Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.06.1995, Az.: XII ZB 177/94

Prozeßbevollmächtigter; Erreichbarkeit

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
14.06.1995
Aktenzeichen
XII ZB 177/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 15417
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • FamRZ 1995, 1484 (Volltext mit red. LS)
  • SGb 1996, 485 (red. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

1. Die Partei muß dafür Sorge tragen, für ihren Prozeßbevollmächtigten erreichbar zu sein.

2. Die Prozeßvollmacht kann formlos, auch durch schlüssiges Verhalten gegenüber dem Bevollmächtigten, dem Prozeßgegner oder dem Gericht erteilt werden.

Gründe

1

I. Die Ehe der Parteien ist geschieden. Durch Schlußurteil des Familiengerichts vom 1. März 1993 wurde der Beklagte verurteilt, an die Klägerin nachehelichen Unterhalt zu zahlen. Das Urteil wurde dem für den Beklagten in erster Instanz tätigen Prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. P. am 7. April 1993 zugestellt. Am 30. August 1993 legte der Beklagte durch seine jetzigen Prozeßbevollmächtigten Berufung ein und beantragte gleichzeitig wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, Rechtsanwalt Dr. P. habe das an ihn zugestellte erstinstanzliche Urteil unverzüglich an die ihm bekannte Anschrift des Beklagten abgeschickt und in einem Begleitschreiben den Beklagten aufgefordert, sich dazu zu äußern, ob Berufung eingelegt werden solle oder nicht. Der Beklagte habe diesen Brief aber nicht erhalten. Am 12. August 1993 sei ein Gerichtsvollzieher bei seinem - des Beklagten - Arbeitgeber erschienen, um aus dem Urteil zu vollstrecken. Davon habe er - der Beklagte - erst erfahren, als er am 16. August 1993 aus einem Urlaub zurückgekehrt sei. Auf einen Hinweis des Gerichts hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 12. Januar 1994 weiter vorgetragen, er habe in dieser Sache mit Rechtsanwalt Dr. P. nie Kontakt gehabt und ihm auch keine Vollmacht erteilt. Rechtsanwalt Dr. P. habe ihn in dem vorausgegangenen Ehescheidungsprozeß vertreten. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin hätten sich dann wegen der Unterhaltsforderung an Rechtsanwalt Dr. P. gewandt. Rechtsanwalt Dr. P. habe ihn daraufhin zwar angeschrieben, aber unter seiner alten Anschrift. Deshalb hätten ihn die Briefe nicht erreicht. Daraufhin habe sich Rechtsanwalt Dr. P. entschlossen, für ihn in dem Unterhaltsprozeß aufzutreten, um den Erlaß eines Versäumnisurteils zu vermeiden. Der Beklagte ist der Ansicht, unter diesen Umständen sei die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils an Rechtsanwalt Dr. P. nicht wirksam.

2

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Rechtsanwalt Dr. P. habe, nachdem das Urteil an ihn zugestellt worden sei, nicht alles notwendige veranlaßt, um sicherzustellen, daß der Beklagte rechtzeitig habe entscheiden können, ob er Berufung einlegen wolle oder nicht. Rechtsanwalt Dr. P. habe in dem Begleitschreiben, mit dem er das erstinstanzliche Urteil an den Beklagten übersandt habe, nicht mit der notwendigen Deutlichkeit auf die laufende Berufungsfrist hingewiesen. Außerdem habe er es unterlassen, sich vor Ablauf dieser Frist erneut an den Beklagten zu wenden, nachdem der Beklagte auf das erste Schreiben nicht reagiert habe. Ein solches Erinnerungsschreiben hätte den Beklagten jedenfalls dann erreicht, wenn er seinem Anwalt seine neue Anschrift sofort mitgeteilt hätte.

3

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten, mit der er geltend macht, Schreiben des Rechtsanwalts Dr. P. gleich welchen Inhalts hätten ihn ohnehin nicht erreicht, weil Rechtsanwalt Dr. P. seine neue Anschrift nicht bekannt gewesen sei. Er sei auch nicht verpflichtet gewesen, Rechtsanwalt Dr. P. von dem Anschriftwechsel zu unterrichten, weil er von dem vorliegenden Verfahren nichts gewußt habe.

4

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist zu Recht zurückgewiesen.

5

a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung einer Frist - hier: der Berufungsfrist - kommt nur in Betracht, wenn die Frist tatsächlich versäumt worden ist. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte die Berufungsfrist versäumt, weil ihm das erstinstanzliche Urteil zu Händen seines Prozeßbevollmächtigten Dr. P. am 7. April 1993 ordnungsgemäß zugestellt worden ist und weil er nicht innerhalb eines Monats nach dieser Zustellung (§ 516 ZPO) Berufung eingelegt hat. Die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils ist zu Recht an den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten Rechtsanwalt Dr. P. erfolgt (§ 176 ZPO). Die Darstellung des Beklagten, er selbst habe von dem Verfahren erster Instanz keine Kenntnis gehabt und habe Rechtsanwalt Dr. P. auch nicht bevollmächtigt, ist offensichtlich unzutreffend und wird durch bei den Akten befindliche Urkunden eindeutig widerlegt. Aus dem Protokoll des Familiengerichts vom 7. September 1992 ergibt sich, daß der Beklagte in diesem Termin, der in der vorliegenden Sache - nicht in der Ehescheidungssache - stattgefunden hat, zusammen mit seinem Prozeßbevollmächtigten Dr. P. persönlich anwesend war. Der Beklagte wußte dementsprechend von dem vorliegenden Verfahren und er wußte auch, daß Dr. P. ihn in diesem Verfahren vertrat. Die Prozeßvollmacht ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die gegenüber dem Bevollmächtigten, dem Prozeßgegner oder dem Gericht auch formlos durch schlüssiges Verhalten - erteilt werden kann (Zöller/Vollkommer, ZPO 19. Aufl. § 80 RdNr. 4 und 5 m.N.). Aus der Sicht der Klägerin, des Rechtsanwalts Dr. P. und des Gerichts ergab sich aus der Teilnahme des Beklagten an dem Termin vom 7. September 1992 eindeutig, daß er spätestens von diesem Termin an Rechtsanwalt Dr. P. Prozeßvollmacht erteilen wollte.

6

b) Nach § 233 ZPO kann einer Partei, die die Berufungsfrist versäumt hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Nach § 85 Abs. 2 ZPO muß sich die Partei das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen. Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie das Berufungsgericht meint - Rechtsanwalt Dr. P. ein Verschulden daran trifft, daß der Beklagte die Berufungsfrist nicht einhalten konnte. Jedenfalls trifft den Beklagten selbst nach seinem eigenen Vortrag ein Verschulden. Er macht geltend, nach der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils habe ihn das Schreiben seines Prozeßbevollmächtigten Dr. P., mit dem dieser ihm das Urteil übersandt habe, nicht erreicht, weil Dr. P. seine neue Adresse nicht bekannt gewesen sei. Da der Beklagte - wie bereits ausgeführt ist - Kenntnis davon hatte, daß das vorliegende Unterhaltsverfahren gegen ihn anhängig war, mußte er dafür Sorge tragen, daß er für seinen Prozeßbevollmächtigten erreichbar blieb. Nachdem er an der seinem Prozeßbevollmächtigten bekannten Anschrift nicht mehr wohnte, hätte er seinem Prozeßbevollmächtigten die neue Anschrift mitteilen oder zumindest durch geeignete Maßnahmen zuverlässig sicherstellen müssen, daß ihm unter der bisherigen Anschrift eingehende Anwaltspost unverzüglich nachgesandt werde. Dies hat der Senat in einem vergleichbaren Fall bereits entschieden (Beschluß vom 8. Juni 1988 - IVb ZB 68/88 - FamRZ 1988, 943 = BGHR ZPO § 233 Berufungskläger 1). Der Beklagte hat nicht dargelegt und schon gar nicht glaubhaft gemacht, nach seinem Ortswechsel entsprechende Vorkehrungen getroffen zu haben.