Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.06.1992, Az.: XI ZR 247/91
Unrichtige Bonitätsauskunft; Vorteilsausgleichung; Weiterbelieferung aufgrund falscher Auskunft; Schadensvermeidung; Positive Auswirkung der Weiterbelieferung; Beweislast; Haftung des Auskunftgebers
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 23.06.1992
- Aktenzeichen
- XI ZR 247/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 14765
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BB 1992, 1881-1882 (Volltext mit amtl. LS)
- BGHWarn 1992, 435-436
- DB 1992, 2293 (Kurzinformation)
- JurBüro 1992, 790-791 (Kurzinformation)
- MDR 1993, 140 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1992, 567-568 (amtl. Leitsatz)
- NJW-RR 1992, 1397 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1992, 1484-1485 (Volltext mit red. LS)
- WM 1992, 1599-1600 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1992, 315-316
- ZIP 1992, 1297-1298 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Führt die auf einer unrichtigen Bonitätsauskunft beruhende Weiterbelieferung eines Kunden einerseits dazu, daß neue Lieferungen unbezahlt bleiben, möglicherweise aber andererseits dazu, daß ältere Rechnungen, die ohne die Weiterbelieferung offengeblieben wären, noch beglichen werden, so ist die Berücksichtigung der positiven Auswirkungen der Weiterbelieferung eine Frage der Vorteilsausgleichung, der auf Schadensersatz in Anspruch genommene Auskunftgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß durch die Weiterbelieferung tatsächlich Verluste vermieden wurden, die anderenfalls eingetreten wären.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die beklagte Bank aus abgetretenem Recht der Firma "HE. " B.V. (im folgenden HE.) auf Schadensersatz wegen unrichtiger Bankauskünfte in Anspruch, die der Leiter der Der Filiale der Beklagten über einen H. S. erteilt haben soll. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
H. S. wurde im Jahre 1976 von der HE. mit Käse beliefert. Im Juni/Juli 1976 soll es nach der Behauptung des Klägers zu mehreren günstigen Auskünften des Leiters der Der Filiale der Beklagten über die Bonität des H. S. gekommen sein, die allesamt bewußt falsch gewesen oder zumindest ohne jede Nachforschung erteilt worden seien. S. blieb nach der Behauptung des Klägers auf Rechnungen der HE. aus der Zeit vom 16. Juni bis 20. Oktober 1976 insgesamt 700.581,59 DM sowie 30.148,64 hfl. schuldig, wodurch der HE. ein zusätzlicher Zinsschaden von 339.835,44 hfl. entstanden sei. S. ist im Jahre 1984 verstorben.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 700.591,53 DM und 30.148,64 hfl. nebst Zinsen sowie von weiteren 339.835,44 hfl. zu verurteilen. Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht verneint einen Schadensersatzanspruch, weil der Kläger nicht dargetan habe, daß der behauptete Schaden durch eine etwaige fehlerhafte Auskunft der Beklagten verursacht worden sei. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus:
Der Gesamtbetrag der bis zum 17. bzw. 22. Juni 1976 aufgelaufenen offenen Rechnungen des S. sei mit 734.061,12 DM bzw. 897.329,94 DM größer als die geltend gemachten Kaufpreisrückstände. Der Kläger habe vorgetragen, daß S. nicht oder allenfalls gegen Vorkasse beliefert worden wäre, wenn die Beklagte dessen Kreditunwürdigkeit mitgeteilt hätte. Es sei aber nicht ersichtlich, ob überhaupt und in welchem Umfang S. in diesem Fall noch offene Rechnungen beglichen hätte.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Mit seinen im entscheidenden Punkt sehr kurz gefaßten Ausführungen will das Berufungsgericht offenbar dartun, daß die behaupteten Falschauskünfte der Beklagten und die angeblich dadurch verursachte Weiterbelieferung des S. durch die HE. schon deshalb im Ergebnis keinen Schaden der HE. herbeigeführt haben könnten, weil die Weiterbelieferung S. s der HE. neben dem Nachteil neuer unbeglichener Außenstände auch - umfangreichere - Vorteile bei der Realisierung älterer Forderungen gebracht habe. Dieser Gesichtspunkt betrifft jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht die vom Kläger darzulegende Ursächlichkeit des von ihm behaupteten Fehlverhaltens der Beklagten für den behaupteten konkreten Schaden, sondern die davon zu unterscheidende Frage, ob dem behaupteten Schaden Vorteile gegenüberstehen, die ebenfalls durch das schadenstiftende Ereignis verursacht wurden und auf den Schaden anzurechnen sind. Derartige Vorteile können auch in der Vermeidung anderweitiger Verluste liegen, die der Geschädigte ohne das schadenstiftende Ereignis erlitten hätte (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1988 - III ZR 110/87 = NJW 1989, 2117, 2118). Die Darlegungs- und Beweislast für die anzurechnenden Vorteile trifft jedoch nicht den Geschädigten oder seinen Rechtsnachfolger, sondern den Ersatzverpflichteten (BGHZ 94, 195, 217 und BGH, Urteil vom 31. Januar 1991 - IX ZR 124/90 = WM 1991, 814, 815; jeweils m.w.Nachw.). 2. Auch wenn man von der Verkennung der Darlegungsund Beweislast absieht, war es fehlerhaft, dem Kläger alle im Berufungsurteil aufgeführten, am 17. bzw. 22. Juni 1976 noch offenen Rechnungen im Gesamtbetrag von 734.061,12 DM bzw. von 897.329,94 DM entgegenzuhalten. Anrechenbare Vorteile aus der Weiterbelieferung des S. durch die HE. können nur entstanden sein, wenn und soweit S. nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der behaupteten Bonitätsauskünfte noch ältere Forderungen der HE. beglichen hat und diese Forderungen im Falle einer Liefersperre weder freiwillig beglichen worden noch zwangsweise beitreibbar gewesen wären. Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen darüber, bei welchen der vom Berufungsgericht aufgeführten, am 17. bzw. 22. Juni 1976 noch offenen Rechnungen das der Fall war. Die vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Aufstellungen K 26 und K 30 des Klägers weisen überhaupt nur für etwa die Hälfte der im Berufungsurteil aufgeführten, am 17. bzw. 22. Juni 1976 noch offenen Rechnungsbeträge spätere Zahlungseingänge aus.
III. Das angefochtene Urteil konnte daher keinen Bestand haben und mußte aufgehoben werden. Da zu den umstrittenen Fragen, ob, wann und welche Auskünfte die Beklagte über die Bonität S. s erteilt hat, ob die Auskünfte für die Weiterbelieferung S. s durch die HE. ursächlich waren und welche Schäden der HE. im einzelnen entstanden sind, tatsächliche Feststellungen fehlen, ist die Sache nicht entscheidungsreif. Sie mußte daher an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.