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Bundesgerichtshof
Urt. v. 08.05.1990, Az.: VI ZR 321/89

Grundsätze zur gesetzlichen Vertretung; Gewillkürte Vertretung; Vertretungsbefugnis; Vertretungsmangel; Grundsatzübertragung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
08.05.1990
Aktenzeichen
VI ZR 321/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 13883
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHZ 111, 219 - 223
  • MDR 1990, 910-911 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1990, 3152-3153 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1990, 993-994 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Die von der Rechtsprechung zur gesetzlichen Vertretung entwickelten Grundsätze, nach denen bei vorinstanzlichem Streit über die Vertretungsbefugnis die betroffene Partei durch den "Vertreter" auch dann, wenn ein Mangel in der gesetzlichen Vertretung vorliegt, Rechtsmittel einlegen kann, können für die gewillkürte Vertretung nicht zur Anwendung kommen (Ergänzung zu BGHZ 40, 197).

Tatbestand:

1

Die Klägerin, Trägerin der Städtischen Krankenanstalten in E., nimmt den Beklagten auf Bezahlung der Kosten für dessen stationären Krankenhausaufenthalt im Jahre 1987 in Höhe von 5.819,01 DM in Anspruch.

2

Der von der Klägerin über den genannten Betrag nebst Zinsen beantragte und am 25. April 1988 gegen den Beklagten erlassene Mahnbescheid gelangte an das Amtsgericht mit dem Vermerk des Postamts N. vom 29. April 1988 zurück, der Empfänger sei geh- und schreibunfähig (gelähmt), die Ehefrau verstorben, daher eine Abholung am Schalter nicht möglich. Nachdem Rechtsanwalt Dr. N. sich mit Schriftsatz vom 2. Mai 1988 für den Beklagten bestellt hatte, wurde am 25. Mai 1988 die Zustellung des Mahnbescheids - diesmal an Rechtsanwalt Dr. N. - erneut verfügt. Mit Schriftsatz vom 7. Juni 1988 reichte Rechtsanwalt Dr. N. das von ihm unterzeichnete Empfangsbekenntnis mit dem Hinweis zu den Akten, vom Beklagten nicht zum Zwecke der Zustellung des Mahnbescheids, sondern lediglich zur Klärung der Frage bevollmächtigt worden zu sein, welche Zustellungen durch Niederlegung bei der Post erfolgt seien. Keinesfalls bestehe Prozeßvollmacht für das gerichtliche Mahnverfahren. Nur vorsorglich lege er, da die Zustellung an ihn erfolgt sei, Widerspruch gegen den Mahnbescheid ein.

3

Nach Abgabe des Rechtsstreits an das Landgericht gemäß § 696 Abs. 3 ZPO hat die Klägerin den Anspruch begründet. Begründung und Terminsladung wurden Rechtsanwalt Dr. N. am 24. August 1988 zugestellt, der weiterhin das Fehlen einer wirksamen Klagezustellung rügte. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die durch Rechtsanwalt Dr. N. fristgerecht eingelegte Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage als unzulässig.

Entscheidungsgründe

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I. Das Berufungsgericht legt zugrunde, daß Rechtsanwalt Dr. N. nach seinem eigenen Vortrag zu keinem Zeitpunkt Prozeßvollmacht erteilt worden sei. Deshalb sei die Berufung des Beklagten unzulässig. Die vorliegende Sache sei nicht mit den Fällen zu vergleichen, in denen, weil jemand als vermeintlicher Vertreter oder in Verkennung der fehlenden Parteifähigkeit vor Gericht gezogen worden sei, die Zulässigkeit des Rechtsmittels des in Anspruch Genommenen ausnahmsweise bejaht worden sei. Hier sei es nur darum gegangen, ob der Anwalt des Beklagten diesen wirksam bei der Rechtsmitteleinlegung habe vertreten können. Dies sei wegen der fehlenden Prozeßvollmacht zu verneinen.

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II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.

6

1. Die Revision ist der Auffassung, daß im vorliegenden Fall für die Frage der Zulässigkeit der von Rechtsanwalt Dr. N. eingelegten Berufung die Grundsätze der Rechtsprechung bei Streit über die gesetzliche Vertretung der Partei zur Anwendung kommen. Danach kann in Fällen, in denen die gesetzliche Vertretung der Partei in Frage steht, von der betroffenen Partei, ggfls. vertreten durch denjenigen, um dessen gesetzliche Befugnis dazu gestritten wird, gegen ein diesen Streit entscheidendes Urteil Rechtsmittel zu dem Zweck eingelegt werden, den Streit über die ordnungsgemäße Vertretung auch im Rechtsmittelverfahren zum Austrag zu bringen (RGZ 86, 340, 342; BGHZ 40, 197, 199). Entgegen der Ansicht der Revision ist dem Berufungsgericht darin zu folgen, daß diese Möglichkeit, den Rechtsstreit trotz des Mangels in der Vertretung auch im Rechtsmittelverfahren fortzusetzen, auf die Fälle der gesetzlichen Vertretung beschränkt bleiben muß; die hierfür maßgeblichen Rechtsgrundsätze können dann nicht zur Anwendung kommen, wenn es um einen Mangel der gewillkürten Vertretung einer Partei im Prozeß geht, mag diese auch - wie im vorliegenden Fall - von Anfang an streitig sein.

7

Grundsätzlich ist nach der Zivilprozeßordnung im Fall der Vertretung einer Partei im Prozeß die wirksame Prozeßvollmacht Prozeßhandlungsvoraussetzung (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 48. Aufl., Übers. § 78 Anm. 1; Grundz. § 253 Anm. 3 B.). Liegt sie bei der Einlegung eines Rechtsmittels nicht vor, so ist dieses als unzulässig zu verwerfen (BGHZ 40, 197, 198; Rosenberg/Schwab, ZPO, 14. Aufl., § 55 II 2). Von dem Grundsatz, daß die Prozeßhandlungsvoraussetzung zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels erfüllt sein muß, hat die Rechtsprechung, wie erwähnt, eine Ausnahme dann zugelassen, wenn die gesetzliche Vertretung schon in der Vorinstanz in Streit steht (RGZ 86, 340, 342; BGHZ 40, 197, 198). Die hierfür maßgeblichen Erwägungen treffen jedoch dann nicht zu, wenn es um die gewillkürte Vertretung im Prozeß geht:

8

a) Würde beim Streit über die gesetzliche Vertretung für die betroffene Partei das Rechtsmittel allein deshalb nicht zugelassen, weil das Rechtsmittelgericht die Vertretungsbefugnis anders beurteilt als das Vordergericht, dann bliebe das an demselben prozessualen Mangel leidende Urteil der Vorinstanz letztlich gerade wegen dieses Mangels aufrechterhalten (vgl. BGHZ 40, 197, 199; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 56 Rdn. 16 und § 88 Rdn. 17; Zöller/Schneider, ZPO, 15. Aufl., § 88 Rdn. 6; Rosenberg/Schwab aaO). Damit erlangte ein fehlerhaftes Urteil Rechtskraft, ohne daß sich die betroffene Partei hiergegen aussichtsreich hätte wehren können. Sie befindet sich in diesem Streit über die Wirksamkeit der gesetzlichen Vertretung in einer Konfliktlage, die sie - bei der gegebenen prozessualen Situation - nicht ohne unvertretbares Risiko bewältigen kann. Denn wollte die Partei für die Einlegung des Rechtsmittels dem in der Vorinstanz festgestellten prozessualen Mangel begegnen, indem sie sich durch den vom Vordergericht als zur Prozeßvertretung befugt Angesehenen vertreten läßt, dann liefe sie, wenn das Rechtsmittelgericht nun eine vom Vordergericht abweichende Auffassung vertritt, Gefahr, daß das Rechtsmittel als unzulässig verworfen wird. Umgekehrt muß die Partei, hält sie für die Rechtsmitteleinlegung an ihrer Rechtsauffassung fest, gewärtigen, daß das Rechtsmittelgericht die Rechtsansicht des Vordergerichts teilt und aus diesem Grund das von der Partei durch einen dazu nicht Befugten eingelegte Rechtsmittel als unzulässig verwirft. Die dadurch gekennzeichnete Konfliktsituation mit einem für die betroffene Partei nicht abwägbaren Risiko gebietet es, ihr die Möglichkeit einzuräumen, die Streitfrage auch in der Rechtsmittelinstanz auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung über die Vertretungsbefugnis zum Austrag zu bringen. Dies ist der Weg - soll sie nicht auf die Möglichkeit der Erhebung der Nichtigkeitsklage nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO verwiesen werden -, prozessual ein sachgerechtes Urteil herbeizuführen (BGHZ 40, 197, 199).

9

b) Eine solche nicht zumutbare Konfliktsituation liegt im Fall des Streits über die Wirksamkeit einer gewillkürten Vertretung im Prozeß, um den es hier geht, hingegen nicht vor. Das wird von der Revision wie auch vom Schrifttum und unter Berufung auf dieses vom OLG Saarbrücken (NJW 1970, 1464, 1465) und OLG Köln (MDR 1982, 239) übersehen, soweit sie die Rechtsgrundsätze zur gesetzlichen Vertretung auch auf den Streit über eine gewillkürte Vertretung im Prozeß zur Anwendung bringen wollen (AK/Christian, ZPO, § 88 Rdn. 9; Rosenberg/Schwab aaO unter Hinweis auf BGHZ 40, 197 in Fn. 6; Stein/Jonas/Leipold aaO § 88 Rdn. 14; Zöller/Schneider aaO § 88 Rdn. 17). Bei der gewillkürten Vertretung hat die Partei es in der Hand, durch (anderweite oder ggfls. nochmalige) Erteilung einer ordnungsgemäßen Prozeßvollmacht den Streit darüber, ob eine wirksam erteilte Vollmacht vorgelegen hat, für die Rechtsmittelinstanz von vornherein auszuräumen, ohne insoweit ein Risiko über die Zulässigkeit des Rechtsmittels einzugehen.

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Eben weil dieser Weg für die betroffene Partei möglich und auch zumutbar ist, fehlt es bei der gewillkürten Vertretung der Partei im Prozeß an der Notwendigkeit, die für den Streit über die wirksame gesetzliche Vertretung entwickelten Rechtsgrundsätze, die dort zur Erzielung eines sachgerechten Ergebnisses erforderlich sind, auch hier zur Anwendung kommen zu lassen. Eine Partei, die im Anwaltsprozeß nach ihrer Auffassung mangels wirksamer Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten zu Unrecht durch ein Urteil beschwert ist, befindet sich für die Beseitigung dieser Beschwer in keiner anderen Lage, als gegenüber einem aus anderen Gründen fehlerhaften Urteil, das sie nur durch einen von ihr ordnungsgemäß bestellten Prozeßbevollmächtigten zur Nachprüfung stellen kann.

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Auch im vorliegenden Fall bedurfte es daher für die Einlegung der Berufung einer wirksamen Vollmachterteilung nach §§ 78 Abs. 1, 88 ZPO. Da der für den Beklagten auftretende Rechtsanwalt Dr. N. nach seinem eigenen Vortrag zu keinem Zeitpunkt - mithin auch nicht für die Berufungseinlegung - Prozeßvollmacht besessen hat, hat das Berufungsgericht die Berufung zurecht als unzulässig verworfen (§ 519 b Abs. 1 ZPO).