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Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.09.1991, Az.: 1 StR 401/91

Strafbefreiender Rücktritt vom Tötungsversuch; Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
10.09.1991
Aktenzeichen
1 StR 401/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 11829
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Weiden - 18.03.1991

Fundstelle

  • StV 1992, 62-63

Verfahrensgegenstand

Versuchter Totschlag u.a.

Prozessführer

Herbert W. aus W., dort geboren am ... 1953.

Amtlicher Leitsatz

Ein Rücktritt vom beendeten Versuch kommt auch dann in Betracht, wenn die Rettung des Opfers nicht auf das Tun des Angeklagten zurückzuführen ist, dieser aber sich freiwillig und ernsthaft um die Verhinderung der Tatvollendung bemüht hat.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 10. September 1991,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Maul als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ulsamer, Dr. Granderath, Dr. Brüning, Dr. Wahl als beisitzende Richter,
Staatsanwalt Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Weiden i.d. OPf. vom 18. März 1991

    1. a)

      im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte der Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist,

    2. b)

      im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  2. 2.

    Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung, begangen an seiner Ehefrau, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und ihr eine Entschädigung von 5.000 DM nebst Prozeßzinsen zugesprochen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs.

2

1.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags kann, wie auch der Generalbundesanwalt meint, nicht bestehen bleiben.

3

Allerdings nimmt die Strafkammer rechtsfehlerfrei an, daß der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, als er seiner auf der Fensterbank sitzenden Frau absichtlich einen Stoß in den Rücken versetzte, so daß sie aus dem Fenster auf eine 3,36 m tiefer liegende Betonplatte fiel und sich beim Aufprall erheblich verletzte. Das Landgericht hat jedoch, wie die Revision zu Recht rügt, übersehen, daß er von diesem Tötungsversuch mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 StGB).

4

Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch (die für die Rücktrittsmöglichkeit wesentlich ist) kommt es nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, ob der Täter nach Ausführung seiner Tathandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges - hier: des Todes der Ehefrau - für möglich hält; maßgebend ist also der "Rücktrittshorizont" des Täters (vgl. BGHSt 31, 170;  33, 295 [BGH 22.08.1985 - 4 StR 326/85];  35, 90;  BGH NStZ 1990, 30). Da sie die Rücktrittsfrage nicht erkannt hat, befaßt sich die Strafkammer nicht mit dieser Abgrenzung. Die Feststellungen des Landgerichts ergeben jedoch, daß der vom Angeklagten begangene Tötungsversuch beendet war; denn nach Begehung der geschilderten Gewalthandlung hielt er einen tödlichen Ausgang für möglich. In diesem Falle konnte er Straffreiheit dadurch erlangen, daß er durch geeignetes Tun die Vollendung der Tat verhinderte (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB) oder zumindest sich ernsthaft um die Erfolgsabwendung bemühte (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB).

5

Das Landgericht stellt fest, der Angeklagte habe das Fenster geschlossen und die Vorhänge zugezogen, nachdem seine Frau auf seinen Stoß hin aus dem Fenster gefallen war. Er sei erschrocken gewesen über seine Handlung und habe mit seinen Gästen erwogen, der Polizei gegenüber anzugeben, seine Frau sei selbst aus dem Fenster gesprungen, da sie Selbstmord habe begehen wollen. Der Angeklagte habe aber unmittelbar darauf die Polizei angerufen und um einen Rettungswagen gebeten. Er habe sich dann auch um seine Frau kümmern wollen, die nach wie vor auf der Betonplatte vor dem Hause lag. Nachbarn, die auf den Vorfall und die Verletzte aufmerksam geworden waren und unterdessen ebenfalls die Polizei verständigt hatten, hätten ihn jedoch nicht zu seiner Frau gelassen. Nach diesen Feststellungen ist der Angeklagte vom Totschlagsversuch jedenfalls dadurch strafbefreiend zurückgetreten, daß er sich freiwillig und ernsthaft um die Verhinderung der Tatvollendung bemühte: Selbst wenn die Rettung des Tatopfers nicht auf das Tun des Angeklagten zurückzuführen sein sollte, müßte sein Verhalten als freiwilliges und ernsthaftes Bemühen um Erfolgsabwendung gewertet werden (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 2 Bemühen 2 und 3).

6

Die Feststellungen des Landgerichts ergeben auch, daß der Angeklagte die Bemühungen zur Rettung seiner Frau freiwillig entfaltete. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend darlegt, steht der Umstand, daß die Tat in Gegenwart von Zeugen begangen wurde, also entdeckt war, als der Angeklagte einen Rettungswagen herbeirief, der Annahme nicht entgegen, er habe bei seinem Bemühen um Erfolgsabwendung freiwillig gehandelt (vgl. BGH, Urt. vom 13. Mai 1975 - 1 StR 152/75 - bei Dallinger MDR 1975, 724 sowie StV 1983, 413).

7

2.

Zwar hat das Landgericht das Rücktrittsproblem nicht gesehen. Dennoch hat es auch in dieser Hinsicht umfassende Feststellungen getroffen. Es ist nicht zu erwarten, daß in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden könnten, die einen Rücktritt vom Tötungsversuch entfallen lassen. Der Senat hat deshalb den Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte lediglich der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung schuldig ist (bis zu dem Stoß aus dem Fenster hatte er seine Frau in der ehelichen Wohnung, die sie verlassen wollte, eingesperrt).

8

In diesem Zusammenhang bemerkt der Senat: Der Auffassung des Landgerichts, es bestehe Tateinheit (§ 52 StGB) zwischen dem Versuch eines Tötungsverbrechens und der durch diese Tat begangenen gefährlichen Körperverletzung, könnte nicht gefolgt werden (vgl. BGHSt 21, 265 sowie BGHR StGB § 223 a Konkurrenzen 2).

9

3.

Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge.

10

Die Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld weist keinen Rechtsfehler auf und bleibt deshalb bestehen.

11

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an eine allgemeine (nach § 74 Abs. 1 GVG zuständige) Strafkammer zurückverwiesen, weil der Vorwurf eines versuchten Tötungsverbrechens entfallen ist.

Maul
Ulsamer
Granderath
Brüning
Wahl