Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Urt. v. 06.10.1989, Az.: V ZR 127/88

Pflicht eines Nachbarn zur Abgabe einer Baulasterklärung auf Grund einer bestehenden Grunddienstbarkeit; Vereinbarung der Unterschreitung des Mindestabstands eines Bauvorhabens zur Grundstücksgrenze

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
06.10.1989
Aktenzeichen
V ZR 127/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 13140
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Frankfurt am Main - 20.04.1988
LG Gießen

Fundstellen

  • DNotZ 1991, 250-252
  • MDR 1990, 424-425 (Volltext mit amtl. LS)
  • NVwZ 1990, 192-194 (Volltext mit amtl. LS)
  • Rpfleger 1990, 58-59 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1990, 320-322 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Zum Anspruch auf Bestellung einer Baulast aus dem durch eine deckungsgleiche Grunddienstbarkeit begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis (Fortführung des Senatsurteils vom 3. Februar 1989, V ZR 224/87, BGHR BGB § 1018 Baulast 1).

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 1989
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Hagen und
die Richter Linden, Dr. Vogt, Dr. Lambert-Lang und Tropf
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird, unter deren Zurückweisung im übrigen, das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. April 1988 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben als der Klagehilfsantrag abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks F. Straße 9 in N.-I. (Flur Nr. 22/3), dem Beklagten gehört das Nachbargrundstück F. Straße 11 (Flur Nr. 22/4). Die Rechtsvorgänger der Parteien bestellten 1974 wechselseitig jeweils zugunsten des Nachbargrundstücks eine Grunddienstbarkeit, wonach "der jeweilige Eigentümer des berechtigten Grundstücks seine sämtlichen Bauvorhaben auf seinem Grundstück in einer geringeren Entfernung als nach § 25 der Hessischen Bauordnung erforderlich an der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichten darf". Beide Grundstücke sind bebaut, das des Beklagten schon unter Ausnutzung der Dienstbarkeit bis zur Grenze zum Nachbargrundstück.

2

Die Klägerin will auf ihrem Grundstück an das dort vorhandene Haus sechs weitere Wohnungen anbauen und zwar bis unmittelbar an die Grenze zum Grundstück des Beklagten. Die Bauverwaltung des Wetteraukreises verlangt für die beantragte Baugenehmigung die Übernahme einer Baulast auf dem Grundstück des Beklagten, daß den Eigentümern des Flurstücks 22/3 die Errichtung eines zweigeschossigen Wohnhauses direkt an der Grundstücksgrenze gestattet wird und die jeweiligen Eigentümer des Flurstücks 22/4 sich ferner verpflichten, im Falle der Errichtung einer baulichen Anlage ihrerseits an die in Grenzbebauung auf Flur Nr. 22/3 errichtete bauliche Anlage anzubauen.

3

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zur Abgabe entsprechender schriftlicher Erklärungen gegenüber der Bauverwaltung in einer durch das Ortsgericht oder einen Notar beglaubigter Form zu verurteilen.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz unter Aufrechterhaltung ihres Hauptantrages hilfsweise beantragt, den Beklagten zur Übernahme einer Baulast zu verurteilen, mit der er isoliert nur die beantragte Grenzbebauung gestattet. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (vgl. NVwZ 1988, 1162 ff [OLG Frankfurt am Main 20.04.1988 - 21 U 11/878]). Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter; der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

5

I.

Das Berufungsgericht meint, der Beklagte sei auf der Grundlage der bestehenden Grunddienstbarkeit auch im Sinne des Hilfsantrags nicht verpflichtet eine Baulasterklärung abzugeben. Der Natur der Grunddienstbarkeit entsprechend könne keine Partei von der anderen ein aktives Tun verlangen, das eine Grenzbebauung ermögliche. Eine aus Treu und Glauben herzuleitende Verpflichtung des Beklagten bestehe nicht, weil auch eine mit der Dienstbarkeit deckungsgleiche Baulast in ihrem Wesen und in ihren Auswirkungen anders sei und sich damit die Rechtsposition des Beklagten verschlechtere. Auch wenn derzeit ein Zustand bestehe, der der verlangten Baulast entspreche, sei die Entwicklung des Lebens und der Lebensumstände der beteiligten Personen nicht voraussehbar, wobei auch selten vorkommende Ereignisse (Naturkatastrophen u.ä.) nicht außer Betracht gelassen werden könnten. Zwar habe es die aus der Dienstbarkeit Verpflichtete damit möglicherweise in der Hand, den Berechtigten die Ausübung faktisch zu verweigern. In Extremfällen könne dem durch § 226 BGB begegnet werden. Eine Verweigerung der Baulastübernahme könne im Einzelfall auch rechtsmißbräuchlich sein. Das setze jedoch voraus, daß der berechtigte Nachbar nur und ausschließlich wegen der fehlenden Baulast die beantragte Baugenehmigung nicht erhalte. Solange aber die rechtlich nicht ganz unbegründete Möglichkeit bestehe, daß die Baugenehmigung unter Gewährung eines Dispenses (§ 94 Abs. 2 HBO) erlangt werden könne, sei dies nicht der Fall.

6

II.

Unbegründet ist die Revision insoweit, als sie eine Baulastübernahme über den Hilfsantrag hinaus (Anbauverpflichtung) erstrebt. Insoweit kann auch das gesetzliche Schuldverhältnis zur Grunddienstbarkeit (vgl. Senatsurt. v. 3. Februar 1989, V ZR 224/87, WM 1989, 541 ff) keine Anspruchsgrundlage bilden. Die wechselseitig eingeräumten Dienstbarkeiten erlauben dem jeweiligen Eigentümer des herrschenden Grundstücks nur die Errichtung von Bauvorhaben in geringerer Entfernung zur Grundstücksgrenze als dies durch § 25 HBO a.F. erforderlich ist. Sie begründen damit ausdrücklich nur ein Recht dies zu tun, stellen aber keine entsprechende Verpflichtung des belasteten Grundstückseigentümers auf. Auch wenn Nebenpflichten über den im Gesetz ausdrücklich geregelten Umfang hinaus möglich sind (Senatsurt. a.a.O. S. 542), so muß sich dies doch in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung des dienenden Grundstücks halten und kann insbesondere nicht dazu führen, den genau fixierten Inhalt einer Grunddienstbarkeit (hier: Recht zur Unterschreitung des Bauwichs) seiner Art nach in eine ganz andere Dienstbarkeit (Anbauverpflichtung) zu erweitern. Dabei kann offen bleiben, ob hier schon der Inhalt der Grunddienstbarkeit eine Anpassung ausschließt, denn auch eine eingetretene Bedarfssteigerung des herrschenden Grundstücks rechtfertigt keine Änderung der Benutzungsart (vgl. Senatsurt. v. 26. April 1961, V ZR 26/60, LM BGB § 1018 Nr. 4). Dazu aber würde es kommen, wenn der Beklagte verpflichtet wäre, eine Baulast mit Anbauverpflichtung zu übernehmen.

7

Das Berufungsgericht führt auf der Grundlage von "inhaltlicher Deckungsgleichheit" zwischen Baulast und Grunddienstbarkeit aus: Auch dem Umstand, daß derzeit ein Zustand bestehe, der der verlangten Baulast entspreche, könne nicht entnommen werden, daß die verlangte Baulast im jetzigen Zeitpunkt zu keiner tatsächlichen Veränderung führe (BU 12). Die Revision entnimmt daraus offenbar, das Berufungsgericht stelle fest, daß derzeit ein Zustand im Sinne der mit dem Hauptantrag verlangten Baulast gegeben sei. Aus dem Zusammenhang der Ausführungen des Berufungsgerichts folgt aber zweifelsfrei, daß seine Ausführungen nur auf den Fall inhaltlicher Deckungsgleichheit zwischen Baulast und Grunddienstbarkeit und damit nur auf den Fall einer Baulast nach dem Hilfsantrag bezogen sind. In diesem Zusammenhang führt es nämlich etwas früher aus, daß ohnehin nur der mit der Berufung verfolgte Hilfsantrag überhaupt hätte Erfolg haben können, weil die mit dem Hauptantrag verfolgte Baulast sich schon mit der Grunddienstbarkeit inhaltlich nicht decke. Selbst wenn der Beklagte derzeit so an die Grenze gebaut hätte, daß nach Erstellung des Bauvorhabens durch die Klägerin der Bau des Beklagten als "Anbau" erschiene, vermag dies keinen Anspruch der Klägerin auf Erhaltung dieses Zustands (Anbauverpflichtung) zu begründen, denn das würde eine Änderung in der Benutzungsart bedeuten.

8

III.

Im Umfang des Klagehilfsantrags hat die Revision Erfolg. Die Ausführungen des Berufungsgerichts widersprechen in entscheidenden Teilen dem nach Erlaß des Berufungsurteils ergangenen Senatsurteil vom 3. Februar 1989, V ZR 224/87 (WM 1989, 541 ff = BGHR BGB § 1018 Baulast 1, vorgesehen zur Veröffentlichung in BGHZ).

9

Soweit sich die verlangte Baulasterklärung mit dem Umfang der Grunddienstbarkeit deckt, kann die Verpflichtung des Beklagten als Nebenpflicht aus dem durch die Grunddienstbarkeit begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis folgen, wobei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Klägerin vom Beklagten kein unzulässiges aktives Tun verlangen würde. Im Kern beruhte dann der Anspruch der Klägerin auf einer Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen und damit auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB; vgl. Senat a.a.O. S. 542).

10

Zur gebotenen Interessenabwägung läßt sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts folgendes sagen:

1.
Es ist nach dem Inhalt der bestellten Grunddienstbarkeit unstreitig, daß sie zu dem Zweck bestellt wurde, das Grundstück der Klägerin baulich besser ausnutzen zu können.

2.
Die Übernahme der Baulast ist Voraussetzung für die von der Klägerin beantragte Baugenehmigung. Wie das Berufungsgericht selbst ausführt, können Ausnahmen von der Pflicht zur Einhaltung des Bauwichs zugelassen werden, wenn bestimmte Voraussetzungen öffentlich-rechtlich gesichert sind. Als öffentlich-rechtliche Sicherung gelte nach § 9 Abs. 1 Satz 3 HBO die Begründung einer Baulast. Mit der verlangten Baulast wolle die Klägerin somit eine Ausnahme von der Erhaltung des Bauwichs erlangen und müsse dafür die in § 9 HBO vorausgesetzte öffentlich-rechtliche Sicherung schaffen (Hinweis auf § 94 Abs. 1 HBO). Die Baulast sei somit Tatbestandsvoraussetzung für die Erteilung einer Ausnahme (Hinweise auf Krawietz DVBl 1973, 605, 609[BGH 18.12.1972 - III ZR 121/70]; Lohre NJW 1987, 877, 878 [BAG 12.03.1986 - 7 AZR 20/83]; Ernst/Hoppe, Das öffentliche Bau- und Bodenrecht, Raumplanungsrecht 2. Aufl. Rdn. 926). Insoweit hat das Berufungsgericht im Bereich nichtrevisiblen Landesrechts (§ 549 Abs. 1 ZPO) eine Gesetzesauslegung vorgenommen, die den Senat bindet (§ 562 ZPO).

3.
Für die Rechtsvorgänger der Parteien bestand bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit 1974 im Rahmen der damals geltenden Rechtslage kein Anlaß, die Übernahme einer Baulast überhaupt in Erwägung zu ziehen. Es kann deshalb auch hier offen bleiben, ob der Anspruch auf Übernahme einer Baulast dann ausgeschlossen wäre, wenn schon zur Zeit der Bestellung der Grunddienstbarkeit bauordnungsrechtlich diese zur Ermöglichung einer Grenzbebauung nicht ausgereicht und die Parteien sich gleichwohl damit zufrieden gegeben hätten.

4.
Inhalt und Umfang der mit dem Hilfsantrag geforderten Baulast entsprechen dem der Dienstbarkeit. Ihre Übernahme wäre dem Beklagten grundsätzlich zumutbar. Zwar bewirkt die Baulast im Vergleich zur Grunddienstbarkeit eine zusätzliche Belastung des Grundstücks. Sie begründet ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zur Bauaufsichtsbehörde und ist der privaten Disposition entzogen. Wie der Senat schon (a.a.O. S. 543) ausgeführt hat, rechtfertigt dies aber entgegen der Auffassung im hier angefochtenen Urteil nicht die Ablehnung der Baulastübernahme. Die vom Berufungsgericht in Erwägung gezogenen Möglichkeiten eines Verzichts auf die Grunddienstbarkeit oder des sonstigen Wegfalls dieses Rechts sind so fernliegend, daß es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar wäre, wenn der Beklagte allein unter Hinweis hierauf dem begünstigten Eigentümer des Nachbargrundstücks jetzt faktisch die Ausübung der Rechte aus der Grunddienstbarkeit unmöglich machen könnte. Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, daß der Beklagte selbst die Rechte aus der wechselseitig mit gleichem Inhalt bestellten Grunddienstbarkeit für sich in Anspruch nimmt, seinerseits aber entsprechende Rechte der Klägerin über eine Verweigerung der Baulastübernahme faktisch zu unterlaufen versucht.

5.
Der Hinweis des Berufungsgerichts auf "die rechtlich nicht ganz unbegründet erscheinende Möglichkeit" einer Dispenserteilung nach § 94 Abs. 2 HBO und die Verweisung der Klägerin auf ein notfalls durchzuführendes verwaltungsgerichtliches Verfahren entsprechen zwar im Ansatz den Überlegungen des oben angeführten Senatsurteils (a.a.O. S. 543). Das Berufungsgericht bleibt aber jede Begründung dafür schuldig, wie die Klägerin ohne Baulast einen Dispens von der Notwendigkeit des Bauwichs erreichen soll. Die Baulastbestellung ist nach seinen eigenen Ausführungen die notwendige Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung. Dann aber kann der Klägerin auch nicht zugemutet werden, ohne Baulast die Möglichkeit der Dispenserteilung in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren klären zu lassen.

6.
Allerdings hat sich das Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht mit der Frage befaßt, ob der Klägerin allein mit einer Baulast des nach dem Hilfsantrag verlangten Inhalts gedient wäre. Wie ausgeführt (Ziff. II) hat sie unter keinem Gesichtspunkt Anspruch auf Bewilligung einer Baulast mit Anbauverpflichtung des Beklagten. Es kommt somit darauf an, ob sie mit der isolierten Baulast des Hilfsantrags eine Ausnahmegenehmigung erreichen könnte, weil andernfalls dem Beklagten im Rahmen der nach § 242 BGB gebotenen Interessenabwägung eine Baulastbestellung des eingeschränkten Inhalts nicht zumutbar wäre.

11

Grundsätzlich können nach § 9 Abs. 1 Satz 1 HBO Bauwiche, Abstände und Abstandsflächen ausnahmsweise auf Nachbargrundstücke erstreckt werden, wenn öffentlich-rechtlich gesichert ist, daß sie nicht überbaut und auf die auf diesen Grundstücken erforderlichen Bauwiche, Abstände und Abstandsflächen nicht angerechnet werden. Als öffentlich-rechtliche Sicherung gilt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 HBO die Begründung einer entsprechenden Baulast (§ 109 HBO). Diesen Weg hat die Baubehörde hier nicht vorgeschlagen, sondern verlangt eine Baulast mit Gestattung einer Grenzbebauung und - wohl in Anlehnung an § 7 Abs. 2 Satz 2 HBO - mit einer Anbaupflicht. Es wird zu klären sein, ob die Baubehörde im Rahmen einer Ausnahmeregelung (§ 94 HBO) allein mit einer Baulast auf Gestattung der Grenzbebauung bereit wäre, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen. Unter dieser Voraussetzung könnte nach dem angeführten Senatsurteil ein Anspruch nach dem Klagehilfsantrag gegeben sein.

Hagen
Linden
Vogt
Lambert-Lang
Tropf