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Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.06.1989, Az.: VI ZR 320/88

Schadensersatzpflicht eines Facharztes für Laboratoriumsmedizin, der bei der Untersuchung einer ihm vom Gynäkologen zugeleiteten Blutprobe einer schwangeren Frau zu falschen Werten gelangt; Tatsachenfeststellung zu der Frage, in welcher Arztpraxis der zur Bestimmung einer falschen Blutgruppe führende Fehler unterlaufen ist; Regeln des Anscheinsbeweises; Typischer Geschehensablauf, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den eingetretenen Erfolg hinweist

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
20.06.1989
Aktenzeichen
VI ZR 320/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 13520
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Zweibrücken - 17.10.1988
LG Frankenthal

Fundstellen

  • AZRT 1991, 26-27
  • MDR 1989, 984 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1989, 2943-2944
  • NJW-RR 1989, 1368 (amtl. Leitsatz)
  • VersR 1989, 1051-1053 (Volltext mit red. LS)

Prozessführer

Silvia H., K. straße ..., N.

Prozessgegner

Dr. med. Richard Kö., Facharzt für Laboratoriumsmedizin, B. straße ..., S.

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage, ob einem Facharzt für Laboratoriumsmedizin, der bei der Untersuchung einer ihm vom Gynäkologen zugeleiteten Blutprobe einer schwangeren Frau zu falschen Werten gelangt (hier: Rhesus-Faktor), eine Schadensersatzpflicht trifft, wenn nicht festzustellen ist, ob der Fehler in seiner Praxis oder in derjenigen des Gynäkologen unterlaufen ist.

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 1989
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Steffen und
die Richter Dr. Ankermann, Dr. Macke, Bischoff und Dr. Birkmann
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 17. Oktober 1988 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt vom Beklagten, einem Facharzt für Laboratoriumsmedizin, Schadenseratz, weil er während ihrer ersten Schwangerschaft im Jahre 1981 den Rhesus-Faktor ihres Blutes falsch bestimmt habe. Der Klägerin war seinerzeit als Kassenpatientin im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen von einer Helferin des sie behandelnden Frauenarztes Dr. G. Blut entnommen worden, das der Beklagte untersuchen sollte. Dem Beklagten war sodann auch ein mit Blut gefülltes und mit dem Namen der Klägerin beschriftetes Reagenzröhrchen zugeleitet worden. Nach seinem in den Mutterpaß der Klägerin eingetragenen Befund war der Rhesus-Faktor des Blutes positiv; inzwischen steht fest, daß das Blut der Klägerin rhesus-negativ ist.

2

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe, nachdem sie während ihrer zweiten Schwangerschaft im Jahre 1986 über ihren wahren Rhesus-Faktor aufgeklärt worden sei, um das Leben ihres ungeborenen Kindes wie auch um ihr eigenes Leben fürchten müssen. Denn da sowohl ihr Ehemann als auch ihr erstes Kind rhesus-positiv seien, habe die Gefahr einer Blutgruppen-Unverträglichkeit bestanden. Deshalb seien während der zweiten Schwangerschaft wiederholt äußerst schmerzhafte Fruchtwasserpunktionen erforderlich geworden. Zwar hätten sich bei ihrem zweiten Kind bis jetzt keine gesundheitlichen Auffälligkeiten gezeigt; es sei aber möglich, daß eine Störung erst mehrere Jahre nach der Geburt auftrete. Hinzu komme, daß aufgrund der falschen Diagnose des Beklagten seinerzeit eine vorbeugende Behandlung der Klägerin gegen Antikörper unterblieben sei mit der Folge, daß sie nunmehr kein weiteres Kind haben dürfe, obwohl ihr Ehemann und sie sich vier Kinder gewünscht hätten. Der Beklagte müsse ihr wegen seines Fehlverhaltens ein Schmerzensgeld von mindestens 10.000 DM zahlen und ihr auch alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden ersetzen.

3

Der Beklagte hat eine fehlerhafte Blutuntersuchung in Abrede gestellt und behauptet, das der Klägerin entnommene Blut müsse bereits in der Praxis des Dr. G. verwechselt oder mit anderem Blut vermischt worden sein.

4

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

5

I.

Das Berufungsgericht meint, eine Schadensersatzpflicht des Beklagten sei weder aus positiver Vertragsverletzung noch aus unerlaubter Handlung gegeben. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei schon nicht festzustellen, daß in der Praxis des Beklagten bei der Blutgruppenbestimmung auch nur objektiv fehlerhaft vorgegangen worden sei; das Blut der Klägerin könne bereits bei Dr. G. mit anderem verwechselt worden sein. Beweiserleichterungen zu Gunsten der Klägerin kämen insoweit nicht in Betracht. Der Beklagte müsse sich auch nicht ein etwaiges Fehlverhalten des Dr. G. zurechnen lassen.

6

II.

Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.

7

1.

Ohne Erfolg beanstandet die Revision die Tatsachenfeststellung des Berufungsgerichts zu der Frage, in welcher Arztpraxis der zur Bestimmung einer falschen Blutgruppe bei der Klägerin führende Fehler unterlaufen ist.

8

a)

Mit dem Vorbringen, die Sicherung der Blutröhrchen vor einer Verwechselung habe in der Praxis des Beklagten Mängel aufgewiesen, und schon deshalb sowie wegen der Vielzahl der durchgeführten Blutuntersuchungen habe dort die Möglichkeit eines Irrtums näher gelegen als in der gynäkologischen Praxis des Dr. G., begibt sich die Revision auf das ihr verschlossene Gebiet der Beweiswürdigung, ohne insoweit Verfahrensfehler des Berufungsgerichts aufzuzeigen. Ein prozessualer Mangel liegt inbesondere auch nicht, wie die Revision mit ihrer Rüge nach § 551 Nr. 7 ZPO geltend macht, in dem Fehlen einer Auseinandersetzung des Berufungsgerichts mit dem Umstand, daß dem Beweisergebnis keine sichere Methode des Beklagten zur Verhütung von Verwechselungen zu entnehmen sei. Diese Rüge geht schon deshalb fehl, weil das Berufungsgericht die Möglichkeit einer Verwechselung der Blutprobe bei dem Beklagten durchaus bedacht, zugleich aber rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, daß hierdurch die Möglichkeit einer Verwechselung in der Praxis des Dr. G. nicht ausgeschlossen wird.

9

b)

Ohne Rechtsverstoß geht das Berufungsgericht auf dieser Grundlage unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Landgerichts auch davon aus, daß die Frage, in welcher Arztpraxis der zur falschen Blutgruppenbestimmung führende Fehler unterlaufen ist, nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises beantwortet werden kann. Deren Anwendung setzt einen typischen Geschehensablauf voraus, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache für den eingetretenen Erfolg hinweist (vgl. BGHZ 100, 31, 33 f [BGH 05.02.1987 - I ZR 210/84] m.w.N.). An einer solchen Typizität des Kausalverlaufs fehlt es hier aber schon deshalb, weil entgegen dem Vorbringen der Revision eben gerade nicht feststeht, daß die Gefahr einer Verwechselung des Blutes nur in der Praxis des Beklagten bestanden hat.

10

c)

Keinen Erfolg kann auch die Rüge der Revision haben, das Berufungsgericht habe wegen der Beweisnot der Klägerin im Wege einer Umkehr der Beweislast oder jedenfalls durch Gewährung entsprechender Beweiserleichterungen davon ausgehen müssen, daß die Verwechselung der Blutprobe in der Praxis des Beklagten erfolgt sei. Insbesondere ist der Klägerin nicht, wie die Revision meint, die Beweislast nach den Grundsätzen abzunehmen, die von der Rechtsprechung für die Produzentenhaftung entwickelt worden sind. Der von der Revision als "Hersteller der Blutkennzeichnung" bezeichnete Beklagte kann mittels solcher Substantivierung seiner ärztlichen Tätigkeit nicht dem Erzeuger eines Produktes gleichgestellt werden, mit dessen Inverkehrgabe Gefahren für Dritte verbunden sind. Zudem könnte der Klägerin eine Übertragung der Beweisregeln aus dem Bereich der Produzentenhaftung auf den Streitfall aber auch deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil diese Regeln grundsätzlich allein den Nachweis eines vorwerfbaren Verhaltens des Herstellers betreffen und sie regelmäßig erst einsetzen, wenn der Geschädigte beweist, daß der in Frage stehende Produktmangel aus dem Gefahrenbereich stammt, der von dem Hersteller zu verantworten ist (BGHZ 51, 91, 104 f [BGH 26.11.1968 - VI ZR 212/66];  104, 323, 332). Gerade um diesen von der Klägerin zu führenden Nachweis geht es aber hier. Soweit der erkennende Senat bei der Produzentenhaftung in Übernahme seiner Beweisgrundsätze bei der Verletzung spezifischer ärztlicher Befundsicherungspflichten die Möglichkeit einer Beweislastumkehr ausnahmsweise auch für den Kausalitätsnachweis bejaht hat, steht diese Beweislastverteilung unter der Voraussetzung, daß der Mangel des Produktes durch die dem Hersteller gerade deshalb besonders aufgegebene Statussicherung typischerweise in seinem Bereich aufgedeckt und beseitigt werden kann, in diesem Sinne also ebenfalls seiner Sphäre zuzurechnen ist (BGHZ 104, 323, 333 ff.). Auch an dieser Voraussetzung fehlt es aber im Streitfall. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kann, wie bereits gesagt, der Fehler sowohl in der Praxis des Beklagten als auch in derjenigen des Dr. G. unterlaufen sein. Wie etwa organisatorisch hätte sichergestellt werden können, daß derartige Fehler aus dem Bereich des Dr. G. im Rahmen der ersichtlich dem medizinischen Standard entsprechenden Laboruntersuchung bei dem Beklagten erkannt werden konnten, ist von der Klägerin nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.

11

2.

Ohne Rechtsverstoß geht das Berufungsgericht weiter davon aus, daß eine (etwaige) Verwechselung des der Klägerin entnommenen Blutes in der Praxis des Dr. G. dem Beklagten nicht zuzurechnen ist.

12

a)

Die Erwägungen des Berufungsgerichts dazu, daß Dr. G. nicht als Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfe des Beklagten bei der Bestimmung der Blutgruppe der Klägerin tätig geworden sei, werden von der Revision nicht angegriffen. Sie sind aus Rechtsgründen im Ergebnis auch nicht zu beanstanden. Die Frage, inwieweit der Beklagte als Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfe für Dr. G. tätig geworden ist und dieser deshalb nicht nur für Fehler in seiner Praxis, sondern auch für solche im Labor des Beklagten einzustehen hätte, stellt sich im Streitfall nicht.

13

b)

Die Revision nimmt auch die Feststellung des Berufungsgerichts hin, daß Dr. G. und der Beklagte keine Gemeinschaftspraxis betrieben haben. Sie gibt allein zu erwägen, ob nicht die vom erkennenden Senat zur Gemeinschaftspraxis entwickelten vertraglichen Haftungsgrundsätze (BGHZ 97, 273 ff) auf den Streitfall zu übertragen seien. Die Frage ist zu verneinen. Denn anders als die in einer Gemeinschaftspraxis verbundenen Ärzte, die nach außen hin als Einheit auftreten und sich schon deshalb auch zumindest konkludent gegenüber den Patienten gemeinschaftlich zu den nachgesuchten ärztlichen Leistungen verpflichten, waren im Streitfall die gynäkologische Praxis des Dr. G. und die labormedizinische Praxis des Beklagten sowohl örtlich als auch funktional deutlich voneinander getrennt. Demgemäß war hier, wie das Berufungsgericht von der Revision unbeanstandet ausführt, zur ärztlichen Betreuung der Klägerin auch nicht ein einheitlicher Behandlungsvertrag mit beiden Ärzten abgeschlossen worden, sondern es lagen zwei getrennte Behandlungsverhältnisse vor (vgl. Narr, Ärztliches Berufsrecht 2. Aufl., Rdn. 786; Laufs, Arztrecht 4. Aufl., Rdn. 56).

14

3.

Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich schließlich eine deliktische Einstandspflicht des Beklagten für die falsche Blutgruppenbestimmung auch nicht aus der Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB. Zwar läßt sich, wie in dieser Norm vorausgesetzt, im Streitfall nicht ermitteln, welcher der beiden Ärzte (Dr. G. oder der Beklagte) durch seine Handlung oder durch ein ihm zuzurechnendes Verhalten seiner Hilfskräfte, insbesondere durch eine in seiner Praxis unterlaufene Verwechselung des der Klägerin entnommenen Blutes, den geltend gemachten Schaden verursacht hat. Auch kann zu Gunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, daß denjenigen der Ärzte, in dessen Praxis der Fehler unterlaufen ist, eine deliktische Verantwortlichkeit trifft. Dr. G. und der Beklagte sind aber nicht "Beteiligte" im Sinne des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB. Mit der durch diese Gesetzesfassung zum Ausdruck gebrachten Eingrenzung des unbestimmten Kreises der möglichen Verursacher will die Vorschrift dem Geschädigten Beweisschwierigkeiten zur Kausalität allein für solche Fälle einer Nebentäterschaft abnehmen, bei denen sich mehrere Personen deliktisch in dem Sinne verhalten haben, daß bis auf die Ursächlichkeit für den Verletzungserfolg sämtliche haftungsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind; es muß also der Tatbeitrag jedes einzelnen von ihnen zu einer rechtswidrigen Gefährdung der Schutzsphäre des Betroffenen geführt haben und er muß zur Herbeiführung der Verletzung geeignet gewesen sein. Die Norm des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGBüberbrückt also nicht auch Zweifel darüber, ob einem auf Schadensersatz in Anspruch Genommenen überhaupt eine rechtswidrige Handlung zur Last fällt, ob also (auch) er unerlaubt und mit Verletzungseignung in die Schutzsphäre des Betroffenen eingegriffen hat (vgl. BGHZ 55, 86, 92 f;  89, 383, 399 f; Staudinger/Schäfer, BGB 12. Aufl., § 830 Rdn. 30 ff; RGRK-BGB, 12. Aufl., § 830 Rdn. 14 ff). Allein um solche von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gedeckte Zweifel geht es aber im Streitfall. Denn das Berufungsgericht vermag nicht festzustellen, daß der Beklagte sich bei der Blutgruppenbestimmung in einer die Klägerin gefährdenden Weise pflichtwidrig verhalten hat, da es für nicht ausgeschlossen hält, daß ihm eine nicht von der Klägerin stammende Blutprobe zugeleitet und diese dann vom Beklagten ordnungsgemäß und mit einem für das übersandte Gut zutreffenden Ergebnis untersucht worden ist. Auch die Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB vermag deshalb das Schadensersatzbegehren der Klägerin nicht zu stützen.

Dr. Steffen
Dr. Ankermann
Dr. Macke
Bischoff
Dr. Birkmann