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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 11.03.1993, Az.: 4 StR 31/93

Rechtmäßigkeit einer Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung wegen eines erschreckenden Mangels an Unrechtsbewusstsein ; Folgen eines Widerspruchs zwischen einer schriftlichen Erklärung des Angeklagten über dessen Bedauern bezüglich des Tatgeschehens und einer gerichtlichen Feststellung des Gegenteils

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
11.03.1993
Aktenzeichen
4 StR 31/93
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1993, 12082
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Saarbrücken - 16.09.1992

Fundstelle

  • StV 1993, 459

Verfahrensgegenstand

Schwerer Raub u.a.

Prozessführer

Artem E. aus L., geboren am ... 1971 in N. (R.), zur Zeit in Haft

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und
des Beschwerdeführers
am 11. März 1993
gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten E. wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 16. September 1992 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Vollstreckung der gegen diesen Angeklagten verhängten Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Mit seiner wirksam beschränkten Revision wendet sich der Angeklagte gegen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung.

2

Das Rechtsmittel dringt mit einer Verfahrensbeschwerde durch.

3

Die Jugendkammer hat eine günstige Sozialprognose für den Angeklagten verneint und die Vollstreckung der Jugendstrafe im Hinblick auf seine Entwicklung für geboten erachtet (§ 21 Abs. 2 JGG). Sie hat dem Angeklagten "einen erschreckenden Mangel an Unrechtsbewußtsein" attestiert, dem entgegengewirkt werden müsse, und in diesem Zusammenhang ausgeführt: "So hat der Angeklagte in seiner vorbereitenden Erklärung, mit der er einräumt, den Zeugen geschlagen und getreten zu haben, auch keinerlei Bedauern gegenüber dem Zeugen erkennen lassen, sondern lediglich seine eigene Sorge zum Ausdruck gebracht, wegen der vorliegenden Taten abgeschoben zu werden" (UA 23).

4

Hiergegen wendet die Revision ein, daß der Angeklagte in seiner in russischer Sprache abgefaßten schriftlichen Erklärung, die der von dem Gericht zugezogene Dolmetscher mündlich in russischer und deutscher Sprache vorgetragen habe, Bedauern über das Tatgeschehen zum Ausdruck gebracht und den Geschädigten um Entschuldigung gebeten habe. Zwar hat der Beschwerdeführer in seiner Revisionsrechtfertigung lediglich die "Verletzung materiellen Rechts" gerügt. Die Bezeichnung der Rüge ist hier jedoch unschädlich; denn entscheidend ist ihre wirkliche rechtliche Bedeutung, wie sie dem Sinn und Zweck des Vorbringens zu entnehmen ist (BGHSt 19, 273, 275). Dabei ist die Revisionsbegründung so auszulegen, daß der mit dem Rechtsmittel erstrebte Erfolg eintreten kann (Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. § 344 Rdn. 11 m.w.N.). Danach ist die Rüge als Verfahrensbeschwerde zu behandeln. Mit der Behauptung, das Urteil gebe die "vorbereitende Erklärung" des Angeklagten inhaltlich unvollständig und somit falsch wieder, kann der Beschwerdeführer im Wege der Sachrüge nicht durchdringen. Denn die Ergebnisse der Beweisaufnahme festzustellen und zu würdigen, ist allein Sache des Tatrichters. Der dafür bestimmte Ort ist das Urteil; was in ihm über das Ergebnis der Verhandlung zur Schuld- und Straffrage festgehalten ist, bindet das Revisionsgericht (Hürxthal in KK StPO 2. Aufl. § 261 Rdn. 51 m.Rspr.N.). Dagegen kann mit der Verfahrensbeschwerde geltend gemacht werden, daß eine verlesene Urkunde oder Erklärung unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei, wenn der Nachweis ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung geführt werden kann (BGHSt 29, 18, 21; vgl. auch BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 15).

5

Diese als auf die Verletzung des § 261 StPO gestützt anzusehende Rüge ist zulässig und auch begründet. Wie die Revision zutreffend vorträgt, enthält die bei den Akten befindliche, handschriftlich in russischer Sprache abgefaßte Erklärung des Angeklagten u.a. folgenden Abschnitt:

"Ich persönlich habe überhaupt kein Verlangen danach, mich bei Andrej zu rächen. Im Gegenteil, ich möchte, daß er mir verzeiht und ich bin bereit, ihn mehrmals um Entschuldigung zu bitten. Immer noch bis jetzt kann ich nicht verstehen, wie dies alles passieren konnte. Ich bedauere es sehr, daß all das passiert ist. Und was mich in diese Geschichte hineingezogen hat, kann ich auch nicht verstehen. Das wird mir für die Zukunft eine harte Lektion sein und (ich) werde nie wieder in eine solche Geschichte geraten, die mit Polizei zu tun hat".

6

Der nicht auflösbare Widerspruch zwischen dem Inhalt der Erklärung des Angeklagten und ihrer Würdigung in den Urteilsgründen entzieht der Annahme der Jugendkammer, dem Angeklagten mangele es an Unrechtsbewußtsein und er habe sich nicht genügend mit der Tat auseinandergesetzt, die Grundlage. Die Entscheidung über die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung kann deshalb nicht bestehenbleiben.

Meyer-Goßner
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Maatz
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