Bundesgerichtshof
Urt. v. 15.10.1991, Az.: VI ZR 280/90
Kenntnisstand des Geschädigten; Opfer einer Betrugshandlung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 15.10.1991
- Aktenzeichen
- VI ZR 280/90
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 14333
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- DAR 1992, 206 (Kurzinformation)
- MDR 1992, 651-652 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1992, 282-283 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1992, 207-208 (Volltext mit red. LS)
- WM 1991, 2135-2137 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1992, 57
Amtlicher Leitsatz
Zu den Anforderungen, die § 852 Abs. 1 BGB an den Kenntnisstand eines Geschädigten stellt, der Opfer einer Betrugshandlung geworden ist.
Tatbestand:
Der Kläger macht den Beklagten mit seiner am 2. August 1989 bei dem Landgericht eingereichten und am 8. August 1989 zugestellten Klage für einen Schaden verantwortlich, den er durch Warentermingeschäfte erlitten hat.
Der Beklagte hatte im Jahre 1982 unter einem Decknamen in London die Firma M., eine mit zwei Pfund Sterling ausgestattete "Limited" britischen Rechts (im folgenden: M.-Ltd.), erworben. Er gab sich als "Share-Holder" dieser Firma aus und errichtete in der Bundesrepublik (unselbständige) "Service-Büros", von denen aus sog. Telefonverkäufer Kunden für Warentermingeschäfte warben. Entsprechend einem vorgefaßten Plan plazierte der Beklagte die vereinnahmten Kundengelder jedoch nicht an der Börse, sondern verbrauchte sie für sich, seine Mittäter und die Firma.
Der Kläger ließ sich im Sommer 1983 von einem Mitarbeiter der M.-Ltd. überreden, 68.750 DM in Warentermingeschäften anzulegen. In Höhe dieses Betrages, auf den der Kläger keinerlei Rückzahlungen erhalten hat, nimmt er den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Beklagte, der wegen Betrugs an 253 Kunden zu einer Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist, stellt eine Betrugshandlung zum Nachteil des Klägers nicht in Abrede. Er macht aber Verjährung geltend.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Mit dem Landgericht ist das Berufungsgericht der Auffassung, daß der Klageanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB nicht verjährt ist. Vor dem 2. August 1986, auf den es nach § 209 BGB für die Berechnung der dreijährigen Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB ankomme, habe der Kläger die in dieser Vorschrift vorausgesetzte Kenntnis von dem Schadenshergang und der Verantwortlichkeit des Beklagten nicht gehabt. Das Ausbleiben der "Statements" der M.-Ltd. ab September 1983 habe ebensowenig den Schluß auf eine Betrugshandlung des Beklagten nahegelegt wie die Tatsache, daß die M.-Ltd. nicht mehr telefonisch erreichbar gewesen sei. Presseveröffentlichungen hätten lediglich einen Verdacht hervorrufen können. Dasselbe gelte für einen Vermerk, der der Vernehmung des Klägers durch die Kriminalpolizei am 23. August 1984 zugrunde gelegen habe; die bestrittene Behauptung des Beklagten, dieser Vermerk sei dem Kläger anläßlich seiner polizeilichen Vernehmung mitgeteilt worden, könne deshalb als wahr unterstellt werden. Es sei für den Kläger auch nicht zumutbar gewesen, sich den gegen den Beklagten ergangenen Haftbefehl und die 670 Seiten starke Anklageschrift zu beschaffen; der Haftbefehl hätte dem Kläger den nach § 852 Abs. 1 BGB erforderlichen Kenntnisstand nicht verschafft und die Beschaffung der Anklageschrift wäre mit nicht unerheblichen Kosten verbunden gewesen.
II.
A. Da der Kläger trotz rechtzeitiger Ladung im Revisionsverhandlungstermin nicht vertreten war, mußte auf Antrag des Revisionsklägers gegen ihn durch Versäumnisurteil entschieden werden. Dieses Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern berücksichtigt den gesamten derzeitigen Sach- und Streitstand (vgl. BGHZ 37, 79, 81 f.).
B. Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Allerdings ist der rechtliche Ansatz, von dem das Berufungsgericht ausgeht, nicht zu beanstanden. Die Verjährung des unstreitigen deliktischen Klageanspruchs bestimmt sich nach § 852 Abs. 1 BGB, so daß sich die Frage stellt, ob der Kläger den Kenntnisstand, der nach dieser Vorschrift den Lauf der Verjährung auslöst, vor dem 2. August 1986 erlangt hat (§ 209 BGB, § 270 Abs. 3 ZPO). Bei der Entscheidung dieser Frage hat das Berufungsgericht indes rechtserheblichen Prozeßstoff unberücksichtigt gelassen, was die Revision mit Recht rügt (§ 286 ZPO); außerdem hat das Berufungsgericht die Anforderungen an den Kenntnisstand, wie ihn § 852 Abs. 1 BGB voraussetzt, überspannt.
2. a) Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht in seine Erwägungen nicht mit einbezogen hat, daß die Anwälte, die der Kläger mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hatte, im hier fraglichen Zeitraum von dem gegen den Beklagten ergangenen Haftbefehl positiv Kenntnis erhalten haben. Der Beklagte hat mit seiner Klageerwiderung eine Verfügung des sachbearbeitenden Staatsanwalts vom 29. Mai 1984 vorgelegt. Darin hat Staatsanwalt S. den Anwälten, die sich unter dem 17. Mai 1984 im Auftrag des Klägers mit der Bitte um Gewährung der Akteneinsicht an die Staatsanwaltschaft D. gewandt hatten, die Anschrift des Beklagten mitgeteilt. Ausweislich dieser Verfügung hat - was der Kläger nicht bestritten hat - Staatsanwalt S. den Anwälten ferner eine Ablichtung des gegen den Beklagten ergangenen Haftbefehls übersandt. Der Kläger hat nicht in Frage gestellt, daß seine Anwälte von diesem Haftbefehl Kenntnis genommen haben. Den Kenntnisstand seiner Anwälte muß der Kläger nach den Grundsätzen, die die Rechtsprechung zur Zurechenbarkeit der Kenntnis eines Wissensvertreters entwickelt hat (vgl. Senatsurteile vom 22. November 1983 - VI ZR 36/82 - VersR 1984, 160, 161 und vom 16. Mai 1989 - VI ZR 251/88 - VersR 1989, 914 m.w.N.), gegen sich gelten lassen.
b) Danach ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts davon auszugehen, daß der Kläger schon vor dem 2. August 1986 ein Wissen von der Schädigungshandlung des Beklagten gehabt hat, das für die Erhebung einer auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gestützten Feststellungsklage ausgereicht hätte. In dem Haftbefehl, von dem der Beklagte eine Ablichtung zu den Akten gereicht hat, heißt es u.a.
"Der Beschuldigte (= Beklagter) ist Geschäftsführer der Fa. M.-Ltd. in London, die sich mit der Vermittlung von Warentermingeschäften befaßt. Als solcher tritt er auch unter dem Alias-Namen Aaron Go. auf. Die Fa. M.-Ltd. unterhält in der Bundesrepublik unter anderem in ... unselbständige Service-Büros, über die das interessierte Anlagepublikum geworben wird. Tatsächlich wurden die Anlagen von ca. 50 Kunden in Höhe von etwa 1 Mio. DM abredewidrig jedoch nicht an der Börse plaziert, wie es von vornherein geplant war. ..."
Aus dem mitgeteilten Sachverhalt ergab sich für den Kläger, dem der Telefonverkäufer die angeblichen Gewinnchancen im Warentermingeschäft dargestellt hatte, der Kern der Schädigungshandlung des Beklagten. Eine Kenntnis der Schädigungshandlung liegt, anders, als das Berufungsgericht meint, nicht erst dann vor, wenn der Geschädigte in allen Einzelheiten weiß, wie die zum Schaden führenden Vorgänge abgelaufen sind, vielmehr reicht es aus, wenn er die Richtung des Tatgeschehens kennt. Um einen solchen Kenntnisstand geht es hier. Entscheidend und ausreichend für die nach § 852 Abs. 1 BGB zu fordernde Kenntnis des Klägers war das Wissen, daß der Beklagte - einem vorgefaßten Plan folgend - die vereinnahmten Kundengelder entgegen seiner vertraglichen Verpflichtung nicht an der Börse plaziert hat.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger diese Schädigungshandlung im hier interessierenden Zeitraum nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewißheit gekannt habe. Zwar führt das Berufungsgericht zutreffend aus, daß der Haftbefehl nur einen dringenden Tatverdacht belegt habe. Indes darf der Haftbefehl nicht isoliert gesehen werden. Vielmehr ist weiter zu berücksichtigen, daß der Kläger unstreitig ab September 1983 von der M.-Ltd. keine "Statements" mehr erhalten hatte und seine Versuche, mit dieser Firma bzw. dem Beklagten telefonisch in Kontakt zu treten, gescheitert waren. Diese Erfahrung war für den Kläger ersichtlich der Grund, ausweislich des Schreibens vom 17. Mai 1984 schon Ende 1983 Rechtsanwälte mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen. Es kommt hinzu, daß der Kläger, wie er in seiner polizeilichen Vernehmung vom 23. August 1984 zu Protokoll gegeben hat, einen ungedeckten Scheck über 67.000 DM erhalten hat, als er das Geschäft mit der M.-Ltd. rückgängig machen wollte. Die Gesamtschau dieser Umstände zeigt, daß der Kläger im hier fraglichen Zeitraum durchaus eine Kenntnis von der Schädigungshandlung erlangt hat, die nach dem für § 852 BGB zugrundezulegenden Maßstab für die Erhebung einer Feststellungsklage zuverlässig genug war.
Die weiteren anspruchsbegründenden Tatsachen, auf deren Kenntnis es nach § 852 Abs. 1 BGB ankommt, waren dem Kläger gleichfalls vor dem 2. August 1986 bekannt. Den Namen und die Anschrift des Beklagten kannte der Kläger aus dem Haftbefehl bzw. der Mitteilung des Staatsanwalts S. vom 29. Mai 1984. Überdies hat der Kläger in seiner Vernehmung vom 23. August 1984 folgendes erklärt:
"Durch Herrn H. habe ich erfahren, daß dort ein Herr P. (= Beklagter) die Fäden in der Hand hält. Aus den mir zugegangenen Geschäftsunterlagen wurde dieser P. als der Hauptvertreter der Geschäfte der M. in Deutschland ersichtlich."
Das reicht zur Kenntnis der Verantwortlichkeit des Beklagten i.S.v. § 852 BGB aus. Den Tatbeitrag des Beklagten im einzelnen, auf den das Berufungsgericht auch insoweit abhebt, brauchte der Kläger, wie gesagt, nicht zu kennen. Daß der Kläger, nachdem er den ungedeckten Scheck über 67.000 DM erhalten hat, außerdem gewußt hat, daß ihm aus der Handlung des Beklagten ein Schaden erwachsen ist, kann ebenfalls nicht zweifelhaft sein. Gerade dieser Schaden war für ihn der Anlaß, Rechtsanwälte einzuschalten.
Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, bei komplizierten Wirtschaftsstraftaten könne sich der Geschädigte erst nach Abschluß des Strafverfahrens und Akteneinsicht eine ausreichende Vorstellung von den betrügerischen Machenschaften des Täters bilden. Allerdings hat der Senat entschieden, daß die wirtschaftlichen Abläufe und Zusammenhänge, die bei Warenterminoptionsgeschäften zu Verlusten führen, in der Regel für den Nichteingeweihten nicht durchschaubar sind (vgl. Senatsurteil vom 10. April 1990 - VI ZR 174/89 - VersR 1991, 1032). Im vorliegenden Fall bedurfte es der Kenntnis solcher Abläufe und Zusammenhänge indes nicht. Es geht hier nicht um eine Betrugshandlung im Zusammenhang mit dem Einsatz des Kapitals des Klägers an der Börse, vielmehr hat der Beklagte, wie sich aus dem Haftbefehl ergibt, nach einem vorgefaßten Plan die vereinnahmten Kundengelder erst gar nicht an der Börse eingesetzt.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben. Da der Klageanspruch bisher ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Delikts erörtert worden ist, war Gelegenheit zu geben zu prüfen, ob sich eine persönliche Haftung des Beklagten aus Vertrag oder vertragsähnlichem Verhältnis ergibt. Der Senat hat die Sache deshalb an das Berufungsgericht zurückverwiesen.