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Bundesgerichtshof
Urt. v. 13.04.1992, Az.: II ZR 105/91

Prozeßvoraussetzung; Unzulässigkeit der Klage; Nicht ordnungsgemäße Klageerhebung; Abweisung der Klage; Berufung; Zurückverweisung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
13.04.1992
Aktenzeichen
II ZR 105/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 14569
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • AG 1992, 265-266 (Volltext mit amtl. LS)
  • BGHWarn 1992, 274-275
  • DStR 1992, 1103-1104 (Volltext mit amtl. LS)
  • LM H. 1 / 1993 § 565 Abs. 3 ZPO Nr. 17
  • MDR 1992, 803-804 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1992, 2099-2100 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1992, 984-986 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

1. Das Fehlen einer Prozeßvoraussetzung in der Revisionsinstanz (hier: nicht ordnungsgemäße Klageerhebung) führt nicht zwingend zu einer Abweisung der Klage als unzulässig durch das Revisionsgericht.

2. Fehlte die Prozeßvoraussetzung schon in der ersten Instanz und hat das Berufungsgericht eine an sich gebotene Zurückverweisung nach § 539 ZPO an die erste Instanz unterlassen, so ist diese Entscheidung durch das Revisionsgericht nachzuholen.

Tatbestand:

1

Die Klägerin ist mit zwei Stammaktien im Nennwert von je 50,-- DM an der Beklagten beteiligt. Gegen zwei Beschlüsse, die in der Hauptversammlung der Beklagten vom 25. Februar 1988 zu den Tagesordnungspunkten 7 und 8 gefaßt worden sind, hat die Klägerin Anfechtungsklage nach 246 AktG erhoben. In der Klageschrift heißt es, die beklagte Aktiengesellschaft werde vertreten durch 1. den Vorstand, bestehend aus den Herren Ha.-G. R. und W. L. und 2. den Aufsichtsrat, bestehend aus den Herren Rechtsanwalt und Notar F. H. Ro., Dr. Re. K. und M. E. Die Klage wurde lediglich dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates Ro. zugestellt, nicht einem Mitglied des Vorstandes. Durch Versäumnisurteil vom 25. November 1988 hat das Landgericht Essen die Klage abgewiesen. Auf den Einspruch der Klägerin hat das Landgericht Essen dieses Versäumnisurteil durch Urteil vom 26. Januar 1990 aufrechterhalten.

2

In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihren Antrag aus der ersten Instanz nur noch hilfsweise weiterverfolgt und sich in erster Linie mit der Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG gegen die von ihr angegriffenen Hauptversammlungsbeschlüsse gewandt. Sie hat geltend gemacht, in der Einberufung zur Hauptversammlung, in der die von ihr angegriffenen Beschlüsse gefaßt worden seien, seien für die Teilnahme und die Stimmrechtsausübung Bedingungen aufgestellt worden, die mit der Satzung nicht zu vereinbaren seien.

3

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Nebenintervenientin, die ihren Beitritt auf seiten der Klägerin erklärt hatte, als unzulässig verworfen und auf die Berufung der Klägerin unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und unter Aufhebung des vom Landgericht erlassenen Versäumnisurteils die Nichtigkeit der beiden Beschlüsse festgestellt. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

4

Da die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Revision der Beklagten nicht vertreten war, war über die Revision durch Versäumnisurteil sachlich zu entscheiden (BGHZ 37, 79). Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Gericht der ersten Instanz.

5

1. Allerdings macht die Revision zu Unrecht geltend, das Berufungsgericht habe es nicht zulassen dürfen, daß die Klägerin in der zweiten Instanz mit ihrem Hauptantrag von der Anfechtungsklage zur Nichtigkeitsklage übergegangen sei. Das Berufungsgericht führt hierzu aus, es könne dahinstehen, ob die Klägerin damit ihre Klage im Sinne des § 263 ZPO geändert habe. Eine etwaige Klageänderung sei nämlich als sachdienlich zuzulassen, da der Sachverhalt insoweit unstreitig sei und über die von der Klägerin nun in erster Linie geltend gemachte Nichtigkeitsklage entschieden werden könne, ohne daß weitere Feststellungen getroffen werden müßten. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts sind rechtlich nicht zu beanstanden. Liegt keine Klageänderung vor, so ergibt sich kein prozessuales Problem. Liegt dagegen eine Klageänderung vor, so ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, diese Klageänderung sei dann als sachdienlich zuzulassen, nach § 268 ZPO vom Revisionsgericht nicht nachprüfbar (vgl. MünchKomm ZPO-Lüke, 1992, § 268 Rdn. 1, 13, 14; Stein/Jonas/Schumann, ZPO 20. Aufl. § 268 Rdn. 9, 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 50. Aufl. § 268 Anm. 2 B).

6

2. Dagegen rügt die Revision zu Recht, daß kein Sachurteil hätte ergehen dürfen, weil die Klage nicht ordnungsgemäß zugestellt und damit nicht ordnungsgemäß erhoben worden ist und weil infolge dieses Mangels die beklagte Aktiengesellschaft in den beiden Tatsacheninstanzen nicht ordnungsgemäß vertreten war. Die ordnungsgemäße Erhebung der Klage ist eine Prozeßvoraussetzung (vgl. MünchKomm ZPO-Lüke aaO. Vor § 253 Rdn. 9; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO. Anm. 3 E a Vor § 253 und § 253 Anm. 2 B). Die nicht ordnungsgemäße Vertretung einer Partei ist ein absoluter Revisionsgrund nach § 551 Nr. 5 ZPO.

7

Die Klage ist nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, weil die Zustellung nur an den Vorsitzenden des Aufsichtsrats der beklagten Aktiengesellschaft erfolgt ist, nicht auch an den Vorstand. Nach den § 246 Abs. 2, § 249 Abs. 1 AktG wird die Aktiengesellschaft sowohl bei Anfechtungsklagen als auch bei Nichtigkeitsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse durch den Vorstand und den Aufsichtsrat gemeinsam vertreten. Daraus folgt nach ständiger Rechtsprechung des Senats, daß die Klage an beide Organe der Aktiengesellschaft zugestellt werden muß und daß sie nicht ordnungsgemäß erhoben ist, wenn die Zustellung nur an eines der beiden Organe erfolgt ist (BGHZ 70, 384, 386 m.w.N.). Eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 187 ZPO oder durch Rügeverzicht nach § 295 ZPO kommt zwar grundsätzlich in Betracht, ein wirksamer Rügeverzicht nach § 295 ZPO darf aber nur angenommen werden, wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Prozeßbevollmächtigte, der für die beklagte Aktiengesellschaft aufgetreten ist, Prozeßvollmacht auch von dem Organ hatte, dem die Klage nicht zugestellt worden ist, im vorliegenden Falle also vom Vorstand (BGH aaO.).

8

Eine Heilung nach § 187 ZPO scheidet schon deshalb aus, weil sich aus den Akten keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß dem Vorstand der beklagten Aktiengesellschaft im Laufe des Verfahrens ein Exemplar der Klageschrift übergeben worden ist. Die bloße Unterrichtung des Vorstandes durch den Aufsichtsrat würde nicht ausreichen (BGH aaO.). Ebensowenig kann ein wirksamer Rügeverzicht nach § 295 ZPO angenommen werden. Aus den Akten ergeben sich nämlich keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß die Prozeßbevollmächtigten, die in den Tatsacheninstanzen für die beklagte Aktiengesellschaft aufgetreten sind, auch von dem Vorstand bevollmächtigt worden sind.

9

3. Das Fehlen dieser Prozeßvoraussetzung führt zur Aufhebung des gesamten Berufungsurteils, auch soweit das Berufungsgericht die Berufung der Nebenintervenientin als unzulässig verworfen hat. Dem steht nicht entgegen, daß die Nebenintervenientin nicht Revision eingelegt hat und daß dieser Teil der Entscheidung des Berufungsgerichts auch sonst von der Revision nicht angegriffen worden ist. Wenn sowohl die Hauptpartei als auch ein Nebenintervenient, der auf ihrer Seite den Beitritt zum Rechtsstreit erklärt hat, gegen ein Urteil des Landgerichts selbständig Berufung einlegen, so bedeutet das nicht, daß das Berufungsgericht über zwei unterschiedliche Berufungen zu entscheiden hätte. Es gibt vielmehr nur eine Berufung, über die nur einmal entschieden werden kann. Wird auf die Revision entweder der Hauptpartei oder des Nebenintervenienten hin das Berufungsurteil aufgehoben, so ist über diese eine Berufung insgesamt neu zu entscheiden (BGH, Urt. v. 26. März 1982 - V ZR 87/81, NJW 1982, 2069). Ob - wie das Berufungsgericht meint - der Antrag der Nebenintervenientin, die Nebenintervention zuzulassen, bereits vor Abschluß des Berufungsverfahrens rechtskräftig zurückgewiesen worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 11. Februar 1982 - III ZR 184/80, NJW 1982, 2070), ist für das Revisionsverfahren ohne Bedeutung.

10

4. Daß eine Prozeßvoraussetzung fehlt, führt im vorliegenden Falle nicht zur Abweisung der Klage als unzulässig durch das Revisionsgericht, sondern zur Zurückverweisung der Sache an das Gericht der ersten Instanz. Zwar hat nach § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO das Revisionsgericht die Entscheidung des Berufungsgerichts zu ersetzen, wenn aufgrund des festgestellten Sachverhalts die Sache zur Endentscheidung reif ist. Daraus ergibt sich aber nicht zwingend, daß die ersetzende Entscheidung des Revisionsgerichts, wenn eine Prozeßvoraussetzung fehlt, in einer Abweisung der Klage als unzulässig bestehen muß. Eine Abweisung der Klage als unzulässig durch das Revisionsgericht ist vielmehr nur dann geboten, wenn schon das Berufungsgericht, hätte es das Fehlen der Prozeßvoraussetzung erkannt, die Klage als unzulässig hätte abweisen müssen oder (für den Fall, daß die Prozeßvoraussetzung erst in der Revisionsinstanz entfallen ist) wenn das Berufungsgericht, würde die Sache dorthin zurückverwiesen, die Klage als unzulässig abweisen müßte (BGHZ 18, 98, 106 [BGH 08.07.1955 - I ZR 201/53]; BGH, Urt. v. 13. Oktober 1971 - IV ZR 105/70, FamRZ 1972, 35, 36). So liegt der vorliegende Fall aber nicht. Da die Klage nicht ordnungsgemäß erhoben und die beklagte Aktiengesellschaft aus diesem Grunde nicht ordnungsgemäß vertreten war, litt schon das Verfahren erster Instanz an einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 539 ZPO. Alle in § 551 ZPO aufgeführten absoluten Revisionsgründe sind zugleich wesentliche Verfahrensmängel im Sinne des § 539 ZPO (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20. Aufl. § 539 Rdn. 2, 3; Zöller/Schneider, ZPO 17. Aufl. § 539 Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO. § 539 Anm. 1 B), also auch der hier einschlägige § 551 Nr. 5 ZPO. Hätte das Berufungsgericht den Mangel der Zustellung erkannt, so hätte es nach § 539 ZPO das erstinstanzliche Urteil aufheben und die Sache an das Landgericht zurückverweisen müssen. Es lag nahe, durch die Zurückverweisung dem erstinstanzlichen Gericht Gelegenheit zu geben, seinen Fehler zu korrigieren und damit die Voraussetzungen für ein Sachurteil zu schaffen (ähnlich BGH aaO. FamRZ 1972, 35, 36). Dagegen wäre es aus der Sicht des Berufungsgerichts nicht sachdienlich gewesen, nach § 540 ZPO von der Zurückverweisung an die erste Instanz abzusehen und selbst die Klage mit der Begründung abzuweisen, sie sei unzulässig, weil das Gericht es versäumt habe, sie ordnungsgemäß zuzustellen. Hat das Berufungsgericht eine an sich gebotene Zurückverweisung an die erste Instanz unterlassen, so ist diese Entscheidung durch das Revisionsgericht nachzuholen (BGHZ 16, 71, 82;  101, 134, 141 f.; RGZ 77, 399; Stein/Jonas/Grunsky aaO. § 565 Rdn. 21). Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittel war dem Landgericht vorzubehalten. Das Landgericht wird zu erwägen haben, ob es von der Möglichkeit Gebrauch macht, Kosten nach § 8 Abs. 1 GKG nicht zu erheben.