Bundesgerichtshof
Urt. v. 15.01.1991, Az.: 5 StR 492/90
Mittäterschaft; Mord in Mittäterschaft; Mitwirkung; Aufgabe der Mitwirkung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 15.01.1991
- Aktenzeichen
- 5 StR 492/90
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 11889
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHSt 37, 289 - 294
- JR 1991, 205-206 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- JZ 1991, 890-891 (Volltext mit amtl. LS)
- JuS 1992, 197-201 (Urteilsbesprechung von WissMit. Dr. Volker Erb)
- NJW 1991, 1068-1069 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1991, 280-281 (Volltext mit amtl. LS)
- StV 1993, 410-411
Amtlicher Leitsatz
Zum Mord in Mittäterschaft, insbesondere wenn einer der Tatgenossen während der Tatausführung seine Mitwirkung aufgibt.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchtem Mord in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Sie hat keinen Erfolg.
I. Der Angeklagte war zwei Monate vor der Tat aus einem Hafturlaub nicht in die Justizvollzugsanstalt zurückgekehrt. Hierzu war von D. überredet wurde, der schon jahrelang aus dem gleichen Grunde von der Polizei gesucht wurde. D. plante u.a. ein größeres Rauschgiftgeschäft, für das er den Angeklagten gewinnen wollte. Er nahm den Angeklagten bei sich auf, "stattet ihm mit 20.000 DM aus" und übergab ihm einen Revolver, den dieser fortan ständig führte. Ein im Jahre 1985 gestohlenes Kraftfahrzeug ließ D. "fast kriegsmäßig" ausstatten. Er war entschlossen, zur Abwendung seiner Verhaftung seine Schußwaffe einzusetzen, notfalls auch Polizeibeamte zu töten. Er ging, wie der Angeklagte wußte, davon aus, der Angeklagte werde in einer solchen Situation "genauso rücksichtslos und zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz von der Waffe Gebrauch machen wie er selbst, so daß sie sich gegenseitig Unterstützung und Schützenhilfe geben würden, um sich auf jeden Fall der Verhaftung zu entziehen". Nähere Feststellungen über den Zeitpunkt und die konkreten Umstände einer solchen Verabredung konnte das Schwurgericht nicht treffen. Jedenfalls entschlossen sich der Angeklagte und D., im Falle drohender Verhaftung von ihren Schußwaffen Gebrauch zu machen, um sich die Flucht unter billigender Inkaufnahme der Tötung von Polizeibeamten freizuschießen.
Am 22. Oktober 1987 gegen 18.30 Uhr wurden D. und der Angeklagte auf der Straße von zwei Polizeibeamten in Zivil aufgefordert, sich auszuweisen. Der Angeklagte hatte schon vorher bemerkt, daß dem von einem anderen Gruppenmitglied gefahrenen Fahrzeug D. ein ziviles Polizeifahrzeug gefolgt war, und hatte D. darauf aufmerksam gemacht. Als sie angesprochen wurden, wußten beide, daß sie Polizeibeamte vor sich hatten. Zwei weitere Polizeibeamte standen mit gezogenen Dienstwaffen in der Nähe. Einer hatte die Waffe auf den Angeklagten gerichtet, nachdem der kontrollierende Beamte etwas zur Seite getreten war. Der Angeklagte zog seine Waffe nicht. D. erschoß zunächst den vor dem Angeklagten stehenden Beamten, um sich der Festnahme zu entziehen. "Der Angeklagte erhob sofort beide Arme zum Zeichen der Aufgabe und ließ sich dann in dieser Stellung rückwärts gegen die Hecke fallen, rutschte daran herunter und blieb schließlich mit angewinkelten Armen auf dem Bürgersteig neben der Hecke liegen". Sodann erschoß D. den anderen herangetretenen Polizeibeamten, um zu verhindern, daß er und der Angeklagte festgenommen wurden. Nun sprang der Angeklagte auf; er lief weg. D. bemerkte "das Sich-fallen-lassen und Weglaufen des Angeklagten" nicht, wähnte ihn vielmehr noch in unmittelbarer Nähe. Er gab auf die beiden überlebenden Beamten nacheinander mit direktem Tötungsvorsatz Schüsse ab, die nicht trafen. Sodann entfernte er sich. Er traf den Angeklagten und fragte ihn, warum er nicht geschossen habe. Der Angeklagte erwiderte: "Du, der stand vor mir mit gezogener Waffe, ich habe tierische Angst gehabt. Ich schieße nicht." Auf Verlangen D.'s, der seine Munition verschossen hatte, gab der Angeklagte ihm seinen Ladestreifen. Am nächsten Tage ließen sich D. und der Angeklagte, von der Polizei überrascht, widerstandslos verhaften. Beide trugen wieder geladene Revolver bei sich.
II. Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Die Feststellungen tragen die Annahme des Tatrichters, daß der Angeklagte Mittäter eines aus niedrigen Beweggründen begangenen Mordes ist. Der Angeklagte hat gemeinschaftlich (§ 25 Abs. 2 StGB) mit D. gehandelt. Er hat nicht nur fremdes Tun gefördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat eingefügt, daß sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint (BGHSt 6, 248, 249 [BGH 08.07.1954 - 4 StR 350/54]; 8, 393, 396; BGH NJW 1951,410; 1985,1035; BGH StV 1985,106,107; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatherrschaft 3, 4 und Mittäter 2). Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfaßt sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (BGH JR 1955,304,305; BGH NStZ 1984,413; BGH GA 1984,287).
D. und der Angeklagte waren übereingekommen, sich gegenseitig "Unterstützung und Schützenhilfe" zu geben, um sich auf jeden Fall der Verhaftung zu entziehen. Zu dem gemeinsamen Tatplan hatte der Beschwerdeführer einen wesentlichen Beitrag geleistet, indem er D. die Sicherheit gab, bei einer Konfrontation mit der Polizei nicht alleine zu stehen, sondern einen Schicksalsgenossen zur Seite zu haben, der in gleicher Weise wie er bereit war, notfalls durch Erschießung von Polizeibeamten die Festnahme zu verhindern. Die "Schützenhilfe" sollte jeweils auch dem Schutz des anderen dienen.
a) Der zur Mittäterschaft erforderliche gemeinsame Tatentschluß kann durch ausdrückliche oder auch durch konkludente Handlungen gefaßt werden. Zwar konnte das Schwurgericht eine wörtliche Verständigung zwischen dem Angeklagten und D., im Falle einer drohenden Festnahme Schußwaffen einzusetzen, nicht feststellen. Die im Urteil mitgeteilten Umstände - das gezielte Anwerben des Angeklagten durch D. zur Durchführung von D. geplanter schwerer Straftaten mit einem "fast kriegsmäßig ausgestattetem" PKW, die Bewaffnung des Angeklagten, die Schenkung von 20.000 DM und seine besondere, mit D. gleichberechtigte Stellung in der Gruppe - tragen aber die Annahme des Tatrichters, daß zumindest ein konkludent vereinbarter gemeinschaftlicher Tatplan vorhanden war, der hier angesichts der von beiden bemerkten Observation konkretisiert wurde. Der Angeklagte hat in diesem Augenblick deutlich gemacht, daß er an der Verständigung, zum eigenen Schutze und zum Schutze des jeweils anderen zu schießen, festhalten wollte. D. hat sich auch im Rahmen dieser Verständigung gehalten. Daß er als erster schoß, war eine Konkretisierung des gemeinschaftlichen Entschlusses, die sich noch im Rahmen der erzielten Verständigung hielt. Die Annahme des Tatrichters, daß die Gegenwart des Angeklagten bei und unmittelbar vor diesem Tatgeschehen diesem den notwendigen Anteil an der Tatherrschaft gab, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
b) Die gemeinschaftliche Ausführung der Tat setzt nicht voraus, daß jeder Mittäter selbst ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal verwirklicht hat; es genügt aber nach ständiger Rechtsprechung eine andere Mitwirkung, zu der auch eine Vorbereitungshandlung gehört, durch die der Mittäter den tatausführenden Genossen in dessen Tatentschluß bestärkt (BGHSt 11,268,272; BGH NStZ 1984,413; BGH StV 1986,384). Das hat das Schwurgericht mit der Feststellung der konkludenten Verabredung des Waffengebrauchs zur Verhinderung drohender Festnahme und der Gefahrengemeinschaft zwischen dem Angeklagten und D. hinreichend begründet.
c) Auch die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe die Tat als eigene gewollt und sie damit als Mittäter - und nicht nur als Gehilfe - gefördert, ist nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen hatte er die Tatherrschaft. Jedenfalls vor dem ersten tödlichen Schuß hat er, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, "seine psychische Unterstützung durch seine Präsenz als solche und das ständige Tragen einer Schußwaffe" nicht aufgegeben, obwohl der die Polizeibeamten beim Aussteigen aus ihren Fahrzeugen erkannt hatte und D. noch hätte auffordern können, entgegen der Abrede nicht zu schießen. Dabei handelte er aus eigenem Interesse am Taterfolg, da er wie D. "auf der Flucht" und "daran interessiert" war, freizubleiben, um nicht eine erhebliche Haftstrafe verbüßen zu müssen.
d) Zutreffend hat das Schwurgericht dem Angeklagten nicht nur den ersten tödlichen Schuß, sondern auch die weiteren Schüsse zugerechnet. Zwar läßt sich den Feststellungen des Urteils nicht entnehmen, ob der Angeklagte die Hände erhoben hat, um D. zu zeigen, daß er weitere Schüsse nicht mehr wolle, oder ob er nur dem auf ihn zielenden Polizeibeamten seine Aufgabe signalisieren wollte, um Schüsse auf sich selbst zu vermeiden. Dies kann hier aber auch dahingestellt bleiben. Selbst wenn der Angeklagte nach der Abgabe des ersten Schusses mit den weiteren nicht mehr einverstanden gewesen sein sollte, wäre diese Sinnesänderung hier ohne Bedeutung, weil seine vor den Schüssen geleisteten - die Mittäterschaft begründenden - Beiträge während des gesamten Tatgeschehens fortwirkten. Im Rahmen der wertenden Betrachtung des Verhältnisses des Angeklagten zum Tatgeschehen wäre sein Aufgeben nur dann rechtlich erheblich gewesen, wenn es D. bekannt geworden wäre. Nur dann wäre es geeignet gewesen, einen Einfluß auf das weitere Handeln des D. zu nehmen (vgl. BGHSt 28,346,347 [BGH 13.03.1979 - 1 StR 739/78]; BGHR § 25 Abs. 2 Tatherrschaft 1). Den Feststellungen des Urteils ist zu entnehmen, daß D. das Aufgeben des Angeklagten nicht zur Kenntnis genommen hat. D. bemerkte weder das sich unmittelbar anschließende Sichfallen-lassen, noch das Weglaufen des Angeklagten. Er "wähnte ihn" bis zu den letzten Schüssen "in unmittelbarer Nähe". Diese Feststellung kann nur dahin verstanden werden, daß er sich bis zum Schluß des Tatgeschehens vom Angeklagten gedeckt fühlte.