Bundesgerichtshof
Urt. v. 19.03.1987, Az.: III ZR 2/86
Konkurs; Prozeßstandschaft; Konkursverwalter; Gemeinschuldner
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 19.03.1987
- Aktenzeichen
- III ZR 2/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 13453
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHZ 100, 217 - 221
- BB 1987, 1423-1424
- JZ 1987, 990-991
- MDR 1987, 824-825 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1987, 2018 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1987, 793-795
Amtlicher Leitsatz
Ist der Gemeinschuldner eine natürliche Person, so kann ein schutzwürdiges Eigeninteresse, ein zur Konkursmasse gehörendes Recht in Prozeßstandschaft für den Konkursverwalter gerichtlich geltend zu machen, regelmäßig nicht verneint werden (Fortführung von BGHZ 35, 180 = NJW 1961, 1528; 38, 281 = NJW 1963, 297; 96, 151 = NJW 1986, 850).
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die beklagte Bank und eines ihrer Vorstandsmitglieder mit der Begründung auf Schadensersatz in
Anspruch, die Beklagten hätten ihn anläßlich seines Eintritts in die Unternehmensgruppe W. pflichtwidrig nicht über deren wirkliche finanzielle Situation aufgeklärt. Die W.-Firmen sind inzwischen liquidiert. Der Konkursverwalter hat den Kläger ermächtigt, die Forderung gegen die Beklagten im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von 412 000 DM nebst Zinsen gerichtete Klage nach Beweisaufnahme aus sachlichen Gründen, das Oberlandesgericht hat sie mangels Prozeßführungsbefugnis des Klägers als unzulässig abgewiesen. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Entscheidungsgründe
I., II.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf jemand ein fremdes Recht aufgrund einer ihm von dem Berechtigten erteilten Ermächtigung im eigenen Namen im Prozeß verfolgen, sofern er hieran ein eigenes schutzwürdiges Interesse hat (sog. gewillkürte Prozeßstandschaft; vgl. Senatsurteil BGHZ 89, 1, 2 [BGH 27.10.1983 - III ZR 216/82] sowie BGHZ 96, 151, 152 f.).
Dies gilt auch für den Gemeinschuldner im Verhältnis zum Konkursverwalter. Dieser kann den Gemeinschuldner - wie hier im Wege einer sogenannten modifizierten Freigabe (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO 10. Aufl. § 1 Rn. 5 f m. w. Nachw.) - ermächtigen, ein zur Konkursmasse gehörendes Recht im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen mit der Folge, daß die für die Prozeßstandschaft entwickelten Grundsätze anwendbar sind (vgl. BGHZ 35, 180, 183; 38, 281, 283; Senatsurteil vom 24. Juni 1965 - III ZR 219/63 = BGHWarn 1965 Nr. 159 = WM 1965, 1054, 1056).
Davon ist das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum ausgegangen.
2. Soweit das Berufungsgericht die Klage gegen den Beklagten zu 2 schon wegen insoweit fehlender Ermächtigung des Konkursverwalters abgewiesen hat, hat dies jedenfalls im Ergebnis keinen Bestand.
Es kann dahinstehen, ob die in diesem Punkt von der Revision erhobene Verfahrensrüge begründet ist, das Berufungsgericht habe den Kläger auf insoweit bestehende Bedenken hinweisen müssen (§ 139 ZPO). Das angefochtene Urteil kann insoweit nicht bestehen bleiben, weil sich jedenfalls im Revisionsverfahren die Ermächtigung des Konkursverwalters ergeben hat. Der Kläger hat im Revisionsrechtszug durch den Konkursverwalter - mit vorsorglicher Genehmigung der bisherigen Prozeßführung - klarstellen lassen, daß sich die dem Kläger erteilte Ermächtigung zur Prozeßführung nicht nur auf die Klage gegen die Beklagte zu 1, sondern auch auf die Klage gegen den Beklagten zu 2 erstreckt.
Der erkennende Senat kann die im Revisionsverfahren vorgelegte entsprechende Erklärung des Konkursverwalters berücksichtigen und Inhalt und Umfang der Prozeßermächtigung selbst würdigen. Bei der Prozeßführungsbefugnis handelt es sich um eine Prozeßvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens, auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen ist. Das Revisionsgericht ist dabei weder an die Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden, noch beschränkt sich seine Prüfung auf die Tatsachen und Beweismittel, die dem Berufungsgericht vorgelegen haben. Das Revisionsgericht hat vielmehr gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung neuen Vorbringens in der Revisionsinstanz selbständig festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Prozeßführungsbefugnis im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben (vgl. BGHZ 31, 279, 281 ff.; BGH Urteil vom 2. Juni 1986 - II ZR 300/85 = BGHR ZPO 51 I - Prozeßst., gewillk. 1 = WM 1986, 1201, 1202).
Der Einwand der Revisionserwiderung, es liege hier nicht eine Einziehungsermächtigung, sondern eine Inkassozession vor, so daß es nicht um Prozeßstandschaft, sondern um die Aktivlegitimation des Klägers gehe, geht fehl. Ein Gemeinschuldner bleibt auch während des Konkurses Rechtsinhaber. Er verliert nur das Verwaltungs- und Verfügungsrecht (§ 6 KO). Eine Abtretung der Klageansprüche durch den Konkursverwalter an den Kläger geht deshalb ins Leere. In Frage steht nur, ob der Kläger prozeßführungsbefugt ist.
3. Ein eigenes rechtsschutzwürdiges Interesse des Klägers daran, die Klageforderung im eigenen Namen gegen die Beklagten gerichtlich geltend zu machen, ist entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hier zu bejahen.
a) Der Kläger ist, wie ausgeführt, ungeachtet des über sein Vermögen eröffneten Konkursverfahrens Rechtsinhaber der Klageforderung geblieben. Er hat nur das Verwaltungs- und Verfügungsrecht an den Konkursverwalter verloren. Anders als im Regelfall der gewillkürten Prozeßstandschaft liegt es deshalb nicht so, daß der Inhaber des materiellen Rechts einen materiell Rechtsfremden zur Prozeßführung ermächtigt (Drittermächtigung). Vielmehr steht die Prozeßführungsbefugnis (ausnahmsweise) einem Dritten zu, der sie dem Inhaber des materiellen Rechts zurückgibt (Rückermächtigung). In einem solchen Fall ergibt sich das eigene schutzwürdige Interesse des Prozeßstandschafters regelmäßig schon aus der Tatsache, daß er der Träger des materiellen Rechts selbst ist (vgl. BGHZ 38, 281, 288).
Anders als in den Fällen, die den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs BGHZ 35, 180 und 96, 151 zugrundelagen, handelt es sich im Streitfall auch nicht um die Prozeßstandschaft einer juristischen Person oder einer überschuldeten und vermögenslosen Personengesellschaft ohne Aussicht auf Fortführung des Geschäftsbetriebs. Der Kläger ist vielmehr eine natürliche Person, bei der die Interessenlage insbesondere im Hinblick auf das freie Nachforderungsrecht der Konkursgläubiger (§ 64 Abs. 1 KO) anders liegt (vgl. BGHZ 38, 281, 288/289; Weber JZ 1963, 225 [BGH 13.07.1962 - I ZR 43/61] bei II 3). Der Kläger hat ein schutzwürdiges Interesse daran, durch Beitreibung aller berechtigten Forderungen seine Verbindlichkeiten zu tilgen und damit die Voraussetzungen für eine Fortführung oder Wiederaufnahme seiner geschäftlichen Tätigkeit zu schaffen. Daß sich für ihn durch die vorliegende Prozeßführung keine irgendwie greifbaren Vorteile böten, kann deshalb nicht angenommen werden.
b) Der Prozeßstandschaft des Klägers ist die Anerkennung auch nicht deshalb zu versagen, weil die Interessen der Beklagten dies gebieten. Ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der Prozeßführung wäre allerdings insbesondere dann zu verneinen, wenn der Konkursverwalter den Kläger nur deshalb zur Klageerhebung ermächtigt hätte, um das Prozeßkostenrisiko zu Lasten der Beklagten zu verringern oder auszuschließen (vgl. BGHZ 96, 151, 155/156 m. w. Nachw.). So liegt es hier aber nicht.
Die Konkursmasse ist nahezu verwertet. Nennenswerte liquide Mittel stehen dem Konkursverwalter nicht zur Verfügung. Wegen Vermögenslosigkeit der Masse ist der Konkursverwalter außerstande, einen Rechtsstreit mit - wie hier - höherem Streitwert zu führen. Unter diesen Umständen kann es nicht als Mißbrauch des Rechtsinstituts der gewillkürten Prozeßstandschaft angesehen werden (§ 138 BGB), daß der Konkursverwalter den Kläger als den materiellen Inhaber der streitigen Ansprüche ermächtigt hat, die Forderungen im eigenen Namen einzuklagen.
Dem Risiko, von einem Kläger in Anspruch genommen zu werden, der bei erfolgloser Klage Kostenerstattungsansprüche nicht befriedigen kann, ist ohnehin jeder Beklagte ausgesetzt (vgl. auch BGHZ 96, 151, 156). Die Prozeßführungsbefugnis des Konkursverwalters dient auch nicht dem Schutz des Prozeßgegners zur Sicherstellung etwaiger Kostenansprüche. Die Beklagten sind im vorliegenden Rechtsstreit nicht anders gestellt, als wenn der Konkurs nicht eröffnet oder bereits beendet worden wäre (vgl. BGHZ 46, 249, 253 m. w. Nachw.).