Bundesgerichtshof
Urt. v. 11.05.1988, Az.: VIII ZR 138/87
Wirksamkeit des Rücktritts von einem Pachtvertrag über einen von einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts noch zu erstellenden Hotelneubau; Fehlender Nachweis der Finanzierung mit Fremdmitteln; Mit Sicherheit zu erwartender Nichteinhaltung des vereinbarten Fertigstellungstermins für den Hotelneubau; Ausgehen von einer verbindlichen Festlegung auf das Rücktrittsrecht bei Anwaltsschreiben widersprüchlichen Inhalts; Ausschließliches Interesse des Gläubigers an der Vertragsbeendigung; Vorbehalt der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Nichterfüllung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 11.05.1988
- Aktenzeichen
- VIII ZR 138/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1988, 13281
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Frankfurt am Main - 02.04.1987
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- NJW 1988, 2879 (red. Leitsatz)
- NJW-RR 1988, 1100 (Volltext mit red. LS)
- WM 1988, 1171
Redaktioneller Leitsatz
Der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung entfällt wegen Rücktritt bei der Ausübung des Gläubigerwahlrechts.
Die Ausübung des Wahlrechts ist nicht bindend bei der mehrdeutigen Erklärung von Rücktritt und Schadensersatz gleichzeitig.
Zu den Anforderungen, die an die Auslegung eines in dieser Hinsicht widersprüchlichen Anwaltsschreibens zu stellen sind.
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 1988
durch
den Vorsitzenden Richter Braxmaier und
die Richter Wolf, Treier, Dr. Brunotte und Dr. Paulusch
für Recht erkannt:
Tatbestand
Die Parteien vereinbarten am 15. Dezember 1982 einen Pachtvertrag über einen von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die die Beklagten gegründet hatten, noch zu erstellenden Hotelneubau. Das Bauvorhaben sollte von den Beklagten "mit Fremdfinanzierungsmitteln" durchgeführt werden. Für den Fall, daß die Finanzierung nicht bis zum 31. März 1983 gesichert wäre, hatte sich die Klägerin ein Rücktrittsrecht vorbehalten (§ 25 des Pachtvertrages). Das Pachtverhältnis sollte "spätestens" am 1. Februar 1984 beginnen. Es wurde auf die Dauer von zehn Jahren mit einer Verlängerungsklausel geschlossen. Der monatliche Gesamt-"Mietpreis" betrug 25.000 DM. Die Beklagten hatten einen Darlehensvertrag zur Finanzierung des Bauvorhabens am 30. März 1983 mit einer Hypothekenbank geschlossen, die Klägerin hiervon aber erst am 23. Juni 1983 in Kenntnis gesetzt. Zuvor hatte die Klägerin am 7. April 1983 den Rücktritt vom Vertrage wegen des fehlenden Nachweises der Finanzierung erklärt. In der Folgezeit stritten die Parteien über die Wirksamkeit des von der Klägerin erklärten Rücktritts. Die Beklagten vertraten im Anwalts schreiben vom 12. April 1983 die Auffassung, der Vertrag habe weiterhin Bestandskraft und meinten in einem Brief vom 19. August 1983, die Klägerin müsse sich auf eine Vertragserfüllung einrichten. Nach weiterem Schriftwechsel und weiteren Gesprächen zwischen den Parteien teilte die Klägerin den Beklagten im Anwaltsschreiben vom 31. Oktober 1983 mit, die "leidige" Frage der Wirksamkeit des Rücktritts (werde) als gegenstandslos "betrachtet"; sie, die Klägerin, richte sich "auf die Erfüllung des geschlossenen Pachtvertrages" ein. Sie tue dies im Hinblick auf die Zusicherung der Beklagten, "daß das Objekt entgegen aller vorgetragenen Bedenken fristgerecht zum 1. Februar 1984 zur Übernahme bereitstehen wird". Dem Anwalt der Beklagten teilte der Anwalt der Klägerin schließlich am 30. November 1983 unter anderem folgendes mit:
"Meine Mandantschaft sah sich nunmehr veranlaßt, selbst nach dem Stand der Bauarbeiten zu schauen. Sie hat mit einem Bausachverständigen eine Außenbesichtigung vorgenommen. Es wurde festgestellt, daß eine fristgerechte Fertigstellung zum 1. Februar 1984 einfach unmöglich ist. Selbst bei maximaler Anstrengung, so wurde gesagt, kann das Hotel erst Monate später fertig werden. ...
Lassen Sie mich der Ordnung halber noch folgendes festhalten:
Aus den Vertragsverhandlungen ebenso wie aus der Vielzahl der geführten Gespräche ist Ihnen wie Ihrer Mandantschaft bekannt, daß eine verspätete Übernahme des Pachtobjekts für die Pächterseite unzumutbar ist und daher nicht in Frage kommt. Sie wissen vor allem, daß die dem Vertrage zugrunde gelegte Kostenkalkulation darauf abgestimmt ist, daß das Messehotel zu Beginn der Messesaison geöffnet ist. Im übrigen ist noch gar nicht abzusehen, welche Weiterungen es nach sich ziehen wird, daß meine Mandanten nunmehr versuchen müssen, sämtliche für das Objekt angenommenen Buchungen wieder rückgängig zu machen. Wegen des daraus resultierenden Schadens wird man die Verpächter in Anspruch nehmen.
Nach alledem ist die fristgerechte Fertigstellung des Hotelneubaus als objektiv unmöglich anzusehen. Im Hinblick hierauf wird schon jetzt der Rücktritt vom geschlossenen Pachtvertrage erklärt. Wir kündigen an, daß wir wegen des gesamten entstandenen und noch entstehenden Schadens Ihre Mandantschaft in Anspruch nehmen werden."
Mit Schreiben ihres Anwalts vom 6. Februar 1984 ließ die Klägerin vorsorglich die fristlose Kündigung des Pachtvertrages erklären.
Die Klägerin hat im ersten Rechtszuge als Schadensersatz die Zahlung von 8.538 DM (Reisekosten für die Zeit vom 15. Dezember 1982 bis 13. April 1983 und Kosten anwaltlicher Beratung) zuzüglich 5 % Zinsen verlangt und die Feststellung begehrt, daß die Beklagten verpflichtet seien, ihr auch den weiteren Schaden zu ersetzen, der durch das Nichtzustandekommen des Pachtvertrages vom 15. Dezember 1982 entstanden sei und in Zukunft noch entstehen werde. Das Landgericht hat dem Feststellungsantrag teilweise entsprochen und die Klage im übrigen abgewiesen. Es hat gemeint, das Pachtverhältnis sei durch die fristlose Kündigung der Klägerin vom 6. Februar 1984 gemäß § 542 BGB wirksam beendet worden. Der Klägerin stehe nur ein Schadensersatzanspruch zu, soweit er durch die Kündigung entstanden sei. Weitergehende Ersatzansprüche seien nicht gegeben. Das Urteil ist von beiden Parteien angefochten worden. Die Klägerin hat im Wege der Anschlußberufung die Zahlungsklage um 383.000 DM zuzüglich Zinsen erhöht und das Feststellungsbegehren weiterverfolgt. Das Oberlandesgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt die Klägerin das Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1.
Soweit das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, die Parteien hätten den Pachtvertrag vom 15. Dezember 1982 im Anschluß an den von der Klägerin am 7. April 1983 erklärten Rücktritt erneut abgeschlossen, ist das aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Klägerin greift diese ihr günstige Auffassung nicht an.
2.
Das Oberlandesgericht meint, die Rechtsfolgen des den Beklagten anzulastenden vertragswidrigen Verhaltens richteten sich nach den Regeln des § 325 BGB. Dagegen bestehen, wie die Revision mit Recht geltend macht, durchgreifende Bedenken, denn die Leistungsstörung, die hier in einer mit Sicherheit zu erwartenden Nichteinhaltung des vereinbarten Fertigstellungstermins für den Hotelneubau - bei fortbestehender Möglichkeit verspäteter Fertigstellung des Pachtobjekts - liegt, ist wie ein Verzug zu behandeln (vgl. BGH, Urteile vom 29. April 1970 - VIII ZR 120/68 = WM 1970, 791 undvom 21. Oktober 1982 - VII ZR 51/82 = WM 1983, 65). Ist Verzug eingetreten, so hat der Gläubiger das Wahlrecht zwischen Schadensersatz wegen Nichterfüllung und Rücktritt, wobei die Wahl des Rücktritts, wenn sie gewollt ist, Schadensersatzansprüche ausschließt.
3.
Die Vorinstanz hat weiter ausgeführt, die Klägerin habe mit Anwalts schreiben vom 30. November 1983 "den Rücktritt gewählt und damit endgültig die Möglichkeit verloren, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen". Zwar habe der Klägervertreter Schadensersatzansprüche geltend gemacht, eine am Wortlaut des Schreibens vom 30. November 1983 orientierte Interpretation führe unter Berücksichtigung der außerhalb des Erklärungsaktes liegenden Begleitumstände, des mit dem Rechtsgeschäft verfolgten Zwecks und der bestehenden Interessenlage zu dem Ergebnis, daß die Klägerin den Rücktritt erklärt habe und die Beklagte die Erklärung auch in diesem Sinne verstehen mußte. Den Willen, dem Vertragsverhältnis mit der Rücktrittserklärung vom 30. November 1983 ein Ende zu machen, leitet das Berufungsgericht daraus her, daß die sicher vorhersehbare Nichteinhaltung des Termins für die Fertigstellung des Hotelneubaus am 1. Februar 1984 die Vorarbeiten der Klägerin zunichte gemacht und deren Fortsetzung zu einer unzumutbaren Planung ins Blaue hinein geführt hätten. Wenn unter diesen Umständen die Übernahme des Pachtobjekts als "unzumutbar" und als "nicht in Frage kommend" bezeichnet worden sei, so bedeutet das erkennbar einen auf Vertragsbeendigung gerichteten Willen.
Dagegen wendet sich die Revision. Sie meint, das Berufungsgericht habe der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage, unter welchen Umständen bei Anwaltsschreiben widersprüchlichen Inhalts von verbindlicher Festlegung auf Rücktritt auszugehen sei - trotz Hinweises auf die einschlägigen Urteile - nicht Rechnung getragen.
Diese Revisionsrüge ist berechtigt.
Zwar ist es Sache des Tatrichters, durch Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen festzustellen, worauf sie abzielen. Die Wertung, die das Berufungsgericht hier vorgenommen hat, kann keine Geltung beanspruchen, weil sie ersichtlich auf einem Mißverständnis der Rechtsfolgen beruht, die sich aus dem Leistungsverzug des Schuldners gemäß § 326 BGB ergeben und deshalb fehlerhaft ist. Das Anwaltsschreiben vom 30. November 1983 ist wegen seiner Widersprüchlichkeit - einerseits ist darin von Rücktritt die Rede, andererseits wird die Inanspruchnahme der Beklagten auf Ersatz des entstandenen und noch entstehenden Schadens geltend gemacht - mehrdeutig. Das vom Berufungsgericht zitierteUrteil des erkennenden Senats vom 10. Februar 1982 - VIII ZR 27/81 (= WM 1982, 512 = NJW 1982, 1279 unter II 2 c) und die nicht erwähnte weitereEntscheidung vom 27. Oktober 1982 - VIII ZR 190/81 (= WM 1982, 1384 unter II 5 b) besagen, daß bei Mehrdeutigkeit im genannten Sinne von der Wahl des Rücktritts als der Schadensersatzansprüche ausschließenden Rechtsfolge von Unmöglichkeit oder Verzug nur dann die Rede sein kann, wenn der Gläubiger erkennbar ein ausschließliches Interesse daran hat, die Leistung des Schuldners nicht mehr entgegennehmen zu müssen. Die Gesichtspunkte, die das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang anführt, belegen zwar das Interesse der Klägerin an der Vertragsbeendigung, besagen aber keineswegs, daß dies ihr ausschließliches Anliegen gewesen ist. Das Berufungsgericht legt entscheidendes Gewicht darauf, daß es der Klägerin allein darum gegangen sei, den Vertrag zu beenden. Dabei übersieht es, daß es bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Geltendmachung der Rechte aus § 326 BGB insofern zur Vertragsbeendigung kommt, als die Erfüllungsansprüche des Gläubigers und des Schuldners erlöschen. Ist eine Nachfrist gesetzt worden, so tritt diese Rechtsfolge mit dem fruchtlosen Fristablauf ein (§ 326 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz BGB). Ist die Nachfrist, wie hier, entbehrlich, so gehen die beiderseitigen Erfüllungsansprüche mit der rechtsgestaltenden Erklärung, Schadensersatz zu verlangen oder zurückzutreten, unter (Palandt, BGB, 47. Aufl., § 326 Anm. 6 d). Es kann deshalb keine Rede davon sein, daß die Klägerin, wenn sie "nur" Schadensersatz forderte und nicht vom Vertrage zurücktrat, nach dem 1. Februar 1984 von den Beklagten auf Erfüllung hätte in Anspruch genommen werden können. Vor allem aber bleibt das Berufungsgericht die erschöpfende Erörterung dafür schuldig, inwiefern die angeführten Gründe die Klägerin veranlassen konnten, unter Abstandnahme von ihr vermeintlich zustehenden - und ausdrücklich vorbehaltenen - Schadensersatzansprüchen vom Vertrage zurückzutreten (vgl.Senatsurteil vom 27. November 1963 - VIII ZR 63/62 = MDR 1964, 138 = LM BGB § 326 (Ea) Nr. 5). Das Anwaltsschreiben vom 30. November 1983 ist, nicht anders als die Korrespondenz, die in den drei zitierten Urteilen des erkennenden Senats bewertet worden ist, dahin zu verstehen, daß die Klägerin die Annahme der Leistung der Beklagten abgelehnt und sich die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Nichterfüllung vorbehalten hat.
4.
Das angefochtene Urteil konnte danach keinen Bestand haben. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Revisionsgerichts in der Sache selbst sind nicht gegeben. Deshalb war die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit, die § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO eröffnet, Gebrauch gemacht.
Wolf
Treier
Dr. Brunotte
Dr. Paulusch