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Bundesgerichtshof
Urt. v. 30.03.1992, Az.: 4 StR 108/92

Drogenabhängigkeit; Alkoholabhängigkeit; Verminderung der Steuerungsfähigkeit; Verminderte Schuldfähigkeit; Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Anordnung der Unterbringung; Maßregeln der Besserung und Sicherung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
30.03.1992
Aktenzeichen
4 StR 108/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 12183
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • NJW 1992, 2370 (red. Leitsatz)
  • NStZ 1992, 432 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

1. Bei Vorliegen einer Drogen- und/oder Alkoholabhängigkeit, auch wenn diese nicht zu einer erheblichen Verminderung der Steuerfähigkeit i. S. von § 21 StGB geführt hat, ist im Urteil stets zu erörtern, ob § 64 StGB Anwendung findet.

2. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB auch dann zwingend, wenn die Maßregel schon in einem früheren Verfahren angeordnet war.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

2

Die Revision des Angeklagten, mit der dieser die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, ist im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet.

3

Der Strafausspruch hat jedoch keinen Bestand, da die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Voraussetzungen des § 21 StGB verneint und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsansalt gemäß § 64 StGB abgelehnt hat, nicht frei von rechtlichen Bedenken sind.

4

Ausweislich der Urteilsgründe nahm der Angeklagte seit 1986 Haschisch, seit 1987/88 Heroin und Kokain zu sich. Belastungssituationen versucht er, durch den verstärkten Genuß von Drogen und Alkohol auszugleichen. Nach seiner letzten Haftentlassung im Frühjahr 1990 trank der Angeklagte in erheblichem Maße Alkohol, rauchte Haschisch, inhalierte Heroin und Kokain und nahm Tabletten wie Diazepam, Planum und Rohypnol. Am 15. März 1991 verurteilte ihn das Landgericht Dortmund wegen versuchter und vollendeter schwerer räuberischer Erpressung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten; ferner ordnete es gemäß § 64 StGB seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an, da es in dem Alkohol- und Drogenkonsum des Angeklagten eine wesentliche Ursache für dessen Straffälligkeit sah. Bevor die Maßregel jedoch zum Tragen kam, entwich der Angeklagte am 13. April 1991 aus der Justizvollzugsanstalt D.

5

Es liegt nahe, daß der Angeklagte, der sich nach seiner Flucht erneut in einer Belastungssituation befand, zur Tatzeit am 19. April 1991 aufgrund seiner seit mehreren Jahren eingeschliffenen Polytoxikomanie erneut Rauschmittel in beträchtlicher Menge zu sich nahm. Bei dieser Sachlage hätte die Kammer unter Hinzuziehung eines Sachverständigen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auch unter Berücksichtigung seiner Drogen- und Tablettenabhängigkeit prüfen müssen. Die Urteilsgründe enthalten jedoch in diesem Zusammenhang lediglich Ausführungen über eine mögliche alkoholische Beeinflussung.

6

Der Strafausspruch war auch deshalb aufzuheben, weil nicht auszuschließen ist, daß die Kammer die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu Unrecht abgelehnt hat, und die Möglichkeit besteht, daß die Strafe des Angeklagten bei gleichzeitiger Anordnung der Unterbringung niedriger ausgefallen wäre. Die Tatsache, daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Prüfung der Unterbringungsanordnung durch das Revisionsgericht jedenfalls dann nicht (BGH bei Holtz MDR 1990, 886), wenn sich - wie hier - aus dem Gesamtzusammenhang der Revisionsbegründung ergibt, daß die Nichtanordnung der Unterbringung beanstandet wird, weil davon das Strafmaß berührt sei.

7

Bei Vorliegen einer Drogen- und/oder Alkoholabhängigkeit, auch wenn diese nicht zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB geführt hat, ist im Urteil stets zu erörtern, ob § 64 StGB Anwendung findet (Detter, NStZ 1991, 475 (479 m.w.N.)). Ohne auf die Frage einzugehen, ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift für die hier abzuurteilende Tat vorliegen, hat die Kammer von einer Maßregel mit der Begründung abgesehen, daß sich diese wegen der in dem Urteil des Landgerichts Dortmund angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erübrige; es sei zu erwarten, daß mit einer erfolgreich abgeschlossenen Therapie und nachfolgender Abstinenz des Angeklagten sein Hang zur Begehung strafbarer Handlungen behoben sei.

8

Da die im Urteil des Landgerichts Dortmund verhängte Maßregel noch nicht angelaufen war, lassen diese Ausführungen besorgen, daß das Landgericht das Zusammenwirken der §§ 64, 67 f StGB verkannt hat. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB auch dann zwingend, wenn die Maßregel schon in einem früheren Verfahren angeordnet worden war (Lackner StGB 19. Aufl. § 64 Rdn. 7; OLG Frankfurt NJW 1960, 1399). Mit Rechtskraft der späteren Anordnung ist die frühere rechtlich erledigt (§ 67 f StGB). Die Anordnung darf nur unterbleiben, wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos ist (§ 64 Abs. 2 StGB; BGHSt 28, 327 (328)). Hierfür liegen nach den Urteilsfeststellungen keine Anhaltspunkte vor.