Bundesgerichtshof
Beschl. v. 22.12.1993, Az.: 2 StR 664/93
Anforderungen an strafbefreienden Rücktritt vom Versuch; Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten und fehlgeschlagenen Versuch
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 22.12.1993
- Aktenzeichen
- 2 StR 664/93
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1993, 12250
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Aachen - 08.06.1993
Rechtsgrundlage
Fundstelle
- StV 1994, 181
Verfahrensgegenstand
Versuchte schwere räuberische Erpressung
Redaktioneller Leitsatz
Zur Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten und vom fehlgeschlagenen Versuch.
In der Strafsache
hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 22. Dezember 1993
gemäß §349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 8. Juni 1993 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- 2.
Damit ist der Antrag des Angeklagten, ihm zum Anbringen von Verfahrensrügen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, erledigt.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und die Tatwaffe eingezogen. Die Revision des Angeklagten hat mit der zulässig erhobenen Sachrüge Erfolg.
1.
Der Angeklagte wollte den K. mit einer Schußwaffe überfallen, um sich Geld zu beschaffen. An zwei Abenden lauerte er dem K. auf, hatte jedoch nicht den Mut, sein Vorhaben zu verwirklichen. Am dritten Abend trat der Angeklagte maskiert von hinten an K. heran, richtete den geladenen Revolver auf ihn und forderte ihn auf, seine Brieftasche herauszugeben. "Er ging davon aus, K. werde allein durch die Bedrohung mit der Schußwaffe seiner Aufforderung nachkommen". K. drehte sich herum, der Angeklagte bedrohte ihn weiter mit der Waffe und hielt ihm eine Plastiktasche entgegen, in die K. die Brieftasche legen sollte. Dieser zeigte sich unbeeindruckt und forderte den Angeklagten auf zu verschwinden. Von dieser Reaktion überrascht, ergriff der Angeklagte ohne Beute die Flucht und stellte sich kurz danach der Polizei.
Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt (§24 StGB) verneint, weil ein beendeter Versuch gegeben sei und der Angeklagte keine Aktivitäten zur Verhinderung des Taterfolgs entfaltet habe.
2.
Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Das Landgericht hat zu Unrecht einen beendeten Versuch angenommen, auf eine aktive Verhinderung des Taterfolgs kam es deshalb nicht an. Ob der Angeklagte von einem unbeendeten Versuch freiwillig zurückgetreten ist oder ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, von dem ein Rücktritt nicht möglich ist, läßt sich aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts kommt es darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 222 m.w.N.). Auf einen Tatplan kommt es dabei - entgegen der früheren Rechtsprechung - nicht an.
a)
Der Versuch ist beendet, wenn der Täter nach seinem Kenntnisstand nach der letzten Ausführungshandlung in zutreffender Einschätzung der durch die Tathandlung verursachten Gefährdung des Opfers den Erfolgseintritt für möglich hält.
b)
Nicht beendet ist der Versuch, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung nach seinem Kenntnisstand (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges rechnet, die Vollendung aus der Sicht des Täters aber noch möglich ist. Hierzu gehört auch der Fall, daß der Täter nach der letzten Ausführungshandlung zunächst irrig angenommen hat, diese Handlung reiche zur Herbeiführung des Erfolgs aus, und nunmehr in unmittelbarem Zusammenhang nach seiner korrigierten Vorstellung zu der Auffassung gelangt, daß er weiterhandeln könnte und müßte, um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen.
c)
Abzugrenzen von den Fällen des unbeendeten und beendeten Versuchs, bei denen strafbefreiender Rücktritt möglich ist, sind die Fällè des fehlgeschlagenen Versuchs, in denen entweder der Erfolgseintritt - für den Täter erkanntermaßen - objektiv nicht mehr möglich ist oder der Täter ihn nicht mehr für möglich hält. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist beim fehlgeschlagenen Versuch der Rücktritt ausgeschlossen. Ein Versuch ist allerdings nicht fehlgeschlagen, wenn der Täter nach anfänglichem Mißlingen des vorgestellten Tatablaufs sogleich zu der Annahme gelangt, er könne ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die Tat noch vollenden (vgl. BGH a.a.O.).
d)
Der Versuch der Erpressung war nach diesen Grundsätzen entgegen der Annahme des Landgerichts nicht beendet. Das Landgericht durfte daher einen strafbefreienden Rücktritt nicht deshalb verneinen, weil der Angeklagte keine Aktivitäten zur Verhinderung des Taterfolgs entfaltet hat. In Betracht kommen vielmehr ein unbeendeter oder ein fehlgeschlagener Versuch. Welcher dieser beiden Fälle hier gegeben ist, läßt sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen. Dadurch, daß das Landgericht entscheidend auf die anfängliche Erwartung des Angeklagten abgestellt hat, das Tatopfer werde allein aufgrund der Bedrohung mit der Schußwaffe das Geld herausgeben, hat es versäumt, Feststellungen dazu zu treffen, ob nach der Vorstellung des Angeklagten bei Beendigung der Bedrohung des K. die Tat in umittelbarer Fortführung des Versuchs noch durchführbar erschien, etwa durch Intensivierung der Drohung oder durch Abgabe eines Warnschusses. Dann wäre der Versuch nicht fehlgeschlagen und ein Rücktritt noch möglich gewesen.
War der Versuch in diesem sinne nicht fehlgeschlagen, kommt es weiter darauf an, ob der Angeklagte die weitere Tatausführung freiwillig aufgegeben hat. Maßgebend ist dabei die Vorstellung des Täters bei Ende der letzten Ausführungshandlung. Freiwilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Täter noch "Herr seiner Entschlüsse" geblieben ist und die Ausführung der Tat noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollenden. Dabei ist maßgebliche Beurteilungsgrundlage nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon; die äußeren Gegebenheiten sind allerdings insoweit von Bedeutung, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters ermöglichen (vgl. BGHR StGB §24 Abs. 1 Satz 1, Freiwilligkeit 22 m.w.N.). Feststellungen hierzu hat das Landgericht bisher nicht getroffen. Entgegen der Annahme des Generalbundesanwalts ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, daß der Rücktritt des Angeklagten unfreiwillig erfolgt ist. Das Landgericht hat diese Frage vielmehr nicht geprüft.
Da nicht ausgeschlossen erscheint, daß weitere Feststellungen getroffen werden können, ist die Zurückverweisung an den Tatrichter geboten. Sollte das Landgericht aufgrund der neuen Hauptverhandlung einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch bejahen, wird eine Wiedereinbeziehung des Vergehens nach dem Waffengesetz geboten sein.
3.
Da die Revision mit der Sachrüge Erfolg hat, ist der - unzulässige - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zum Nachholen von Verfahrensrügen erledigt.
Theune
Niemöller
Gollwitzer
Bode