Bundesgerichtshof
Urt. v. 06.02.1990, Az.: VI ZR 75/89
Schadensersatz; Verjährungsfrist; Fristbeginn; Strafprozeß; Erforderliche Informationen
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 06.02.1990
- Aktenzeichen
- VI ZR 75/89
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1990, 13822
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BB 1990, 2147-2148 (Volltext mit amtl. LS)
- DAR 1990, 178-179 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1990, 708 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1990, 1725 (amtl. Leitsatz)
- NJW-RR 1990, 606-607 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1990, 538-540 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1990, 642-644 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Die Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB wird nicht schon dann in Lauf gesetzt, wenn es der Geschädigte unterläßt, einen anhängigen Strafprozeß gegen den Schädiger zu verfolgen, um nach dessen rechtskräftigem Abschluß alsbald die für eine Schadensersatzklage erforderlichen Informationen zu erhalten.
Tatbestand:
I. Der Kläger erwarb am 15. November 1978 bei der WT-KG, die zur Firmengruppe der WT gehört, für die die Beklagte seit 1972/1973 bis zu deren Zusammenbruch 1980 tätig war, 800 Aktien der T-form AG zum Preis von 100.800 DM.
Der Kläger hat behauptet, bei dem Erwerb der Aktien von den Verantwortlichen der WT, darunter der Beklagten, betrogen worden zu sein. Wie anderen sei auch ihm vorgespiegelt worden, die Aktien der T-form AG hätten einen Markt und könnten jederzeit verkauft werden. Dies sei jedoch, wie den Verantwortlichen, so der Beklagten, bewußt gewesen sei, nicht der Fall gewesen, tatsächlich seien die Aktien ohne jeden Wert gewesen.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten Zahlung von 100.800 DM nebst Zinsen verlangt. Die Klageforderung ist erstmals durch bei Gericht am 29. August 1985 eingegangenen Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids anhängig geworden.
Die Beklagte hat die dem Vorwarf des Betrugs zugrundeliegenden Behauptungen bestritten und zudem die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Landgericht Ersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte nach § 852 BGB für verjährt gehalten. Es ist davon ausgegangen, daß der Kläger die in § 852 Abs. 1 BGB verlangte Kenntnis von Schaden und Schädiger bereits vor dem 29. August 1982 gehabt habe, so daß die dreijährige Verjährung beim Eingang des Antrags auf Erlaß des Mahnbescheids am 29. August 1985 nicht mehr i.S. der §§ 693 Abs. 2 ZPO, 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB unterbrochen worden sei. Es hat hierzu im einzelnen ausgeführt: Zwar sei nicht nachgewiesen, daß der Kläger zu diesem Zeitpunkt positive Kenntnis i.S. des § 852 Abs. 1 BGB von der Beklagten als Schädigerin gehabt habe. Spätestens aber ab Rechtskraft des Strafurteils, durch das die Beklagte aufgrund ihrer Beteiligung am Vertrieb von Kapitalanlagen durch die Firmengruppe der WT am 28. Juli 1982 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, am 5. August 1982 müsse der Kläger sich so behandeln lassen, als habe er diese Kenntnis besessen. Er sei nämlich in der Lage gewesen, sich die erforderlichen Informationen in zumutbarer Weise aus dem Strafverfahren zu verschaffen. Daß er dies unterlassen habe und sich nun auf den Eintritt der Verjährung berufe, sei rechtsmißbräuchlich.
Schon aus dem Erhebungsschreiben nebst Fragebogen, das die Staatsanwaltschaft an die Kunden der WT unter dem 14. Mai 1980 übersandt habe, habe der Kläger erfahren, daß wegen des Vertriebs u.a. der Aktien der T-form AG gegen Mitarbeiter der Firmengruppe WT der Verdacht des Betrugs bestanden habe. In diesem Zusammenhang sei auch der Name der Beklagten in dem Fragebogen aufgeführt gewesen. Auch wenn das Erhebungsschreiben der Staatsanwaltschaft noch nicht hinreichende Kenntnis vermittelt habe, so habe es dem Kläger aber einen Hinweis auf die gegen die Beklagte erhobene Beschuldigung einer Beteiligung an dem betrügerischen Verkauf der Wertpapiere gegeben, den er durch eine einfache Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft habe erhärten können. Auszugehen sei auch davon, daß ihm vom Landgericht auf Anfrage der Termin der Hauptverhandlung mitgeteilt worden wäre. Entscheidend sei jedoch, daß dem Kläger auf entsprechende Nachfrage die Verurteilung der Beklagten bekanntgegeben worden wäre. Auch habe der Kläger durch eine kurze Anfrage bei Rechtsanwalt B., auf den als Vertreter der durch die Firmengruppe der WT geschädigten Personen ihn die Staatsanwaltschaft bereits im September 1980 hingewiesen haben würde, die erforderlichen Informationen erhalten können. Wenn der Kläger diese offen auf der Hand liegenden Anfragen unterlassen habe, so stelle es einen Rechtsmißbrauch dar, später als drei Jahre nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils den Schadensersatzanspruch erstmals geltend zu machen.
II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Keine Bedenken bestehen gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Verjährungsfrist für den von dem Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruch nach § 852 Abs. 1 BGB erst bei Kenntnis des Klägers von seinem Schaden und der Verantwortlichkeit der Beklagten für diesen zu laufen begann. Daß der Kläger schon vor dem hier maßgeblichen 29. August 1982 (vgl. §§ 693 Abs. 2 ZPO, 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB) positive Kenntnis von diesen Umständen hatte, hält das Berufungsgericht nicht für nachgewiesen.
Wenn auch positive Kenntnis i.S. des § 852 Abs. 1 BGB nicht bedeutet, daß der Verletzte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung der Schuldfrage möglicherweise in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 19. Februar 1963 - VI ZR 85/62 = VersR 1963, 578, 579), oder sich ihm die Situation so darstellt, daß er einen Rechtsstreit im wesentlichen risikolos und ohne jeglichen Zweifel an der Beweisbarkeit führen kann (vgl. Senatsurteil vom 18. Juni 1974 - VI ZR 106/72 = VersR 1974, 1082, 1083), so hat das Berufungsgericht vorliegend jedoch zu Recht die Geschäftsbeziehungen, die zwischen dem Kläger und den Firmen der WT bestanden, ebensowenig für eine Kenntnis im Sinne der genannten Bestimmungen ausreichen lassen wie das Erhebungsschreiben der Staatsanwaltschaft vom 14. Mai 1980 nebst Fragebogen. Denn erforderlich ist, daß die dem Geschädigten bekannten Umstände ihn in die Lage versetzen, eine Schadensersatzklage zu begründen (vgl. Senatsurteil vom 27. Oktober 1970 - VI ZR 66/69 = VersR 1971, 154, 155). Von solch einem Kenntnisstand kann hier nicht ausgegangen werden. Die Beklagte ist in den staatsanwaltschaftlichen Unterlagen nicht als für ein betrügerisches Verhalten der Firmen der WT Verantwortliche genannt. Das Verfahren war als "Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der Firma WT, Geschäftsführer Z. u.a. " bezeichnet. Der Name der Beklagten tauchte lediglich bei der Frage auf, mit wem der Kläger im Verlauf der Geschäftsbeziehungen Kontakt gehabt habe.
Die Verneinung positiver Kenntnis durch das Berufungsgericht ist auch insoweit nicht zu beanstanden, als es hierzu nicht Rechtsanwalt B. vernommen hat. Zwar ist der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat erhobenen Verfahrensrüge zu folgen, daß das Berufungsgericht die Behauptung, der Kläger sei durch Schreiben von Rechtsanwalt B. über den Stand des Ermittlungsverfahrens unterrichtet worden, nicht schon deswegen unbeachtet lassen durfte, weil der Zeuge über den Zugang der Schreiben beim Kläger nach Auffassung des Gerichts keine Angaben hätte machen können. Sind, wie die Beklagte behauptet hat, an den Kläger drei solcher Schreiben abgesandt worden, dann bedurfte es besonderer Begründung, warum gleichwohl nicht davon ausgegangen werden kann, daß wenigstens eines der Schreiben den Kläger erreicht hat. Unberücksichtigt lassen konnte das Berufungsgericht diesen Vortrag der Beklagten aber deswegen, weil er nichts darüber enthielt, daß der Kläger aus den Rundschreiben von Rechtsanwalt B. nähere Einzelheiten über die beteiligten Personen und insbesondere über deren Zuordnung zu den einzelnen Tatkomplexen - hier die des Vertriebs von Aktien der T-form AG durch die Beklagte - erfahren hat.
2. Nicht gefolgt werden kann jedoch dem Berufungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung, vorliegend sei von einer Situation für den Kläger auszugehen, die der positiven Kenntnis i.S. des § 852 Abs. 1 BGB gleichzusetzen sei. Der Kläger sei in der Lage gewesen, sich die Kenntnis in zumutbarer Weise zu verschaffen, so daß seine Berufung auf das Fehlen der Kenntnis als rechtsmißbräuchlich anzusehen sei. Spätestens ab Rechtskraft des gegen die Beklagte ergangenen Strafurteils am 5. August 1982 wäre dem Kläger auf Anfrage deren Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen Betruges mitgeteilt worden.
a) Dem Kläger ist indes nicht vorzuwerfen, vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des 29. August 1982 das Erforderliche unterlassen zu haben.
Zwar ist ausnahmsweise der nach § 852 Abs. 1 BGB geforderten positiven Kenntnis - dem Rechtsgedanken des § 162 BGB folgend - gleichzusetzen, wenn der Geschädigte sich den gleichsam auf der Hand liegenden Erkenntnismöglichkeiten in Bezug auf Umstände verschließt, die ihm das Wissen von Schaden und Schädiger vermitteln. Dies ist jedoch nur in Ausnahmefällen eines Mißbrauchs anzunehmen. Daß die Unkenntnis - sei es auch grob fahrlässig - verschuldet ist, genügt für diesen Ausnahmetatbestand nicht (st. Rspr. vgl. zuletzt Senatsurteil vom 16. Mai 1989 - VI ZR 251/88 = VersR 1989, 914 = BGHR BGB § 852 Abs. 1 Kenntnis 2).
b) In einem solchen Erkenntnisstand befand der Kläger sich jedoch nicht. Um dies annehmen zu können, muß es dem Geschädigten ohne besonderen Aufwand durch einfaches Sicherkundigen möglich sein, sich die Kenntnis vom Ersatzpflichtigen zu verschaffen (vgl. Senatsurteil vom 15. Dezember 1987 - VI ZR 285/86 = VersR 1988, 465, 466 = BGHR BGB § 852 Abs. 1 Fristbeginn 3). Hierzu bedarf es zumindest ausreichender Auskunftsinformationen über die Verantwortlichkeit für den Schaden und ihre personale Zuordnung (vgl. auch Senatsurteil vom 16. Mai 1989 aaO). Diese Voraussetzungen stellt das Berufungsgericht mit seinen Erwägungen nicht fest.
aa) Das Berufungsgericht knüpft für seine Überlegungen daran an, daß der Kläger das Geschäftsgebaren der Firmengruppe der WT aus dem Erwerb der Aktien der T-form AG gekannt und er aus dem Erhebungsschreiben der Staatsanwaltschaft vom 14. Mai 1980 nebst Fragebogen von dem Verdacht gegen die Verantwortlichen dieser Firmen erfahren habe, Aktien - darunter auch die von ihm erworbenen - betrügerisch vertrieben zu haben.
Selbst bei einer Nachfrage des Klägers hätte er zu diesem Zeitpunkt allenfalls erfahren, daß die Beklagte als Angeschuldigte bzw. Angeklagte an einem Strafverfahren wegen Betrugs in Zusammenhang mit dem Vertrieb von Aktien durch die Firmengruppe WT beteiligt war. Damit war aber noch nicht die Kenntnis verbunden, welche Vorwürfe im einzelnen, insbesondere in bezug auf den Vertrieb von Aktien der T-form AG, gegen die Beklagte erhoben wurden. Eigens einen Anwalt zu beauftragen, um Einsicht in die Strafakten zu nehmen, war dem Kläger nicht zuzumuten.
Der Kläger war auch nicht verpflichtet, den Strafprozeß mit Blick darauf zu verfolgen, nach dessen rechtskräftigem Abschluß alsbald die für eine Schadensersatzklage erforderliche Informationen zu erhalten. § 852 BGB erlegt dem Geschädigten keine Obliegenheiten in Bezug auf das Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Fristenbeginn bzw. -ablauf auf. In den Ausnahmefällen, in denen das Kennenkönnen dem Kennen gleichzusetzen ist, kann es, wie gesagt, nur um Fallgestaltungen gehen, in denen das Sichberufen auf die Unkenntnis als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte. In einer solchen Situation befindet sich der Geschädigte jedoch nicht schon dann, wenn er sich nicht um die Ermittlungsergebnisse eines gegen den Schädiger angestrengten Strafverfahrens kümmert, solange sie ihm nicht zugänglich gemacht werden.
bb) War der Kläger mithin nicht gehalten, das Strafverfahren zu verfolgen, dann kann ihm schon aus diesem Grunde nicht angelastet werden, nicht vor dem 29. August 1982 ausreichend Kenntnis von der Tatbeteiligung der Beklagten und ihrer Verantwortlichkeit für die betrügerischen Geschäfte der Firmen der WT - darunter auch für den Verkauf von Aktien der T-form AG - erlangt zu haben.
Im übrigen ist die Ansicht des Berufungsgerichts, das die Rechtskraft des gegen die Beklagte ergangenen Strafurteils für maßgeblich hält, auch aus folgenden Gründen nicht haltbar:
Die schriftlichen Urteilsgründe sind erst am 15. September 1982 - also nach dem hier maßgeblichen 29. August 1982 - zu den Akten gelangt. Selbst wenn der Kläger trotz der Komplexität des Sachverhalts auch ohne Einsichtnahme in die Gründe des Strafurteils ausreichende Informationen allein schon aus einer Auskunft über die Bestrafung der Beklagten wegen Betruges erhalten hätte, so mußte ihm für eine solche Anfrage eine angemessene Zeit zugebilligt werden. Sie nicht bis zum 29. August 1982 veranlaßt zu haben, kann auch unter diesem Aspekt nicht als ein mißbräuchliches Sichverschließen vor der nach § 852 Abs. 1 BGB maßgebenden Kenntnis erachtet werden.
Der am 29. August 1985 eingereichte Antrag auf Erlaß eines Mahnbescheids hat daher die zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetretene Verjährung gemäß §§ 693 Abs. 2 ZPO, 209 Abs. 2 Nr. 1 BGB unterbrochen.
3. Auf der fehlerhaften rechtlichen Subsumtion beruht das Berufungsurteil. Es war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, zurückzuverweisen.