Bundesgerichtshof
Beschl. v. 02.09.1987, Az.: 2 StR 420/87
Dolmetscher; Eid; Anforderungen an Vereidigung von allgemein vereidigten Dolmetschern; Anforderungen an strafbefreienden Rücktritt; Ansatz zur Überprüfung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 02.09.1987
- Aktenzeichen
- 2 StR 420/87
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1987, 11825
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Bonn - 21.01.1987
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- NStZ 1987, 568
Verfahrensgegenstand
Versuchter Totschlag
Amtlicher Leitsatz
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Urteil darauf beruhen kann, daß es der Dolmetscher unterlassen hat, sich auf den geleisteten Eid zu berufen.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 2. September 1987
gemäß § 349 Abs. 2 bis 4 StPO
einstimmmig beschlossen:
Tenor:
- I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 21. Januar 1987 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- 1.
im Schuldspruch wegen versuchten Totschlags im Fall Gertrud S. und
- 2.
im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- II.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Dagegen richtet sich seine Revision, mit der er Verletzung förmlichen und sachlichen Rechtes rügt.
Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
"Die Verfahrensrüge ist unbegründet. Allerdings muß sich der allgemein vereidigte Dolmetscher selbst und in jedem Verfahren neu auf seinen Eid berufen (§ 189 Abs. 2 GVG). Ein bloßer Protokollvermerk, der Dolmetscher sei allgemein vereidigt, genügt nach ständiger Rechtsprechung nicht. Die hier gewählte Formulierung "allgemein vereidigt" ist jedoch mehrdeutig. Sie läßt offen, ob sie auf eine Erklärung des Dolmetschers zurückgeht - was ausreichen würde -, oder nur auf ein Diktat des Vorsitzenden oder gar das Wissen des Protokollführers. Eine eindeutige Auslegung erlaubt der Wortlaut nicht, obwohl für eine eigene Berufung auf den allgemein geleisteten Eid die Tatsache spricht, daß der Dolmetscher auch Rechtsanwalt ist. Der Vorgang ist wegen seiner Mehrdeutigkeit grundsätzlich dem Freibeweis zugänglich (BGHSt 31, 39). Dieser braucht jedoch nicht erhoben zu werden, weil der mögliche Revisionsgrund nur ein relativer ist und das Urteil auf einer eventuellen Verletzung des § 189 GVG nicht beruhen kann.
An den Sprachkenntnissen und Übersetzerqualitäten des Dolmetschers bestehen keine Zweifel. Er ist sogar als Sachverständiger zur Beurteilung der Sprachfertigkeiten einer früheren Dolmetscherin gehört worden (UA S. 27, 35). Auszugehen ist auch von treuer und gewissenhafter Übersetzung, weil der Dolmetscher Rechtsanwalt ist, daher seine Pflichten genau kennt und ständig vor Augen hat. Darüber hinaus hat er bei seiner Vernehmung als Sachverständiger am dritten Verhandlungstag zur Person selbst erklärt, er sei vereidigter Dolmetscher (Bd. II Bl. 364 d.A.). Aus dieser persönlichen Mitteilung ergibt sich, daß er sich seiner Bindung an den Eid bewußt gewesen ist. Diese Erklärung wirkt ohne weiteres für seine darauffolgende Dolmetschertätigkeit als Versicherung nach § 189 Abs. 2 GVG, sie wirkt aber auch zurück. Insoweit kann, weil die Berufung auf den allgemein geleisteten Eid der Ablegung des Eides selbst absolut gleichsteht, nichts anderes gelten als für einen versehentlichen Nacheid, durch den ebenfalls die Versicherung richtiger Übertragung von Anfang an erfolgt (OLG Saarbrücken NJW 65, 66 m.Nachw.).
Dagegen greift die allgemein erhobene Sachrüge teilweise durch. Das Landgericht hat festgestellt, daß der Angeklagte in Tötungsabsicht seiner Schwägerin Eva K. mit einem Messer 13 Stiche und Schnitte versetzt hat und seiner Ehefrau Gertrud S "das Messer zweimal kraftvoll in Taillenhöhe in den Rücken" gestoßen hat (UA S. 20). Die Verletzungen beider Frauen waren lebensgefährlich (UA S. 22). Die Schwurgerichtskammer hat deshalb den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch und den Strafausspruch zum Nachteil der Geschädigten Eva K. Offen ist aber, ob der Angeklagte im Fall seiner Ehefrau von der Tat nicht mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist. Das Landgericht hat festgestellt, daß der Angeklagte sich nach den beiden Stichen in den Rücken einem Zeugen zugewandt hat, der ihm wegen seiner Tat Vorhaltungen machte. Diesen Augenblick benutzte seine Frau zur Flucht (UA S. 20). Der Angeklagte setzte ihr jedoch nach und rief ihr zu "dich mache ich tot!". Über den weiteren Tathergang schweigen die Urteilsgründe. Ihnen ist nur zu entnehmen, daß alsbald eintreffende Polizeibeamte Frau S. auf dem Gehweg auf einem Stuhl sitzend antrafen, während der Angeklagte ihnen mit einer "Scherbe in der Hand bewaffnet" entgegenkam (UA S. 21). Das Urteil ergibt auch, daß der Angeklagte seiner Frau über die beiden Stiche hinaus weitere Verletzungen nicht zugefügt hat (UA S. 22). Was er bis zum Eintreffen der Polizei getan hat, wo das Messer geblieben ist und vor allem, was er sich hinsichtlich des Erfolgseintritts vorgestellt hat, ist offen geblieben. Das ist rechtsfehlerhaft, weil danach nicht überprüft werden kann, ob der Angeklagte von der Tat nicht freiwillig zurückgetreten ist.
Das Landgericht hat diese Möglichkeit zwar gesehen, aber von einem falschen Ansatz her geprüft, nämlich vom Tatplan aus (UA S. 44 f.). Es nat dabei übersehen, daß es nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Trennung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch auf die Vorstellungen des Täters nach Abschluß der letzten Ausführungshandlung ankommt (vgl. BGHSt 31, 170; 34, 53; BGH NStZ 1986, 25 und 264). Danach wäre hier ein beendeter Totschlagsversuch nur anzunehmen, wenn der Angeklagte nach dem zweiten Stich damit gerechnet hat, seine Frau tödlich verletzt zu haben. Dem steht aber sein oben wiedergegebenes weiteres Verhalten entgegen, daß er ihr nämlich noch nachgeeilt ist und ihr zugerufen hat: "Dich mache ich tot". Verfolgung und Ausruf sprechen dafür, daß er gerade nicht angenommen hat, alles zur Tötung erforderliche getan zu haben. Davon geht im Grunde auch die Schwurgerichtskammer aus, wenn sie ausführt, der Angeklagte habe jedenfalls im Fall Eva K. die sichere Überzeugung gehabt, diese werde an den Folgen der Messerstiche sterben (UA S. 45). Sie hat jedoch daraus nicht die erforderlichen Folgerungen für die andere Tat gezogen. Hielt der Angeklagte nämlich seine Ehefrau nicht für tödlich verletzt, mithin den Versuch nicht für beendet, konnte er von ihm mit befreiender Wirkung freiwillig zurücktreten, sofern er nicht objektiv an der Vollendung der Tat gehindert war, etwa weil ihm das Messer weggenommen worden war oder Personen sich ihm in den Weg gestellt hatten, an denen er nicht vorbeigelangen konnte. Der neue Tatrichter muß dazu die erforderlichen Feststellungen treffen. Gegebenenfalls kommt gefährliche Körperverletzung (§ 223 a StGB) in Betracht.
Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall Gertrud S. erfaßt auch den Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe."
Dem schließt sich der Senat an; er hat es jedoch - entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts - für angemessen erachtet, die Feststellungen zum Schuldspruch im Falle Gertrud S. in vollem Umfange aufzuheben.
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 26. August 1987 lag vor.
Maier
Theune
Niemöller
Gollwitzer