl die Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruchs für die Beklagte zu prüfen. Da die Grundsätze über den Wegfall und die Änderung der Geschäftsgrundlage nur eine spezielle Ausprägung des § 242 BGB darstellen, konnte eine auf den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Entscheidung zugunsten der Klägerin nicht unter geringeren Voraussetzungen zum Ziel führen als sie die Rechtsprechung für den speziellen Anwendungsfall der vorzeitigen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage entwickelt hat (vgl. BGH Urteile vom 7. Juli 1971 aaO; vom 31. Januar 1956 aaO).
bb)
Darüber hinaus sind aber auch die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht die Anwendbarkeit der Grundsätze über den Wegfall bzw. die Änderung der Geschäftsgrundlage für den vorliegenden Fall verneint hat, von Rechtsirrtum beeinflußt.
Das Berufungsgericht hat seine Erwägungen danach ausgerichtet, daß es zweifelhaft sei, ob die Annahme, die Klägerin werde am Ort des Mietobjekts während der Vertragslaufzeit kein neues Kraftwerk bauen, von beiden Vertragsparteien zur Geschäftsgrundlage gemacht und in ihren rechtsgeschäftlichen Willen aufgenommen worden sei. Dieser Ansatz ist rechtsfehlerhaft. Wäre eine entsprechende Annahme in den beiderseitigen Geschäftswillen aufgenommen worden, dann wäre sie damit zum Vertragsinhalt geworden und käme nicht als Geschäftsgrundlage in Betracht. Denn die Geschäftsgrundlage eines Vertrages wird gebildet durch die gemeinschaftlichen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die bei Abschluß des Geschäfts zu Tage getretenen, dem Vertragspartner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des anderen Teils von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt oder Fortbestand bestimmter Umstände, auf die sich der Geschäftswille der Parteien aufbaut (st.Rspr., vgl. Senatsurteil vom 17. Januar 1990 - XII ZR 1/89 = BGHR BGB § 242 Geschäftsgrundlage 17 m.w.N.). Umstände, die durch Aufnahme in den beiderseitigen Geschäftswillen zum Vertragsinhalt geworden sind, scheiden hingegen als Geschäftsgrundlage aus (RGZ 168, 121, 127).
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann ein Wegfall der Geschäftsgrundlage des Mietvertrages vom 22. März 1991 unter den gegebenen Umständen nicht verneint werden. Wie das Berufungsgericht selbst in anderem Zusammenhang festgestellt hat, ist der Neubau eines Kraftwerks an dem Standort Sch., der auch den Bereich der von der Beklagten angemieteten Baracke umfaßt, im Interesse der Stromversorgung für die gesamte Region unumgänglich geboten. Mit der Beendigung der raumordnerischen Planung, die - nach dem Abschluß des streitigen Mietvertrages - unter Abwägung aller maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Belange, auch im Vergleich mit anderen möglichen Projekten, zu diesem Ergebnis führte, wurde dem Mietvertrag der Parteien, bezogen auf den Standort des Mietobjekts, für die weiter vorgesehene Vertragsdauer die Grundlage entzogen. Denn es stand nunmehr fest, daß die von der Beklagten angemietete Baracke dem Kraftwerkneubau im Wege stand und der Fortbestand des Mietverhältnisses an dem vereinbarten Standort infolgedessen entgegen den bisherigen beiderseitigen Vorstellungen und Erwartungen der Parteien den Kraftwerkneubau verhinderte.
Das Risiko, daß eine solche Entwicklung eintreten, ein neues Kraftwerk genau am Standort des Mietobjekts errichtet werden und der Fortführung des Mietvertrages entgegenstehen würde, hat die Klägerin bei Abschluß des Vertrages vom 22. März 1991 auch für die Beklagte erkennbar nicht übernehmen wollen und nicht übernommen (vgl. zur Risikozuweisung beim Wegfall der Geschäftsgrundlage allgemein Palandt/Heinrichs BGB 55. Aufl. § 242 Rdn. 126 ff). Das ergibt sich bei objektiver Beurteilung ihres Verhaltens aus nachträglicher Sicht jedenfalls daraus, daß sie im Verlauf der gerichtlichen Auseinandersetzungen von Anfang an die Auffassung vertreten hat, sie habe sich in § 2 Abs. 2 des Mietvertrages ein Kündigungsrecht bereits während des ersten Mietjahres ausbedungen (vgl. das Urteil des Kreisgerichts vom 10. November 1992), und daß sie dazu mehrfach, zuletzt in der Berufungserwiderung des vorliegenden Prozesses vom 21. Juni 1993 darauf hingewiesen hat, sie habe ihre Mitarbeiter vorsorglich angewiesen, mit allen in Frage kommenden Mietern zunächst nur zeitlich befristete Mietverträge abzuschließen und kurze Kündigungsfristen (drei Monate zum Jahresende) zu vereinbaren; auf diese Weise sollte eine Beendigung der Mietverträge für den Fall ermöglicht werden, daß die jeweilige Mietfläche für einen Kraftwerkneubau benötigt werden würde. Die Beklagte ihrerseits konnte unter den Anfang 1991 gegebenen Umständen, insbesondere in Anbetracht der damals ungeklärten energiewirtschaftlichen Situation in den neuen Ländern, redlicherweise nicht darauf vertrauen, daß die Klägerin das Risiko einer Störung des Mietverhältnisses als Folge der Notwendigkeit eines Kraftwerkneubaus am Standort des Mietobjekts in ihre Verantwortung übernehmen wollte. Hätte die Klägerin seinerzeit die Vereinbarung einer Kündigungs- oder Vertragsaufhebungsklausel für den Fall der Planung eines Kraftwerks am Mietstandort zur Bedingung für den Abschluß des Mietvertrages gemacht, dann hätte sich die Beklagte nach Treu und Glauben einer derartigen vertraglichen Regelung - ggf. gegen finanziellen oder sonstigen Ausgleich, etwa das Angebot eines Ersatzobjekts an anderem Standort - nicht verschließen können. Demgemäß würde es unter den besonderen Umständen des Falles gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn die Beklagte trotz des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf dem Mietvertrag beharren würde.
Hiernach hat die Kündigung der Klägerin aus den dargelegten Gründen zur vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses geführt. Entgegen dem Begehren der Revision kommt daher eine Abweisung der Räumungs- und Herausgabeklage nicht in Betracht.
cc)
Allerdings hat die Beklagte damit nicht alle Ansprüche gegen die Klägerin verloren. Vielmehr sind - nach der Beendigung des Mietverhältnisses - die vertraglichen Beziehungen der Parteien an die geänderten Verhältnisse anzupassen. Dabei ist der Beklagten entsprechend ihrem in der Berufungsinstanz für den Fall eines Erfolges der Räumungsklage erhobenen Begehren eine Ausgleichszahlung zuzubilligen, über deren Höhe nach tatrichterlichem Ermessen zu befinden ist. Die Zahlung hat zum einen die Aufwendungen zu umfassen, die die Beklagte im Vertrauen auf die Fortdauer des Mietverhältnisses an dem vereinbarten Standort gemacht hat und infolge der vorzeitigen Beendigung des Mietvertrages nicht mehr hat nutzen können, und sie hat zum anderen einen - nach billigem Ermessen zu bestimmenden - Ausgleich für den der Beklagten entstandenen Ausfall zu enthalten. Zur Beurteilung dieses Ausgleichs bedarf es über den bisherigen Sachvortrag hinaus noch weiterer Angaben der Parteien, insbesondere der Beklagten.
Die Sache ist daher zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen sowie zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.