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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 19.06.1995, Az.: AnwZ (B) 2/95

Fachanwalt; Erfordernisse

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
19.06.1995
Aktenzeichen
AnwZ (B) 2/95
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1995, 15533
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AGH Niedersachsen - 14.11.1994

Fundstellen

  • NJW 1995, 2717-2718 (Volltext mit red. LS)
  • NZA 1995, 1015-1016 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Gestattung der Fachbezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht"

Amtlicher Leitsatz

Die Ausnahmeregelung des § 9 II RAFachAnwBezG fordert für eine "andere fachgebietsbezogene Tätigkeit" nicht, daß die praktischen Erfahrungen zwingend im forensischen Bereich erworben worden sind. Es reicht vielmehr die Ausübung im nichtgerichtlichen Bereich aus, sofern diese den Erfordernissen des § 9 I lit. c RAFachAnwBezG an eine allgemeine anwaltliche Tätigkeit entspricht.

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Jähnke,
die Richter Kutzer, Groß und Dr. van Gelder sowie
die Rechtsanwälte Dr. von Hase, Dr. Kieserling und Dr. Müller
am 19. Juni 1995
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluß des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs in Celle vom 14. November 1994 und der Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. März 1994 aufgehoben.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Befugnis zu verleihen, die Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu führen.

Gerichtliche Gebühren und Auslegen werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.

Der Geschäftswert wird auf 25.000 DM festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller ist seit 1981 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Seit 1971 ist er im U. Konzern zunächst als Assistent für Arbeitsrecht, als Leiter der Abteilung Arbeits- und Tarifrecht in der zentralen Personalabteilung der Deutschen U. GmbH und als Werkspersonalleiter der Unichema tätig gewesen. Ab 1981 war er zunächst Management Development und Remuneration Officer und Berater im Arbeitsrecht bei der 4 P Verpackungen GmbH und ab 1985 Personalmanager bei der 4 P Rube. Seit dem 1. Januar 1988 ist der Antragsteller Leiter der Hauptabteilung Arbeitsrecht bei der Deutschen U. GmbH.

2

Seinen Antrag vom 29. Juni 1993, ihm das Führen der Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu gestatten, hat die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 9. März 1994 abgelehnt, weil die Tätigkeit des Antragstellers als Syndikusanwalt nicht den allgemeinen anwaltlichen Aufgaben entspreche und er auch keinen Fall als allgemeiner Anwalt bearbeitet habe. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof wegen fehlender praktischer Erfahrung des Antragstellers zurückgewiesen; der Antragsteller könne weder den Nachweis nach § 9 Abs. 1 c RAFachAnwBezG erbringen, noch seien die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 9 Abs. 2 RAFachAnwBezG gegeben. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Anwaltsgerichtshof zugelassene sofortige Beschwerde des Antragstellers.

3

II.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 223 Abs. 3 Satz 1 BRAO zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

4

1.

Der Bescheid vom 9. Februar 1994 beruht auf der seinerzeit geltenden verfassungsrechtlich unbedenklichen Vorschrift in § 42 a BRAO a.F. und auf dem Gesetz über Fachanwaltsbezeichnungen vom 27. Februar 1992 (BGBl. I 369 ff.), das für die Beurteilung des Antrags vom 29. Juni 1993 maßgeblich ist. Die zwischenzeitlich durch das Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 2. September 1994 (BGBl. I 2278 ff.) eingetretene Änderung führt zu keiner für den Antragsteller günstigeren Beurteilungsgrundlage: Durch dieses Gesetz sind zwar der 5. Abschnitt der BRAO und das Gesetz über Fachanwaltsbezeichnungen aufgehoben und durch den inhaltlich entsprechenden § 43 c BRAO n.F. ersetzt worden; jedoch sind nach Art. 21 Abs. 11 S. 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte bis zur Regelung der Einzelheiten für die Vergabe der Berechtigung zum Führen einer Fachanwaltsbezeichnung durch Berufssatzung die Bestimmungen des Gesetzes über Fachanwaltsbezeichnungen weiter anzuwenden; eine Berufssatzung ist bisher nicht in Kraft getreten.

5

2.

Nach § 42 a Abs. 1 BRAO a.F. konnte ein Rechtsanwalt, der besondere Kenntnisse in einem der in Absatz 2 genannten Gebiete erworben hatte, darauf nach einer entsprechenden Verleihung durch die zuständige Rechtsanwaltskammer mit der Bezeichnung als Fachanwalt für dieses Gebiet hinweisen. Die nachzuweisenden "besonderen Kenntnisse" hatte der Rechtsanwalt nach § 2 RAFachAnwBezG nur, wenn seine Kenntnisse auf dem Fachgebiet erheblich das Maß der Kenntnisse überstiegen, das üblicherweise durch die berufliche Ausbildung und praktische Erfahrung im Beruf vermittelt wird. Nach § 7 RAFachAnwBezG war durch geeignete Unterlagen der Nachweis der besonderen Kenntnisse und der praktischen Erfahrungen zu erbringen. Wie dieser Nachweis regelmäßig zu führen war, regelte § 8 RAFachAnwBezG für die theoretischen Kenntnisse und § 9 RAFachAnwBezG für die praktischen Erfahrungen; für das Fachgebiet Arbeitsrecht waren danach regelmäßig - und zwar neben dem nach § 8 RAFachAnwBezG zu führenden Nachweis der theoretischen Kenntnisse - achtzig Fälle aus mehreren, in § 5 RAFachAnwBezG bestimmten Bereichen, davon mindestens ein Drittel gerichtliche Verfahren als selbständig bearbeitet darzulegen. Das Erfordernis dieses doppelten Nachweises von Kenntnissen und Erfahrungen enthält auch § 43 c Abs. 2 BRAO n.F., der inhaltlich der Regelung in § 42 a BRAO a.F. in Verbindung mit §§ 7 ff. RAFachAnwBezG entspricht.

6

An die Erbringung dieses Nachweises ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Berechtigung und die Glaubwürdigkeit eines Fachhinweises sind nur gewährleistet, wenn Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Fachgebiet überdurchschnittlich sind. Dabei kann der Nachweis der Erfahrungen, dem der Gesetzgeber - wie sich aus der erheblichen Anzahl der im Regelfall darzulegenden Fälle ergibt - großes Gewicht beigelegt hat, nicht durch den Nachweis besonderer Kenntnisse ersetzt werden. Erst beides zusammen rechtfertigt das durch die Führung der Fachanwaltsbezeichnung in Anspruch genommene Vertrauen.

7

Nach § 9 Abs. 2 RAFachAnwBezG können die besonderen praktischen Erfahrungen ausnahmsweise durch eine andere fachbezogene Tätigkeit nachgewiesen werden, wenn diese nach Umfang, Dauer und Inhalt dem in Absatz 1 verlangtem Maßstab entspricht.

8

3.

Daß der Antragsteller die erforderlichen theoretischen Kenntnisse im Arbeitsrecht hat, ist außer Streit. Insoweit sind die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof stillschweigend davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 8 Abs. 3 RAFachAnwBezG gegeben sind.

9

Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 9 Abs. 2 RAFachAnwBezG haben die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof deshalb verneint, weil die Tätigkeit des Antragstellers als Syndikusanwalt nicht den allgemeinen anwaltlichen Aufgaben entspreche, seine Tätigkeit vielmehr überwiegend eine beratende und den Rechtsstreit vermeidende Arbeit sei, er also insbesondere nicht über die für einen Fachanwalt erforderliche Kenntnis im prozeßtaktischen Vorgehen verfüge, die ein Rechtsuchender von einem Fachanwalt erwarte.

10

Damit wird der Inhalt der Ausnahmeregelung verkannt, in der gerade nicht darauf abgestellt ist, daß die praktische Erfahrung unbedingt vor den Arbeitsgerichten erworben sein muß und prozeßtaktische Elemente unentbehrlich sind.

11

Erforderlich ist eine "andere fachgebietsbezogene Tätigkeit", die auch im nichtgerichtlichen Bereich ausgeübt worden sein kann, soweit sie nur nach Umfang und Dauer - das ist im vorliegenden Fall einer über Jahrzehnte ausgeübten praktischen Tätigkeit auf allen Gebieten des Arbeitsrechts unzweifelhaft gegeben - sowie nach ihrem Inhalt dem Maßstab entspricht, den § 9 Abs. 1 c RAFachAnwBezG für eine allgemein anwaltliche Tätigkeit aufstellt. Das haben die Antragsgegnerin und der Ehrengerichtshof verkannt, wenn sie der Sache nach für die Ausfüllung der Ausnahmeregelung doch wieder nur anwaltliche Tätigkeiten ausreichend sein lassen wollen.

12

Der Antragsteller hat dargelegt, daß er in einer Fülle von Fällen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts beratend und gestaltend tätig war und auch - wenn auch nicht umfänglich - arbeitsrechtliche Streitigkeiten vor Gericht vertreten hat. Seine darüber hinausgehende andere fachgebietsbezogene Tätigkeit hat inhaltlich ein außergewöhnliches Gewicht, wie es in einer allgemein anwaltlichen Tätigkeit nur unter besonderen Umständen anzutreffen sein wird. Er hat an maßgeblicher Stelle an Verhandlungen über Mantel- und Gehaltstarifverträge, über Rahmen- und allgemeine Konzernbetriebsvereinbarungen mitgewirkt und ist mit allen in einem bedeutenden Unternehmen auftauchenden Personalfragen, tarif- und mitbestimmungsrechtlichen sowie sozialversicherungsrechtlichen, Vergütungs- und Ruhegeldproblemen bezogen auf Konzern und Einzelunternehmen seit Jahren an führender Stelle befaßt. Diese Tätigkeit ist mindestens ebenso geeignet, praktische Erfahrungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts zu sammeln, wie es bei der in § 9 Abs. 1 c RAFachAnwBezG beschriebenen allgemein anwaltlichen Tätigkeit in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten der Fall ist und bei der eine solche fachliche Breite der Tätigkeit, wie sie beim Antragsteller gegeben ist, nur selten zu beobachten sein wird.

13

Da zusätzliche Feststellungen nicht mehr erforderlich sind und die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 9 Abs. 2 RAFachAnwBezG vorliegen, war die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller die beantragte Befugnis zu verleihen.

Streitwertbeschluss:

Der Geschäftswert wird auf 25.000 DM festgesetzt.

Jähnke
Kutzer
Groß
van Gelder
v. Hase
Kieserling
Müller