Bundesgerichtshof
Urt. v. 12.08.1992, Az.: 5 StR 239/92
Beweiswürdigung; DNA-Analyse; Genanalyse; Beweis; Laboranalyse; Beweisumstände; Beweisaufnahme
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 12.08.1992
- Aktenzeichen
- 5 StR 239/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 11954
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHSt 38, 320 - 324
- JR 1993, 123-124
- JZ 1993, 102-103 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- JurBüro 1992, 733 (Kurzinformation)
- Kriminalistik 1993, 9
- MDR 1992, 988-989 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1992, 568 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1992, 2976-2977 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1992, 554-555 (Volltext mit amtl. LS)
- StV 1993, 174
- StV 1992, 455-456
Amtlicher Leitsatz
Der Tatrichter muß berücksichtigen, daß die DNA-Analyse lediglich eine statistische Aussage enthält, die eine Würdigung aller Beweisumstände nicht überflüssig macht.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit Verfahrensrügen und mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Das Landgericht begründet seine Überzeugung vom Geschlechtsverkehr des Angeklagten mit der Geschädigten nur mit dem Ergebnis der DNA-Analyse. Diese Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Landgerichts, daß das Ergebnis einer solchen Analyse sowohl zum Täterausschluß als auch zur Täterfeststellung verwendet werden darf (BGH NStZ 1991, 399 m.w.N. ). Allerdings ist ihr Beweiswert stets kritisch zu würdigen. Der Senat hat im Urteil vom 21. August 1990 (BGHSt 37, 157) im Hinblick auf kritische Stimmen über die mangelnde wissenschaftliche Absicherung (vgl. ferner BGH - XII. Zivilsenat - NJW 1991, 749 m.w.N.; McLeod, The Criminal Law Review 1991, 583; Lander in: J. Ballantyne u.a. (Hrsg.), DNA Technology and Forensic Science, 1989, S. 143 ff Cold Spring Harbor, New York) auf die Grenzen des Beweiswertes der DNA-Analyse hingewiesen.
b) Dieser Verpflichtung zu kritischer Bewertung ist das Landgericht nicht ausreichend gerecht geworden. In der Hauptverhandlung vor dem Bundesgerichtshof hat der Sachverständige Prof. Dr. H ein Gutachten erstattet, das der Senat erwogen und im folgenden berücksichtigt hat.
aa) Es ist schon zu beanstanden, daß das Landgericht nicht erörtert hat, aus welcher Datenbasis der Sachverständige Dr. R die Häufigkeit der untersuchten Merkmale in der Population hergeleitet hat. Wie der Sachverständige Professor Dr. H überzeugend ausgeführt hat, besteht derzeit in diesem Zusammenhang eine erhebliche Unsicherheit, der vielfach dadurch Rechnung getragen wird, daß in "konservativer Weise" vergleichsweise hohe Frequenzen einzelner Merkmale in der Bevölkerung angenommen werden. Der Sachverständige hat ferner dargelegt, daß die von den einzelnen Instituten bei der Entwicklung der Datenbasen verwandten Methoden der wissenschaftlichen Diskussion und Kontrolle weitgehend entzogen sind. Auch auf anderen Gebieten verlangt der Bundesgerichtshof, daß ihm die Grundlagen wissenschaftlicher Schlußfolgerungen mitgeteilt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn die wissenschaftliche Entwicklung - wie hier - noch im vollen Fluß (vgl. Brinkmann u.a. in: G. Berghaus u.a. (Hrsg. ) DNA-Technology and its Forensic Application, Berlin 1991, 41 ff) ist und keine abschließenden, allgemein anerkannten Erkenntnisse, wie etwa bei der Bestimmung der Blutalkoholkonzentration, vorliegen.
Der hier zu entscheidende Fall legte u.a. die Prüfung der Frage nahe, ob die von dem Sachverständigen Dr. R verwendete Datenbasis auch dann als repräsentativ angesehen werden kann, wenn die untersuchte Person - wie offenbar hier - aus einer in Mitteleuropa selten vertretenen abgeschlossenen ethnischen Gruppe stammt.
bb) Der Sachverständige Dr. R hat die Häufigkeit der Merkmalskombination mit 0,014 % im Sinne einer Merkmalswahrscheinlichkeit errechnet (vgl. dazu Senat StV 1992, 312); er hat dabei die Häufigkeit der einzelnen Merkmale miteinander multipliziert. Dieses Vorgehen ist nur zulässig, wenn die einzelnen Merkmale voneinander statistisch unabhängig sind (Senat a.a.O.; Kimmich/Spyra/Steinke NStZ 1990, 318, 319). Dazu verhält sich das Urteil nicht. Der Senat geht aber mit dem Sachverständigen Professor Dr. H davon aus, daß diese Regel beachtet worden ist.
cc) Die Umrechnung der Merkmalswahrscheinlichkeit von 0,014 % in eine Belastungswahrscheinlichkeit bzw. Täterwahrscheinlichkeit von 99, 986 % setzt, wie der Sachverständige Professor Dr. H dem Senat dargelegt hat, die Festsetzung einer Anfangswahrscheinlichkeit voraus. Zu einem Wert von 99, 986 % kommt man nur dann, wenn die Anfangswahrscheinlichkeit mit 50 % angesetzt wird. Damit ist gemeint: Bei einer "a priori" - vor Berücksichtigung der DNA-Analyse - vorgenommenen Einschätzung liegt die Annahme, daß die Spermien von dem Angeklagten herrühren, ebenso nahe wie das Gegenteil. Von dieser (neutralen) Anfangswahrscheinlichkeit durfte der Sachverständige Dr. R, der nur Aussagen zum Ergebnis der DNA-Analyse machen sollte, ausgehen. Das Gericht mußte sich darüber im klaren sein, daß das Ergebnis des Sachverständigengutachtens nur eine abstrakte Aussage über die statistische Belastungswahrscheinlichkeit ergibt. Daß dieser Wert mit der konkreten Belastung des Angeklagten nicht gleichgesetzt werden darf, macht folgende Überlegung deutlich: Dem vom Sachverständigen Dr. R genannten Wert von 99, 986 % entspricht in der Bevölkerung ein Anteil von 0, 014 %, bei dem die DNA-Analyse dieselben Merkmale ergeben würde wie beim Angeklagten. Bei ungefähr 250.000 männlichen Einwohnern der Stadt Hannover würde dies immerhin einer Zahl von 35 männlichen Personen aus Hannover entsprechen.
2. Das Landgericht wäre bei dieser Sachlage rechtsfehlerfrei vorgegangen, wenn es den Angeklagten als durch die DNA-Analyse stark belasteten Tatverdächtigen angesehen und sich unter Berücksichtigung der weiteren Indizien von der Täterschaft überzeugt hätte. In dieser Weise ist das Landgericht aber bei der Beweiswürdigung nicht vorgegangen. Es hat sich vielmehr ausschließlich aufgrund der DNA-Analyse davon überzeugt, daß der Angeklagte entgegen seiner Einlassung Geschlechtsverkehr mit Frau R. gehabt hat, und hat die weiteren Beweismittel und Indizien lediglich bei seiner Überzeugungsbildung zum "eigentlichen Tatgeschehen" herangezogen. Damit hat es dem Ergebnis der DNA-Analyse einen zu hohen Beweiswert zugemessen. Der Tatrichter setzte bei der Gesamtschau aller Indizien bereits als erwiesen voraus, daß der Angeklagte entgegen seiner Einlassung Geschlechtsverkehr mit dem Opfer hatte. Dieser Umstand ist aber allein durch die DNA-Analyse nicht bewiesen, weil ihr der hohe Beweiswert, wie ihn das Landgericht voraussetzt, nicht zukommt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Landgericht die Glaubhaftigkeit der Aussage der Belastungszeugin in Zweifel gezogen hätte, wenn es das Ergebnis der DNA-Analyse nicht als bindend, sondern lediglich als ein - wenn auch ein bedeutsames - Indiz angesehen hätte. Die fehlerhafte Beweiswürdigung kann der Senat nicht durch eine eigene ersetzen.