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Bundesgerichtshof
Urt. v. 11.06.1992, Az.: III ZR 210/90

Faktische Bausperre; Amtshaftungsanspruch; Schadensberechnung; Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
11.06.1992
Aktenzeichen
III ZR 210/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 14514
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHWarn 1992, 391-394
  • GuG 1993, 123-126 (Volltext mit amtl. LS)
  • IBR 1993, 25 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
  • MDR 1993, 48-49 (Volltext mit amtl. LS)
  • NVwZ 1992, 1119-1121 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1993, 185-187 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1992, 1858-1861 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

1. Zur Schadensberechnung bei einem Amtshaftungsanspruch wegen "faktischer Bausperre".

2. Zum Anspruch auf Entschädigung aus enteignungsgleichem Eingriff wegen einer "faktischen Bausperre".

Tatbestand:

1

Die Klägerin kaufte durch Verträge vom 29. Dezember 1983 und 20. Juli 1984 die im unbeplanten Innenbereich der beklagten Stadt gelegenen Grundstücke M.-Straße 10, 12 und 14 zum Preise von 1. 770.000 DM. Der Kaufpreis wurde von einer Bank finanziert. Am 5. Oktober 1984 reichte die Klägerin beim Bauamt der Beklagten einen Bauantrag für die Errichtung einer Wohnanlage mit 34 Eigentumswohnungen und einer Tiefgarage auf den erworbenen Grundstücken ein. Die Geschoßflächenzahl betrug 1,28. Das Bauamt nahm daraufhin eine Vorprüfung des Antrags vor und holte in diesem Zusammenhang Stellungnahmen der technischen Ämter der Stadtverwaltung ein, die sämtlich gegen das Vorhaben keine Bedenken hatten. Auch der Magistrat und der Planungsausschuß standen dem Vorhaben zunächst positiv gegenüber, während der Ortsbeirat um eine weitere Prüfung durch den Magistrat nachsuchte. Nachdem die Kommunalwahl vom 10. März 1985 zu einer Änderung der politischen Mehrheitsverhältnisse geführt hatte, beschloß die Stadtverordnetenversammlung am 15. April 1985, daß die bisherigen Beschlüsse bezüglich des Bauobjekts bis auf weiteres nicht vollzogen und der eingeleitete Vollzug unterbrochen und rückgängig gemacht werden sollten.

2

Inzwischen hatte die Klägerin noch fehlende Unterlagen, betreffend die Entwässerungsplanung und die Baustatik, beigebracht. Die Statik wurde im April 1985 geprüft; die Voraussetzungen für die Eintragung einer Baulast für die Kanalführung waren spätestens am 20. Juni 1985 erfüllt.

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In der Sitzung des Planungsausschusses vom 16. Juli 1985 wurde beschlossen, den Bauantrag in der vorliegenden Form abzulehnen, da das zulässige Maß der baulichen Nutzung überschritten sei, ohne daß städtebauliche Gründe diese Überschreitung rechtfertigten, und ferner das Gebäude hinsichtlich der zu überbauenden Fläche sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Die Zustimmung wurde zurückgenommen. Mit Bescheid vom 25. September 1985 lehnte das Bauaufsichtsamt den Bauantrag ab.

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Durch Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 24. Dezember 1985, der Beklagten zugestellt am 3. Januar 1986, wurde die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die am 5. Oktober 1984 beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Die Parteien verständigten sich in einer Besprechung vom 3. Februar 1986 darauf, daß die Klägerin ihren Bauantrag dahin ändere, daß die Geschoßflächenzahl von 1,28 auf 1,18 verringert und der solchermaßen geänderte Bauantrag von der Beklagten genehmigt werde. Die Beklagte legte keine Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ein. Im Zeitraum vom 12. Februar bis 11. März 1986 reichte die Klägerin die geänderten Pläne beim Bauaufsichtsamt der Beklagten ein; die Baugenehmigung wurde mit Bescheid vom 11. Juni 1986 erteilt.

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Die Klägerin verlangt nunmehr von der Beklagten Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung. Sie behauptet, die Beklagte habe den Bauantrag aus sachfremden Erwägungen zunächst nicht beschieden und dann abgelehnt. Der dadurch verursachte Schaden bestehe in den Zinsen, die sie, die Klägerin, während des Verzögerungszeitraums für den zu finanzierenden Kaufpreis habe zahlen müssen.

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Das Landgericht hat der Klägerin aus deren ursprünglich auf 227.106,84 DM bezifferter Forderung einen Betrag von 123.053,58 DM nebst Zinsen zugesprochen und die Klage im übrigen abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt hat. Die Klägerin hat sich der Berufung angeschlossen, mit dem Ziel, eine Heraufsetzung des zuerkannten Betrages auf 191.660,37 DM nebst Zinsen zu erreichen. Das Berufungsgericht hat die Klage unter Zurückweisung der Anschlußberufung in vollem Umfang abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, die ihr Zahlungsbegehren nach Maßgabe des im Berufungsrechtszug gestellten Schlußantrages weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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I. 1. Das Berufungsgericht hat eine Amtspflichtverletzung der für die Entscheidung über den Bauantrag der Klägerin zuständigen Amtsträger der Beklagten dem Grunde nach bejaht, den Schadensersatzanspruch aber daran scheitern lassen, daß die Klägerin den geltend gemachten Verzögerungsschaden nicht substantiiert dargelegt habe. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg.

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2. Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten zu vertretende Verzögerung auf den Zeitraum vom 23. Juli 1985 bis zum 3. Februar 1986 festgelegt.

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a) Die Auffassung des Berufungsgerichts, (erst) am 20. Juni 1985 hätten sämtliche bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen für die Baugenehmigung vorgelegen, beruht auf der Anwendung nichtrevisiblen Landesrechts (der hessischen Bauordnung - HBO - in der hier maßgeblichen Fassung vom 16. Dezember 1977 (GVBl 1978 S. 2)) und ist deshalb der Überprüfung durch den Senat entzogen (§§ 549 Abs. 1, 562 ZPO). Das Berufungsgericht hat ferner zu Recht ausgeführt, daß die Bauverwaltung der Beklagten berechtigt war, nach Feststellung der bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen noch einmal den Planungsausschuß einzuschalten, um eine abschließende Stellungnahme zur planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens herbeizuführen. Der Planungsausschuß war nämlich an seine früheren (positiven) Stellungnahmen nicht gebunden, solange das Baugenehmigungsverfahren noch nicht beendet war; eine Bindung wäre erst mit der Erteilung der Baugenehmigung, d.h. mit dem formellen Abschluß des Verwaltungsverfahrens, eingetreten (vgl. für den entsprechenden Fall der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BBauG/BauGB: Senatsurteil vom 13. November 1980 - III ZR 74/79 = WM 1981, 204). Die durch die erneute Einschaltung des Planungsausschusses bedingte Verzögerung bis zum (fiktiven) Entscheidungszeitpunkt vom 23. Juli 1985 ist daher der Beklagten nicht als Pflichtwidrigkeit anzulasten.

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b) Am 23. Juli 1985 war der Bauantrag der Klägerin im Sinne einer Genehmigung entscheidungsreif. Die darüber hinausgehende Verzögerung und erst recht die ablehnende Entscheidung vom 25. September 1985 waren daher rechtswidrig. Dies hat das Berufungsgericht eingehend und zutreffend dargelegt; auch die Revisionserwiderung der Beklagten erhebt hiergegen sowie gegen die Feststellungen, mit denen das Berufungsgericht ein Verschulden der handelnden Amtsträger begründet hat, keine Einwände.

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c) Dem Berufungsgericht kann jedoch nicht gefolgt werden, soweit es angenommen hat, die der Beklagten anzulastende Verzögerung habe mit dem Eintritt der Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils, d.h. mit Ablauf des 3. Februar 1986, geendet. Es ist nämlich zu berücksichtigen, daß die Umplanung des Vorhabens, die zu der weiteren Verzögerung führte, nach dem Vorbringen der Klägerin auf Wunsch der Beklagten vorgenommen worden war und ein Entgegenkommen der Klägerin gegenüber der Beklagten darstellte. Wenn aber die Beklagte selbst es auf diese Weise erwirkt hat, daß die Klägerin von der zwangsweisen Durchsetzung des titulierten Anspruchs auf Erteilung der Baugenehmigung Abstand nahm, so dürfen die haftungsrechtlichen Folgen der dadurch bedingten weiteren Verzögerung nicht zu Lasten der Klägerin, sondern müssen zu Lasten der Beklagten gehen. Erst recht gilt dies, wenn die abweichende Sachdarstellung der Beklagten zutrifft, wonach die Änderung der Planung Teil einer am 3. Februar 1986 getroffenen umfassenden Vereinbarung war, aufgrund deren sie, die Beklagte, auf die Einlegung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil verzichtete. Wenn sich die Klägerin nämlich nur unter dem Druck der anderenfalls zu erwartenden Berufung zu der Planungsänderung bereitfand, so war dies eine Maßnahme der Schadensminderung (§ 254 Abs. 2 BGB), die gegenüber der drohenden unabsehbaren Verzögerung des Verfahrens das geringere Übel darstellte. Der für die Umplanung und die Genehmigung der geänderten Pläne angefallene Zeitaufwand ist daher eine unmittelbare Folge der amtspflichtwidrigen Ablehnung des ursprünglichen Bauantrags und fällt deshalb haftungsrechtlich in die Verantwortlichkeit der Beklagten.

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3. Auch die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe den Eintritt eines Schadens nicht hinreichend dargetan, hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.

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a) Die Klägerin erblickt ihren Schaden darin, daß sie für den Verzögerungszeitraum den Kaufpreis für das Grundstück habe finanzieren müssen, und verlangt Ersatz der während dieses Zeitraums angefallenen Zinsen. Damit ist gemeint, daß die Klägerin den Kredit entsprechend früher hätte ablösen können, wenn es nicht zu der Pflichtverletzung gekommen wäre. Unter diesem Blickwinkel bestehen vom Ansatz her keine Bedenken dagegen, die Zinsbeträge während des Verzögerungszeitraums als Schadenspositionen anzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 1990 - VII ZR 324/88 = BGHR BGB § 286 Abs. 1 Schadensberechnung 1). Die Revision weist insoweit zu Recht darauf hin, daß für die Schlüssigkeit dieser Schadensberechnung die Behauptung genügt, daß der aufgenommene Kredit wegen der Amtspflichtverletzung erst später abgelöst werden konnte, als es ohne die Amtspflichtverletzung möglich gewesen wäre.

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b) Diese Schadensberechnung setzt allerdings voraus, daß die Klägerin bei rechtzeitiger Erteilung der Baugenehmigung in der Lage gewesen wäre, das Bauvorhaben früher fertigzustellen und die Wohneinheiten entsprechend früher zu verkaufen. Die Beklagte hatte dies bestritten und unter Beweisantritt vorgetragen, daß es bis über die Mitte der achtziger Jahre hinaus einen Einbruch auf dem Eigentumswohnungsmarkt gegeben habe; zahlreiche Bauträger und Immobilienanleger seien auf ihren Wohnungen sitzengeblieben, statt sie gewinnbringend veräußern zu können. Das Berufungsgericht hat diese Behauptung als erheblich angesehen und der Klägerin angelastet, daß sie diesem Vorbringen nicht substantiiert entgegengetreten sei. Damit hat das Berufungsgericht indes die Anforderungen an die Substantiierungspflicht überspannt und die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Für die Möglichkeit, die Wohnungen zu verkaufen und somit aus ihnen Gewinn zu erzielen, kommt der Klägerin nämlich die Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB zugute. Zwar ist Gegenstand der Schadensberechnung der Klägerin nicht der entgangene Gewinn selbst, sondern die Vermögenseinbuße, die sie durch die längere Laufzeit des Kredites und die daraus herrührende Zinsmehrbelastung erlitten hat. Diese Vermögenseinbuße wäre jedoch auch bei amtspflichtgemäßem Verhalten der Beklagten, d.h. bei rechtzeitiger Erteilung der Baugenehmigung, nur dann vermieden worden, wenn die Klägerin in der Lage gewesen wäre, mit dem aus dem Verkauf der Wohnungen zu erzielenden Erlös den Kredit entsprechend früher zurückzuführen. Die Frage, ob diese Möglichkeit bestanden hat, ist daher Gegenstand einer im Rahmen der Schadensermittlung vorzunehmenden Inzidentprüfung, was indes die Anwendung der Grundsätze und Beweiserleichterungen des § 252 Satz 2 BGB nicht hindert. Danach gilt als entgangen der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Zweck dieser Bestimmung ist es, dem Geschädigten den Beweis zu erleichtern. Ist ersichtlich, daß der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, dann wird vermutet, daß er gemacht worden wäre. Volle Gewißheit, daß der Gewinn gezogen worden wäre, ist nicht erforderlich. Diese Beweiserleichterung mindert auch die Darlegungslast der Partei, die Ersatz entgangenen Gewinns verlangt, weil Darlegungs- und Beweislast nach allgemeinen Grundsätzen in diesem Fall einander entsprechen (BGHZ 100, 36, 49 [BGH 05.02.1987 - IX ZR 161/85]/50). Zur Darlegung derartiger "Anstalten und Vorkehrungen", die einen Gewinn mit Wahrscheinlichkeit erwarten ließen, reicht es, daß die Klägerin das Bauvorhaben faktisch früher in Angriff genommen und zu Ende geführt hätte. Dies hat die Klägerin hinreichend klar behauptet und unter Beweis gestellt (Schriftsatz vom 3. November 1988, VA I 89/90, Schriftsatz vom 2. Juli 1990, VA 250 ff). Die Behauptung, daß die zu errichtenden Eigentumswohnungen nicht absetzbar gewesen seien, stellt demgegenüber eine Einwendung dar, für die die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast trägt, die aber an der Schlüssigkeit und hinreichenden Substantiierung des Klagevorbringens nichts ändert. Soweit man das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten überhaupt für erheblich halten kann, woran Zweifel bestehen, da es sich nicht konkret auf die Marktverhältnisse im Raume W. bezieht, wäre dementsprechend dem Beweisantritt der Beklagten nachzugehen gewesen. Keinesfalls aber durfte die Klage mit der Begründung abgewiesen werden, daß die Klägerin ihren Schaden nicht hinreichend substantiiert habe.

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4. Das Berufungsgericht hat ein mitwirkendes Verschulden der Klägerin darin erblickt, daß sie sich auf eine Änderung der Modalitäten der Kaufpreiszahlung eingelassen habe. Unstreitig war in dem ursprünglichen Kaufvertrag vom 29. Dezember 1983 vereinbart worden, daß der Kaufpreis erst bei rechtskräftiger Baugenehmigung fällig werde. Diese Regelung wurde in dem Vertrag vom 20. Juli 1984 dahin geändert, daß der Kaufpreis (ohne Rücksicht auf die Baugenehmigung) bereits zum 31. Dezember 1984 fällig gestellt wurde. Das Berufungsgericht meint, die Klägerin habe ohne zwingenden Grund und ohne sachliche Notwendigkeit auf eine ihr günstige Rechtsposition verzichtet und dadurch den behaupteten Schaden (mit-)verursacht. Auch in diesem Punkt kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden. Der Grundstückskauf und die näheren Einzelheiten der Vertragsgestaltung fielen in den Bereich der freien unternehmerischen Entscheidung der Klägerin. Die Klägerin brauchte - wie die Revision zu Recht hervorhebt - nicht mit einem amtspflichtwidrigen Verhalten der Beklagten zu rechnen. Ihr oblag es daher nicht, sich bei den Vertragsverhandlungen mit der Verkäuferseite vor den Folgen etwaiger Pflichtverletzungen der Beklagten zu sichern.

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II. Außerdem hat das Berufungsgericht zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, daß hier neben dem Amtshaftungsanspruch auch ein Entschädigungsanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs in Betracht kommt.

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1. Zwischen beiden Ansprüchen kann Anspruchskonkurrenz bestehen (GSZ in BGHZ 13, 88, 95). Unerheblich ist, daß die Klägerin im vorliegenden Fall die Klage nicht ausdrücklich auf enteignungsgleichen Eingriff gestützt hat. Entscheidend ist vielmehr, ob sich auf der Grundlage des vorgetragenen Sachverhalts die begehrte Rechtsfolge auch aus enteignungsgleichem Eingriff herleiten läßt; ist dies der Fall, so sind die Gerichte berechtigt und verpflichtet, den Prozeßstoff auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt zu würdigen. Dies ist eine materiellrechtliche Frage; sie kann deshalb vom Revisionsgericht auch ohne eine entsprechende Revisionsrüge geprüft werden.

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2. In der Rechtsprechung des Senats ist seit langem anerkannt, daß eine Verzögerung bei der Erteilung einer Baugenehmigung ebenso einen enteignungsgleichen Eingriff darstellen kann wie eine förmliche, dem geltenden Recht widersprechende Ablehnung einer Bauerlaubnis (z.B. Senatsurteil BGHZ 65, 182, 188, 189;  Krohn/Löwisch, Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung, 3. Aufl. 1984, Rn. 215, 217; Nüßgens/Boujong, Eigentum, Sozialbindung, Enteignung, Rn. 421, 423).

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3. Der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gewährt lediglich eine "angemessene Entschädigung", während der Amtshaftungsanspruch auf Ersatz vollen Schadens gerichtet ist (BGHZ 65, 182, 188). Die Klägerin kann also lediglich eine Entschädigung für den "Substanzverlust" verlangen, den sie dadurch erlitten hat, daß sie in der baulichen Ausnutzung ihres Grundstücks zeitweise behindert worden ist. Dabei ist regelmäßig auf die "Bodenrente" abzustellen (Senatsurteil BGHZ 65, 182, 188). Für deren Bemessung bietet sich der Betrag an, den ein Bauwilliger für die Erlaubnis zeitlicher baulicher Nutzung gezahlt haben würde (Miet-, Pacht- oder Erbbauzins); sie wird sich weitgehend mit einer angemessenen Verzinsung des bei endgültiger Teilenteignung für die entzogene Substanz geschuldeten Kapitals decken (Hußla in Festschrift für Otto Riese 1964, 329, 343). Auf eine "Teilenteignung" und nicht auf eine Vollenteignung ist deshalb abzustellen, weil ihr Gegenstand nicht das Eigentum am Grundstück selbst, sondern nur die daraus fließende Befugnis ist, das Grundstück bebauen zu können. Ist aber gerade die Bebaubarkeit der wesentliche wert- und preisbildende Faktor des Grundstücks, so liegt es nicht fern, daß das zu verzinsende Kapital die volle Höhe des Kaufpreises erreichen kann, was wiederum zur Folge hat, daß sich die Bodenrente hier der Höhe nach den eingeklagten Zinsbeträgen, soweit diese auf den Verzögerungszeitraum entfallen, annähern kann.

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4. Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch ist jedoch, daß der Eigentümer während der Sperre die konkrete Absicht und die konkrete Möglichkeit gehabt hat, das gesperrte Grundstück selbst zu bebauen oder zu Bebauungszwecken zu veräußern, und daß die Sperre das Bauvorhaben oder eine sonstige Nutzung des Grundstücks verhindert oder verzögert hat (BGB-RGRK/Kreft, 12. Aufl. 1980, Vor § 839 Rn. 112 m.w.N.; Hußla NJW 1968, 631 f vgl. auch Senatsbeschluß vom 17. September 1987 - III ZR 176/88 = BGHR GG vor Art. 1/enteignungsgleicher Eingriff Bausperre 1). Auch insoweit sind also konkrete Darlegungen der Klägerin, daß die Möglichkeit bestanden habe, die zu errichtenden Wohnungen gewinnbringend weiterzuveräußern, nicht erforderlich. Die Behauptung, die Wohnungen seien nicht verkäuflich gewesen, kann demgegenüber nur dann erheblich werden, wenn sie den Rückschluß zuläßt, daß sich aus diesem Grunde auch kein Bauinteressent gefunden hätte, der bereit gewesen wäre, für die bauliche Nutzung des Grundstücks eine Bodenrente zu entrichten. Dies würde eine Einwendung gegen den Entschädigungsanspruch begründen, für die die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet ist, während sich die Klägerin darauf beschränken darf, den Eingriffstatbestand und den "Substanzverlust" als solchen darzutun.