Bundesgerichtshof
Urt. v. 22.02.1991, Az.: 1 StR 44/91
Waffenrecht; Veranstaltung; Veranstaltung iSd Waffenrechts
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 22.02.1991
- Aktenzeichen
- 1 StR 44/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 11990
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHSt 37, 330 - 332
- MDR 1991, 785-786 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1991, 2715 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1991, 340 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1992, 287 (amtl. Leitsatz mit Anm.)
- NVwZ 1991, 1120 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Veranstaltungen i. S. des § 39 I WaffG sind planmäßige, zeitlich eingegrenzte, aus dem Alltag herausgehobene Ereignisse.
Gründe
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie wegen Führens von Waffen bei öffentlichen Veranstaltungen zu Einzelstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten sowie fünf Monaten verurteilt und hieraus unter Einbeziehung einer weiteren Freiheitsstrafe von sechs Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet. Wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis hat die Strafkammer den Angeklagten zu einer weiteren Strafe von drei Monaten verurteilt und eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr festgesetzt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg.
II. Soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt wurde, läßt das Urteil Rechtsfehler nicht erkennen. Auch die verhängten Einzelstrafen sowie die Maßregel sind rechtsfehlerfrei. Insoweit ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
III. 1. Hingegen kann die Verurteilung wegen Führens von Waffen bei öffentlichen Veranstaltungen keinen Bestand haben. Nach den Feststellungen der Strafkammer führte der Angeklagte am 26. April 1989 in der öffentlichen Spielhalle (Casino MC Royal) in Nürnberg in einem Schulterhalfter einen mit fünf Platzpatronen geladenen Revolver mit dem Prüfzeichen der physikalisch-technischen Bundesanstalt sowie zwei Knallkörper mit einem dazu passenden Abschußbecher mit sich. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines Vergehend nach § 53 Abs. 3 Nr. 5 i. V. m. § 39 Abs. 1 WaffG nicht.
2. Der vom Angeklagten mitgeführte Schreckschußrevolver steht einer Schußwaffe gleich (§ 1 Abs. 2 WaffG). Diese Vorschrift erfaßt insbesondere auch Geräte zum Abschießen von Platzpatronen (Kartuschenmunition) und von pyrotechnischer Munition (vgl. WaffwV Nr. 1.2.1; Hinze, Waffen und Waffenrecht, 2. Aufl. S. 6; Steindorf in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, WaffG § 1 Anm. 4).
Jedoch handelt es sich bei dem Besuch der Spielhalle nicht um die Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung i.S. des § 39 Abs. 1 WaffG. Der Umstand, daß die Spielhalle jedermann - von möglichen Altersbeschränkungen abgesehen - zugänglich war, erfüllt nicht dieses Tatbestandsmerkmal. Die schlichte "Öffentlichkeit" eines Ereignisses reicht nicht aus, das nach § 35 Abs. 1 oder Abs. 4 WaffG erlaubte Waffentragen zu einem unerlaubten zu machen. Diese Bestimmungen gestatten, sofern ihre Voraussetzungen vorliegen, das Waffentragen in der Öffentlichkeit, auch wenn größere Menschenansammlungen (z.B. Bahnhof, öffentliche Verkehrsmittel, Kaufhaus, Tierpark) anzutreffen sind. § 39 Abs. 1 WaffG schränkt, ebenso wie § 2 Abs. 3 VersammlG, diese allgemein erteilte Erlaubnis ein. Nach der Absicht des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 6/2678, S. 33) soll das Verbot des § 39 Abs. 1 WaffG solche Zusammenkünfte - beispielsweise zum Zwecke des Vergnügens, der Unterhaltung, des Kunstgenusses, der wirtschaftlichen Werbung erfassen, welche nicht unter § 2 Abs. 3 VersammlG (öffentliche Versammlungen oder Aufzüge) fallen, bei denen aber ähnliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestehen (vgl. WaffVwV Nr. 39.1). Der in § 39 Abs. 1 WaffG verwendete Begriff der öffentlichen Veranstaltung liegt im Grenzbereich der Versammlung einerseits, der bloßen zufälligen Menschenansammlung andererseits. "Veranstalten", etymologisch "ins Werk setzen", "herrichten" (Grimm, Deutsches Wörterbuch) bezieht sich auf ein bestimmtes "ausgerichtetes" Ereignis, dieses hat "Teilnehmer" oder "Besucher" sowie regelmäßig einen "Veranstalter" und hebt sich ab von alltäglichen Vorgängen, Ereignissen und ständig zur Benutzung vorhandenen Einrichtungen und Lokalitäten.
Öffentliche Veranstaltungen i.S. des § 39 Abs. 1 WaffG sind demnach planmäßige, zeitlich eingegrenzte, aus dem Alltag herausgehobene Ereignisse, welche nicht nach der Zahl der anwesenden Personen, sondern nach ihrem außeralltäglichen Charakter und jeweils spezifischen Zweck vom bloßen gemeinsamen Verweilen an einem Ort abgegrenzt und in der Regel jedermann zugänglich sind, auf einer besonderen Veranlassung beruhen und regelmäßig ein Ablaufprogramm haben. Nach Ansicht des Gesetzgebers treten bei solchen besonderen, außeralltäglichen Ereignissen durch das Führen von Waffen Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf, welche über die normalen, vom Waffenführen in der Öffentlichkeit ausgehenden Gefahren hinausreichen.
Eine örtliche und zeitliche Begrenztheit des einem bestimmten Zweck dienenden Ereignisses ist erforderlich, um den Begriff der "Veranstaltung" nicht uferlos auszudehnen. Dauerhafte Vergnügungen etwa, welche, wie Vergnügungsparks, Tiergärten etc., den Charakter besonderer Ereignisse verloren haben und zu festen Dauereinrichtungen sowohl in örtlicher wie in zeitlicher Hinsicht geworden sind, fallen daher nicht unter den Begriff der Veranstaltung im Sinne des § 39 Abs. 1 WaffG; andererseits sind etwa Volksfeste oder Sportveranstaltungen, solange sie sich innerhalb eines eingegrenzten Rahmens halten, auch dann erfaßt, wenn ihre zeitliche Dauer sich über mehrere Tage oder Wochen erstreckt und die Teilnehmer oder Besucher vielfach wechseln.
Bei Gast- und Unterhaltungsstätten ist zu unterscheiden: Der - jeweils nach Örtlichkeit und Besucherzielgruppe im Einzelfall zu bestimmende - normale Betrieb einer derartigen Lokalität ist keine Veranstaltung. Dagegen können unter § 39 Abs. 1 WaffG beispielsweise Tanzveranstaltungen fallen, welche als besonderes, herausgehobenes Ereignis in einer Gaststätte stattfinden, nicht aber der normale Betrieb einer Diskothek. Dort wiederum können "Veranstaltungen" stattfinden, wenn es sich um besonders veranlaßte, zeitlich abgegrenzte Ereignisse handelt, so z.B. der Auftritt von "live" spielenden Musikern oder eine "Miß-Wahl". Auf die Anzahl der jeweils anwesenden Personen kommt es hierbei nicht an; die gesetzliche Differenzierung zwischen "Öffentlichkeit" und "Veranstaltung" knüpft nicht an die Personenzahl von Menschenansammlungen, sondern an die spezifische Stimmung bei außeralltäglichen Ereignissen an, welche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in sich birgt.
Nach den dargestellten Abgrenzungsgesichtspunkten hat der Angekl. keine Veranstaltung im Sinne des § 39 Abs. 1 WaffG besucht. Eine Spielhalle ist, wie jede Gaststätte, schlicht öffentlich. Das Führen des Schreckschußrevolvers war daher weder nach § 35 WaffG erlaubnispflichtig (§ 35 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 22 WaffG) noch durch § 39 Abs. 1 WaffG verboten.
Da weitere tatsächliche Feststellungen zum Sachverhalt ausgeschlossen erscheinen, hatte das Revisionsgericht selbst in der Sache zu entscheiden und den Angeklagten vom Vorwurf eines Vergehens nach § 53 Abs. 3 Nr. 5 WaffG freizusprechen (§ 354 Abs. 1 StPO). Auch die aus der verbleibenden Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie der einzubeziehenden Strafe von sechs Monaten neu zu bildende Gesamtstrafe konnte der Senat selbst verhängen. Dabei war davon auszugehen, daß der Tatrichter keine niedrigere Gesamtstrafe verhängt hätte, als sie sich durch den Abzug der wegen Vergehens gegen das Waffengesetz verhängten Einzelstrafe von fünf Monaten von der ursprünglich ausgesprochenen Gesamtstrafe ergibt.