Bundesgerichtshof
Urt. v. 28.10.1993, Az.: VII ZR 256/92
Schadensersatz; Vorübergehende Beeinträchtigung; Wegfall der Beeinträchtigung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 28.10.1993
- Aktenzeichen
- VII ZR 256/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 15380
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BB 1994, 464-465 (Volltext mit amtl. LS)
- BauR 1994, 106-107 (Volltext mit amtl. LS)
- IBR 1994, 137 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- MDR 1994, 167-168 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1994, 314-315 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1994, 233-234 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1994, 121-123 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1993, A151 (Kurzinformation)
- ZfBR 1994, 1 (amtl. Leitsatz)
- ZfBR 1994, 72-73 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Soll ein Schadensersatzanspruch nach § 283 BGB eine voraussichtlich vorübergehende Beeinträchtigung ausgleichen, so kann der säumige Schuldner sich nicht darauf berufen, der Schaden sei durch Wegfall der Beeinträchtigung geringer geworden oder entfallen.
Tatbestand:
Die Beklagte baute für die Klägerin ein 1985/86 fertiggestelltes Reihenmittelhaus. Da das geplante, nach Norden angrenzende Reihenhaus zunächst nicht errichtet wurde, erwirkte die Klägerin Anfang 1988 ein Urteil, wonach die Beklagte die nördliche Seitenwand des Hauses der Klägerin mit wärmedämmenden, feuchtigkeitsabweisenden Materialien zu behängen hatte. Das Urteil. wurde nach erfolgloser Berufung 1989 rechtskräftig. Da die Beklagte ihrer Verpflichtung trotz mehrfacher Aufforderung nicht nachkam, setzte die Klägerin ihr mit Schreiben vom 18. April 1990 Frist mit Ablehnungsandrohung bis zum 30. April 1990.
Nach Fristablauf hat die Klägerin Klage auf Schadensersatz aus § 283 BGB in Höhe von 8.033 DM nebst Zinsen erhoben. Sie berechnet ihren Schaden nach einem im Vorprozeß eingeholten Gutachten zu den Kosten für den vorläufigen Schutz der nördlichen Seitenwand ihres Hauses.
Ab August 1990 wurde das nördliche Grundstück bebaut und dabei der seitliche Anschluß zum Haus der Klägerin ordnungsgemäß hergestellt.
Das Landgericht hat der Klage nach erneuter Beweisaufnahme zur Schadenshöhe stattgegeben. Mit der Berufung hat die Beklagte Klageabweisung begehrt, soweit sie zur Zahlung von mehr als 5. 192, 13 DM verurteilt worden ist. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dieser Betrag sei nach dem weiteren, vom Landgericht zu den Kosten der geschuldeten Isolierung eingeholten Gutachten allenfalls erforderlich gewesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren zuletzt gestellten Antrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Oberlandesgericht führt im wesentlichen aus:
Die notwendigen Kosten für den vorläufigen Fassadenschutz beliefen sich auf 8.033 DM; in diesem Betrag seien eine nach dem ersten Sachverständigengutachten erforderliche Hinterlüftung sowie Abschlußprofile enthalten. Diese bessere und dauerhaftere Ausführung habe die Klägerin bei der Berechnung ihres Schadensersatzanspruchs mit Recht zugrunde gelegt. Es müsse außer Betracht bleiben, daß das Nachbarhaus inzwischen an die nördliche Seitenwand angebaut worden sei. Die dadurch herbeigeführte Unmöglichkeit der im Ersturteil zuerkannten Leistung lasse den Schadensersatzanspruch unberührt. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Schadensbemessung sei auf den Ablauf der von der Klägerin gesetzten Nachfrist abzustellen. Die Beklagte werde damit nicht schlechtergestellt, als wenn sie ihrer Erfüllungspflicht rechtzeitig nachgekommen wäre.
II. Dagegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg. Ihre Auffassung trifft nicht zu, bei der Schadensberechnung im Rahmen des § 283 Abs. 1 BGB müsse der bei Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung bekannte Umstand berücksichtigt werden, daß die Nordwand des Hauses durch den Anbau nunmehr endgültig geschützt sei und daher von Anfang an eine einfache, auf kürzere Zeit ausgelegte Ausführung des Fassadenschutzes genügt hätte.
1. Der Klägerin steht ein Zahlungsanspruch zu.
Der Inhalt des Schadensersatzanspruchs nach § 283 BGB bestimmt sich grundsätzlich nach den §§ 249 ff BGB. Der Schuldner hat den Gläubiger wirtschaftlich so zu stellen, wie er bei rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte. Allerdings darf der Schadensersatz nicht zur Wiederherstellung des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs führen, da dieser nach § 283 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen ist (vgl. RGZ 61, 348, 353; 96, 20, 24). Vielmehr ist der Schaden in der Regel durch Geld auszugleichen (MünchKomm/Emmerich, 2. Aufl., § 283 Rdn. 16; Staudinger/Löwisch, BGB 12. Aufl., § 283 Rdn. 24).
Dieser Anspruch, dessen Voraussetzungen die Revision trotz der zwischenzeitlich durchgeführten Bebauung des Nachbargrundstücks zu Recht nicht in Zweifel zieht, bemißt sich nach dem Wert der ausgebliebenen Leistung. Das sind die Kosten, die zur Herstellung der ursprünglich geschuldeten Isolierung notwendig waren (vgl. zu § 635 BGB: Senatsurteil vom 6. November 1986 - VII ZR 97/85 = BGHZ 99, 81, 84 f).
2. Die Frage, welcher Zeitpunkt für die Berechnung eines Schadensersatzanspruchs nach § 283 BGB zugrunde zu legen ist, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden; sie kann auch hier offenbleiben.
a) Das Reichsgericht hat für die Bemessung des Werts eines herauszugebenden Gegenstandes maßgeblich auf den Ablauf der gesetzten Frist abgestellt (Das Recht 1914 Nr. 2401; ebenso KG OLGE 36 (1918), 13). Es ist in einer weiteren Entscheidung (Das Recht 1913 Nr. 2850) ebenfalls von diesem Zeitpunkt ausgegangen, hat jedoch ausgeführt, daß dem Gläubiger eine Wertsteigerung der herausverlangten Sache nach Fristablauf zugute kommen müsse.
Im Schrifttum besteht lediglich über die hier nicht erhebliche Frage Streit, ob auf den Zeitpunkt des Fristablaufs abzustellen ist (so Staudinger/Löwisch, aaO § 283 Rdn. 25; Soergel/Wiedemann, 12. Aufl., BGB § 283 Rdn. 25), oder ob der Gläubiger den Schaden nach einem beliebigen Zeitpunkt zwischen Fälligkeit und Fristablauf berechnen darf (so: MünchKomm/Emmerich, aaO § 283 Rdn. 17; K. Schmidt ZZP 87, 49, 59).
b) Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die vom Reichsgericht für die Fälle der Nichtbefolgung eines Herausgabeurteils aufgestellten Grundsätze zur Schadensbemessung bei § 283 BGB stets Gültigkeit haben. Im Ergebnis ist jedenfalls dem Berufungsgericht zu folgen.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist grundsätzlich für die Berechnung des Schadensersatzes materiell-rechtlich der Zeitpunkt der Erfüllung, verfahrensrechtlich der der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich (Senatsurteil vom 6. November 1986 aaO S. 86 m.N. und Urteil vom 26. Februar 1988 - V ZR 234/86 = NJW 1988, 1837, 1838). Dieser Grundsatz dient in erster Linie dem Schutz des Gläubigers gerade vor einer Verzögerung der Ersatzleistung des Schuldners. Deshalb gehen zusätzliche Schäden und eine Verteuerung der Wiederherstellungskosten in der Regel zu Lasten des Schuldners (Senatsurteil vom 6. November 1986 aaO). Dieser ist gehalten, die beeinträchtigte Vermögenslage des Gläubigers alsbald dadurch auszugleichen, daß er den Betrag der für die Schadensbeseitigung notwendigen Kosten leistet (BGH Urteil vom 23. März 1976 - VI ZR 41/74 = BGHZ 66, 239, 245). Er hat kein Recht darauf abzuwarten, ob sich der erforderliche Aufwand durch eine spätere Entwicklung billiger gestaltet oder aus besonderen Gründen erübrigt (BGH Urteil vom 23. März 1976 aaO; vgl. Soergel/Mertens, BGB 12. Aufl. vor § 249 Rdn. 50; MünchKomm/Grunsky 2. Aufl. Vor § 249 Rdn. 125). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Ersatzanspruch dazu dient, eine Vermögensbeeinträchtigung auszugleichen, die nach der Vorstellung der Parteien von einem Dritten zu einem späteren, aber noch unbekannten Zeitpunkt endgültig behoben werden soll. Dem Gedanken des Gläubigerschutzes würde es zuwiderlaufen, wenn sich die bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung unterbliebene Erfüllung zugunsten des Schuldners auf die Bemessung des Ersatzanspruches auswirken könnte, sofern der Dritte inzwischen den Vermögensnachteil endgültig ausgeglichen hat.
bb) So liegt der Fall hier.
Die Beklagte schuldete der Klägerin, die Nordwand ihres Reihenhauses mit wärmedämmenden, feuchtigkeitsabweisenden Materialien zu behängen, bis das Nachbarhaus errichtet war. Diese Maßnahme sollte von vornherein nur für einen begrenzten, aber unbestimmten Zeitraum Schutz vor Feuchtigkeit und Wärmeverlust bieten. Nach entsprechender Verurteilung und Ablauf der zur Vornahme der Leistung gesetzten Frist im April 1990 hatte die Beklagte als Schadensersatz gemäß § 283 BGB den zur Herstellung der Isolierung erforderlichen Geldbetrag zu zahlen. Da die Errichtung des Nachbargebäudes zu jenem Zeitpunkt noch nicht absehbar war, standen damals der Klägerin die im ersten Gutachten für die bessere und dauerhaftere Wandbehängung erforderlichen 8.033 DM zu. Die Beklagte war gehalten, diesen Betrag alsbald zu leisten. Sie hatte kein Recht darauf abzuwarten, bis sich der Aufwand für die Isolierung aufgrund der weiteren Entwicklung billiger gestalten werde. Da die Isolierung nur für einen begrenzten Zeitraum, nämlich bis zur Errichtung des Nachbargebäudes, angebracht werden sollte, kann die Tatsache, daß im Laufe dieses Rechtsstreits das Nachbarhaus errichtet wurde, nicht zum Nachteil der Klägerin mit der Erwägung berücksichtigt werden, die notwendigen Kosten einer fachgerechten Isolierung seien rückschauend niedriger gewesen.