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Bundesgerichtshof
Urt. v. 11.05.1988, Az.: 3 StR 89/88

Ermöglichen oder Verdecken einer anderen Straftat; Anforderungen an den bedingten Tötungsvorsatz beim Verdeckungsmord; Verhinderung von Ermittlungen der Polizei wegen schwerer Misshandlung des den Täter kennenden Opfers

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
11.05.1988
Aktenzeichen
3 StR 89/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 11977
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Duisburg - 13.10.1987

Fundstellen

  • Frister, StV 89, 343
  • JZ 1988, 935
  • MDR 1988, 788-789 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1988, 790-791 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1988, 2682-2683 (Volltext mit amtl. LS)
  • StV 1989, 342-343
  • StV 1989, 4
  • StV 1988, 486-487

Verfahrensgegenstand

Versuchter Mord

Prozessführer

Detlef M. aus D. dort geboren am ... 1962

Amtlicher Leitsatz

Zur Möglichkeit bedingten Tötungsvorsatzes beim Verdeckungsmord, wenn es dem Täter darum geht, Ermittlungen der Polizei wegen schwerer Mißhandlung des ihn kennenden Opfers zu verhindern, indem er es einsperrt, um dadurch dessen schwerverletzten Zustand vor der Umwelt zu verbergen.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 11. Mai 1988,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ruß,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Krauth, Dr. Gribbohm, Zschockelt, Harms als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. ... in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. ... bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 13. Oktober 1987 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes, zur Verdeckung anderer Straftaten und grausam begangen an der Nebenklägerin Sabine D., zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.

2

1.

Das Landgericht sieht eine mit bedingtem Vorsatz versuchte Tötung darin, daß der Angeklagte die Nebenklägerin nach längerer Einsperrung zunächst zusammen mit seinen Mittätern und in den letzten Tagen allein weiterhin gefangen hielt. Dabei handelte er in dem Bewußtsein, daß sie infolge der vorangegangenen Mißhandlungen (durch monatelange Einsperrung, Schläge, sadistische Quälereien und Nahrungsentzug) ohne ärztliche Hilfe und ausreichende Nahrung, für die er nicht sorgte, möglicherweise sterben werde (UA S. 37); zuletzt wurde ihm der als möglich erkannte Eintritt dieser Folge zur Gewißheit (UA S. 42). Den Tod der Nebenklägerin nahm er nach den Ausführungen des Landgerichts in beiden Tatabschnitten billigend in Kauf (UA S. 37, 42).

3

Das Urteil enthält zur inneren Tatseite insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Es beschwert ihn nicht, daß das Landgericht auch für den letzten Tatabschnitt nur bedingten Tötungsvorsatz angenommen hat, obwohl der Angeklagte den nur durch das Eingreifen seiner Mutter verhinderten Tod der Nebenklägerin zu der Zeit bei Aufrechterhaltung der Gefangenschaft als sicher voraussah.

4

2.

Zu Recht hat das Landgericht auch die Mordmerkmale der Verdeckungsabsicht und der Grausamkeit angenommen.

5

a)

In Verdeckungsabsicht (§ 211 Abs. 2 StGB) tötet sowohl, wer die Vortat überhaupt, als auch, wer lediglich die eigene Täterschaft verbergen will, die den Strafverfolgungsbehörden nach seiner Vorstellung bisher nicht bekannt ist (vgl. BGHSt 15, 291, 296; BGH DRiZ 1978, 216, insoweit in BGHSt 28, 18 nicht abgedruckt; BGH, Urteil vom 1. August 1978 - 5 StR 302/78). Diese Voraussetzungen, nach denen eine beabsichtigte Verhinderung nur der eigenen Festnahme unter Umständen nicht ausreicht, sind nach den Feststellungen erfüllt. Der Angeklagte und seine Mittäter sperrten die Nebenklägerin ohne ärztliche Versorgung und ausreichende Nahrung weiterhin ein, um sie daran zu hindern, Kontakte zu anderen aufzunehmen und dadurch polizeiliche Ermittlungen auszulösen. Sie hielten es zwar für möglich, daß die Nebenklägerin bei einer Entdeckung des Vortatgeschehens aus Angst vor Repressalien keine sie belastenden Angaben machen würde. Sie wollten aber - ungeachtet eines Schweigens des Opfers - polizeiliche Ermittlungen überhaupt unterbinden und die bis dahin an der Nebenklägerin verübten Straftaten verbergen. Das genügt für die Verdeckungsabsicht. Den Feststellungen ist hinreichend sicher zu entnehmen, daß diese Motivlage des Angeklagten auch in den letzten Tagen unverändert fortbestand, als er die lebensgefährlich geschwächte Nebenklägerin im eigenen Zimmer in der elterlichen Wohnung einschloß und vor anderen verbarg (UA S. 42).

6

Der Annahme des Mordmerkmals "um eine andere Straftat zu verdecken" steht unter diesen Umständen nicht entgegen, daß die Nebenklägerin den Angeklagten und seine Mittäter kannte. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Tötung mit nur bedingtem Vorsatz zum Zwecke der Verdeckung einer Straftat zwar regelmäßig ausgeschlossen, wenn das Opfer den Täter kennt und er deshalb befürchten muß, durch dessen Angaben überführt zu werden, falls es überlebe (BGHSt 21, 283, 284 f.; BGH DRiZ 1978, 216; NStZ 1985, 166). So liegt der Sachverhalt hier aber nicht. Die Strafkammer hat eine solche Befürchtung des Angeklagten für die Dauer der wochenlangen weiteren Einsperrung der Nebenklägerin und - im Hinblick auf deren Angst vor Repressalien - ersichtlich auch für den Fall ihrer Freilassung ausgeschlossen. Eine Entdeckungsgefahr ergab sich nach seinen Vorstellungen nicht daraus, daß die Nebenklägerin ihn kannte und ihr Wissen über ihn und seine Mittäter preisgeben könnte. Die Gefahr, daß die Freiheitsberaubung und die Mißhandlungen der Polizei bekannt würden, folgte vielmehr aus dem körperlichen Zustand der Nebenklägerin, die - zuletzt bis auf 34 kg abgemagert - mit einer Schädelfraktur, einem offenen Nasenbeinbruch, Rippenbrüchen, zum Teil schweren Brandwunden und weiteren Verletzungen sofort in die Intensivstation eines Krankenhauses gebracht werden mußte, nachdem sie aufgefunden worden war. Der bei Bekanntwerden dieses Zustandes begründeten Entdeckungsgefahr konnten der Angeklagte und seine Mittäter, wie vom Landgericht angenommen, aus ihrer Sicht begegnen, indem sie die Nebenklägerin mit nur bedingtem Tötungsvorsatz weiterhin einsperrten und sie so vor der Umwelt abschirmten. Das Landgericht hat die richtige rechtliche Wertung hinreichend mit der Wendung zum Ausdruck gebracht, Verdeckungsabsicht komme auch in Betracht, wenn die Täter den Tod des Opfers nicht als einziges Mittel der Verdeckung ansähen, sondern es auch für möglich hielten, daß die Tat im Fall des Weiterlebens des Opfers unentdeckt bleiben würde (UA S. 65).

7

b)

Die Feststellungen (UA S. 38, 66) tragen die Annahme (UA S. 67 f.), daß der Angeklagte durch die weitere Gefangenhaltung der Nebenklägerin ohne deren ausreichende Versorgung grausam handelte (vgl. BGHSt 3, 264; BGH bei Dallinger MDR 1974, 14), d.h. dem Opfer durch die versuchte Tötungshandlung, nicht nur bei den vorausgegangenen Mißhandlungen (vgl. BGH NJW 1986, 266, 267), aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung besondere Schmerzen und Qualen zufügte (BGHSt 3, 180, 181; 3, 264). Die Leiden der noch bei vollem Bewußtsein befindlichen Nebenklägerin (UA S. 66) waren ihm gleichgültig (UA S. 38). Daß er bei der Tat in erster Linie an die Vorteile der weiteren Gefangenhaltung für sich dachte, nämlich an die Verhinderung von Ermittlungen und die Möglichkeit weiterer sexueller Kontakte zur Nebenklägerin (UA S. 38), nimmt seinem Verhalten nicht den grausamen Charakter. Grausamkeit kennzeichnet, obwohl sie nur unter Berücksichtigung der Gesinnung des Täters festgestellt werden kann, eine besondere Begehungsweise vorsätzlicher Tötung. Sie wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Täter zugleich aus Motiven tötet oder zu töten versucht, die das Gesetz wegen ihrer besonderen Verwerflichkeit zu Mordmerkmalen erhebt, wie die Verdeckungsabsicht und die sonstigen niedrigen Beweggründe (vgl. Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rdn. 2). Auch der nur bedingte Tötungsvorsatz hindert die Annahme von Grausamkeit nicht (Jähnke a.a.O. Rdn. 58).

8

3.

Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht schließlich angenommen, daß der Angeklagte von dem Mordversuch nicht mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist. Es fehlt bereits an einem Rücktritt, d.h. an einem Verhalten, durch das er die Tatausführung im Ganzen und endgültig aufgegeben hat (BGHSt 7, 296, 297). Nachdem er die Nebenklägerin in sein Zimmer gebracht hatte, entschloß er sich zwar, ihr künftig ausreichende Nahrung zukommenzulassen in der Hoffnung, sie dadurch zu retten. Den Tötungsentschluß gab er nach den Feststellungen damit aber nicht endgültig auf. Denn er hielt die Nebenklägerin ununterbrochen ohne ärztliche Hilfe weiterhin gefangen, auch nachdem er alsbald erkannt hatte, daß sie die ihr gereichte Nahrung nicht bei sich behielt und seine Hoffnung auf Rettung in der ins Auge gefaßten Weise sich deshalb nicht erfüllen konnte (UA S. 41 f., 68 f.). Indem er die Nebenklägerin gleichwohl weiterhin einsperrte, setzte er den Tötungsversuch fort, auch wenn ihm der nun für sicher gehaltene Tod des Opfers unerwünscht war. Demnach kommt es nicht mehr auf die an sich zutreffende Erwägung des Landgerichts an, daß die Versorgung mit Nahrung unter den gegebenen Umständen nicht zur Annahme ausreicht, der Angeklagte habe sich im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StGB ernsthaft bemüht, die Vollendung der Tat zu verhindern (vgl. BGHSt 33, 302).

Ruß
Krauth
Gribbohm
Zschockelt
Harms