Bundesgerichtshof
Urt. v. 21.04.1987, Az.: 1 StR 58/87
Pflicht des Tatgerichts zur Ziehung bestimmter Schlussfolgerungen aus den von ihm festgestellten Tatsachen; Mögliche Rechtsfehler des Tatgerichts; Annahme eines Tötungsvorsatzes bei Vornahme einer bestimmten möglicherweise tödlich wirkenden Handlungsweise
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 21.04.1987
- Aktenzeichen
- 1 StR 58/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 11990
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Augsburg - 17.10.1986
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- NJW 1987, 2883 (amtl. Leitsatz)
- NStZ 1987, 424
Verfahrensgegenstand
Gefährliche Körperverletzung
Amtlicher Leitsatz
Die Tatsache, daß eine bestimmte Handlung generell geeignet ist, tödlich zu wirken, zwingt nicht zu dem Schluß, Tötungsvorsatz habe vorgelegen.
In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
in der Sitzung vom 21. April 1987,
an der teilgenommen haben:
der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schauenburg,
die Richter am Bundesgerichtshof Kuhn, Dr. Granderath, Schimansky und Dr. von Gerlach
als beisitzende Richter,
der Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof ... in der Verhandlung,
der Bundesanwalt ... bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
der Rechtsanwalt ... als Verteidiger sowie
die Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 17. Oktober 1986 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Die vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechts; sie erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags.
Das Rechtsmittel ist offensichtlich unbegründet. Es läßt sowohl die sorgfältig getroffenen Feststellungen des Landgerichts, vornehmlich die zur verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten, als auch die Rechtsprechung zur Beurteilung der Frage des Tötungsvorsatzes außer acht. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat das Landgericht ohne Rechtsfehler einen Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint. Es ist zu seiner Überzeugung gelangt aufgrund einer gründlichen Beweisaufnahme, eingehender Erwägungen zur äußeren und inneren Tatseite und nicht zu beanstandender Schlußfolgerungen. Dem Tatgericht, dem es obliegt, die Feststellungen zu treffen, kann von Rechts wegen nicht vorgeschrieben werden, welche Schlußfolgerungen es aus den von ihm festgestellten Tatsachen zu ziehen hat. Das Revisionsgericht kann lediglich eingreifen, wenn dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind (st. Rechtspr.; vgl. BGH NStZ 1983, 277, 278; 1986, 549, 550). Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt werden. Keiner dieser Rechtsmängel liegt hier vor. Die Strafkammer hat aus guten Gründen nicht die Überzeugung gewinnen können, der Angeklagte habe mit einem tödlichen Erfolg seines gefährlichen Tuns gerechnet und - diesen Erfolg in Kauf nehmend - trotzdem gehandelt (UA S. 24, 11). Sie hat ihm geglaubt, daß ihm dies nicht einmal in den Sinn gekommen ist. Bei diesem Beweisergebnis konnte sie zugunsten des Angeklagten nur von einem Verletzungsvorsatz, sie durfte nicht von einem Tötungsvorsatz ausgehen. Ein Rechtsfehler ist deshalb nicht ersichtlich.
Das Landgericht hat bei seiner Überzeugungsbildung nicht verkannt, daß der Angriff des Angeklagten - fünf Messerstiche in die linke Körperseite des Tatopfers (UA S. 10) - eine äußerst gefährliche Gewaltanwendung war, bei der es naheliegt, auf einen Tötungsvorsatz des Täters zu schließen (UA S. 25, 26). Es hat auch den Ausruf des Angeklagten bei dem ersten Messerstich, nämlich
"Du Hund, Dich bring ich um!"
in diesem Zusammenhang gewürdigt, ferner auch die Tatmotivation (UA S. 26) und das allgemeine Charakterbild des Angeklagten (UA S. 25) einschließlich seiner aktuellen seelisch-geistigen Verfassung zur Tatzeit. Wenn es sich dennoch nicht von einem bedingten Tötungsvorsatz überzeugen konnte, so ist dies vom Revisionsgericht hinzunehmen. Es handelt sich dabei um eine Schlußfolgerung, die möglich, wenn auch nicht unbedingt zwingend ist. Die Tatsache, daß eine bestimmte Handlungsweise generell geeignet ist, tödlich zu wirken, zwingt nicht zu dem Schluß, Tötungsvorsatz habe vorgelegen (BGH NStZ 1986, 549, 550; BGH NJW 1983, 2268), sondern erfordert die vom Tatgericht vorgenommene sorgfältige Prüfung aufgrund einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatelemente.
Unrichtig ist die Auffassung der Beschwerdeführerin, das Landgericht habe sich zu eng an die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen angelehnt, dessen Auftrag es nur gewesen sei, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten zu beurteilen. Das Landgericht wäre seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung und Ausschöpfung der vorhandenen Beweismittel nicht nachgekommen, wenn es sich zu seiner Überzeugungsbildung auch zur inneren Tatseite, die hier untrennbar mit der Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit verbunden ist, nicht auch der Sachkunde des Sachverständigen bedient hätte. Dabei hat es sich keineswegs ausschließlich an die Ausführungen des Sachverständigen angelehnt, sondern ist zu seinem Ergebnis - Nichterweislichkeit von Tötungsvorsatz - aufgrund eigener Meinungsbildung, wenn auch unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens, gekommen.
Da auch der Rechtsfolgenausspruch Rechtsfehler nicht erkennen läßt, war die Revision zu verwerfen.
Kuhn
Granderath
Schimansky
v. Gerlach