Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.06.1992, Az.: XI ZR 227/91
Sachzurückverweisung; Aufhebung eines LG-Urteils; Berufungsgericht; Bindung der zugrundgelegten Rechtsauffassung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 23.06.1992
- Aktenzeichen
- XI ZR 227/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 14764
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHWarn 1992, 434-435
- IPRspr 1992, 39
- JurBüro 1992, 733 (Kurzinformation)
- MDR 1992, 1180 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1992, 2831-2833 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1993, 720-721 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1992, 1920-1922 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1993, 295-297 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1993, 252-257 (Urteilsbesprechung von Prof. Dr. iur. Klaus Tiedtke)
Amtlicher Leitsatz
1. Hat das Berufungsgericht ein landgerichtliches Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen und hat keine Partei dagegen Revision eingelegt, so ist das Berufungsgericht an seine der Aufhebung des landgerichtlichen Urteils zugrundegelegte Rechtsauffassung auch selbst gebunden.
2. Die Befolgung des § 565 Abs. 2 ZPO durch das Berufungsgericht ist auch dann von Amts wegen zu beachten, wenn es um die Bindung des Berufungsgerichts an seine eigene der Aufhebung des landgerichtlichen Urteils zugrundegelegte Rechtsauffassung geht.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Anspruch.
Beide Parteien waren Aktionäre einer US-amerikanischen Gesellschaft. Am 24. März 1986 räumte der Beklagte in Anwesenheit des Klägers dem Zeugen P. H. (PH.) als Strohmann US-amerikanischer Interessenten das Recht ein, seine Aktien für 289.000 US-Dollar zu erwerben. Ausgehend davon, daß die Ankaufsberechtigten den Kaufpreis bei Meidung des Verlustes ihrer Rechte innerhalb der am 26. September 1986 abgelaufenen Erwerbsfrist zu entrichten hätten, vereinbarten der Kläger und der Beklagte am 29. September 1986 für den Fall nicht fristgerechter Zahlung u.a. eine Veräußerungsbeschränkung für ihre Aktien in der Weise, daß über sie bei Meidung einer sofort fälligen Vertragsstrafe von 100.000 DM nur noch mit Zustimmung des jeweils anderen Teils sollte verfügt werden dürfen.
Der Kläger hat behauptet, gegen diese Vereinbarung habe der Beklagte verstoßen. Anfang 1987 habe er ohne Zustimmung seine Aktien an US-amerikanische Käufer veräußert. Der Beklagte hat demgegenüber vorgetragen, die Übergabe der Aktien nach Entrichtung des Kaufpreises Anfang 1987 sei in Erfüllung des Vertrages vom 24. März 1986 erfolgt. An diesen Vertrag sei er gebunden gewesen; die Ankaufsberechtigten, vertreten durch Rechtsanwalt G. (G.), hätten ihr Ankaufsrecht am 22. September 1986 gegenüber Rechtsanwalt F. (F.), der zur Entgegennahme der betreffenden Erklärung ermächtigt gewesen sei, wirksam ausgeübt.
Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung von 100.000 DM zuzüglich Zinsen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, da das Landgericht die vom Kläger zulässigerweise mit Nichtwissen bestrittene Ausübung des Ankaufsrechts als unstreitig angesehen und die vom Beklagten dazu benannten Zeugen G. und F. unter Verstoß gegen § 286 ZPO nicht vernommen habe. Nach Vernehmung nur des Zeugen PH. hat das Landgericht die Klage wiederum abgewiesen. Die erneute Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
I. In Übereinstimmung mit dem zweiten landgerichtlichen Urteil ist das Berufungsgericht der Auffassung, die Klage sei nicht schlüssig. Verfügungen, zu denen der Beklagte aufgrund des Vertrages vom 24. März 1986 verpflichtet gewesen sei, unterfielen nicht dem vereinbarten vertragsstrafebewehrten Zustimmungsvorbehalt. Daß der Beklagte ohne eine solche Verpflichtung über seine Aktien verfügt habe, habe der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger nicht dargelegt. Er habe sich vielmehr darauf beschränkt, den Vortrag des Beklagten zur Ausübung des Ankaufsrechts durch Rechtsanwalt G. zu bestreiten, und Beweis nur dafür angetreten, daß G. nicht zahlungswillig gewesen sei und den Kaufpreis nicht bei sich gehabt habe. Darauf komme es jedoch nicht an; der Kaufvertrag des Beklagten mit den Ankaufsberechtigten sei ohne Rücksicht auf die Zahlung des Kaufpreises allein durch die Erklärung, das Ankaufsrecht auszuüben, zustandegekommen.
II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, Verfügungen aufgrund des Vertrages vom 24. März 1986 hätten nach dem Willen der Parteien nicht unter dem vertragsstrafebewehrten Zustimmungsvorbehalt stehen sollen. Die tatrichterliche Auslegung der Individualvereinbarung vom 29. September 1986 läßt einen revisionsrechtlich relevanten Fehler nicht erkennen.
a) Grundlos rügt die Revision eine angeblich fehlende Berücksichtigung des Umstands, daß die Parteien von der Nichteinhaltung der angenommenen Zahlungsfrist durch die Ankaufsberechtigten ausgegangen und deshalb der Überzeugung gewesen seien, der Beklagte könne über seine Aktien wieder frei verfügen. Ausweislich seines in Bezug genommenen ersten Urteils ist das Berufungsgericht von der - irrigen - Annahme der Parteien ausgegangen, im Falle nicht fristgerechter Zahlung des Kaufpreises sei der Beklagte an den Vertrag vom 24. März 1986 nicht mehr gebunden. Auf diesen Irrtum hat es fehlerfrei zurückgeführt, daß der Wille der Parteien, Verpflichtungen aus jenem Vertrag sollten nicht tangiert werden, in der Vereinbarung vom 29. September 1986 nur unvollkommen Ausdruck gefunden hat: Statt für den Wegfall der Vertragsbindung des Beklagten ist der Zustimmungsvorbehalt für den Fall nicht pünktlicher Bezahlung des Aktienkaufpreises durch die Ankaufsberechtigten festgelegt worden.
b) Zu Unrecht vermißt die Revision weiter Erwägungen des Berufungsgerichts darüber, ob das Risiko einer unrichtigen Auslegung des Vertrages vom 24. März 1986 durch die Parteien allein beim Beklagten habe liegen sollen. Anhaltspunkte dafür sind nicht ersichtlich, zumal der Kläger bei Abschluß jenes Vertrages zugegen war. Der von der Revision insoweit angeführte Umstand, daß der Kläger nach Abschluß der Vereinbarung vom 29. September 1986 erhebliche Kosten und Mühen aufgewandt hat, um die Aktien beider Parteien zu veräußern, gibt für die von ihm gewünschte Risikoverteilung nichts her.
2. Auch die tatrichterliche Auslegung des Individualvertrages vom 24. März 1986, das Ankaufsrecht habe - ohne Rücksicht auf die Zahlung des Kaufpreises - allein durch eine entsprechende Erklärung ausgeübt werden können, ist rechtsfehlerfrei.
a) Einen Grundsatz, die Ausübung eines Ankaufsrechts stehe im Regelfall unter der Wirksamkeitsbedingung gleichzeitiger Zahlung des Kaufpreises, gibt es entgegen der Ansicht der Revision nicht. Eine solche Bedingung muß vielmehr, wie bei anderen Verträgen auch, ausdrücklich oder konkludent besonders vereinbart werden.
b) Dem englisch-sprachigen Wortlaut des Vertrages vom 24. März 1986 sowie der Aussage des Zeugen PH. hat das Berufungsgericht eine solche Bedingung rechtsfehlerfrei nicht entnommen. Die Worte "shall be purchased" sind mit "werden gekauft" zutreffend übersetzt und bieten keinen Anhalt für die vom Kläger gewünschte Auslegung, das Ankaufsrecht habe nur zusammen mit der Entrichtung des Kaufpreises wirksam ausgeübt werden können. Die von der Revision insoweit erhobenen Verfahrensrügen, das Berufungsgericht habe sich bei der Übersetzung sachverständig beraten lassen und zum Inhalt des Vertrages weitere Beweise erheben müssen, greifen ebensowenig durch wie die Rüge, es habe die Aussage des Zeugen PH. nicht ausgeschöpft und nicht ausreichend gewürdigt. Von einer Begründung sieht der Senat gemäß § 565 a ZPO ab.
c) Unbegründet ist auch die Revisionsrüge, das Berufungsgericht habe bei der Auslegung des Vertrages vom 24. März 1986 die Anwendbarkeit amerikanischen Rechts in Erwägung ziehen müssen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren sich die Parteien einig, daß der Entscheidung deutsches Recht zugrunde zu legen sei. Eine solche Vereinbarung war aufgrund der Privatautonomie mit Wirkung beschränkt auf das streitige Rechtsverhältnis der Parteien auch in Bezug auf den Vertrag vom 24. März 1986 zulässig, obwohl an letzterem nur der Beklagte, nicht aber der Kläger beteiligt war.
3. Das Berufungsurteil verstößt jedoch gegen § 565 Abs. 2 ZPO, der im Falle der Aufhebung eines erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache durch das Oberlandesgericht sinngemäß Anwendung findet. Entsprechend der Rechtslage in der Revisionsinstanz ist das Berufungsgericht an die von ihm vertretene Rechtsauffassung, die der Aufhebung des landgerichtlichen Urteils zugrunde liegt, auch selbst gebunden. Gelangt die Sache nach erneuter Berufung, wie hier, alsdann in die Revisionsinstanz, so gilt die Bindung auch für das Revisionsgericht (BGHZ 25, 200, 203 f.; 51, 131, 135; s. auch BGHZ 15, 122, 124 für FGG-Beschwerden).
a) Diese Bindungswirkung seines ersten Urteils hat das Berufungsgericht nicht beachtet. Darin ist ausgeführt: Das erstinstanzliche Urteil beruhe auf einem wesentlichen Verfahrensmangel. Das Landgericht habe außer acht gelassen, daß der Kläger den Vortrag des Beklagten über die fristgerechte Ausübung des Ankaufsrechts durch Rechtsanwalt G. zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten habe. Es habe insoweit die Vernehmung der - nur vom Beklagten benannten - Zeugen G. und F. anordnen müssen. Dem liegt die Rechtsauffassung zugrunde, die Darlegungs- und Beweislast für die fristgerechte Ausübung des Ankaufsrechts liege beim Beklagten.
Das Landgericht hat die Zeugen G. und F. nicht vernommen und dazu in seinem zweiten Urteil ausgeführt, die Klage sei unschlüssig, die Darlegungs- und Beweislast liege beim Kläger, die Vernehmung der beiden Zeugen komme nur "gegenbeweislich" in Betracht.
Diese Ansicht hat das Berufungsgericht in seinem angegriffenen zweiten Urteil gebilligt: Der Kläger habe sich nicht darauf beschränken dürfen, den Vortrag des Beklagten über die Ausübung des Ankaufsrechts zu bestreiten, sondern Beweis dafür anbieten müssen, daß Rechtsanwalt G. vor dem 27. September 1986 nicht bei Rechtsanwalt F. gewesen sei oder das Ankaufsrecht nicht ausgeübt habe. Die Darlegungs- und Beweislast obliege insoweit dem Kläger.
b) Die Befolgung des § 565 Abs. 2 ZPO durch das Berufungsgericht ist ohne Rücksicht auf eine Revisionsrüge von Amts wegen zu beachten. Für den Fall, daß eine Sache nach Aufhebung des ersten Berufungsurteils erneut in die Revisionsinstanz gelangt, ist dies anerkannt (RGZ 94, 11, 13; BGHZ 3, 321, 324). Für den vorliegenden Fall einer sinngemäßen Anwendung des § 565 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz nach Aufhebung des ersten landgerichtlichen Urteils, erneuter Berufung und anschließender Revision kann nichts anderes gelten. Die Bindungswirkung des ersten Berufungsurteils, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Rechtskraftwirkung hat (vgl. BGHZ 15, 122, 125), gehört wie diese zu den unverrückbaren Grundlagen des Verfahrens, die von Amts wegen beachtet werden müssen (vgl. BGHZ 36, 365, 367; BGH, Urteil vom 6. Oktober 1989 - V ZR 283/86, WM 1989, 1897, 1899 und Senatsurteil vom 26. Februar 1991 - XI ZR 331/89, WM 1991, 1002, 1003 für die Rechtskraftwirkung; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 50. Aufl. § 559 Anm. 2 C für die Bindungswirkung).
c) Das Berufungsgericht hätte danach von der seinem ersten Urteil zugrunde gelegten Rechtsansicht ausgehen und die vom Beklagten benannten Zeugen G. und F. zur Ausübung des Ankaufsrechts am 22. September 1986 vernehmen oder aber die Sache erneut an das Landgericht zurückverweisen müssen.
III. Auf die Revision des Klägers war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).