Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Urt. v. 25.02.1988, Az.: VII ZR 310/86

Anspruch auf zusätzliche Vergütung für in der Kalkulation nicht berücksichtigte Wasserhaltungsarbeiten; Schadenersatz aus culpa in contrahendo (cic) gerichtet auf Erfüllungsinteresse; Ausschreibung von Wasserhaltungsarbeiten ohne ausreichende Vorausfeststellungen und ohne genaue Detailangaben über die Bodenverhältnisse und Wasserverhältnisse als vorvertragliche Pflichtverletzung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
25.02.1988
Aktenzeichen
VII ZR 310/86
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 13592
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Frankfurt am Main - 30.09.1986
LG Darmstadt - 24.04.1984

Fundstellen

  • DB 1988, 1796-1797 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1988, 666 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1988, 785-786 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Gemeinde N.,
vertreten durch ihren Gemeindevorstand,
dieser vertreten durch den Bürgermeister Rudolf Z., N.

Prozessgegner

1. Firma Peter G. GmbH & Co KG,
vertreten durch ihre persönlich haftende Gesellschafterin, die Peter G. Verwaltungs-GmbH,
diese vertreten durch ihren Generalbevollmächtigten Klaus H., Niederlassung Pf., Pf.

2. Firma F. & Co, Bau-GmbH,
vertreten durch ihren Geschäftsführer Dieter F., Sch. straße ..., Fr. a. M.

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage, inwieweit sich ein Auftragnehmer bei unvollständigen Angaben in den Ausschreibungsunterlagen von vornherein nicht auf "enttäuschtes Vertrauen" berufen kann und ihm schon deshalb kein Schadensersatzanspruch gegen den Auftraggeber wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen zusteht (im Anschluß an Senatsurteil vom 25. Juni 1987 - VII ZR 107/86 = BauR 1987, 683 = ZfBR 1987, 237).

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 1988
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Girisch sowie
die Richter Doerry, Bliesener, Obenhaus und Prof. Dr. Walchshöfer
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Teil- und Teil-Grund-Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main - 22. Zivilsenat in Darmstadt - vom 30. September 1986 aufgehoben, soweit die Beklagte beschwert ist.

Die Berufung der Klägerinnen gegen das Teilurteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 24. April 1984 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.

Die Klägerinnen haben die Kosten beider Rechtsmittelzüge zu tragen.

Tatbestand

1

Die beklagte Gemeinde vergab 1980 und 1981 Kanalisationsarbeiten für ein Neubaugebiet. Während die Arbeiten für Los 1 der Klägerin zu 1 allein übertragen wurden, beauftragte die Beklagte - unter Einbeziehung der VOB/B - mit den Arbeiten für Los 2 die beiden Klägerinnen, die eine ARGE bildeten.

2

Die Parteien streiten darum, ob die Klägerinnen für in der Kalkulation nicht berücksichtigte Wasserhaltungsarbeiten hinsichtlich des Loses 2 eine zusätzliche Vergütung von insgesamt 485.052,27 DM (456.438,93 DM für die Wasserhaltung selbst und 28.613,34 DM für Baustelleneinrichtung) fordern können.

3

Die nach der VOB/A durchgeführte Ausschreibung der im Rahmen von Los 2 zu erbringenden Arbeiten enthielt neben einer umfassenden Leistungsbeschreibung auch - als Grundlage des späteren Werkvertrags - "Besondere Vertragsbedingungen", in denen es u.a. heißt:

"6.
Zur Baugrundbeurteilung können beim Tiefbauamt

eingesehen werden:

a)
Gutachten des Hess. Landesamtes für Bodenforschung zu den Untergrund- und Grundwasserverhältnissen im Baugebiet "W." der Gemeinde N.

7.
Vor Angebotsabgabe hat der Unternehmer eine Geländebesichtigung mit dem Tiefbauamt nach vorheriger Terminvereinbarung durchzuführen. Ohne vorherige Geländebesichtigung ist eine ordnungsgemäße Kalkulation der ausgeschriebenen Positionen nicht möglich.

14.
Eine Grundwasserhaltung ist in etwa 60 % der ausgeschriebenen Kanalstrecke erforderlich. Nach den im Jahre 1978 getätigten Probebohrungen wurde als Grundwasserstand in etwa 84,90 m ÜNN bis 85,60 m ÜNN in Richtung SW nach NO ansteigend festgestellt. Von diesen angegebenen Höhen können in keiner Weise Forderungen irgendwelcher Art abgeleitet werden. Das Grundwasser ist bis mindestens 10 cm unter Rohrgraben- bzw. Schachtsohle abzusenken. Die anfallenden Wässer müssen durch die fertiggestellten und abgenommenen Kanalleitungen oder entsprechend verlegten Vorflutleitungen abgeleitet und in den Waldwiesengraben gehoben werden. Die dafür erforderlichen Abflußleitungen, Abmauerungen an den Bauwerken und Hebeeinrichtungen sind in die Einheitspreise einzukalkulieren. Außerdem sind in die vorgeschriebene Position sämtliche für die Wasserhaltung erforderlichen Materialien, Maschinen, Notstromaggregate und Geräte sowie deren Vorhaltung, Bewachung, Betr.- Stunden, Ein- und Ausbau usw. miteinzukalkulieren.

Wasserhaltung wird nur für die Länge des Hauptkanals bezahlt, Mehraufwendungen für die Grundstücks- und Sinkkastenanschlußleitungen sind in die Hauptkanalpositionen einzurechnen."

4

Die Klägerinnen, die das Baugelände besichtigt und Einblick in das Gutachten des Hessischen Landesamtes für Bodenforschung genommen hatten, erhielten auf ihr Angebot von insgesamt 1.643.592,73 DM brutto den Zuschlag. Die nach der Ausschreibung für die Wasserhaltung in Betracht kommenden 2.000 m haben sie dabei - unabhängig von der Tiefe - mit 2.- DM 1 fdm netto angeboten, während die Klägerin zu 1 zuvor für die entsprechenden Arbeiten gemäß Los 1 je 1 fdm 75.- DM gefordert hatte.

5

Kurz nach Baubeginn meldeten die Klägerinnen bei der Beklagten für Los 2 erhöhte Wasserhaltungskosten an. Die Beklagte war zwar mit einer Änderung des Bauzeitenplans einverstanden, weigerte sich aber, auf die zunächst angekündigten und dann eingereichten Nachtragsangebote einzugehen. Später war sie lediglich bereit, den Klägerinnen entsprechend ihrem ursprünglichen Angebot die Wasserhaltungskosten für die gesamte Kanalstrecke zu vergüten.

6

Die Klägerinnen haben eine restliche Vergütung von insgesamt 510.222,37 DM nebst Zinsen eingeklagt. Das Landgericht hat durch Teilurteil die Klage hinsichtlich der darin enthaltenen Forderung für Wasserhaltungsarbeiten von 485.052,27 DM nebst Zinsen abgewiesen.

7

Auf die Berufung der Klägerinnen hat das Oberlandesgericht die Klage lediglich in Höhe von 121.263,07 DM nebst Zinsen abgewiesen, hinsichtlich eines Teilbetrags von 363.789,20 DM dagegen die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

8

Mit ihrer - angenommenen - Revision erstrebt die Beklagte, das landgerichtliche Urteil in vollem Umfang wiederherzustellen, während die Klägerinnen die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragen.

Entscheidungsgründe

9

I.

1.

Das Berufungsgericht führt aus, daß die Klageforderung nicht auf § 2 Nr. 6 VOB/B gestützt werden könne.

10

Soweit die Klägerinnen diese - der Revision günstige - Ansicht in Zweifel ziehen, müssen sie damit erfolglos bleiben, da das Berufungsgericht jedenfalls im Ergebnis richtig entschieden hat. Anders als im Senatsurteil vom 15. Mai 1975 - VII ZR 43/73 (= Schäfer/Finnern Z. 2.310 Bl. 40) erstreckte sich hier die vertragliche Verpflichtung der Klägerinnen nämlich von vornherein auf die Herstellung der gesamten in Los 2 enthaltenen Kanalisation, so daß es schon an der Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit der in § 2 Nr. 6 Abs. 1 VOB/B getroffenen Regelung fehlt. Daß ihnen aber für die hinsichtlich der Grundwasserhaltung eingetretene Mengenüberschreitung ein Anspruch nach § 2 Nr. 3 VOB/B zusteht, machen die Klägerinnen (die insoweit von der Beklagten die volle Vergütung erlangt haben, allerdings auf der Grundlage des vertraglichen Einheitspreises) im Prozeß nicht geltend.

11

2.

Dagegen steht den Klägerinnen nach Auffassung des Berufungsgerichts ein Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo zu, der hier ausnahmsweise auf das Erfüllungsinteresse gerichtet sei. Die Beklagte habe nämlich entgegen § 9 Nr. 4 Abs. 4 VOB/A die mit Sicherheit im Rahmen der Kanalbaumaßnahmen anfallenden Wasserhaltungsarbeiten ohne ausreichende Vorausfeststellungen und ohne genaue Detailangaben über die Boden- und Wasserverhältnisse ausgeschrieben. Damit habe sie unzulässigerweise versucht, den Bietern das Risiko von Fehleinschätzungen aufzubürden. Da bei den Durchlässigkeitswerten erfahrungsgemäß Schwankungen bis zum 10 oder gar 20-fachen möglich seien, habe die Beklagte vor der Ausschreibung entweder durch Pumpversuche die k-Werte (= Werte über die Wasserdurchlässigkeit des Bodens) konkret ermitteln oder aber sich den Bietern gegenüber von vornherein zu einem finanziellen Ausgleich für den nicht sicher genug abzuschätzenden Aufwand der Wasserhaltungskosten bereit erklären müssen.

12

Weil es hier darum gehe, dem in § 2 Nr. 6, Nr. 8 Abs. 2 VOB/B zum Ausdruck kommenden Billigkeitsgedanken zum Durchbruch zu verhelfen, könnten die Klägerinnen ausnahmsweise das Erfüllungsinteresse verlangen. Da jedoch die Klägerinnen als Fachfirmen die Unzulänglichkeit der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Angaben über die Boden- und Wasserverhältnisse hätten erkennen müssen, sei der Schadensersatzanspruch wegen Mitverschuldens um 1/4 zu kürzen.

13

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

14

1.

Das angefochtene Urteil begegnet schon deshalb Bedenken, weil nach den eigenen Feststellungen des Berufungsgerichts den Klägerinnen klar sein mußte, daß die Boden- und Wasserverhältnisse in den Ausschreibungsunterlagen nur unvollständig angegeben worden waren. Da das Bodengutachten keine Wasserdurchlässigkeitswerte enthielt und Pumpversuche offensichtlich nicht durchgeführt worden waren, kamen insoweit von vornherein nur grobe Schätzungen in Betracht. Wollten sich die Klägerinnen darauf in ihrer Kalkulation nicht einlassen, hätten sie die Beklagte auffordern müssen, die Ausschreibungsunterlagen entsprechend zu ergänzen. Deshalb spricht viel dafür, daß hier - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - doch auf die Grundsätze zurückzugreifen ist, die der Senat bereits seit längerem für den Fall entwickelt hat, daß ein Leistungsverzeichnis für den Auftragnehmer erkennbar lückenhaft ist (z.B. NJW 1966, 498; zuletzt Senatsurteil vom 25. Juni 1987 - VII ZR 107/86 = BauR 1987, 683 ff = ZfBR 1987, 237 ff m.w.N.).

15

2.

Letztlich kann das aber auf sich beruhen, weil hier ein Schadensersatzanspruch bereits aus einem anderen Grund ausscheidet. Grundlage für einen Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo ist stets "enttäuschtes Vertrauen" (Senatsurteil NJW 1966, 498; vgl. auch Ingenstau/Korbion, VOB, 10. Aufl., A § 9, Rdn. 5 m.w.N.). Davon kann hier schon deshalb keine Rede sein, weil die Klägerinnen bei ihrem Angebot - nach den eigenen Feststellungen des Berufungsgerichts - "frivol" kalkuliert und die vorliegende Auseinandersetzung über die entstehenden Mehrkosten in Kauf genommen haben. Wie richtig diese Feststellung ist, zeigt sich vor allem daran, daß die Klägerinnen in ihrem Angebot für die Wasserhaltungskosten zu Los 2 lediglich 2.- DM/lfdm angesetzt haben, während die Klägerin zu 1 für Los 1 kurz zuvor noch 75.- DM/lfdm gefordert hat. Der Umstand, daß bei dem hier maßgeblichen Los nicht die Klägerin zu 1 allein, sondern vielmehr mit der Klägerin zu 2 gemeinsam das Angebot unterbreitet hat, spielt dabei keine Rolle, da beiden Bietern die Kalkulationsunterlagen aus dem früheren Angebot zu Los 1 ersichtlich zur Verfügung standen. Auch die vom Zeugen Grimm bei seiner Vernehmung durch das Berufungsgericht für den unterschiedlichen Ansatz gegebene Begründung, zum einen seien die Kosten für die Wasserhaltungsarbeiten bei Los 2 teilweise auf die Baustelleneinrichtung umgelegt worden, zum anderen habe "niedriger" kalkuliert werden können, weil durch die Wasserhaltung für Los 1 schon viel Grundwasser aus dem Baubereich abgezogen worden sei, erklärt einen so weit auseinandergehenden Kostenansatz bei den beiden Losen nicht. Das gilt auch dann, wenn man zum Vergleich die Urkalkulation der Klägerinnen zu Los 2 heranzieht.

16

Vielmehr zeigt diese unverhältnismäßig große, sachlich nicht zu rechtfertigende Differenz, daß die Klägerinnen hier ohne jeden vernünftigen Bezug zur Ausschreibung letztlich doch mehr oder weniger "ins Blaue" - wenn nicht sogar "spekulativ" - kalkuliert haben (vgl. dazu Senatsurteil BauR 1987, 683, 685 = ZfBR 1987, 237, 238). Dadurch haben sie die Gefahr, daß später in ihrem Umfang unabsehbare "Nachforderungen" gestellt werden (hier rund das Hundertfache des für die Wasserhaltung ausgewiesenen Angebotspreises), nicht nur wesentlich erhöht (vgl. Senat aaO), sondern geradezu heraufbeschworen, um daraus Vorteil ziehen zu können, ohne ihre Aussichten auf Erteilung des Zuschlags aufs Spiel zu setzen. Wer so handelt, kann sich auf "enttäuschtes Vertrauen" nicht berufen.

17

III.

Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben und - unter Zurückweisung der Berufung der Klägerinnen - das Teilurteil des Landgerichts wiederherzustellen (§§ 564 Abs. 1, 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

18

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO.

Girisch
Doerry
Bliesener
Obenhaus
Walchshöfer