Bundesgerichtshof
Urt. v. 18.03.1993, Az.: IX ZR 198/92
Zeugenbeweis; Grundstück; Wertermittlung; Zwangsversteigerung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 18.03.1993
- Aktenzeichen
- IX ZR 198/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 15174
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DB 1993, 2075 (Volltext)
- JurBüro 1993, 717 (Kurzinformation)
- LM H. 11 / 1993 § 373 ZPO Nr. 14
- MDR 1993, 579-580 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1993, 1796-1798 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1993, 1603-1605 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1993, 185
- ZIP 1993, 868-870 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Welchen Erlös ein Grundstück bei der Zwangsversteigerung voraussichtlich erbringen wird, kann nur aufgrund besonderer Sachkunde beurteilt werden. Ein Gericht kann sich diese grundsätzlich nicht im Wege des Zeugenbeweises verschaffen.
Tatbestand:
Die Kläger haben gegen B. H. (nachfolgend: Schuldner) ein rechtskräftiges Versäumnisurteil des Landgerichts Münster vom 7. August 1987 erwirkt, das den Schuldner verpflichtet, 46.949,17 DM nebst 10,45 % Zinsen aus 43.000 DM seit dem 1. April 1987 zu zahlen. Die Kläger haben in das bewegliche Vermögen des Schuldners fruchtlos vollstreckt.
Der Schuldner ist Eigentümer von Grundstücken, die mit vier Grundschulden über insgesamt 165.000 DM nebst 15 % Zinsen zugunsten der Sparkasse C. belastet sind. Im August 1987 bestellte der Schuldner eine Grundschuld über 145.000 DM nebst 7 % Zinsen zugunsten der Beklagten. Im Oktober 1987 wurden zugunsten der Kläger vier Sicherungshypotheken in das Grundbuch eingetragen.
Die Kläger haben die Bestellung der Grundschuld für die Beklagte gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AnfG angefochten. Das Landgericht hat der Anfechtungsklage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision erstreben die Kläger, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I. Das Berufungsgericht hat den Klägern die Anfechtungsberechtigung nach § 2 AnfG versagt, weil anzunehmen sei, daß die Zwangsvollstreckung in das (unbewegliche) Vermögen des Schuldners zu einer vollständigen Befriedigung der Kläger führen würde. Der heutige Verkehrswert des Grundbesitzes liege nicht unter 380.000 DM. Das könne das Berufungsgericht aus eigener Sachkunde und ohne die von den Klägern beantragte Hinzuziehung eines Sachverständigen feststellen. Bei einem Versteigerungserlös in der genannten Höhe würden die Kläger, selbst wenn sie mit ihren Sicherungshypotheken im Range nach der Grundschuld der Beklagten befriedigt würden, keinen Ausfall erleiden.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Kläger hatten vorgetragen und durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt, daß im Wege einer Zwangsversteigerung des Grundbesitzes des Schuldners ein Erlös von höchstens 300.000 DM erzielt werden könnte (GA 4, 151, 215). Das Berufungsgericht hätte diesem Beweisantrag nachgehen müssen.
Von dieser Verpflichtung wurde es nicht dadurch befreit, daß es sich auf seine eigene Sachkunde bezog. Eine solche Entscheidung ist revisionsrechtlich dahin zu überprüfen, ob das Berufungsgericht diese Sachkunde ausreichend dargelegt hat (BGH, Urt. v. 5. Juni 1981 - V ZR 11/80, NJW 1981, 2578; vgl. ferner BGHZ 107, 236, 245 f). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Zu beurteilen, welchen Erlös ein Grundstück bei der Zwangsversteigerung erbringen wird, erfordert Fachwissen, auch wenn die wertbildenden Faktoren feststehen. Dieses Wissen konnte sich das Berufungsgericht nicht im Wege des Zeugenbeweises verschaffen.
Gegenstand der Beweiserhebung durch Zeugen sind Wahrnehmungen über vergangene - ausnahmsweise auch gegenwärtige - Tatsachen und Zustände. Hier ging es demgegenüber um die Vermittlung von Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen. Das ist eine typische Sachverständigenaufgabe (vgl. BGHZ 62, 93, 95) [BGH 21.01.1974 - PatAnwSt R 3/73], die von Zeugen grundsätzlich nicht bewältigt werden kann (vgl. Stein/Jonas/Schumann, ZPO 20. Aufl. vor § 373 Rdnr. 17; MünchKomm/Damrau, ZPO § 373 Rdnr. 3 f; Zöller/Stephan, ZPO 17. Aufl. § 373 Rdnr. 1; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 51. Aufl. § 402 Rdnr. 1).
Dies wird gerade im vorliegenden Fall deutlich. Daß der Zeuge U., der sich vor Jahren einmal für das Objekt interessiert hatte, bekundet hat, er würde einen Preis von 380.000 DM "ohne wenn und aber" akzeptieren, falls er über einen derartigen Betrag verfügen könnte, besagt nur etwas über das persönliche Interesse des Zeugen, aber nichts über den Verkehrswert des Grundbesitzes und schon gar nichts über die Erlösaussichten im Falle einer Zwangsversteigerung. Der Zeuge B. - Kreditsachbearbeiter bei der Sparkasse C. und deshalb nach Ansicht des Berufungsgerichts mit dem örtlichen Immobilienmarkt wohlvertraut - hat es zwar als möglich angesehen, den Grundbesitz für 400.000 DM zu verkaufen. Dies zu beurteilen, stand ihm jedoch als Zeuge nicht zu. Soweit er auch - an sich unstreitige - Tatsachen mitgeteilt hat, die für den Wert des Objekts aussagekräftig waren - z. B. Festsetzung des Beleihungswerts durch die Sparkasse, baulicher Zustand -, bedurfte es wiederum einer besonderen Sachkunde, um sie zutreffend einzuordnen und zu bewerten. Diese Sachkunde hätte dem Berufungsgericht, da es sie nicht selbst besaß, nur ein Sachverständiger vermitteln können. Allerdings kann eine Zeugenaussage zugleich eine Beurteilung enthalten, die nicht ohne besondere Sachkunde möglich ist (vgl. § 414 ZPO). Geht es indessen vorrangig nicht um die Ermittlung der Befund- und Zusatztatsachen, sondern um die objektive Bewertung eines im wesentlichen feststehenden Sachverhalts, so ist der Zeugenbeweis ungeeignet und ein Sachverständigengutachten einzuholen (BGH, Urt. v. 23. November 1973 - I ZR 59/72, MDR 1974, 382).
2. Entgegen der Meinung der Revisionserwiderung ist die Frage, ob der Grundbesitz im Falle der Zwangsversteigerung einen Erlös von höchstens 300.000 DM erbringen würde, nicht deshalb unerheblich, weil die Immobilien durch notariellen Vertrag vom 31. Januar 1992 an den Ehemann der Beklagten zum Preis von 380.000 DM lastenfrei verkauft worden sind und der Notar unwiderruflich bevollmächtigt worden ist, mit dem auf Notaranderkonto einzuzahlenden Kaufpreis zunächst die Belastungen abzulösen. Daß dieser Vertrag zur Durchführung gekommen ist oder noch kommen wird, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Es hat die Zulänglichkeit des Schuldnervermögens nicht aus der Abwicklung des genannten Kaufvertrages, sondern daraus hergeleitet, daß der Grundbesitz des Schuldners den vereinbarten Kaufpreis (mindestens) wert sei.
3. Selbst wenn von einem Verkehrswert des Grundbesitzes von 380.000 DM auszugehen wäre, könnte der Meinung des Berufungsgerichts, daß der zu erwartende Versteigerungserlös zur Befriedigung der Kläger ausreiche, nicht gefolgt werden.
a) Zunächst hat das Berufungsgericht außer acht gelassen (§ 286 ZPO), daß es auf den in einem Zwangsversteigerungsverfahren erzielbaren Erlös ankommt. Dieser ist erfahrungsgemäß oft niedriger als der Preis, der bei einem freihändigen Verkauf erzielt wird.
b) Falls mit einem Versteigerungserlös von 380.000 DM gerechnet werden könnte, stünde dennoch nicht fest, ob dieser Betrag ausreichte, um bei der Verteilung die Kläger voll zu befriedigen.
Fehl geht allerdings die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Grundschulden der Sparkasse C. verfahrensfehlerhaft nur insoweit berücksichtigt, als sie valutiert seien, und übersehen, daß die den nicht valutierten Teil betreffenden Rückgewähransprüche von dritter Seite gepfändet worden seien, den nachrangigen Grundpfandgläubigern also nicht zur Verfügung ständen. Dabei läßt die Revision außer acht, daß die Kläger selbst vorgetragen haben (GA 215), sie - und nicht irgendwelche Dritte - hätten die Rückgewähransprüche des Schuldners gepfändet. In dem entsprechenden Umfang sind die Kläger auch ohne die klageweise geltend gemachte Anfechtung erstrangig gesichert.
Obwohl sich die Situation für die Kläger insoweit günstiger darstellt, als selbst das Berufungsgericht angenommen hat, ist sie insgesamt immer noch nicht so, daß die Kläger keinen Ausfall befürchten müßten. Denn das Berufungsgericht hat - wiederum unter Verstoß gegen § 286 ZPO - die dinglichen Zinsen nicht in seine Berechnung eingestellt. Ausweislich des vorgelegten Grundbuchauszugs (GA 20) ist der Beklagten die Grundschuld mit jährlich 7 % Zinsen bestellt. In den letzten zwei Jahren vor der Beschlagnahme (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG) ist ein nicht unerheblicher Betrag aufgelaufen. Hinzu kommen die laufenden Zinsen (§ 13 ZVG) bis zum Versteigerungstermin. Ebensowenig berücksichtigt sind die vorweg zu berichtigenden (vgl. § 109 Abs. 1 ZVG) Verfahrenskosten.
III. Das angefochtene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO).
Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kann nicht davon ausgegangen werden, daß eine der Voraussetzungen der Anfechtung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AnfG fehlt.
1. Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, kann die Belastung des Grundeigentums des Schuldners durch die zugunsten der Beklagten eingetragene Grundschuld eine objektive Gläubigerbenachteiligung (vgl. dazu BGHZ 104, 355, 357) zur Folge gehabt haben.
Eine objektive Benachteiligung der Kläger schiede nur dann aus, wenn im Falle einer Zwangsversteigerung allein die vorrangig gesicherte Sparkasse C. und die Kläger im Umfang ihrer auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluß zurückzuführenden Berechtigung bedient werden könnten, die Beklagte hingegen ausfiele. Das ist indessen auszuschließen, wenn der Grundbesitz in der Zwangsversteigerung - entsprechend der Behauptung der Kläger - einen an 300.000 DM heranreichenden Erlös, aber nicht mehr, erbringt. Davon ist in der Revisionsinstanz auszugehen, weil die Beklagte ihr früheres Vorbringen, die Zwangsversteigerung würde allenfalls der Sparkasse C. eine Befriedigung verschaffen, fallengelassen hat und nunmehr weit höhere Erlöserwartungen behauptet.
2. Zu Recht hat das Landgericht unter Hinweis darauf, daß der Schuldner der Beklagten eine inkongruente Deckung verschafft hat, auch eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners angenommen (vgl. BGH, Urt. v. 12. November 1992 - IX ZR 236/91IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276, 279 m.w.N.). Dem hat sich das Berufungsgericht noch in einem Beschluß vom 3. Dezember 1991 (GA 137), mit dem es einen Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen ersichtlich fehlender Erfolgsaussicht der Berufung abgewiesen hatte, mit zutreffenden Erwägungen angeschlossen.
3. Soweit die Beklagte die Kenntnis einer Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners bestritten hatte, ist das Berufungsgericht dem in dem erwähnten Beschluß vom 3. Dezember 1991 mit rechtsfehlerfreien Erwägungen entgegengetreten. Endgültige Feststellungen hat es - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - hierzu nicht getroffen.
IV. Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben. Die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die bisher fehlenden Feststellungen nachzuholen. Dabei wird es auch prüfen können, ob der Kaufvertrag vom 31. Januar 1992 inzwischen abgewickelt ist.
Im übrigen wird zu erwägen sein, ob der zuletzt zur Entscheidung gestellte Klageantrag nicht zu weitgehend ist. Gemäß § 7 Abs. 1 AnfG kann der Gläubiger (nur) insoweit, als es zu seiner Befriedigung erforderlich ist, beanspruchen, daß dasjenige, was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, als noch zu demselben gehörig von dem Empfänger zurückgewährt werde. Da die Kläger eine Forderung angemeldet haben, die weit geringer ist als die Grundschuld der Beklagten und zudem wegen eines Teils ihrer Forderung durch die Pfändung und Überweisung des Rückgewähranspruchs gesichert sind, ist es zu ihrer Befriedigung nicht notwendig, daß die Beklagte von der für sie eingetragenen Grundschuld gegenüber den Klägern in vollem Umfang keinen Gebrauch macht.