Bundesgerichtshof
Urt. v. 01.07.1994, Az.: BLw 17/94
LPG; Vollversammlung; Beschluß
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 01.07.1994
- Aktenzeichen
- BLw 17/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 15017
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 44 LAnpG
Fundstellen
- BGHZ 126, 335 - 339
- MDR 1995, 429 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1994, 544 (amtl. Leitsatz)
- WM 1994, 1770-1771 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1994, 1221-1222 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1994, A87 (Kurzinformation)
Amtlicher Leitsatz
Der von einer nicht beschlußfähigen LPG-Vollversammlung gefaßte Beschluß ist nicht nichtig, sondern nur anfechtbar.
Gründe
I. Die Antragsgegner sind die Erben. von G. M., der bis zu seinem Tod am 4. September 1991 Mitglied der LPG "E. T. ", K. war. Am 30. August 1991 wurde über das Vermögen der LPG das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet und der Antragsteller zum Gesamtvollstreckungsverwalter ernannt. Dieser verlangt von den Antragsgegnern nach erfolgloser Fristsetzung und Mahnung die Rückzahlung des Inventarbeitrages, den die LPG dem Erblasser aufgrund eines von der nicht beschlußfähigen Vollversammlung am 24. Oktober 1990 gefaßten Beschlusses ausgezahlt hatte. Der Antragsteller hat beantragt, die Antragsgegner zu verpflichten, als Gesamtschuldner an ihn 4.740 DM nebst 4 % Zinsen seit 1. Juni 1993 zu zahlen.
Das Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die - zugelassene - Rechtsbeschwerde.
II. Das Landwirtschaftsgericht vertritt die Auffassung, dem Antragsteller stehe ein Anspruch auf Rückgewähr des ausgezahlten Pflichtinventarbeitrages nicht zu, weil ein Anfechtungsgrund nach § 10 Abs. 1 GesVollO nicht gegeben sei. Insbesondere sei die Auszahlung des Pflichtinventarbeitrages nicht unentgeltlich, sondern zur Befreiung der durch den Vollversammlungsbeschluß begründeten Verbindlichkeit der LPG erfolgt. Die Vollversammlung habe die Auszahlung der Pflichtinventarbeiträge beschließen dürfen. Daß.sie nicht beschlußfähig war, stehe seiner Wirksamkeit nicht entgegen.
Dies hält der rechtlichen Prüfung stand.
III. 1. Zutreffend geht das Landwirtschaftsgericht davon aus, daß die LPG nach dem 16. März 1990 nicht mehr gehindert war, die Pflichtinventarbeiträge an ihre Mitglieder auszuzahlen (Senatsbeschl. v. 21. April 1993, BLw 55/92, WM 1993, 1309). Eine solche Auszahlung bedurfte allerdings eines wirksamen Beschlusses der Mitgliederversammlung (Senat, aaO.). Ein solcher Beschluß ist hier jedoch am 24. Oktober 1990 gefaßt worden. Daß die Vollversammlung nicht beschlußfähig war, macht den Beschluß nicht nichtig.
2. Zu Recht weist das Landwirtschaftsgericht darauf hin, daß Beschlüsse einer nicht beschlußfähigen Vollversammlung nach der Rechtspraxis in der DDR bis zu einer anderslautenden Entscheidung des Rates des Kreises zwar mangelhaft, aber verbindlich waren. Gerichtliche Verfahren über Ansprüche aus solchen Beschlüssen waren daher bis zum Eingang der Stellungnahme des Rates des Kreises auszusetzen, ob der gefaßte Beschluß aufrechterhalten bleibt (Krauß, Kommentar zum MSt LPG (P) vom 28. Juli 1977, 1980, S. 193; ders., Kommentar zum MSt LPG (T) vom 28. Juli 1977, 1981, S. 176; Arlt/Krauß, Kommentar zum LPG-Gesetz vom 2. Juli 1982 und zu den MSt LPG (P) bzw. LPG (T) vom 28. Juli 1977, 1989, S. 33; Hähnert, Richter, Rohde u.a., LPG-Recht, Lehrbuch, 1984, S. 87). Damit fiel die Entscheidung über den Bestand des Beschlusses letztlich in die Zuständigkeit der staatlichen Verwaltungsbehörde. Dies beruhte auf der spezifisch sozialistischen Wertung, daß die LPG ihre Aufgaben "auf der Grundlage der Beschlüsse der sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und der Rechtsvorschriften" zu lösen (§ 1 Abs. 3 LPG-Gesetz vom 2. Juli 1982) und auf der Ebene des Kreises der Rat des Kreises die Verantwortung für die staatliche Leitung und Planung der Landwirtschaft hatte. Schon mit Gesetz zur Änderung und Ergänzung des LPG-Gesetzes vom 6. März 1990 (GBl I S. 133) ist § 1 Abs. 3 LPG-Gesetz jedoch dahingehend geändert worden, daß die LPG bei der Verfügung über das Ergebnis ihres Wirtschaftens "nach Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber dem Staat und Dritten nur an das Gesetz, ihr Statut und weitere Beschlüsse der Vollversammlung gebunden" war. Der damit vollzogene Übergang von der Bindung an die Entscheidungen und Beschlüsse der SED zur Bindung an das Gesetz, die genossenschaftlichen Statuten und Beschlüsse legt die Annahme nahe, daß damit auch der Entscheidungszuständigkeit des Rates des Kreises bereits der Boden entzogen wurde. Jedenfalls ist dies aber mit Inkrafttreten der Kommunalverfassung vom 17. Mai 1990 (GBl I S. 255) geschehen.
3. Hiervon zu trennen ist die materiell-rechtliche Frage nach den Folgen der Beschlußunfähigkeit der Vollversammlung für die Wirksamkeit des gefaßten Beschlusses. Auch nach dem Recht der DDR waren Beschlüsse, die trotz bestehender Mängel rechtsverbindlich waren, von solchen zu unterscheiden, die von vornherein keine Rechtswirksamkeit erlangten. Hierunter fielen Beschlüsse, die gegen strafrechtliche Bestimmungen sowie Grundprinzipien des LPG-Rechts, wie die Gleichberechtigung aller Mitglieder, verstießen (Senatsbeschl. v. 9. Juni 1993, BLw 34/93, WM 1993, 1760; Hähnert, Richter, Rohde u.a., LPG-Recht, Lehrbuch, 1984, S. 87). Daß die Beschlußunfähigkeit der Vollversammlung nicht als Nichtigkeitsgrund angesehen wurde, ist keine spezifisch sozialistische Wertung, die nach dem Wirksamwerden des Beitritts trotz der - bis zum 31. Dezember 1991 befristeten - Fortgeltung des LPG-Gesetzes Geltung nicht mehr beanspruchen könnte (vgl. BGH, Urt. v. 1. Dezember 1993, IV ZR 261/92, NJW 1994, 582, 583). Die Wertung entspricht vielmehr einer Rechtsauffassung, die auch für das bundesrepublikanische Recht anerkannt ist.
Das Reichsgericht hat für das Recht der eingetragenen Genossenschaft allerdings die Ansicht vertreten, eine Vollversammlung, die nach dem Statut nicht beschlußfähig ist, sei für eine Beschlußfassung über die betreffende Angelegenheit überhaupt nicht zuständig. Ihre Beschlüsse seien nur "der Schein eines Generalversammlungsbeschlusses", also nichtig (RGZ 76, 170, 173; ebenso Lang/Weitmüller/Metz, GenG, 32. Aufl., § 51 Rdn. 12; a.A. Müller, GenG (1980), § 51 Rdn. 44; Meyer/Meulenbergh/Beuthien, GenG, 12. Aufl. § 43 Rdn. 7 und § 51 Rdn. 6). Diese Auffassung ist jedoch durch die in §§ 241 ff AktG zum Ausdruck gekommenen Grundsätze überholt, die zwar nicht auf Vereinsbeschlüsse (BGHZ 59, 369; BGH, Urt. v. 14. Oktober 1993, III ZR 157/91, WM 1993, 2169, 2170), wohl aber auf Beschlüsse der Genossenschaft entsprechende Anwendung finden (RGZ 170, 83, 88, 89; BGHZ 18, 334, 338[BGH 26.10.1955 - VI ZR 90/54]; 32, 318, 323 f; 70, 384, 387). Danach ist ein Beschluß der Hauptversammlung nur dann nichtig, wenn ein vom Gesetz anerkannter Nichtigkeitsgrund vorliegt. Ein solcher ist zwar die fehlerhafte Einberufung der Hauptversammlung, nicht aber deren Beschlußunfähigkeit. Dies entspricht namentlich für die GmbH, auf die §§ 241 f. AktG ebenfalls Anwendung finden (BGHZ 11, 231, 236), der herrschenden Meinung (BGH, Urt. v. 17. Oktober 1988, II ZR 18/88, WM 1989, 63, 65 [BGH 17.10.1988 - II ZR 18/88]; Hachenburg/Raiser, GmbHG, 8. Aufl. Anh. § 47, Rdn. 107; Rowedder-Koppensteiner, GmbHG, 2. Aufl., § 47 Rdn. 99; Scholz/Schmidt, GmbHG, 7. Aufl., § 48 Rdn. 43). Dasselbe hat für die Genossenschaft zu gelten.
4. Ist die Beschlußunfähigkeit der Vollversammlung vom 24. Oktober 1990 also kein Unwirksamkeitsgrund für den gefaßten Auszahlungsbeschluß, war dieser für die LPG solange verbindlich, als er nicht entsprechend § 51 GenG, § 246 AktG wirksam angefochten wurde. Eine solche Anfechtung ist nicht erfolgt. Sie liegt entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung insbesondere nicht in dem im August 1993 anhängig gemachten Antrag auf Rückforderung des Inventarbeitrages. Denn in der Anfechtung der erfolgten Inventarbeitragsauszahlung kann nicht zugleich die Anfechtung des der Auszahlung zugrundeliegenden Beschlusses der Vollversammlung vom 24. Oktober 1990 gesehen werden. Beides ist voneinander zu trennen und unterliegt unterschiedlichen Regelungen. Insbesondere wird die einmonatige Frist zur Anfechtung des Vollversammlungsbeschlusses im Fall der Konkurseröffnung nicht durch die zweijährige Anfechtungsfrist nach § 10 Abs. 2 GesO ersetzt. Letztere bezieht sich im Fall des § 10 Abs. 1 Nr. 3 GesO ausschließlich auf die "Übertragung von Vermögenswerten", nicht dagegen auf die dieser Übertragung zugrundeliegende Beschlußfassung der Genossenschaft.
5. Ist der Auszahlungsbeschluß vom 24. Oktober 1990 nach alledem wirksam, erfolgte die Auszahlung in Erfüllung einer wirksam begründeten Verpflichtung und nicht unentgeltlich im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 3 GesO.
Die Rechtsbeschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 44 LwVG zurückzuweisen.