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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 09.03.1987, Az.: II ZB 10/86

Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung über die Wirkung einer Verfahrensaussetzung ab dem Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe; Ausbleiben einer Verfahrensaussetzung bei ordnungsgemäßer Vertretung der verstorbenen Partei; Antragstellung oder Bekanntgabe als maßgebendes Ereignis für die Aussetzung des Verfahrens ; Rechtstaatliches Gebot zur umfassenden Berücksichtigung des Sachvortrages einer Prozesspartei; Verantwortlichkeit einer Prozesspartei für die Einhaltung der für die Einlegung von Rechtsmitteln geltenden gesetzlichen Ausschlussfristen

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
09.03.1987
Aktenzeichen
II ZB 10/86
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1987, 13182
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG München - 16.09.1986
LG Kempten - 23.08.1985

Fundstellen

  • MDR 1987, 739 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1987, 2379-2380 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Die gesetzliche Regelung, wonach die Wirkung der Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens erst mit deren Bekanntgabe und nicht schon rückwirkend ab Antragstellung eintritt, verstößt nicht gegen zwingende verfassungsrechtliche Grundsätze.

In dem Rechtsstreit
hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Kellermann und
die Richter Bundschuh, Brandes, Dr. Hesselberger und Dr. Henze
am 9. März 1987
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München mit dem Sitz in Augsburg vom 16. September 1986 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 12.018,61 DM.

Gründe

1

I.

Die Beklagte legte gegen das Urteil des Landgerichts Kempten vom 23. August 1985, das ihr am 29. August 1985 zugestellt worden war, am 24. September 1985 Berufung ein. Antragsgemäß wurde die Frist zur Begründung der Berufung bis einschließlich 25. November 1985 (Montag) verlängert. Unter Hinweis darauf, daß der einzige Geschäftsführer der Beklagten am 13. November 1985 verstorben sei, beantragte deren Prozeßbevollmächtigter mit Schriftsatz vom 19. November 1985, eingegangen bei Gericht am 21. November 1985, die Aussetzung des Verfahrens. Dieser Schriftsatz hat folgenden Wortlaut:

"beantragen wir für die Beklagte die Aussetzung des Verfahrens gem. §§ 246, 241 ZPO.

Im Handelsregister des AG Kempten ist für die Beklagte als einziger Geschäftsführer Herr Wilhelm Z. eingetragen. Davon hat sich der Unterzeichnete heute durch persönliche Einsichtnahme überzeugt.

Herr Z. ist am 13.11.1985 verstorben."

2

Mit Beschluß vom 26. November 1985, zugestellt am 2. Dezember 1985, ordnete das Berufungsgericht die Aussetzung des Verfahrens an.

3

Mit Schriftsatz vom 31. Januar 1986, bei Gericht eingegangen am 4. Februar 1986, hat die Beklagte nach Eintragung eines neuen Geschäftsführers in das Handelsregister die Aufnahme des Verfahrens beantragt, die Berufung begründet und wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Beschluß vom 16. September 1986, zugestellt am 18. September 1986, hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.

4

II.

Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.

5

1.

Die Beklagte hat die Frist zur Begründung der Berufung (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO) versäumt. Diese Frist endete am 25. November 1985. Innerhalb dieser Frist hat die Beklagte die Berufung nicht begründet.

6

Die Beklagte vertritt den Standpunkt, es sei aus verfassungsrechtlichen Gründen entgegen der herrschenden Meinung geboten, die Wirkungen des Aussetzungsbeschlusses auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückzubeziehen. Dem kann nicht gefolgt werden.

7

a)

Nach herrschender Meinung beginnt die Aussetzung, wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, mit der Verkündung des Beschlusses (vgl. Stein/Jonas/Schumann, ZPO 20. Aufl. Rdnr. 2 zu § 248), im übrigen mit der (formlosen) Bekanntgabe nach § 329 Abs. 2 ZPO (vgl. BGHZ 69, 395, 397 [BGH 03.11.1977 - IX ZR 80/77]; RGZ 62, 26, 28; RG JW 1928, 1297; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 45. Aufl. Anm. 2 zu § 248; Stein/Jonas/Schumann, a.a.O. und Rdnr. 10 zu § 246; Zöller/Stephan, ZPO 13. Aufl. Anm. 3 zu § 246). Hieran wird festgehalten.

8

Grundsätzlich sieht das Gesetz bei dem Tode einer Partei die Verfahrensunterbrechung vor (§ 239 ZPO). Eine Ausnahme macht es jedoch dann, wenn die Partei durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist; hier tritt keine Unterbrechung ein, sondern das Verfahren nimmt (zunächst) seinen Fortgang. Das Gesetz räumt dem Prozeßbevollmächtigten jedoch das Recht ein, die Aussetzung des Verfahrens zu beantragen (§ 246 Abs. 1 ZPO); über dieses Gesuch entscheidet das Gericht (§ 248 Abs. 2 ZPO). Gibt es dem Gesuch statt, liegt hierin die Aussetzung des Verfahrens im Sinne des § 249 Abs. 1 ZPO. Das Gesetz stellt also hinsichtlich der Wirkungen der Aussetzung nicht auf den Antrag, sondern auf die gerichtliche Entscheidung ab. Eine auf den Zeitpunkt der Antragstellung rückbezogene Wirksamkeit sieht das Gesetz nicht vor, obwohl es an die Aussetzung des Verfahrens die Folgen des § 249 Abs. 1 ZPO knüpft. Daraus ergibt sich, daß eine bereits vor Bekanntgabe des Aussetzungsbeschlusses abgelaufene Frist nicht mehr nach § 249 Abs. 1 ZPO aufhören kann zu laufen. Ist demnach eine Rechtsmittelbegründungsfrist abgelaufen, bevor der Aussetzungsbeschluß bekanntgegeben wird, kann das Rechtsmittel nicht mehr rechtzeitig begründet werden (vgl. BGHZ 69, 395, 397) [BGH 03.11.1977 - IX ZR 80/77].

9

Dieses Ergebnis wird durch den Hinweis der Beklagten auf die Rechtsprechung zur Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht erschüttert. Festzuhalten ist, daß auch hier der Bewilligungsbeschluß grundsätzlich erst mit seiner ordnungsgemäßen Bekanntgabe wirksam wird und eine Rückwirkung auf einen früheren Zeitpunkt nur ausnahmsweise in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschl. v. 6. Dezember 1984 - VII ZR 223/83, NJW 1985, 921; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 45. Aufl. Anm. 1 B zu § 122; je m.w.N.). Diese Ausnahmen haben ihren Grund in den Besonderheiten der Prozeßkostenhilfe, die Unbemittelten den Zugang zu den Gerichten erst ermöglicht. Die ausnahmslose Anwendung des Grundsatzes, daß Beschlüsse erst mit ihrer ordnungsgemäßen Bekanntgabe wirksam werden, könnte hier für den Rechtssuchenden unter dem Gesichtspunkt, daß er trotz Bewilligung von Prozeßkostenhilfe teilweise Verfahrenskosten übernehmen müßte, zu einer groben Unbilligkeit führen. Demgegenüber hat es der Prozeßbevollmächtigte, der einen Aussetzungsantrag nach § 246 Abs. 1 ZPO stellen will, selbst in der Hand, sich zu vergewissern, ob wegen des drohenden Ablaufs von Fristen neben diesem Antrag noch weitere prozessuale Schritte erforderlich sind.

10

Auch aus der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen vom 18. März 1982 (BGHZ 83, 217), wonach die Rechtsmittelbegründungsfrist noch nach deren Ablauf verlängert werden kann, sofern dies bis zum Ablauf des letzten Tages der Frist beantragt worden ist, folgt nicht, daß die Wirkung des Aussetzungsbeschlusses auf den Tag der Antragstellung zurückbezogen werden muß. Nach dieser Entscheidung soll der Bürger keine Nachteile dadurch erleiden, daß ein von ihm fristgerecht gestellter Verlängerungsantrag nicht vor Fristablauf bearbeitet wird. Dies kann nicht auf Fälle übertragen werden, in denen innerhalb der laufenden Frist ein Verlängerungsantrag gar nicht gestellt wird.

11

b)

Diese Gesetzeslage verstößt entgegen der Meinung der Beklagten nicht gegen zwingende verfassungsrechtliche Grundsätze.

12

aa)

Weder Art. 103 Abs. 1 GG noch das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren gewährt einen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Prozeßbeteiligten aus Gründen des formellen (oder materiellen) Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl. zuletzt BVerfGE 70, 288, 294) [BVerfG 08.10.1985 - 1 BvR 33/83]. Einen solchen Grund bilden im vorliegenden Fall die Bestimmungen der §§ 246 Abs. 1, 248 Abs. 2, 329 Abs. 2, 249 Abs. 1, 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO.

13

bb)

Durch diese Regelungen wird der Zugang zu den Gerichten und der Zugang von Schriftsätzen innerhalb einer Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert (vgl. dazu BVerfGE 52, 203, 207) [BVerfG 03.10.1979 - 1 BvR 726/78]. Es geht im vorliegenden Fall nicht darum, daß der Bürger berechtigt ist, die ihm vom Gesetz eingeräumten Fristen bis zu ihrer Grenze auszunutzen und ihm Fristversäumungen, die auf Verzögerungen der Entgegennahme der Sendung durch das Gericht beruhen, nicht angelastet werden dürfen (vgl. dazu BVerfG aaO), sondern darum, wem die Überwachung von Rechtsmittelfristen obliegt. Dies ist die Aufgabe des Prozeßbevollmächtigten. Er allein ist verpflichtet, den Ablauf von Rechtsmittel (begründungs-)fristen zu überwachen und bei drohendem Ablauf der Frist die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Insbesondere kann er sich nicht darauf verlassen, daß über einen von ihm gestellten Aussetzungsantrag in jedem Fall vor Ablauf der Frist entschieden wird, und deshalb von einem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist absehen. Daß die Entscheidung nicht innerhalb der laufenden Begründungsfrist ergehen kann, liegt schon deshalb nahe, weil der Aussetzungsantrag den Nachweis voraussetzt, daß die Partei nach Eintritt der Rechtshängigkeit verstorben ist. Im Regelfall wird der Aussetzungsbeschluß erst nach Prüfung durch den Vorsitzenden, Bestellung eines Berichterstatters, Vorbereitung durch diesen und Beratung des Senats an einem dazu zur Verfügung stehenden Sitzungstage gefaßt werden können und sodann durch Kundgabe nach § 329 Abs. 2 ZPO wirksam werden (vgl. BGHZ 69, 395, 397 f.) [BGH 03.11.1977 - IX ZR 80/77].

14

2.

Die Beklagte rügt weiterhin, das Berufungsgericht habe verkannt, daß in dem während der laufenden Berufungsbegründungsfrist gestellten Antrag auf Aussetzung des Verfahrens ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist enthalten sei. Diese Rüge bleibt ohne Erfolg.

15

Der Antrag der Beklagten vom 19. November 1985 auf Aussetzung des Verfahrens stellt eine Prozeßhandlung dar. Als solche unterliegt er der freien Auslegung durch das Revisionsgericht (vgl. BGHZ 4, 328, 334 [BGH 24.01.1952 - III ZR 196/50]; BGH, Urt. v. 6. März 1985 - VIII ZR 123/84, WM 1985, 739 m.w.N.; RGZ 104, 133, 136; 124, 182, 185). Ihm kann ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht entnommen werden.

16

Antrag und Begründung beziehen sich ausschließlich auf die Aussetzung des Verfahrens. Dieser in dem Schriftsatz verkörperte Wille richtet sich darauf, daß mit dem Wirksamwerden der Aussetzung des Verfahrens der Lauf einer jeden Frist aufhört zu laufen (§ 249 Abs. 1 ZPO). Dagegen kann dem bloßen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nicht entnommen werden, daß bei drohendem Ablauf einer Frist vor dem Wirksamwerden der Aussetzung diese Frist verlängert werden soll.

17

3.

Das Berufungsgericht hat der Beklagten zu Recht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt. Die Beklagte war nicht ohne Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO). Es war allein Aufgabe des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, den Lauf der Berufungsbegründungsfrist zu überwachen und den drohenden Ablauf dieser Frist durch geeignete Maßnahmen zu verhindern. Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, daß die Begründungsfrist am 25. November 1985 ablief und die Beklagte schon angesichts des kurzen Zeitraums vom Eingang ihres Aussetzungsantrags (Donnerstag, 21. November 1985) bis zum Ablauf der Begründungsfrist nicht erwarten konnte, daß die Aussetzung des Verfahrens vor Ablauf der Frist beschlossen und dieser Beschluß noch rechtzeitig bekanntgegeben würde.

18

Beschwerdewert: 12.018,61 DM.

Dr. Kellermann,
Bundschuh,
Brandes,
Hesselberger,
Dr. Henze