Bundesgerichtshof
Urt. v. 28.04.1992, Az.: XI ZR 165/91
Schriftliches Verfahren; Zivilprozeß; Anordnung; Förderung des Rechtsstreits; Zweckförderung; Schnelligkeit
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 28.04.1992
- Aktenzeichen
- XI ZR 165/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 14845
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- AnwBl 1992, 398 (Volltext mit amtl. LS)
- BB 1992, 1453-1454 (Volltext mit amtl. LS)
- BGHWarn 1992, 300-302
- BauR 1992, 651-653 (Volltext mit amtl. LS)
- DNotZ 1993, 114-116
- IBR 1992, 383 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- MDR 1992, 1051-1052 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1992, 2146-2147 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1992, 1477-1478 (Volltext mit red. LS)
- WM 1992, 1310-1312 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1992, 221
- ZIP 1992, 990-992 (Volltext mit amtl. LS)
- ZfBR 1992, 266-267 (Volltext mit amtl. LS)
Redaktioneller Leitsatz
Eine Anordnung des schriftlichen Verfahrens ist nur zulässig, wenn der Rechtsstreit noch weiterer Förderung bedarf und diese Förderung im schriftlichen Verfahren einfacher und schneller zu erreichen ist.
Hinweise:
BGHZ 17, 118 = NJW 1955, 988 = LM § 128 ZPO Nr. 6.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 313.085,87 DM.
Der Beklagte zu 1) beteiligte sich an dem von der "K.- Gruppe" initiierten Bauträgermodell "C.straße", das von der B. R.-Z. AG (BRZ) - gesichert durch eine Globalgrundschuld - zwischenfinanziert wurde. Für den von der BRZ dem Beklagten zu 1) gewährten Kontokorrentkredit zur Zwischenfinanzierung des Kaufs einer Eigentumswohnung übernahm die Beklagte zu 2) die persönliche Mithaft.
Den Kaufpreis für die vom Beklagten zu 1) gekaufte Wohnung Nr... trat die Verkäuferin, die "K. GmbH", an die BRZ ab; der Beklagte zu 1), vertreten durch den Treuhänder, hat zu Lasten seines Kontokorrentkreditkontos entsprechend der im Kaufvertrag getroffenen Vereinbarung an die BRZ, bei der die Verkäuferin hoch verschuldet war und der - nach der Darstellung der Beklagten - die Vermögenslosigkeit der Verkäuferin von Anfang an bekannt war, gezahlt.
Nach Aufhebung des Kaufvertrages wurde die Wohnung Nr... an einen Dritten verkauft. Auch hierfür übernahm die BRZ die Zwischenfinanzierung und ließ sich den Kaufpreisanspruch von der Verkäuferin abtreten. Die BRZ verwendete die Kaufpreiszahlung wiederum zur teilweisen Rückführung des Schuldsaldos der Verkäuferin.
Die BRZ hat ihre Ansprüche gegen die Beklagten an die Klägerin abgetreten, die mit ihrer Klage in den Vorinstanzen Erfolg hatte. Mit der Revision verfolgen die Beklagten ihren Abweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
1. Der Revision ist zuzugeben, daß die Sache vom Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft behandelt worden ist.
Ein schwerer Verfahrensmangel lag bereits in der Anordnung des schriftlichen Verfahrens nach § 128 Abs. 2 ZPO. Ein solches Verfahren kommt nur in Betracht, wenn der Rechtsstreit noch weiterer Förderung bedarf und diese Förderung im schriftlichen Verfahren einfacher und schneller zu erreichen ist (BGHZ 17, 118, 120 f.; Zöller/Stephan, 17. Aufl., § 128 ZPO Rdn. 10). Das war vorliegend nicht der Fall: Die Sache war im Zeitpunkt der Anordnung des schriftlichen Verfahrens aus der Sicht des Berufungsgerichts entscheidungsreif.
Ein weiterer Verfahrensmangel lag in der Überschreitung der in § 128 Abs. 2 Satz 3 ZPO bestimmten Frist von drei Monaten. Das angefochtene Urteil hätte spätestens am 27. Februar 1991 verkündet werden müssen. Die Dreimonatsfrist, die der Absicherung des Beschleunigungseffekts im schriftlichen Verfahren dient, steht nicht zur freien Disposition der Parteien und des Gerichts. Ob die Frist als absolute Zeitgrenze zu verstehen ist (vgl. Schneider MDR 1979, 793 f.), bedarf hier keiner Entscheidung, da es für die nur telefonisch eingeholte Zustimmung der Parteien zur Fristüberschreitung - darin liegt ein weiterer Verfahrensfehler (vgl. BVerwG NJW 1981, 1852, 1853 und Zöller/Stephan aaO Rdn. 11) - schon keinen anerkennenswerten Anlaß gab.
Da diese Fehler keinen absoluten Revisionsgrund im Sinne von § 551 ZPO darstellen, könnten sie die Revision nur begründen, wenn die angefochtene Entscheidung auf ihnen beruht (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1989 - I ZR 220/87 - NJW 1990, 121, 122; Zöller/Stephan aaO Rdn. 20; für einen vergleichbaren Fall: BGH, Urteil vom 4. Juni 1986 - IVb ZR 45/85 - BGHR ZPO § 128 Abs. 2 Verfahrensfehler 1). Das ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
2. Die weiteren Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und ebenfalls nicht für durchgreifend erachtet (§ 565 a ZPO).
II. Mit ihrer Sachrüge hat die Revision Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat im Anschluß an das Landgericht einen Darlehensrückzahlungsanspruch bejaht und auf Schadensersatz gerichtete Gegenrechte der Beklagten verneint, weil die BRZ in bezug auf die Vermögenslosigkeit der Initiatoren-Gruppe keine Aufklärungspflicht gehabt habe und der angebliche Schaden, nachdem das Bauträgermodell vollständig durchgeführt worden sei, ohnehin nicht auf eine Verletzung einer solchen Pflicht zurückgeführt werden könne.
2. Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine kreditgebende Bank grundsätzlich nicht verpflichtet, den Darlehensnehmer über die Risiken der von ihm beabsichtigten Verwendung des Darlehens aufzuklären; das gilt insbesondere bei steuersparenden Bauherren- oder Erwerbermodellen, bei denen davon auszugehen ist, daß die Interessenten entweder selbst über die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen oder sich der Hilfe von Fachleuten bedienen (Senatsurteile vom 17. Dezember 1991 XI ZR 8/91 - WM 1992, 216, 217 [BGH 17.12.1991 - XI ZR 8/91]; vom 27. November 1990 XI ZR 308/89 - WM 1991, 85 [BGH 27.11.1990 - XI ZR 308/89]; vom 24. April 1990 - XI ZR 236/89 - WM 1990, 920, 922, jeweils m.w.Nachw.). Gleichwohl können sich auch hier aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles Aufklärungspflichten ergeben. Das kann dann der Fall sein, wenn die Bank bei Planung, Durchführung oder Vertrieb des Projekts über ihre Rolle als Kreditgeberin hinausgeht, wenn sie einen zu den allgemeinen wirtschaftlichen Risiken des Projekts hinzutretenden besonderen Gefährdungstatbestand für den Kunden schafft oder dessen Entstehen begünstigt, wenn sie sich im Zusammenhang mit Kreditgewährungen in schwerwiegende Interessenkonflikte verwickelt oder wenn sie in bezug auf die speziellen Risiken des finanzierten Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung hat (Senatsurteile aaO).
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht zwar richtig gesehen, daß sich im vorliegenden Fall die Gefahr des Scheiterns des Projekts nicht verwirklicht hat; es hat aber die besonderen Umstände des Falles, die eine Aufklärungspflicht begründen, außer acht gelassen.
Für die Revisionsinstanz ist zunächst von dem - bestrittenen - Vortrag der Beklagten auszugehen, daß die Initiatorengruppe seit 1983 vermögenslos und konkursreif war und die BRZ dies wußte. Die BRZ, die gleichwohl die Durchführung des Projekts sicherstellen wollte, ließ sich von der Verkäuferin des Grundstücks sämtliche Kaufpreisansprüche im voraus abtreten, so daß diese ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit beraubt war. Die Klägerin allein beherrschte die finanzielle Durchführung des Projekts, von der sie sich eine Rückführung des Schuldstandes der Initiatorengruppe erhoffte. Für die Rückabwicklung geschlossener Kaufverträge standen der Verkäuferin keine Mittel zur Verfügung; die Möglichkeit der Rückgewähr des gezahlten Kaufpreises war von der Entscheidung der Klägerin abhängig. Die BRZ hatte somit bezüglich der - zu unterstellenden - Vermögenslosigkeit der Initiatorengruppe einen konkreten Wissensvorsprung; sie wußte, daß die Durchführung des Projekts allein von ihr selbst abhing. Sie hatte darüber hinaus mit der Vorausabtretung für die Kunden, die im Einverständnis mit der Verkäuferin aus dem Projekt ausscheiden wollten, einen besonderen Gefährdungstatbestand geschaffen, indem diese infolge des Verlustes der finanziellen Bewegungsfreiheit der Verkäuferin Gefahr liefen, bei Rückabwicklung des Kaufvertrages den gezahlten Kaufpreis zu verlieren. Schließlich befand sie sich insofern in einem Interessenkonflikt, als sie durch die Kreditgewährung an die Erwerber ihr finanzielles Engagement gegenüber der Initiatorengruppe zurückführen wollte, auf diese Weise ihr eigenes wirtschaftliches Wagnis auf die Kunden verlagerte und diese mit einem Risiko belastete, das über die mit der Beteiligung an einem solchen Projekt normalerweise verbundenen Gefahren deutlich hinausging.
Die sich aus diesen Umständen ergebende Aufklärungspflicht über die Vermögenslosigkeit der Initiatorengruppe und insbesondere darüber, daß die Gesamtabwicklung des Projekts allein von ihren Entscheidungen abhing und die Initiatorengruppe ohne sie finanziell auch zur Rückabwicklung von aufgelösten Verträgen nicht in der Lage war, hat die BRZ verletzt.
3. Der dadurch herbeigeführte und hier interessierende Schaden der Beklagten besteht darin, daß sie dem Darlehensrückzahlungsanspruch ausgesetzt sind. Es ist davon auszugehen, daß sie sich bei gehöriger Aufklärung "aufklärungsrichtig" verhalten (Senatsurteil vom 13. November 1990 XI ZR 268/89, NJW 1991, 694, 695 m.w.Nachw.) und den Kreditvertrag nicht abgeschlossen hätten.
4. Ob und in welchem Umfang der Ersatzanspruch in seiner Höhe durch ein Mitverschulden der Beklagten beeinflußt ist, kann auf der bisherigen Tatsachengrundlage nicht abschließend beurteilt werden.
Als Mitverschulden ist den Beklagten anzulasten, daß sie bei Rückabwicklung des Kaufvertrages ihre in der Auflassungsvormerkung bestehende Sicherung aufgegeben haben, ohne diese Aufgabe von der Rückzahlung ihrer Leistungen abhängig zu machen. Ein eventuell mitwirkendes Verschulden des beurkundenden Notars, der nicht die Aufgabe der Sicherung Zug um Zug gegen Rückzahlung über ein Notaranderkonto oder in sonstiger geeigneter Weise sichergestellt hat, ist im Verhältnis der Parteien zueinander den Beklagten anzurechnen.
Das Mitverschulden kann den Anspruch der Beklagten jedoch nicht über den Betrag hinaus mindern, den die BRZ durch den zweiten Verkauf der Wohneinheit erlangt hat, weil die Klägerin als Nachfolgerin der BRZ andernfalls einen ihr nicht zustehenden Vorteil aus dem Mitverschulden der Beklagten ziehen würde (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 1962 VIII ZR 190/60 - LM § 254 (A) BGB Nr. 10). Sie können also mindestens Ersatz in Höhe des der BRZ zugeflossenen Kaufpreises aus dem Zweitverkauf verlangen.
III. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Das Berufungsgericht wird aufzuklären haben, ob und wann die BRZ Kenntnis von der Insolvenz der Initiatorengruppe hatte, und Vortrag zu den sonstigen bei der Berücksichtigung eines Mitverschuldens zu beachtenden Umstände sowie zu der Höhe des Kaufpreises aus dem Zweitverkauf der Wohneinheit ermöglichen müssen.