Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Urt. v. 08.12.1992, Az.: XI ZR 96/92

Schuldanerkenntnis; Schriftform; Schuldbeitritt; Übereilung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
08.12.1992
Aktenzeichen
XI ZR 96/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 14454
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHZ 121, 1 - 6
  • BB 1993, 608-609 (Volltext mit amtl. LS)
  • JR 1993, 285-287
  • JuS 1993, 510 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1993, 852 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJ 1993, 239 (amtl. Leitsatz)
  • NJW 1993, 584-585 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1993, 287-289 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZBB 1993, 35
  • ZBB 1993, 168-169
  • ZIP 1993, 100-102 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

1. Ein Schuldbeitritt zu einem konstitutiven Schuldanerkenntnis bedarf nicht der Schriftform.

2. Die Formvorschrift des § 781 BGB bezweckt nicht den Schutz des Schuldners vor Übereilung, sondern dient der Rechtssicherheit durch Schaffung klarer Beweisverhältnisse.

Tatbestand:

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einem Schuldanerkenntnis auf Zahlung in Anspruch.

2

Unter dem 5. September 1989 unterzeichnete der Zeuge W. für sich und für die R. AG eine Vereinbarung zwischen der Klägerin (= Gläubigerin) und der R. AG, dem Zeugen W. sowie dem Beklagten (= Schuldner). Ziffer 1 lautet: "Die Schuldner anerkennen gegenüber der Gläubigerin unter Verzicht auf jegliche Einwendungen zu Schuldgrund und zur Schuldhöhe zur Zahlung der in der Anlage beigefügten Forderungsaufstellung aufgeführten Beträge verpflichtet zu sein." Die Aufstellung schließt per 30. September 1989 mit einem offenen Betrag von 181.694,27 DM zugunsten der Klägerin ab. Eine Unterschrift des Beklagten trägt die Vereinbarung nicht.

3

Die Klägerin behauptet, die Unterzeichnung durch W. sei auch namens und in Vollmacht des Beklagten erfolgt. Im übrigen habe der Beklagte ihrem anwaltlichen Vertreter, dem Zeugen N., am 8. September 1989 fernmündlich erklärt, er, der Beklagte, erkenne die von W. geschlossene Vereinbarung mit Wirkung für und gegen sich an und hafte für die Einhaltung persönlich.

4

Als die vereinbarten Ratenzahlungen nur teilweise erbracht wurden und die R. AG in Konkurs fiel, hat die Klägerin am 9. Mai 1990 ein Versäumnisurteil über 174.792,13 DM nebst 4% Zinsen aus 160.000 DM seit dem 29. September 1989 gegen den Beklagten erwirkt. Auf dessen Einspruch hat das Landgericht das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihren Antrag, das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten, weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufrechterhaltung des landgerichtlichen Versäumnisurteils.

6

I. Das Berufungsgericht hat zur Rechtfertigung der Klageabweisung im wesentlichen ausgeführt: Aus der Vereinbarung vom 5. September 1989 könne die Klägerin keine Rechte gegen den Beklagten herleiten. Die Vereinbarung sei auf der Schuldnerseite nur mit der R. AG und W. geschlossen worden. Eine Zahlungspflicht des Beklagten folge auch nicht aus seiner vom Zeugen N. glaubhaft bekundeten fernmündlichen Erklärung, er akzeptiere die Vereinbarung für sich in vollem Umfang. Es fehle insoweit an der erforderlichen Schriftform (§ 781 BGB). Die Erklärung des Beklagten sei rechtlich als Schuldbeitritt zu der von W. und der R. AG eingegangenen Verpflichtung zu qualifizieren. Deren Vereinbarung mit der Klägerin stelle ein konstitutives Schuldanerkenntnis dar. Die dafür erforderliche Schriftform müsse auch für den Schuldbeitritt gelten. Der Beitretende sei nach dem Zweck der Formvorschriften nicht weniger schutzwürdig als derjenige, der die Schuld begründet habe.

7

II. Diese Ausführungen begegnen rechtlichen Bedenken nur insoweit, als das Berufungsgericht einen Schuldbeitritt zu einem konstitutiven Schuldanerkenntnis für formbedürftig hält.

8

1. Die Qualifizierung der Vereinbarung vom 5. September 1989 als konstitutives Schuldanerkenntnis der R. AG und des Zeugen W., die Würdigung der Aussage des Zeugen N. und der von ihm bekundeten Erklärung des Beklagten als Schuldbeitritt sind sämtlich nicht zu beanstanden. Die vorgenannte Vereinbarung und die Erklärung des Beklagten stellen Individualgeschäfte dar. Ihre Auslegung ist ebenso wie die Würdigung von Zeugenaussagen grundsätzlich Sache des Tatrichters. Daß dem Berufungsgericht dabei ein revisionsrechtlich relevanter Fehler unterlaufen ist, ist nicht ersichtlich.

9

2. Die vom Berufungsgericht bejahte Frage, ob ein Schuldbeitritt zu einem konstitutiven Schuldanerkenntnis gemäß § 781 BGB der Schriftform bedarf, wird im Schrifttum unterschiedlich beantwortet.

10

a) Die überwiegende Meinung verneint die Frage, da die Mitübernahme einer bestehenden Schuld etwas anderes sei als deren Begründung (Staudinger/Kaduk, BGB 10./11. Aufl. § 414 Rdn. 20, 21; RGRK/Weber, BGB 12. Aufl. vor § 414 Rdn. 18, 30; Soergel/Zeiss, BGB 12. Aufl. vor § 414 Rdn. 8 und §§ 414, 415 Rdn. 4; Erman/H. P. Westermann, BGB 8. Aufl. vor § 414 Rdn. 7 und § 414 Rdn. 2; Nörr/Scheyhing, Sukzessionen S. 417; aus dem älteren Schrifttum ferner: Oertmann, BGB, 5. Aufl. Vorbem. 6 d vor §§ 414 ff.; Planck/Siber, BGB 4. Aufl. Vorbem. 1 e und 2 a vor §§ 414 ff.; Heck, Grundriß des Schuldrechts S. 218 f.; Reichel, Die Schuldmitübernahme S. 198 f.; Strohal JherJb 57 (1910) 231, 263 für § 518 BGB).

11

Ein anderer Teil der Literatur, im Berufungsurteil zu Unrecht als herrschende Meinung bezeichnet, hält demgegenüber Schriftform für erforderlich (MünchKomm/Möschel, BGB 2. Aufl. vor § 414 Rdn. 12 und § 414 Rdn. 4; Palandt/Heinrichs, BGB 51. Aufl. Überbl. vor § 414 Rdn. 1 und 3; Jauernig/Stürner, BGB 6. Aufl. Vorbem. 2 b vor § 414). Zur Begründung weist Möschel aaO. Rdn. 4 darauf hin, maßgeblich müsse der jeweilige Zweck der Formvorschrift sein, regelmäßig sei dieser im Verhältnis Übernehmer-Gläubiger nicht weniger realisiert als im Verhältnis Schuldner-Gläubiger.

12

Höchstrichterlich ist die Frage bisher nicht entschieden. Geklärt ist lediglich, daß ein Schuldbeitritt grundsätzlich keiner besonderen Form bedarf, er als Verpflichtungsgeschäft aber den Formerfordernissen unterliegt, die allgemein mit Rücksicht auf den Leistungsgegenstand aufgestellt sind (BGH, Urteil vom 31. Januar 1991 - III ZR 150/88, NJW 1991, 3095, 3098 unter III 3 b). Um eine solche Formvorschrift handelt es sich bei § 781 BGB nicht; ein konstitutives Schuldanerkenntnis ist ohne Rücksicht auf den geschuldeten Gegenstand formbedürftig.

13

b) Der erkennende Senat teilt im Ergebnis die im Schrifttum überwiegend vertretene Ansicht.

14

aa) Auszugehen ist davon, daß es für die Frage der Formbedürftigkeit eines Schuldbeitritts auf den Zweck der jeweils in Betracht kommenden Formvorschrift ankommt (ebenso Nörr/Scheyhing aaO.; MünchKomm/Möschel aaO. Rdn. 4). Hat eine Formvorschrift die Funktion, zu warnen oder vor Übereilung zu schützen, so muß sie auch dem Schuldübernehmer oder Beitretenden zugute kommen. Dieser ist nicht weniger schutzwürdig als der Schuldner bei der Begründung der Verbindlichkeit. Dient die Schriftform dagegen vor allem der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, so ist für die Formbedürftigkeit des Beitritts zu einer formgerecht begründeten und damit festgelegten Schuld kein Raum.

15

bb) Welche Funktion die in § 781 BGB angeordnete Schriftform hat, ist streitig und höchstrichterlich nicht geklärt. Nach einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht bezweckt die Formvorschrift des § 781 BGB nicht den Schutz des Schuldners vor Übereilung, sondern dient der Rechtssicherheit durch Schaffung klarer Beweisverhältnisse (OLG Düsseldorf MDR 1961, 411 [OLG Düsseldorf 24.01.1961 - 4 U 208/60]; Staudinger/Marburger, BGB 12. Aufl. § 780 Rdn. 7; Soergel/Lippisch, BGB 10. Aufl. §§ 780, 781 Rdn. 36; Jauernig/Vollkommer, BGB 6. Aufl. § 781 Anm. 2 a bb; Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht 15. Aufl. S. 819; Reinicke NJW 1970, 885, 886 f. [BGH 17.11.1969 - VII ZR 83/67]; aus dem älteren Schrifttum ferner: Planck/Landois, BGB 4. Aufl. § 780 Anm. 2). Ein anderer Teil des Schrifttums ist demgegenüber der nicht näher begründeten Ansicht, § 781 BGB diene sowohl dem Schutz des Schuldners vor Übereilung als auch der Rechtsklarheit (Heymann/Horn, HGB § 350 Rdn. 3; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts II 12. Aufl. S. 485; Medicus, Schuldrecht II 4. Aufl. S. 250; Brox, Besonderes Schuldrecht 15. Aufl. Rdn. 349).

16

Der Senat folgt der erstgenannten Meinung. Nach den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch Bd. II (S. 689 f.) sowie den Protokollen der Kommission für die Zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs (S. 505) hat das Schriftformerfordernis den Sinn, Streitigkeiten darüber vorzubeugen, ob der Schuldner seine Verpflichtung mündlich verbindlich anerkannt hat. Es sollte "Vorsorge getroffen werden, daß der Schuldner nicht schon an jeder beliebigen Äußerung festgehalten werde und daß nicht im Prozesse ... jeder Anspruch von vornherein außer auf den besonderen Verpflichtungsgrund auch noch auf das Fundament der Anerkennung gestützt werde" (Protokolle aaO.). Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber auch einen Schutz des Schuldners vor Übereilung bezweckt hat, finden sich in der Entstehungsgeschichte des § 781 BGB nicht.

17

Auch die Ausnahmevorschriften der §§ 782 BGB und 350 HGB lassen Rückschlüsse in dieser Richtung nicht zu. § 782 BGB spricht sogar gegen eine solche Zweckbestimmung. Der Grund der Ausnahme vom Formzwang besteht nicht etwa darin, daß ein Schuldner, der ein Schuldanerkenntnis aufgrund einer Abrechnung oder im Wege eines Vergleichs erteilt, vor Übereilung nicht geschützt zu werden brauchte. Die Vorschrift rechtfertigt sich vielmehr aus der Erwägung, daß sich der Verpflichtungswille eines Schuldners, der abgerechnet oder sich verglichen hat, ohne weiteres aus dem Zweck der Erklärung ergibt (Protokolle S. 505 ff.; Palandt/Thomas, BGB 51. Aufl. § 782 Rdn. 1; Reinicke NJW 1970, 885, 887) [BGH 17.11.1969 - VII ZR 83/67]. § 350 HGB hat den Sinn, durch Freistellung von hinderlichen Formvorschriften den vollkaufmännischen Handelsverkehr zu erleichtern und dessen besonderem Bedürfnis nach einfacher und schneller Abwicklung Rechnung zu tragen (vgl. Denkschrift II zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs S. 353, in: Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Bd. II 2 S. 1113; Karsten Schmidt, Handelsrecht 3. Aufl. S. 31).

18

Der einer - formgerecht begründeten - Schuld aus § 781 BGB Beitretende ist auch unter sonstigen Gesichtspunkten nicht schutzbedürftiger als derjenige, der eine auf andere Art und Weise entstandene Schuld (mit-)übernimmt. Ein abstraktes Schuldanerkenntnis bewirkt vor allem eine Besserstellung des Gläubigers in prozessualer Hinsicht. Dieser kann im Wege des Urkundenprozesses vorgehen und seine Klagebegründung auf das verbriefte Anerkenntnis beschränken. In Umkehr der Beweislast ist es dann Sache des Schuldners, Einwendungen aus dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis darzulegen und zu beweisen (§§ 821, 812 Abs. 2 BGB). Diese Rechtsfolgen sind nach der Wertung des Gesetzgebers nicht so schwerwiegend, daß der Schuldner vor Übereilung durch eine Formvorschrift geschützt werden müßte. Auch ein im Kontokorrentverhältnis abgegebenes Saldoanerkenntnis, das gleichfalls zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast führt (Senatsurteil vom 18. Juni 1991 - XI ZR 159/90, WM 1991, 1630, 1631) sowie eine Vereinbarung über die Umkehr der Beweislast sind formlos wirksam.

19

III. Das Berufungsgericht hat die Wirksamkeit des vom Beklagten erklärten Schuldbeitritts danach zu Unrecht verneint. Auf die Revision der Klägerin war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und, da die Sache zur Endentscheidung reif ist, das landgerichtliche Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten (§§ 565 Abs. 3 Nr. 1, 343 Satz 1 ZPO). Der Einwand des Beklagten, die aus dem Schuldanerkenntnis ebenfalls verpflichtete R. AG habe eine höhere Gegenforderung gegen die Klägerin, steht der Entscheidung in der Sache selbst nicht entgegen. Eine Forderung, die nur einem Gesamtschuldner zusteht, kann von den übrigen Schuldnern nicht aufgerechnet werden (§ 422 Abs. 2 BGB). Abgesehen davon hat der Beklagte nicht substantiiert dargelegt, daß der R. AG ein fälliger Zahlungsanspruch gegen die Klägerin zusteht.