Bundesgerichtshof
Urt. v. 21.03.1989, Az.: IX ZR 82/88
Eintritt der Fälligkeit der Hauptschuld gleichzeitig mit dem Ende der Bürgerschaftszeit; Fristgerechte Anzeige des Gläubigers, er nehme den selbstschuldnerischen Zeitbürgen in Anspruch; Erhaltung der Rechte aus der Bürgschaft; Fristgerechte Anzeige des Gläubigers, er nehme den selbstschuldnerischen Zeitbürgen in Anspruch bis zum Endtermin einer Zeitbürgschaft; Zeitpunkt der Fälligkeit einer Forderung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 21.03.1989
- Aktenzeichen
- IX ZR 82/88
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1989, 13541
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Frankfurt am Main - 25.03.1988
- LG Darmstadt
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- DB 1989, 1233 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1989, 734-735 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1989, 1856-1858 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1989, 1016 (amtl. Leitsatz)
- ZIP 1989, 627-628
Prozessführer
1. Vereinigte V. eG,
vertreten durch den Vorstand Theo E., Heinrich K. und Theodor M., B. straße ..., Ba.
2. Hans Erich L., F. Straße ... - ..., Neu-I.
Prozessgegner
Firma Horst Be. GmbH,
vertreten durch den Geschäftsführer Kaufmann Horst Be., N., Bü.
Amtlicher Leitsatz
Auch wenn die Fälligkeit der Hauptschuld gleichzeitig mit dem Ende der Bürgerschaftszeit eintritt, ist die frigstgerechte Anzeige des Gläubigers, er nehme den selbstschuldnerischen Zeitbürgen in Anspruch, grundsätzlich geeignet, ihm die Rechte aus der Bürgschaft zu erhalten (Ergänzung zu BGHZ 91, 349 [BGH 14.06.1984 - IX ZR 83/83] = NJW 1984, 2461 = LM § 777 BGB Nr. 6).
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 21. März 1989
durch
den Vorsitzenden Richter Merz und
die Richter Henkel, Fuchs, Gärtner und Dr. Schmitz
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil des 24. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. März 1988 wird auf Kosten der Beklagten zu 1) zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 1) (im folgenden: Beklagte) als Bürgin für eine Verbindlichkeit des Beklagten zu 2) (im folgenden: Hauptschuldner) in Anspruch.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin beauftragte am 19. September 1980 den Hauptschuldner, Wohngebäude zum Pauschalfestpreis von 4,3 Mio. DM zu errichten. In dem Vertrag verpflichtete sich der Hauptschuldner, eine Ausführungsbürgschaft einer deutschen Großbank über 1 Mio. DM zu stellen. Als Fertigstellungstermin wurde der 30. September 1981 vereinbart. Im Oktober 1980 trat die Klägerin in die Rechtsstellung der Auftraggeberin ein. Am 5. Januar 1981 übernahm die beklagte Bank gegenüber der Klägerin eine Vertragserfüllungsbürgschaft über 1 Mio. DM. Nach dem Inhalt der Bürgschaftsurkunde sollten die Verpflichtungen aus der Bürgschaft erlöschen, wenn die Beklagte nicht bis zum 19. September 1981 aus der Bürgschaft in Anspruch genommen würde.
Nachdem die Arbeiten an der Baustelle im August 1981 zum Erliegen gekommen waren, erklärte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 8. September 1981, daß sie die Beklagte in voller Höhe aus der Bürgschaft in Anspruch nehme. Am 17. September 1981 trafen die Klägerin, die Beklagte und der Hauptschuldner eine schriftliche Vereinbarung, um doch noch eine Fertigstellung des Bauvorhabens zu erreichen. Der Hauptschuldner verpflichtete sich, die Arbeiten bis zum 15. November 1981 zu beenden. Die Beklagte erklärte sich bereit, das Risiko der vertragsgemäßen Fertigstellung zu diesem Termin zu übernehmen. Weiterhin wurde vereinbart, daß die Bürgschaftssumme auf 500.000 DM herabgesetzt werde und die Beklagte eine weitere Bürgschaft von 500.000 DM für ein anderes Bauvorhaben übernehmen solle. Die Abwicklung sollte in der Weise erfolgen, daß die Beklagte zwei Bürgschaftsurkunden über je 500.000 DM gegen Rückgabe der Bürgschaft vom 5. Januar 1981 übergeben sollte.
Die daraufhin von der Beklagten für das hier interessierende Bauvorhaben übergebene Bürgschaftsurkunde vom 17. September 1981 lautet auszugsweise:
"1.
Der ... (Hauptschuldner) hat für ... (Klägerin) aufgrund des Vertrags vom 19. September 1980 ... folgende Lieferungen auszuführen: Fertigstellung der Wohngebäude ...2.
Für die vertragsgemäße Ausführung der dem Auftragnehmer übertragenen Lieferungen/Leistungen einschließlich der Abrechnung übernimmt die Bank hiermit gegenüber dem Auftraggeber unter Verzicht auf die Einrede der Anfechtung, der Aufrechnung und der Vorausklage (§§ 770, 771 BGB) die selbstschuldnerische Bürgschaft bis zum Höchstbetrag von DM 500.000 ... mit der Maßgabe, daß die Bank aus dieser Bürgschaft nur auf Zahlung in Geld in Anspruch genommen werden kann.3.
Die Verpflichtungen der Bank aus dieser Bürgschaft erlöschen mit der Abnahme der vereinbarten Lieferung/Leistung oder mit der Rückgabe dieser Bürgschaftsurkunde, spätestens jedoch - insoweit abweichend von § 777 BGB -, wenn die Bank nicht bis zum 15.11.1981 aus dieser Bürgschaft in Anspruch genommen worden ist.4.
...5.
Auf die Vereinbarungen vom 17.9.1981 wird Bezug genommen, ..."
Als sich abzeichnete, daß der Hauptschuldner den Fertigstellungstermin vom 15. November 1981 ebenfalls nicht würde einhalten können, erklärte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 2. November 1981, daß sie die Beklagte in voller Höhe aus der Bürgschaft in Anspruch nehme. Am 24. Mai 1982 kündigte die Klägerin den Bauvertrag fristlos. Am 10. Oktober 1984 übermittelte sie der Beklagten eine Abrechnung ihrer gegen den Hauptschuldner gerichteten Forderung.
Mit der Klage hat die Klägerin die Beklagte und den Hauptschuldner auf Zahlung von 500.000 DM in Anspruch genommen. Das Landgericht hat durch Teilurteil die gegen die Beklagte gerichtete Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat sie insoweit dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt (vgl. die Urteilsveröffentlichungen in WM 1987, 1357 u. 1988, 1304). Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht wertet die Bürgschaftserklärung vom 17. September 1981 als bis zum 15. November 1981 befristete Zeitbürgschaft. Diese Auslegung entspricht der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 91, 349, 351 [BGH 14.06.1984 - IX ZR 83/83]; 99, 288, 290). Die vorliegende Bürgschaft weicht nur insoweit von der gesetzlichen Regelung des § 777 BGB ab, als die Inanspruchnahme des Bürgen - abweichend von Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift - bis zu dem angegebenen Endtermin erklärt werden mußte, um das Erlöschen der Bürgschaftsverpflichtung zu verhindern.
II.
Hat sich - wie hier - der selbstschuldnerische Bürge für eine bestehende, aber noch nicht fällige Verbindlichkeit nur auf bestimmte Zeit verbürgt, so erhält die fristgerechte Anzeige des Gläubigers, er nehme den Bürgen in Anspruch, dem Gläubiger die Rechte aus der Bürgschaft grundsätzlich nur, wenn die Fälligkeit der Hauptschuld innerhalb der Bürgschaftszeit eintritt (BGHZ 91, 349 [BGH 14.06.1984 - IX ZR 83/83]). Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist diese von dem erkennenden Senat in der vorerwähnten Entscheidung vom 14. Juni 1984 aufgestellte Voraussetzung für eine Inanspruchnahme des Zeitbürgen im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil hier die Fertigstellungsfrist und die Bürgschaftszeit gleichzeitig mit dem 15. November 1981 abgelaufen seien. Wegen der besonderen Umstände des vorliegenden Falles stelle es jedoch eine gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung dar, wenn die Beklagte sich darauf berufe, daß beim Ablauf der Bürgschaftszeit am 15. November 1981 die Hauptforderung der Klägerin noch nicht fällig gewesen sei.
Dagegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg. Zur Rechtfertigung dieses Ergebnisses bedarf es allerdings keiner Heranziehung der Grundsätze von Treu und Glauben. Es beruht vielmehr auf einer sinngemäßen Anwendung der maßgeblichen Vorschriften.
1.
Zunächst muß klargestellt werden, welches die durch die Bürgschaft gesicherte Hauptforderung ist und wann diese fällig wurde. Das Berufungsgericht sieht anscheinend - ohne es allerdings deutlich auszusprechen - den werkvertraglichen Erfüllungsanspruch der Klägerin als Hauptforderung an. Das ist entgegen der Ansicht der Revision zutreffend. Da es sich bei der Bürgschaftserklärung der Beklagten um eine häufig wiederkehrende Vertragserfüllungsbürgschaft mit typischem Erklärungsinhalt handelt, unterliegt ihre Auslegung der uneingeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Maßgeblich für die Auslegung ist in erster Linie der Inhalt der Bürgschaftsurkunde (BGHZ 76, 187, 189; Senatsurt. v. 17. Dezember 1987 - IX ZR 263/86, ZIP 1988, 222, 224). Darin ist zunächst festgehalten, daß der Hauptschuldner aufgrund des Vertrages vom 19. September 1980 zur Erstellung von Wohngebäuden verpflichtet ist. Sodann übernimmt die Beklagte "für die vertragsgemäße Ausführung der dem Auftragnehmer übertragenen Lieferungen/Leistungen" gegenüber der Klägerin die selbstschuldnerische Bürgschaft. Das zeigt mit hinreichender Deutlichkeit, daß die Beklagte sich für die vertragsgemäße Erfüllung des Werkvertrages vom 19. September 1980 verbürgt hat. Im übrigen hat die Beklagte auch in der Vereinbarung vom 17. September 1981 erklärt, sie übernehme das Risiko der vertragsgemäßen Fertigstellung zum 15. November 1981.
Daß demnach die verbürgte Hauptforderung - jedenfalls zunächst - nicht auf Geldzahlung gerichtet ist, begegnet keinen Bedenken. Eine Bürgschaft kann für jede Art vermögensrechtlicher Verbindlichkeiten übernommen werden (MünchKomm/Pecher, BGB 2. Aufl. § 765 Rdnr. 7; Staudinger/Horn, BGB 12. Aufl. § 765 Rdnr. 32; BGB-RGRK/Mormann 12. Aufl. § 765 Rdnr. 3). Wenn der Hauptschuldner eine gegenständliche Leistung schuldet, wird allerdings im Zweifel anzunehmen sein, daß sich die Verpflichtung des Bürgen nur auf das Erfüllungsinteresse bezieht. Dies haben die Parteien im vorliegenden Fall in Ziff. 2 der Bürgschaftserklärung ausdrücklich klargestellt, wonach die Beklagte aus der Bürgschaft nur auf Zahlung von Geld in Anspruch genommen werden kann. Das bedeutet aber nicht etwa, daß von vornherein der künftige Schadensersatzanspruch des Gläubigers Gegenstand der Bürgschaft wäre (BGH, Urt. v. 29. April 1974 - VIII ZR 35/73, WM 1974, 478, 479). Gegenstand der Bürgschaft ist vielmehr zunächst der werkvertragliche Herstellungsanspruch. Erst nach der Umwandlung des Erfüllungsanspruchs in einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ist der Schadensersatzanspruch die Hauptschuld. Etwas anderes hat der Senat auch in der von der Revision in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidung vom 17. Dezember 1987 (IX ZR 263/86, ZIP 1988, 222, 224) nicht zum Ausdruck gebracht.
Der durch die Bürgschaft der Beklagten gesicherte Erfüllungsanspruch wurde gemäß der am 17. September 1981 getroffenen Vereinbarung mit Ablauf des 15. November 1981 fällig. Die von der Revisionserwiderung aufgeworfene Frage der Zwischenfälligkeit von Bauleistungen stellt sich wegen dieser Vereinbarung nicht.
2.
Wie bereits dargelegt, erhält die fristgerechte Anzeige des Gläubigers, er nehme den Bürgen in Anspruch, dem Gläubiger den Anspruch aus einer Zeitbürgschaft grundsätzlich nur, wenn die Fälligkeit der Hauptschuld innerhalb der Bürgschaftszeit eintritt. In der Entscheidung vom 14. Juni 1984, in der der Senat dies ausgesprochen hat, ist ausdrücklich offengelassen, ob eine Ausnahme von diesem Grundsatz zu machen wäre, wenn im Zeitpunkt der Anzeige die Fälligkeit der Hauptschuld und der Ablauf der Bürgschaftszeit unmittelbar bevorstehen und die Nichterfüllung durch den Hauptschuldner abzusehen ist (BGHZ 91, 349, 356) [BGH 14.06.1984 - IX ZR 83/83].
Diese Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung. Im vorliegenden Fall ist die Fälligkeit der Hauptschuld mit dem Ende der Bürgschaftszeit eingetreten. Jedenfalls bei einer derartigen Fallgestaltung erscheint es geboten, dem Gläubiger, der rechtzeitig die Inanspruchnahme des Bürgen angezeigt hat, die Rechte aus der Bürgschaft zu erhalten.
a)
Dafür sprechen einmal die schutzwürdigen Interessen des Gläubigers. Wenn der Gläubiger von der Bank seines Schuldners eine Vertragserfüllungsbürgschaft erhält, deren Befristung zeitlich mit dem Fälligkeitstermin des gesicherten Erfüllungsanspruchs übereinstimmt, so darf er grundsätzlich darauf vertrauen, damit ein taugliches Sicherungsmittel in die Hand zu bekommen. Man wird auch davon ausgehen dürfen, daß die Bank - ihre Redlichkeit unterstellt - gewillt ist, dem Gläubiger ein taugliches Sicherungsmittel zur Verfügung zu stellen. Eine auf den Fertigstellungstermin befristete Bürgschaft stellt aber nur dann eine taugliche Sicherheit für den Gläubiger dar, wenn dieser die Möglichkeit hat, bis zum Fristablauf wirksam die Inanspruchnahme des Bürgen zu erklären. Wollte man dies daran scheitern lassen, daß die Fälligkeit der Hauptforderung nicht vor, sondern gleichzeitig mit dem Ablauf der Bürgschaftszeit eintritt, so könnte der Gläubiger sich die Rechte aus der Bürgschaft nur erhalten, wenn es ihm gelingt, die Fälligkeit der Hauptforderung entgegen den getroffenen Absprachen vorzuverlegen.
b)
Diese Auslegung des § 777 BGB verstößt weder gegen den Zweck der Vorschrift noch bedeutet sie für den Zeitbürgen eine unzumutbare Belastung. Der Zeitbürge soll bei Ablauf der Bürgschaftszeit Gewißheit haben, ob er frei geworden ist oder ob er haftet. Diese Gewißheit tritt bei einer rechtzeitigen Anzeige der Inanspruchnahme auch dann ein, wenn die Hauptforderung erst mit dem Ende der Bürgschaftszeit fällig wird. Weiterhin soll der Zeitbürge nicht über die bestimmte Zeit für eine Forderung haften, die noch nicht fällig ist. Das ist nicht der Fall, wenn die Hauptforderung mit Ablauf der Bürgschaftszeit fällig wird. Schließlich hat der Zeitbürge ein berechtigtes Interesse daran, im Fall seiner Inanspruchnahme möglichst schnell bei dem Hauptschuldner Rückgriff nehmen zu können, wenn er ihm nicht länger Kredit gewähren will. Auch diese Möglichkeit steht dem Bürgen grundsätzlich offen. Da die Hauptforderung mit dem Ende der Bürgschaftszeit fällig geworden ist, ist damit in der Regel Verzug des Hauptschuldners eingetreten, so daß der Bürge gemäß § 775 Abs. 1 Nr. 3 BGB Befreiung von der Bürgschaft verlangen kann.
3.
Aus den dargelegten Gründen erweist sich das Berufungsurteil im Ergebnis als zutreffend.
Entgegen der Ansicht der Revision begegnet der Erlaß eines Grundurteils keinen Bedenken. Der Klage liegt eine einheitliche Bürgschaftsforderung zugrunde, deren Rechtsgrund entscheidungsreif ist. Die Frage, welche Ansprüche der Klägerin gegen den Hauptschuldner zustehen, betrifft ausschließlich die Höhe der Bürgschaftsforderung.
Henkel
Fuchs
Gärtner
Schmitz