Bundesgerichtshof
Beschl. v. 07.04.1992, Az.: 4 StR 148/92
Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts; Krieterien für das Vorliegen eines unbeendeten Versuchs
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 07.04.1992
- Aktenzeichen
- 4 StR 148/92
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1992, 16496
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Bochum - 02.10.1991
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- NJW 1992, 2711 (red. Leitsatz)
- NStZ 1992, 434 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Versuchter Totschlag
Prozessgegner
Uwe Engelbert K. aus R., geboren am ... 1965 in V./K., zur Zeit in Haft
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 7. April 1992
gemäß §§ 44, 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 2. Oktober 1991 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
- 2.
Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. .
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Die Revision des Angeklagten, der die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.
Nach den Feststellungen stieß der Angeklagte, der wütend und alkoholisiert war - seine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug 1,34 %o -, Necdettin C. ein Stilett in den Bauch. Dieser stöhnte vor Schmerz auf, sackte zusammen und drückte die Hände gegen die Wunde. Ein Zeuge der Tat half ihm auf und führte ihn aus der Wohnung, in der sich die Tat ereignet hatte. Als sich die beiden noch auf der zur Hauseingangstür führenden Treppe befanden, rief ihnen der Angeklagte, der ihnen gefolgt war und das Messer noch in der Hand hielt, nach, sie sollten doch kommen, er würde dann beide "kaputtmachen". Dann wandte er sich ab und ging in die Wohnung zurück. C. hatte lebensgefährliche Verletzungen erlitten. Die Lebensgefahr konnte durch eine unverzüglich durchgeführte Operation beseitigt werden.
Das Landgericht wertet das Verhalten des Angeklagten als versuchten Totschlag, von dem er nicht mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten sei. Es handele sich um einen beendeten Versuch. Als C. zusammengesackt sei und laut aufgeschrieben habe, habe "der Angeklagte davon ausgehen müssen, daß er diesen möglicherweise tödlich getroffen habe". Für die Frage des Rücktritts komme es auf diesen Zeitpunkt an. Daß das Opfer später noch in der Lage gewesen sei, einen Stein zu werfen, habe der Angeklagte, der schon in die Wohnung zurückgegangen sei, nicht wahrgenommen.
Diese Erwägungen lassen besorgen, daß das Landgericht die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts zu Unrecht verneint hat. Ein unbeendeter Versuch scheidet nicht schon dann aus, wenn der Angeklagte damit rechnen mußte, daß er C. tödlich getroffen hatte. Entscheidend ist, ob der Angeklagte die naheliegende Möglichkeit erkannt hat, sein Opfer werde die Verletzung nicht überleben (vgl. BGHSt 33, 295, 300) [BGH 22.08.1985 - 4 StR 326/85]. Davon kann, da der Angeklagte nach den Feststellungen gesehen hat, wie C. - freilich mit Unterstützung - wieder aufstand und sich vom Tatort entfernte, nicht ausgegangen werden. Auch daß der Angeklagte den beiden Männern nachrief "sie sollten doch kommen, er werde sie beide 'kaputtmachen'", spricht gegen die Annahme eines beendeten Tötungsversuchs.
Da das Urteil schon aus diesem Grunde keinen Bestand haben kann, braucht nicht entschieden zu werden, ob die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Stich mit Tötungsvorsatz geführt, rechtsfehlerfrei ist. Auch insofern bestehen indes Bedenken, zumal ein einsichtiger Beweggrund für die Tötung des C. nicht erkennbar ist und sich das Landgericht zur inneren Tatseite mit der nur formelhaften Feststellung begnügt hat, der Angeklagte habe trotz seiner Erregung und seiner Alkoholisierung die mögliche Folge des Stiches, nämlich den Tod des C., erkannt und billigend in Kauf genommen (vgl. BGH NStZ 1988, 361).
Meyer-Goßner
Steindorf
Nehm
Tolksdorf