Bundesgerichtshof
Urt. v. 01.02.1989, Az.: 2 StR 703/88
Unbeendeter Versuch; Rücktritt ; Rettung des Tatopfers; Abbruch der Rettungsmaßnahmen
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 01.02.1989
- Aktenzeichen
- 2 StR 703/88
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1989, 11826
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Frankfurt am Main - 13.09.1988
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- JZ 1989, 650-651
- MDR 1989, 556 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1989, 2068 (Volltext mit amtl. LS)
- StV 1989, 527-528
Verfahrensgegenstand
Versuchter Mord
Prozessführer
Maria K., geborene B. aus F., geboren am ... 1925 in W.
Amtlicher Leitsatz
Strafbefreiender Rücktritt vom beendeten [korrigiert gemäß Beschluss vom 15.03.1989] Versuch scheidet aus, wenn der Täter zwar zunächst das aus seiner Sicht zur Rettung des Tatopfers Erforderliche tut, dann aber eine weitere Mitwirkung verweigert, obwohl er davon ausgeht, daß sie erforderlich ist, um die Rettungsaktion erfolgreich abzuschließen.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 1. Februar 1989,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Herdegen,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Müller, Dr. Meyer, Theune, Gollwitzer als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ... als Verteidiger der Angeklagten,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
fürRecht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. September 1988 wird verworfen.
Die Angeklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes verurteilt. Ihr Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist nicht begründet. Die Schwurgerichtskammer hat strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Versuch im Ergebnis zu Recht verneint; auch sonst weist das Urteil keinen Rechtsfehler auf.
Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Die Tat verhindert, wer bis zu dem Zeitpunkt, in dem er den Erfolg nicht mehr abzuwenden vermag, eine neue Kausalkette in Gang setzt, die für die Nichtvollendung der Tat mitursächlich wird (BGHSt 33, 295, 301; BGHR StGB§ 24 Abs. 1 Satz 1 - Versuch, beendeter 1 und 5; BGH NJW 1985, 813 ff; BGH NStZ 1986, 214; BGH Strafverteidiger 1981, 514, 515; BGH Strafverteidiger 1983, 413; BGH NStZ 1981, 388; BGH, Beschluß vom 11. Januar 1980 - 3 StR 489/79). Im vorliegenden Falle brachte die Angeklagte ihrem Ehemann eine Dosis des Giftes E-605 bei, die ohne alsbaldige ärztliche Hilfe zum Tode geführt hätte. Als die Wirkung des Giftes, das das Atemzentrum lähmt, eintrat, rief sie - auf die "energische" Aufforderung ihres Ehemannes hin - den Arbeiter-Samariter-Bund an und bat um die Entsendung eines Krankenwagens, da es ihrem Ehemann schlecht gehe und er in der Küche "herumtaumele". Der daraufhin herbeigezogene Notarzt konnte das Leben des Mannes retten.
Damit hat die Angeklagte zunächst wesentlich zur Rettung ihres Ehemannes beigetragen. Das Landgericht verneint dennoch strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Versuch, weil die Angeklagte nicht den Willen gehabt habe, den Erfolg zu verhindern. Sie habe weder im Ermittlungsverfahren noch in der Hauptverhandlung erklärt, einen solchen Willen gehabt zu haben, vielmehr der Polizei gegenüber angegeben, sie könne nicht sagen, warum sie den Arzt gerufen habe; ihr Mann habe es verlangt und da habe sie es getan. Das Fehlen eines Rücktrittswillens ergibt sich nach Ansicht des Landgerichts auch aus dem Verhalten der Angeklagten nach dem Eintreffen der Sanitäter. Ihr gesamtes Verhalten sei auf die Verschleierung des tatsächlichen Tatablaufs und der Ursache für das Befinden des Ehemannes ausgerichtet gewesen. Sie habe keinen Hinweis auf das Gift gegeben, sondern bewußt irreführende Angaben gemacht, indem sie erklärt habe, der Vergiftete habe Kaffee getrunken und ein blaues Medikament genommen.
Die Ausführungen der Schwurgerichtskammer halten im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. Zutreffend geht sie davon aus, daß strafbefreiender Rücktritt vom (beendeten) Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Altern, nur dann in Betracht kommt, wenn der Täter den von ihm in Gang gesetzten Kausalverlauf auch aus freien Stücken bewußt und gewollt unterbricht (BGH, Beschluß vom 13. Juli 1977 - 3 StR 237/77; BGH bei Holtz MDR 1978, 229), wenn der Täter den Eintritt des Erfolges tatsächlich verhindern will (vgl. auch BGHSt 31, 46; 33, 295).
Einen solchen Willen hat das Schwurgericht für den Zeitpunkt des Anrufs der Angeklagten mit unzureichender Begründung verneint.
Aus welchem Grunde sie den Arbeiter-Samariter-Bund angerufen hat, wenn sie damit nicht die Rettung ihres Ehemannes anstrebte, ist nicht ersichtlich. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage wäre aber erforderlich gewesen, wenn der Angeklagten bereits für diesen Zeitpunkt des Geschehens der Wille zur Rettung ihres Ehemannes abgesprochen werden sollte. Der Verneinung eines solchen Rettungswillens im Zeitpunkt des Anrufs bei den Rettungssanitätern stößt insbesondere auch deswegen auf Bedenken, weil die Angeklagte in diesem Augenblick objektiv das zur Rettung erforderliche unternahm und insbesondere auch den (kritischen) Zustand ihres Ehemannes nicht beschönigte, sondern ihn so schilderte, daß sofortige Rettungsmaßnahmen in die Wege geleitet wurden.
Der genannte Mangel ist jedoch unschädlich, da das Landgericht fehlerfrei festgestellt hat, daß die Angeklagte, nachdem sie zunächst das aus ihrer Sicht für die Rettung Erforderliche getan hatte, eine weitere Mitwirkung an der Rettung verweigerte, obwohl eine solche - wie sie erkannte - notwendig wurde. Damit hat die Angeklagte - auch wenn sie zunächst zur Rettung des Ehemannes bereit war - diese Bereitschaft in einem Zeitpunkt wieder aufgegeben, in dem es erforderlich und ihr auch möglich war, mehr zur Verhinderung des schädlichen Erfolgs beizutragen. Straffreiheit wegen des versuchten Tötungsdelikts konnte sie deshalb nicht erlangen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1977 - 4 StR 366/77).
Das Landgericht hat dargetan, daß die Angeklagte nach Ankunft des Notarztes und der Rettungssanitäter aus ihrer Sicht noch hätte mehr tun müssen, um den Eintritt des Erfolges zu verhindern. Ohne Belang ist zwar, ob sie objektiv mehr hätte tun können (BGH Strafverteidiger 1981, 396; BGH NStZ 86, 214; BGH, Urteil vom 7. Juni 1978 - 5 StR 315/78; BGH, Beschluß vom 24. Mai 1982 - 4 StR 206/82), sofern sie nur das tat, was aus ihrer Sicht den Erfolg verhindern konnte (BGHSt 33, 295, 301; BGH Strafverteidiger 1981, 396 und 514; BGH, Beschluß vom 15. August 1978 - 1 StR 327/78 = bei Holtz MDR 1978, 985; BGH, Urteil vom 16. Oktober 1980 - 4 StR 439/80). Daß die Angeklagte durch ihr Verhalten nach dem Eintreffen des Arztes und der Sanitäter die Tat verschleiern wollte, würde der Annahme eines (noch fortdauernden) Rettungswillens nicht generell entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 1980 - 4 StR 665/79 und vom 5. Dezember 1985 - 4 StR 593/85 = NStZ 86, 214), sofern ihr Handeln weiterhin auch vom Rettungswillen bestimmt worden wäre.
Einen solchen fortbestehenden Rettungswillen hat das Landgericht indessen rechtsfehlerfrei [korrigiert gemäß Beschluss vom 15.03.1989] verneint. Es hat festgestellt, daß die Angeklagte die Vergiftung verschwieg, obwohl sie annahm, daß sie den Arzt von der Giftbeibringung informieren müßte, wenn das Leben des Mannes gerettet werden sollte.
Müller
RiBGH Dr. Meyer ist an der Beifügung seiner Unterschrift verhindert, weil er sich in Urlaub befindet. Herdegen
Theune
Gollwitzer