Bundesgerichtshof
Urt. v. 11.10.1991, Az.: V ZR 341/89
Zeugenbeweis; Wiederholung der Zeugenvernehmung; Zeugenaussage; Beschränkung auf ein Prozeßrechtsverhältnis; Teilurteil; Beweisthema; Verfahrensverstoß; Ermessen; Arglistige Täuschung; Vertreter; Unerlaubte Handlung; Schadensersatz; Ersatz der Mehraufwendungen
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 11.10.1991
- Aktenzeichen
- V ZR 341/89
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 14240
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DB 1992, 322 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1992, 411 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1992, 184 (amtl. Leitsatz)
- NJW-RR 1992, 253-254 (Volltext mit amtl. LS)
- SGb 1992, 73 (amtl. Leitsatz)
- WM 1992, 242-244 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1992, 147
Amtlicher Leitsatz
1. Ist in einem Rechtstreit gegen mehrere Beklagte ein Beweisthema für die Entscheidung gegen alle Beklagten gleichermaßen erheblich, darf die Wiederholung einer Zeugenvernehmung nicht auf ein Prozeßrechtsverhältnis beschränkt und gleichzeitig über das andere durch Teilurteil entschieden werden.
2. Entscheidet das Berufungsgericht in einem Rechtsstreit gegen mehrere Beklagte gegenüber einem von ihnen durch Teilurteil und ordnet es später in dem Verfahren gegen die anderen Beklagten zu einem auch für das Teilurteil erheblichen Beweisthema die Wiederholung einer Zeugenvernehmung an, ist revisionsrechtlich von einem Verstoß gegen § 398 auszugehen, wenn das Teilurteil nicht erkennen läßt, daß der Tatrichter vor dessen Erlaß von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat.
3. Hat der Vertreter des Verkäufers den Käufer durch arglistige Täuschung zum Vertragsschluß verleitet, kann der Käufer Ersatz der hierdurch verursachten Mehraufwendungen auch dann von dem Vertreter verlangen, wenn dieser nur aus unerlaubter Handlung haftet.
Tatbestand:
Durch notariellen Vertrag verkaufte die in den Vorinstanzen mit verklagte M. G. (im folgenden: Verkäuferin) ein Wohn- und Geschäftshaus an eine aus dem Kläger und dem Kaufmann B. bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die entsprechenden Verhandlungen hatte auf seiten der Verkäuferin der Beklagte geführt. In dem Vertrag heißt es:
"... Die Kostenmiete einschließlich aller Betriebskostenvorauszahlungen beträgt bei Vertragsabschluß pro qm Wohnfläche DM 7,48, für die Gewerbefläche DM 18,66. Die Wohnfläche beträgt 680,72 qm, die Gewerbefläche 144,77 qm. Die Wohn- und Gewerbeflächen wurden ermittelt nach Rohbaumaßen. Der Verkäufer hat kein Aufmaß vorgenommen, es sind folglich Abweichungen bis zu 7 % nach oben oder unten möglich, in diesem Rahmen übernimmt der Verkäufer keine Garantie für die vorstehenden Angaben."
Der Kläger verlangt aus abgetretenem Recht der Käuferin von der Verkäuferin und dem Beklagten Minderung des Kaufpreises bzw. Schadensersatz in Höhe eines Teilbetrages von 200.000 DM mit der Begründung, daß die Wohn- und Gewerbeflächen nicht das zugesicherte Maß hätten und sich die Bruttomiete ohne Kosten für Heizung und Wasser nicht auf die zugesicherten Beträge belaufe. Der Verkehrswert habe daher um 379.704,55 DM unter dem Kaufpreis gelegen.
Das Landgericht hat die Verkäuferin und den Beklagten zur Zahlung von 60.987,88 DM nebst Zinsen als Gesamtschuldner verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage gegen den Beklagten durch Teilurteil abgewiesen und die Klage gegen die Verkäuferin nach erneuter Zeugenvernehmung durch inzwischen rechtskräftiges Grundurteil für gerechtfertigt erklärt. Mit seiner gegen das Teilurteil gerichteten Revision verfolgt der Kläger seine Klage gegen den Beklagten weiter. Der Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, daß die Voraussetzungen eines Anspruchs gegen den als Vertreter der Verkäuferin aufgetretenen Beklagten aus Verschulden bei Vertragsabschluß nicht gegeben seien. Ein Anspruch aus unerlaubter Handlung scheide ebenfalls aus. Es sei nicht ersichtlich, daß dem Beklagten die tatsächlich vorhandenen Abweichungen von den zugesicherten Flächenmaßen bekannt gewesen seien. Auch eine arglistige Täuschung über die Mieteinkünfte lasse sich nicht feststellen. Wenn der Beklagte erklärt habe, von der im Vertragstext erwähnten "Kostenmiete" entfalle nur ein Betrag von 0,48 DM je qm auf umlagefähige Nebenkosten, so sei dies zwar unzutreffend, für den Abschluß des Kaufvertrages aber nicht ursächlich geworden. Der Vertragstext ergebe nämlich eindeutig, daß nicht nur die umlagefähigen Nebenkosten von 0,48 DM je qm, sondern jedenfalls auch Vorauszahlungen auf Heiz- und Wasserkosten in der zugesicherten "Kostenmiete einschl. aller Betriebskostenvorauszahlungen" enthalten seien. Im übrigen sei nicht dargetan, daß der Beklagte überhaupt über die genaue Zusammensetzung der im Vertrag erwähnten Beträge unterrichtet gewesen sei.
Dies hält der Revision nicht stand.
II. Das Berufungsurteil läßt allerdings insoweit keinen Rechts- oder Verfahrensfehler erkennen, als das Berufungsgericht einen Anspruch aus Verschulden bei Vertragsabschluß verneint.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes treffen die Verpflichtungen aus dem durch die Anbahnung von Vertragsverhandlungen eines Vertreters begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis grundsätzlich den Vertretenen und nur ausnahmsweise auch den Vertreter. Ein solcher Ausnahmefall ist dann gegeben, wenn der Vertreter in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch nimmt. Das Vertrauen muß über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehen, das bei der Anbahnung von Geschäftsbeziehungen immer gegeben ist. Eine Eigenhaftung kann z.B. dann begründet sein, wenn der Vertreter mit Hinweis auf seine außergewöhnliche Sachkunde oder seine besondere persönliche Zuverlässigkeit dem Verhandlungspartner eine zusätzliche, von ihm persönlich ausgehende Gewähr für das Gelingen des in Aussicht genommenen Geschäfts bietet (vgl. zuletzt etwa BGH, Urt. v. 17. Oktober 1989, XI ZR 173/88, NJW 1990, 506). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht gegeben. Der Hinweis des Beklagten, daß er zusammen mit der Verkäuferin auch für die evangelische Kirche arbeite und noch andere Objekte betreue, ist ebensowenig wie die Erklärung, daß die D.Bank ebenfalls an dem Objekt interessiert sei, geeignet, den Eindruck zu erwecken, daß er eine von ihm persönlich ausgehende Gewähr habe übernehmen wollen. Der Kläger hat insoweit selbst vorgetragen, der Beklagte habe sich damit (nur) als "unerfahrener biederer Handwerker" gerieren wollen.
Eine Eigenhaftung des Vertreters kommt ferner dann in Betracht, wenn er ein besonderes wirtschaftliches Interesse am Abschluß des Vertrages hat. Diese Voraussetzung liegt ebenfalls nicht vor, wie das Berufungsgericht fehlerfrei ausgeführt hat. Das bloß mittelbare Interesse des Beklagten daran, daß die Verkäuferin ein günstiges Geschäft abschließt, weil er von deren Einnahmen lebt, reicht ebenso wie das Provisionsinteresse eines Handelsvertreters, Prokuristen oder sonstigen Angestellten zur Begründung eines wirtschaftlichen Eigeninteresses nicht aus (BGH aaO.).
Das Berufungsurteil ist jedoch deswegen aufzuheben, weil die von der Revision erhobene Verfahrensrüge gegen die tatsächlichen Feststellungen insoweit durchgreift, als das Berufungsgericht auch einen deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder aus § 826 BGB verneint. Die zugrundeliegende Beweiswürdigung ist unvollständig. Sie läßt nicht erkennen, ob das Berufungsgericht sein Ermessen nach § 398 ZPO auch im vorliegenden Prozeßrechtsverhältnis und nicht nur in dem Verfahren gegen die Verkäuferin ausgeübt hat.
Hält das Berufungsgericht in einem Rechtsstreit gegen mehrere Beklagte eine Wiederholung der von dem Landgericht durchgeführten Zeugenvernehmung zu einem Beweisthema für erforderlich, das - wie hier - für die Entscheidung gegen alle Beklagte gleichermaßen von Bedeutung ist, darf es sie nicht auf ein Prozeßrechtsverhältnis beschränken und gleichzeitig über das andere vorab durch Teilurteil entscheiden. Ein solches Teilurteil wäre mangels Entscheidungsreife des erhobenen Anspruchs unzulässig. Denn die Beweise sind wegen der Einheitlichkeit des Verfahrens nur einmal zu erheben und einheitlich frei zu würdigen, so daß unterschiedliche Ergebnisse gegen einzelne Streitgenossen ausgeschlossen sind (Stein/Jonas/Leipold, ZPO 20. Aufl. § 61 Rdn. 10; Zöller/Vollkommer, ZPO 16. Aufl. § 61 Rdn. 5; AK-ZPO-Koch § 61 Rdn. 3).
Hält das Berufungsgericht eine Wiederholung der Beweisaufnahme dagegen nicht für erforderlich, sondern den Rechtsstreit gegenüber einem Beklagten für entscheidungsreif, muß das Teilurteil gemäß § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO wenigstens erkennen lassen, daß das Berufungsgericht die Frage, ob die Zeugen erneut zu vernehmen sind, geprüft hat. Ist das aus dem Urteil nicht ersichtlich, ist revisionsrechtlich anzunehmen, daß § 398 ZPO verletzt ist, wenn das Berufungsgericht die Wiederholung der Zeugenvernehmung in dem Verfahren gegen die anderen Beklagten später anordnet.
So liegt es hier.
Das Teilurteil geht aufgrund der landgerichtlichen Zeugenaussagen von einem bestimmten Inhalt der Verkaufsgespräche aus, ohne zur Richtigkeit der Aussagen Stellung zu nehmen und erkennen zu lassen, daß das Berufungsgericht die Möglichkeit einer Wiederholung der Zeugenvernehmung nach § 398 ZPOüberhaupt geprüft hat. Revisionsgerichtlich ist daher zu unterstellen, daß die Vorschrift verletzt ist.
Auf dieser Verletzung beruht das Urteil auch. Denn das Berufungsgericht legt seiner Entscheidung zugrunde, daß die zugesicherte Kostenmiete jedenfalls die Vorauszahlungen auf Heiz- und Wasserkosten einschließe, während es in dem Verfahren gegen die Verkäuferin nach einer Wiederholung der Zeugenvernehmung zur Feststellung gelangt ist, daß es sich bei der im Vertrag erwähnten "Kostenmiete einschließlich aller Betriebskostenvorauszahlungen" um eine "falsa demonstratio" für die Bruttomiete ohne Kosten und Vorauszahlungen für Heizung und Wasser handelt.
In dem Grundurteil kommt das Berufungsgericht ferner, wenn auch ohne entsprechende Feststellungen zur subjektiven Tatseite, zu dem Ergebnis, daß der Kläger über den Mietertrag arglistig getäuscht worden sei. Da der Beklagte die Verhandlungen geführt hat, muß sich dieser Vorwurf auch auf ihn erstrecken. Wenn das Berufungsgericht demgegenüber dazu in der angefochtenen Entscheidung eine Arglist mit der Begründung verneint, es sei nicht dargetan, daß er über die genaue Zusammensetzung der genannten Beträge unterrichtet gewesen sei, steht dies nicht nur im Widerspruch zu dem Grundurteil, sondern läßt auch nicht erkennen, daß hierbei die zu einer Erklärung "ins Blaue hinein" entwickelten Grundsätze (vgl. BGHZ 63, 386, 388 [BGH 21.01.1975 - VIII ZR 101/73]; Senatsurt. v. 16. März 1977, V ZR 283/75, NJW 1977, 1055 [BGH 16.03.1977 - VIII ZR 283/75]; BGH, Urt. v. 18. März 1981, VIII ZR 44/80, NJW 1981, 1441, 1442; v. 3. Dezember 1986, VIII ZR 345/85, WM 1987, 137, 138) beachtet wurden.
Nach alledem kann das Teilurteil nicht aufrechterhalten bleiben und muß die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung darüber zurückverwiesen werden, ob die Klage nicht jedenfalls wegen arglistiger Täuschung über die erzielten Mieteinkünfte aus unerlaubter Handlung begründet ist. Falls das Berufungsgericht aufgrund des weiteren Verfahrens insoweit eine deliktische Haftung des als Verhandlungsvertreter der Verkäuferin aufgetretenen Beklagten bejahen sollte, kann die - am Vertrag festhaltende - Käuferin den Betrag ersetzt verlangen, um den sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben des Beklagten über die Mieterträge das Wohn- und Geschäftshaus zu teuer erworben hat (Senatsurt. v. 20. März 1987, V ZR 27/86, NJW 1987, 2511, 2512; BGH, Urt. v. 27. September 1988, XI ZR 4/88, BGHR BGB § 249 - Vertrauensschaden 1). Denn insoweit hat für die Eigenhaftung des Vertreters aus unerlaubter Handlung nichts anderes zu gelten als für die aus derselben arglistigen Täuschung infolge deren Zurechnung für die Verkäuferin sich ergebende vertragliche Gewährleistungshaftung aus § 463 Satz 2 BGB oder für die quasi vertragliche Haftung aus culpa in contrahendo.