Bundesgerichtshof
Urt. v. 17.03.1995, Az.: V ZR 178/93
Negative Feststellungsklage; Rechtskraft; Präklusion aller Einwendungen
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 17.03.1995
- Aktenzeichen
- V ZR 178/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 15478
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- JuS 1995, 838-839 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1995, 1062-1063 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1995, 1757-1758 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1995, 1507-1508 (Volltext mit red. LS)
- WM 1995, 1204-1206 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Bei einer aus Sachgründen abgewiesenen negativen Feststellungsklage ist Folge der Rechtskraftwirkung die Präklusion aller Einwendungen gegen den bekämpften Anspruch, unabhängig davon, ob sie der Kl. seinerzeit vorgetragen hat oder nicht und ob das Gericht sich damit auseinandergesetzt hat, sofern die Einwendungen denselben Streitgegenstand betreffen.
Tatbestand:
Der Beklagte ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen, mit einem Kotten bebauten Grundbesitzes in S.. Mit notariellem Vertrag vom 6. Dezember 1974 pachtete der Kläger einen Teil dieses Grundstücks zu einem vom Beklagten bereits angepachteten Besitz hinzu. Die Pachtzeit war bis zum 30. September 1992 befristet. Mit weiterem notariellem Vertrag vom selben Tage räumte der Beklagte dem Kläger an einem Teil der gepachteten Fläche, nämlich an dem Kotten und dem umliegenden Land in einer Größe von etwa 2.500 qm, ein Ankaufsrecht ein. Dieser Teil war nicht durch Grundbuch- oder Katasterbezeichnungen festgelegt, sondern wurde auf einer als Anlage zu den notariellen Verträgen genommenen Flurkarte schraffiert und rot dargestellt. Der Ankaufspreis wurde mit 16.000 DM vereinbart. Das Ankaufsrecht konnte nicht vor dem 1. Januar 1992 ausgeübt werden und war bis zum 31. Dezember 1992 befristet. Schließlich schlossen die Parteien am selben Tage einen privatschriftlichen, notariell beglaubigten Vertrag, nach dem der Kläger dem Beklagten ein bis zum 30. September 1992 unkündbares, verzinsliches Darlehen in Höhe von 16.000 DM gewährte, das bereits ausgezahlt worden war.
Der Beklagte wollte sich später wegen einer von ihm behaupteten Schwarzgeldabrede von der Vereinbarung über das Ankaufsrecht lösen. Seine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Ankaufsrechts wurde jedoch durch Urteil des Landgerichts Münster vom 27. Dezember 1983 rechtskräftig abgewiesen.
Mit Schreiben vom 7. Mai 1992 übte der Kläger das Ankaufsrecht gegenüber dem Beklagten aus. Er verlangt Übereignung der entsprechenden Grundstücke, die nach seiner Behauptung im Flurbereinigungsverfahren die Bezeichnung Gemarkung F., Flur 141 Nr. 54 und 53 erhalten hätten, und zwar Zug um Zug gegen Zahlung von 16.000 DM. Ferner begehrt er die Feststellung, daß sich der Kläger hinsichtlich des Kaufpreises in Annahmeverzug befinde.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, die Vereinbarung über das Ankaufsrecht sei wegen unvollständiger Beurkundung unwirksam, §§ 313 Satz 1, 125 Satz 1 BGB. Die am 6. Dezember 1974 geschlossenen Verträge seien nämlich nach den Vorstellungen der Parteien als rechtliche Einheit zu werten, so daß auch der Darlehensvertrag der Beurkundungspflicht unterlegen habe. Der Formmangel führe zur Nichtigkeit des gesamten Vertragswerkes. Von einem wirksam begründeten Ankaufsrecht sei auch nicht mit Rücksicht auf das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Münster vom 27. Dezember 1983 auszugehen. Die Streitgegenstände seien nämlich nicht identisch. Damals sei es um die Unwirksamkeit wegen der vom Beklagten behaupteten Schwarzgeldabrede gegangen, heute um die Unwirksamkeit wegen Formmangels. Diese unterschiedlichen Unwirksamkeitsgründe beeinflußten den Streitgegenstand.
II. Diese Ausführungen halten einer Nachprüfung nicht stand.
1. Die Frage, ob der Darlehensvertrag der notariellen Beurkundung bedurfte und welche rechtlichen Folgen gegebenenfalls die Nichtbeachtung der Form hat, stellt sich hier nicht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist nämlich durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Münster vom 27. Dezember 1983 mit bindender Wirkung festgestellt, daß das Ankaufsrecht wirksam begründet worden ist.
a) Nach § 322 Abs. 1 ZPO ist ein Urteil insoweit der Rechtskraft fähig, als darin über den durch Klage- und Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 93, 287, 288 f [BGH 18.01.1985 - V ZR 233/83]; 123, 137, 139 ff) und der herrschenden Meinung im Schrifttum (s. nur MünchKomm-ZPO/Gottwald, § 322 Rdn. 9 ff; Zöller/Vollkommer, ZPO, 19. Aufl., vor § 322 Rdn. 19 m.w.N.) bedeutet dies zum einen, daß eine erneute Klage mit identischem Streitgegenstand unzulässig ist. Ist die in einem Vorprozeß entschiedene Rechtsfolge nur Vorfrage für die Entscheidung des nachfolgenden Rechtsstreits, so besteht die Rechtskraftwirkung in einer Bindungswirkung (BGH, Urt. v. 24. Juni 1993, III ZR 43/92, NJW 1993, 3204 f; Zöller/Vollkommer aaO.). Dabei ist eine Identität der Streitgegenstände nicht nur dann anzunehmen, wenn der nämliche Streitgegenstand zwischen denselben Parteien rechtshängig gemacht wird. Vielmehr sind die Streitgegenstände auch identisch, wenn im Zweitprozeß der Ausspruch des "kontradiktorischen Gegenteils" begehrt wird (BGHZ 123, 137, 139; Senatsurt. v. 11. November 1994, V ZR 46/93, Umdruck S. 5 f). Infolgedessen hat ein Urteil, das eine negative Feststellungsklage aus sachlichen Gründen abweist, dieselbe Rechtskraftwirkung wie ein Urteil, das das Gegenteil dessen, was mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt (BGH, Urt. v. 9. April 1986, IVb ZR 14/85, NJW 1986, 2508 m.w.N.). Daher hat das Landgericht Münster durch Abweisung der auf Negation des Ankaufsrechts gerichteten Feststellungsklage zugleich positiv mit Rechtskraftwirkung festgestellt, daß das Ankaufsrecht besteht. Da dies eine Vorfrage für die Entscheidung des vorliegenden Prozesses darstellt, besteht insoweit eine Bindungswirkung.
b) Das Berufungsgericht geht allerdings zu Recht davon aus, daß die Bindungswirkung auf den Streitgegenstand des früheren Rechtsstreits beschränkt ist. Dieser erschließt sich bei einem klageabweisenden Urteil, dessen Urteilsformel keine Aufschlüsse zuläßt, stets erst aus dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen einschließlich des Parteivorbringens (BGH, Urt. v. 9. April 1986, IVb ZR 14/85, NJW 1986, 2508; Urt. v. 13. Dezember 1989, IVb ZR 19/89, NJW 1990, 1795, 1796). Das bedeutet jedoch nicht, daß die Parteien den Streitgegenstand durch die Gestaltung ihres Vortrages willkürlich begrenzen könnten (vgl. MünchKomm-ZPO/Gottwald, § 322 Rdn. 107). Der Streitgegenstand wird vielmehr durch den prozessualen Anspruch und den ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt bestimmt, unabhängig davon, ob einzelne Tatsachen dieses Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht. Infolgedessen gehört zu den Rechtskraftwirkungen die Präklusion nicht nur der im ersten Prozeß vorgetragenen Tatsachen, sondern auch der nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern sie nicht erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung im ersten Prozeß entstanden sind (st.Rspr., vgl. BGHZ 98, 353, 358; Urt. v. 24. Juni 1993, III ZR 43/92, NJW 1993, 3204; Senatsurt. v. 11. November 1994, V ZR 46/93, Umdruck S. 6, 7).
Das hat folgende Auswirkungen. Ein Sachurteil, das eine Leistungsklage abweist, stellt grundsätzlich fest, daß die begehrte Rechtsfolge aus dem Lebenssachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt hergeleitet werden kann, und zwar auch dann, wenn das Gericht nicht alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen ins Auge gefaßt hat (BGH, Urt. v. 13. Dezember 1989, IVb ZR 19/89, NJW 1990, 1795, 1796). Entsprechendes gilt für ein Urteil, das einer Feststellungsklage stattgibt. Der Beklagte ist in einem späteren Prozeß mit Einwendungen, die das Bestehen des rechtskräftig festgestellten Anspruchs betreffen, ausgeschlossen, sofern diese schon zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozeß bestanden haben. Dabei ist es unerheblich, ob die Einwendungen vorgetragen aber nicht berücksichtigt worden sind oder ob sie vom Beklagten in den Prozeß nicht eingeführt worden sind (BGH, Urt. v. 14. Juni 1988, VI ZR 279/87, BGHR ZPO § 322 Abs. 1 - Feststellungsurteil 1 m.w.N.). Schließlich bedeutet dies für den vorliegenden Fall der aus Sachgründen abgewiesenen negativen Feststellungsklage eine Präklusion hinsichtlich aller Einwendungen gegen den bekämpften Anspruch, unabhängig davon, ob sie der Kläger vorgetragen hat oder nicht und ob das Gericht sich damit auseinandergesetzt hat (st.Rspr. schon des Reichsgerichts, der sich der Senat anschließt, vgl. RGZ 78, 389, 396 f; JW 1935, 2814).
Nach allem könnte das Berufungsurteil nur dann Bestand haben, wenn die Frage, ob das Ankaufsrecht wegen unterlassener Beurkundung des damit in Zusammenhang stehenden Darlehensvertrages unwirksam ist, einen anderen Lebenssachverhalt beträfe als der seinerzeit vorgetragene Tatsachenkomplex, das Ankaufsrecht sei wegen Vereinbarung einer Schwarzgeldzahlung nichtig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zu verneinen. Der Lebenssachverhalt wird hier gekennzeichnet durch die Gesamtumstände, die der Vereinbarung des Ankaufsrechts zugrunde lagen. Dazu zählt die vom Beklagten im Vorprozeß geltend gemachte Schwarzgeldabrede ebenso wie die Beurkundung des Pachtvertrages und die am selben Tage vereinbarte Darlehenshingabe. Wenn letztere - wie der Beklagte selbst vorträgt - in enger Beziehung zum Ankaufsrecht stand, gehört sie auch zu demselben Lebenssachverhalt, zu den Umständen nämlich, die zu dem notariellen Vertrag vom 6. Dezember 1974 geführt haben. Das wird insbesondere auch dadurch deutlich, daß es in beiden Fällen um dieselbe Frage geht, ob dem Vertragswerk wegen unvollständiger Beurkundung die Wirksamkeit zu versagen ist.
c) An der Präklusionswirkung ändert sich auch dadurch nichts, daß der Beklagte im Vorprozeß nur deswegen unterlegen ist, weil er den von ihm behaupteten Unwirksamkeitsgrund nicht beweisen konnte. Dies hat auf die Rechtskraftwirkung keinen Einfluß (BGH, Urt. v. 17. Februar 1983, III ZR 174/81, NJW 1983, 2032).
2. Die Hilfserwägungen des Berufungsgerichts, das Ankaufsrecht sei möglicherweise mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam, tragen die Klageabweisung ebenfalls nicht. Auch diese Einwendung gegen die wirksame Begründung des Ankaufsrechts wird von der Präklusion des rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses erfaßt. Sie gründet sich auf denselben Lebenssachverhalt und hätte in dem damaligen Prozeß vorgebracht werden können.
III. Mangels Entscheidungsreife ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 565 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 ZPO.
Ausgehend davon, daß das vom Kläger innerhalb des vorgesehenen Zeitraumes wirksam ausgeübte Ankaufsrecht besteht, ist der darauf gestützte Anspruch auf Übertragung des Grundstücksteils nur gegeben, wenn die von dem Ankaufsrecht erfaßte Grundstücksfläche (im Plan schraffiert und rot dargestellt, in einer Größe von ca. 2.500 qm) mit den im Klageantrag bezeichneten Flurstücken identisch ist. Das ist zwischen den Parteien streitig und bedarf der weiteren Aufklärung durch das Berufungsgericht. Dabei werden die handschriftlichen Markierungen auf der Flurkarte nicht als maßstabsgerecht angesehen werden können, so daß die Vorstellungen der Parteien bei Begründung des Ankaufsrechts sowie die damaligen örtlichen Verhältnisse zur Konkretisierung mitzuberücksichtigen sein werden.