Bundesgerichtshof
Urt. v. 17.04.1990, Az.: VI ZR 244/89
Versicherungsrechtliche Zuordnung eins Unfalls
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 17.04.1990
- Aktenzeichen
- VI ZR 244/89
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1990, 14110
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- Hamm
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BB 1990, 1094 (amtl. Leitsatz)
- DAR 1990, 262-263 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1991, 38-39 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1990, 1050-1051 (Volltext mit amtl. LS)
- NZV 1990, 428 (amtl. Leitsatz)
- SGb 1990, 417 (amtl. Leitsatz)
- SGb 1992, 51 (Kurzinformation)
- VersR 1990, 994-995 (Volltext mit amtl. LS)
Redaktioneller Leitsatz
Versicherungsrechtliche Zuordnung eins Unfalls zum Stammbetrieb des Lkw-Fahrers, wenn dieser, beim Versuch einen Wagenheber unter dem auf sein Bitten durch einen Abschlebkrahn angehobenen Lkw zu befestigen, verunglückt.
Tatbestand:
Der Kläger verlangt Schadensersatz aus einem Unfall, der sich in der Nacht zum 24. Februar 1986 bei der Bergung eines Lastzuges ereignet hat.
Der vom Kläger gesteuerte, aus einem LKW mit Anhänger bestehende Lastzug war gegen 24.00 Uhr mit einem Reifenschaden am rechten Vorderrad des Zugwagens auf der Autobahn liegen geblieben und mußte abgeschleppt werden. Die von der Autobahnpolizei benachrichtigte Zweitbeklagte, die ein Bergungs- und Abschleppunternehmen betreibt, entsandte zwei Mitarbeiter mit einem bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten Abschleppkran. Dieser hob den mit Steinen beladenen LKW, der ein vorderes Achsgewicht von etwa 6 t aufwies, über den Kranausleger mit einer Hebekette und einem Abschlepphaken vorne hoch und schleppte das mittels einer Stange mit dem Kranwagen fest verbundene Fahrzeug sodann über ca. 7 km zum Betriebshof der Zweitbeklagten an den vorgesehenen Standplatz. Dort angekommen, fragte der Kläger den Fahrer D. des Abschleppkrans, ob er den LKW noch weiter anheben könne, damit er (der Kläger) einen Wagenheber unterstellen könne; er wollte am nächsten Morgen das Rad wechseln. Während D. den LKW höher zog, legte sich der Kläger mit dem Wagenheber vor dem rechten Vorderrad des Fahrzeugs unter das Führerhaus. Nachdem er dort den Wagenheber untergestellt hatte, brach die Lastöse des Auslegers des Schleppkrans, so daß der LKW herabstürzte. Der Kläger wurde am rechten Oberschenkel schwer verletzt; wegen seiner darauf beruhenden Beschwerden arbeitet er nicht mehr als Kraftfahrer. Der Unfall wurde von der zuständigen Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall des Klägers in seinem Stammbetrieb anerkannt.
Der Kläger hat von den Beklagten den Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens verlangt sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche Zukunftsschäden begehrt. Das Landgericht hat unter Abweisung im übrigen der Klage bezüglich des materiellen Schadens aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers zu 20 % stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufungen beider Parteien unter Abweisung der weitergehenden Ansprüche dem Kläger lediglich die Hälfte seines auf 180 DM geschätzten Kleiderschadens nebst Zinsen zugesprochen und festgestellt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, dem Kläger allen weiteren Sachschaden aus dem Unfall zu 50 % zu ersetzen.
Die vom Kläger hiergegen eingelegte Revision, mit der er seine Ansprüche in vollem Umfang aufrechterhalten hat, ist vom erkennenden Senat insoweit nicht zur Entscheidung angenommen worden, als sie auf Ersatz des immateriellen Schadens gerichtet war. Im Umfang der Annahme des Rechtsmittels verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hält Ansprüche des Klägers auf Ersatz seines Personenschadens einschließlich des verlangten Schmerzensgeldes nach §§ 539 Abs. 2, 636 RVO für ausgeschlossen, weil der Kläger während des Unfallgeschehens in den Betrieb der Zweitbeklagten "arbeitnehmerähnlich eingegliedert" gewesen sei. Die Zweitbeklagte sei nicht nur verpflichtet gewesen, den Lastzug abzuschleppen; es habe ihr auch oblegen, das Fahrzeug ordnungsgemäß abzustellen und aufzubocken. Diese Arbeit sei dadurch, daß der Kläger seine Mithilfe beim Aufbocken durch Unterstellen des Wagenhebers angeboten habe, schneller erledigt worden. Damit sei auch die Tätigkeit des Klägers in die betriebliche Sphäre des Unfallunternehmens gefallen. Die Beklagten hätten deshalb nach § 7 Abs. 1 StVG und § 3 PflVG dem Kläger lediglich den mit der Zahlungsklage verfolgten Sachschaden zu ersetzen; das sei hier allein der Kleiderschaden. Aus demselben Grunde sei auch das Feststellungsbegehren des Klägers nur hinsichtlich des Sachschadens berechtigt. Bei beiden Ansprüchen müsse der Kläger zudem eine Kürzung auf 50 % hinnehmen, da ihn ein erhebliches Mitverschulden an dem Unfall treffe.
II. Das Berufungsurteil hält in Bezug auf den materiellen Schaden des Klägers, um den es allein noch geht, der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.
1. Mit Recht macht die Revision geltend, daß die Voraussetzungen einer Haftungsfreistellung der Zweitbeklagten nach § 636 Abs. 1 RVO im Streitfall nicht erfüllt sind.
a) Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß ein zur Haftungsablösung führender Unfallversicherungsschutz des Klägers im Unternehmen der Zweitbeklagten hier nur nach § 539 Abs. 2 RVO in Betracht kommen kann. Danach sind gegen Arbeitsunfall auch solche Personen versichert, die "wie ein nach Absatz 1 Versicherter" im Unfallbetrieb tätig geworden sind. Dies erfordert nach ständiger Rechtsprechung zwar nicht eine arbeitsrechtlich als Arbeitsverhältnis zu qualifizierende Beziehung zwischen dem Verletzten und dem Unfallbetrieb; auch steht es dem Versicherungsschutz aus § 539 Abs. 2 i.V.m. § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht entgegen, daß der Verletzte nur spontan und punktuell für den Unfallbetrieb tätig geworden ist. Jedoch löst eine Tätigkeit, die der Verletzte für sein (Stamm-) Unternehmen erbringt, den Versicherungsschutz in dem für ihn fremden Unfallbetrieb selbst dann nicht aus, wenn sie auch diesem nützlich ist (vgl. zu allem Senatsurteile vom 28. Oktober 1986 - VI ZR 181/85 - VersR 1987, 384, 385 und vom 11. Oktober 1988 - VI ZR 67/88 - VersR 1989, 67, 68 m.w.N.).
Für die unfallversicherungsrechtliche Zuordnung der Tätigkeit des Verletzten kommt es darauf an, ob Aufgaben des Unfallbetriebs oder solche des eigenen Unternehmens der Tätigkeit das Gepräge gegeben haben. Dies ist unter wertender Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Dient eine Hilfeleistung auch den Interessen des eigenen Unternehmens, so ist regelmäßig davon auszugehen, daß der Verletzte allein zur Förderung der Belange seines (Stamm-) Unternehmens tätig geworden ist (vgl. Senatsurteile vom 28. Oktober 1986 und vom 11. Oktober 1988 = jeweils aaO).
b) Nach diesen Beurteilungskriterien hat sich im Streitfall der für die Betriebsangehörigen der Zweitbeklagten bestehende Unfallversicherungsschutz nicht auf den Kläger erstreckt.
aa) Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten im zweiten Rechtszug, dessen unzureichende Berücksichtigung durch das Berufungsgericht die Revision mit Recht rügt, gehörte das Höherziehen des LKW,s nicht mehr zu dem der Zweitbeklagten erteilten Auftrag, der allein darin bestanden habe, den Lastzug von der Autobahn abzuschleppen; dieser Arbeitsvorgang sei bereits beendet gewesen, als der Kläger die Gelegenheit habe nutzen wollen, den Wagenheber in Position zu bringen. Nach diesem Sachvortrag der Beklagten, der mit dem Klagevorbringen übereinstimmt, erhielt die den Reifenwechsel vorbereitende Tätigkeit des Klägers nicht nur ihr entscheidendes Gepräge durch die Interessen seines Stammbetriebes; sie war sogar ausschließlich von diesem Zweck getragen und diente nicht mehr den Aufgaben des Betriebes der Zweitbeklagten.
bb) An dieser rechtlichen Zuordnung der Tätigkeit des Klägers zu seinem Stammbetrieb ändert sich auch dann nichts, wenn man mit dem Berufungsgericht aufgrund der Zeugenaussage des Kranführers D. für erwiesen erachtet, daß abgeschleppte Fahrzeuge auch ohne besondere Bitte "bei normalem Ablauf" von den Mitarbeitern der Zweitbeklagten hochgezogen und aufgebockt werden. Selbst wenn man nämlich wegen dieser Praxis das Aufbocken der abgeschleppten Fahrzeuge grundsätzlich noch zu den Aufgaben der Zweitbeklagten rechnet, so ist im Streitfall doch zu beachten, daß hier der LKW gar nicht in dieser Weise aufgebockt werden sollte. Vielmehr war der der Zweitbeklagten erteilte Abschleppauftrag durch die Bitte des Klägers an den Kranführer D., den LKW höher zu ziehen, damit er den Wagenheber untersetzen könne, dahin klargestellt worden, daß das (weitere) Höherziehen des Fahrzeugs nicht mehr zu dessen Bergung, sondern ausschließlich zum Zwecke des Reifenwechsels erfolgen sollte. Dies war aber eine Tätigkeit, die der Kläger für seinen Stammbetrieb durchzuführen hatte. Von einer Erfüllung von Aufgaben der Zweitbeklagten kann insoweit keine Rede sein. Damit scheidet aber, wie bereits gesagt, eine Haftungsersetzung gemäß § 636 Abs. 1 i.V.m. § 539 Abs. 2 RVO zugunsten der Zweitbeklagten aus.
2. Diese Beurteilung führt freilich entgegen dem Begehren der Revision nicht schon dazu, daß die Beklagten den materiellen Schaden des Klägers in vollem Umfang zu ersetzen haben.
a) Mit Recht bejaht das Berufungsgericht die Einstandspflicht der Beklagten allein nach § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 3 Nrn. 1 und 2 PflVG. Die Voraussetzungen einer Haftung nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB sind nicht erfüllt. Dabei kann es dahinstehen, ob der von den Beklagten für den Kranführer D. angetretene Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB durchgreift. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, so scheitert eine deliktische Verantwortlichkeit der Zweitbeklagten doch gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB a.E. jedenfalls daran, daß der Schaden des Klägers auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt entstanden wäre. Denn daß die Lastöse des Abschleppkrans aufgrund eines Materialfehlers der Belastung nicht standhalten würde, war nach den von der Revision unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht erkennbar.
b) Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausführt, trifft den Kläger an dem Eintritt seines Körperschadens jedoch ein erhebliches Mitverschulden gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB.
Der Kläger hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts unter den hochgehobenen Lastzug begeben, ohne zuvor für dessen genügende Absicherung zu sorgen, obwohl sein Verhalten ersichtlich gefährlich war und gegen die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften verstieß. Die Revision greift diese Feststellungen nicht an. Sie begründen aus den Erwägungen des Berufungsgerichts den Vorwurf eines erheblichen Verstoßes des Klägers gegen die Gebote seines eigenen Interesses.
Das Berufungsgericht hat bei der Abwägung des Sorgfaltsverstoßes des Klägers mit der von den Beklagten zu verantwortenden Betriebsgefahr des Abschleppkrans das vom Landgericht auf 80 % angesetzte Gewicht des Verstoßes des Klägers gegen seine eigenen Interessen auf 50 % zurückgeführt. Diese Bemessung läßt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers erkennen. Ein solcher wird auch von der Revision nicht aufgezeigt.
III. Das Berufungsurteil ist daher in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben und den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung bezüglich des noch im Streit befindlichen materiellen Personenschadens an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.