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Bundesgerichtshof
Urt. v. 03.02.1987, Az.: VI ZR 56/86

Beweiserleichterung; Arzt; Patient; Versäumung; Erhebung; Befund

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
03.02.1987
Aktenzeichen
VI ZR 56/86
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1987, 13056
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHZ 99, 391 - 400
  • MDR 1987, 573 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1988, 751-752 (Urteilsbesprechung von Rechtsreferendar Jürgen Peter)
  • NJW 1987, 1482-1484
  • NJW-RR 1987, 893 (amtl. Leitsatz)
  • VersR 1987, 1089-1091 (Volltext mit red./amtl. LS)

Redaktioneller Leitsatz

Ein Patient hat eine mögliche Beweiserleichterung (bis zur Beweislastumkehr) gegenüber einem Arzt, der die Erhebung und Sicherung medizinisch zweifelsfrei gebotener Befunde versäumt hat. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß durch die Versäumung die Aufklärung eines Ursachenzusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschäden erschwert oder vereitelt wird und die Befundsicherung gerade wegen des erhöhten Verlaufsrisikos geschuldet war.

Tatbestand:

1

Die damals 13jährige Erstklägerin suchte am 1. Februar 1978 wegen Herzstechens und Fiebers die Praxis des Beklagten, eines Facharztes für innere Krankheiten, in E. auf. Dieser fertigte u. a. ein EKG an, das eine Myokarditis zeigte, ferner eine Röntgenaufnahme des Thorax. Bei der körperlichen Untersuchung der Erstklägerin fand er starke Rasselgeräusche über der Lunge und einen hochfiebrigen Zustand. Er diagnostizierte eine Bronchopneumonie (Lungenentzündung) und verordnete ein hoch dosiertes Antibiotikum, das schon nach zwei Tagen eine wesentliche Besserung im Zustand der Erstklägerin herbeiführte. Bei einer Kontrolluntersuchung durch den Beklagten am 9. Februar 1978 war die Erstklägerin subjektiv beschwerdefrei. Am 6. April 1978 erschien sie wiederum in der Praxis des Beklagten, der ein weiteres EKG anfertigte, aber sonst keine Untersuchungen vornahm.

2

Wegen starker katarrhalischer und bronchitischer Beschwerden kam die Erstklägerin dann am 5. Januar 1979 in die Praxis des Beklagten. Dieser diagnostizierte eine akute Virusinfektion und verordnete ein Antibiotikum. Am 11. Januar 1979 fertigte er eine Röntgenaufnahme des Thorax an und diagnostizierte eine rezidivierende Bronchopneumonie, die er weiter mit Antibiotika behandelte. Am 8. Februar 1979 stellte er bei der Erstklägerin keinen krankhaften Befund mehr fest. Indessen verschlimmerte sich deren Allgemeinzustand am 20. Februar 1979 plötzlich. Nunmehr stellte der Beklagte nach einer Röntgenkontrolle des Thorax die Verdachtsdiagnose einer Lungen-Tuberkulose. Eine Untersuchung durch das staatliche Gesundheitsamt E. am 22. Februar 1979 ergab, daß die Erstklägerin an einer offenen Tuberkulose erkrankt war. Sie wurde deswegen mehrere Monate lang in einer Lungenheilstätte behandelt.

3

Die damals fast zwei Jahre alte Zweitklägerin, die mit der Erstklägerin in einer Wohngemeinschaft lebte, erkrankte Anfang 1979 infolge Ansteckung ebenfalls an Lungen-Tuberkulose.

4

Die Erstklägerin verlangt vom Beklagten Ersatz ihres materiellen Schadens infolge der notwendig gewordenen Lungen-Tuberkulose-Behandlung, beide Klägerinnen begehren darüberhinaus Zahlung eines Schmerzensgeldes. Sie werfen dem Beklagten vor, er habe nicht, wie erforderlich, nach dem am 1. Februar 1978 auf der Röntgenaufnahme festgestellten zweifelhaften Lungenbefund bei der Erstklägerin weitere Untersuchungen zum Ausschluß des Verdachts auf eine Lungen-Tuberkulose durchgeführt, die schon damals zur Aufdeckung dieser Erkrankung hätten führen können. Es wäre dann zu einer schnelleren Behandlung und Heilung der Erstklägerin ohne Dauerschäden gekommen; diese hätte ferner die Zweitklägerin nicht anstecken können.

5

Der Beklagte nimmt für sich in Anspruch, die Erstklägerin im Frühjahr 1978 fehlerfrei behandelt zu haben. Eine Röntgenkontrolluntersuchung, die er seinerzeit vorgeschlagen habe, sei von der Mutter der Erstklägerin abgelehnt worden. Die Erstklägerin selbst sei auch zu mehreren Untersuchungsterminen nicht erschienen. Der Krankheitsverlauf biete keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Erstklägerin bereits im Februar 1978 an Lungen-Tuberkulose erkrankt gewesen sei.

6

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Die Revision der Klägerinnen führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Entscheidungsgründe

7

I.

Das Berufungsgericht, sachverständig beraten, sieht einen Behandlungsfehler des Beklagten darin, daß er nach dem 1. Februar 1978 Kontrolluntersuchungen, vor allem eine Röntgenkontrolle des Thorax der Erstklägerin, unterlassen habe, obwohl diese nach dem aus der Röntgenaufnahme vom 1. Februar 1978 zu erkennenden unklaren Lungenbefund medizinisch angezeigt und zur Abklärung der Diagnose notwendig gewesen wäre. Seine Behauptung, die Erstklägerin und deren Mutter hätten eine vorgesehene Röntgenkontrolle verweigert, habe der Beklagte nicht bewiesen. Andererseits hätten die Klägerinnen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler des Beklagten und ihren Körperschäden nicht bewiesen. Es sei offen geblieben, ob die Erstklägerin bereits im Frühjahr 1978 an der Lungen-Tuberkulose erkrankt gewesen sei. Für den zu erbringenden Beweis genüge nicht ein aufgrund der Röntgenaufnahme vom 1. Februar bestehender Verdacht auf einen tuberkulösen Prozeß und auch nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit des behaupteten Ursachenverlaufs aufgrund der Krankengeschichte. Etwaige Behandlungsfehler des Beklagten im Januar 1979 hätten an dem Krankheitsverlauf nichts mehr ändern können.

8

Das Berufungsgericht meint sodann, die Beweislast für das Fehlen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und Schaden treffe auch nicht deswegen den Beklagten, weil er, wie die Klägerinnen meinten, einen groben Behandlungsfehler begangen habe. Der Verdacht auf eine tuberkulöse Erkrankung habe sich aufgrund der Röntgenaufnahme vom 1. Februar 1978 nicht zwingend aufgedrängt. Ferner habe der Beklagte das rasche Abklingen der Beschwerden der Erstklägerin nach Verordnung der Antibiotika als Bestätigung der Richtigkeit seiner Diagnose einer Bronchopneumonie werten können. Hinzu komme, daß die Erstklägerin bereits am 6. April 1978 in der Sprechstunde den Wunsch geäußert habe, wieder Sport betreiben zu dürfen. Auch das habe den Beklagten davon ablenken können, den Verdacht auf einen Lungenbefund weiter zu verfolgen.

9

II.

Das angefochtene Urteil hält den Revisionsangriffen nicht stand. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Unrecht die Klägerinnen als beweisbelastet für den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler des Beklagten und eingetretenem Körperschaden angesehen.

10

1. Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen führt das Berufungsgericht aus, der Beklagte habe dadurch einen schuldhaften Behandlungsfehler begangen, daß er den unklaren und jedenfalls auch den Verdacht auf einen tuberkulösen Prozeß aufzeigenden Befund auf der Thorax-Röntgenaufnahme vom 1. Februar 1978 nicht zum Anlaß genommen hat, nach Abklingen der akuten Bronchopneumonie u. a. eine Röntgenkontrolle des Thorax vorzunehmen und durch weitere Untersuchungen differentialdiagnostisch abzuklären, ob die Erstklägerin an einer beginnenden Lungentuberkulose litt. Der Beklagte durfte sich auch als Internist, der nicht über die Spezialkenntnisse eines Lungenfacharztes verfügte, nicht damit zufrieden geben, daß die von ihm diagnostizierte akute Bronchopneumonie nach Behandlung mit Antibiotika alsbald abgeklungen war. Der Anfangsbefund auf der ersten Thoraxaufnahme ließ sich nach der auch bei dem Beklagten vorauszusetzenden medizinischen Erfahrung nicht nur durch diese akute Erkrankungen erklären, sondern war »unklar« in dem Sinn, daß möglicherweise ein chronischer Krankheitsprozeß vorlag, den es weiter abzuklären galt, vor allem durch eine weitere Röntgenkontrolle.

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2. Der Beklagte hat nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichtes nicht bewiesen, daß die Erstklägerin oder ihre Mutter eine vorgeschlagene Röntgenkontrolluntersuchung verweigert haben. Dabei hat es entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung die Beweislast nicht verkannt: Es war jedenfalls wegen Fehlens einer Dokumentation der Weigerung auf dem Krankenblatt Sache des beklagten Arztes, darzulegen und zu beweisen, daß der feststehende Behandlungsfehler, nämlich das Unterlassen weiterer Röntgenuntersuchungen, wegen des Verhaltens der Patientin ausnahmsweise nicht zu seinen Lasten gehen dürfe. Im übrigen hätte der Beklagte im Falle einer derartigen Ablehnung der ärztlich dringend gebotenen Untersuchungsmaßnahme die Erstklägerin und deren Mutter mit allem Ernst auf die medizinische Notwendigkeit weiterer diagnostischer Abklärung hinweisen müssen, wozu auch die Mitteilung des Verdachtes auf eine etwaige beginnende Lungentuberkulose und die Folgen einer verspäteten Behandlung der Krankheit gehört hätten. Dazu hat der Beklagte nichts vorgetragen.

12

3. Das Berufungsgericht entnimmt den Ausführungen des in erster Instanz gehörten Sachverständigen Prof. Dr. W. und denen der in zweiter Instanz gehörten Sachverständigen Dr. Sch. und Dr. St., es sei offen, ob die tuberkulöse Erkrankung der Erstklägerin bereits im Frühjahr 1978 bestanden habe. Es folgert daraus, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler des Beklagten (Unterlassung weiterer Röntgenkontrollen) und dem Körperschaden der Klägerin von dieser nicht bewiesen worden sei. Dagegen wendet sich die Revision vergeblich (von der weiteren Darstellung wird abgesehen).

13

4. Indessen kommt den Klägerinnen im Streitfall zugute, daß die Beweislast für einen fehlenden ursächlichen Zusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Körperschaden der Erstklägerin im Streitfall den beklagten Arzt trifft.

14

a) Ob das bereits, wie die Revision geltend macht, daraus folgt, daß dem Beklagten wegen der unterlassenen Kontrolluntersuchungen der Erstklägerin ein grober Behandlungsfehler zur Last fällt, kann letztlich dahinstehen. Das Berufungsgericht hat das Fehlverhalten des Beklagten mit eingehender Begründung nicht als schwerwiegend eingestuft. Es hat dabei die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen ein grober Behandlungsfehler anzunehmen ist, nicht verkannt. Im übrigen gibt es bei der Würdigung der im Einzelfall zu beachtenden tatsächlichen Umstände einen gewissen tatrichterlichen Beurteilungsspielraum, über den das Berufungsgericht zu Lasten der Klägerinnen nicht hinausgegangen ist, wenn es insoweit vielleicht auch schon zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.

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b) Beweisbelastet für das Fehlen eines Ursachenzusammenhangs ist der Beklagte aber möglicherweise aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt, den das Berufungsgericht nicht geprüft hat. Ist nämlich, wie im Streitfall, der Arzt verpflichtet, den Krankheitsstatus seines Patienten zu sichern, um aus den Befunden den nur so zu erlangenden Aufschluß über die Natur eines sich entwickelnden Krankheitsprozesses zu gewinnen und dann die erforderlichen Konsequenzen für eine weitere Behandlung zu ziehen, dann kann die schuldhafte Verletzung dieser Verpflichtung gegenüber dem Patienten, die diesem gleichzeitig die Beweisführung in einem späteren Haftpflichtprozeß wegen des Fehlens des sonst als Beweismittel zur Verfügung stehenden Untersuchungsergebnisses erschwert oder vereitelt, auch prozessuale Nachteile für den Arzt mit sich bringen.

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a) Ähnlich wie bei der Verletzung der ärztlich geschuldeten Verpflichtung zur Dokumentation von Befunden (dazu BGHZ 72, 132, 136ff.; ständige Rechtsprechung; zuletzt Senatsurteil vom 18. März 1986 - VI ZR 215/84 - NJW 1986, 2365 = VersR 1986, 788) verschlechtert der Verstoß gegen ärztliche Berufspflichten bei der Befundsicherung die Möglichkeit, im nachhinein den grundsätzlich vom Patienten zu erbringenden Beweis für den Ursachenverlauf zwischen Behandlungsfehler und Körperschaden zu führen. Für den Fall, daß ein Arzt in ungewöhnlichem Ausmaß einfache Diagnose- und Kontrollbefunde zum Behandlungsgeschehen nicht erhoben hat und deswegen in besonderem Maße die Verantwortung dafür trägt, daß die notwendigen Daten zur Aufdeckung des Behandlungsgeschehens nicht zur Verfügung stehen, hat der erkennende Senat wegen der vom Arzt grob verschuldeten Unaufklärbarkeit deswegen schon die Folgerung gezogen, daß das Aufklärungshindernis im Haftpflichtprozeß nicht zu Lasten des Patienten gehen darf (BGHZ 85, 212, 217). Nicht nur denjenigen, der gerade im Hinblick auf einen zu erwartenden oder bereits laufenden Prozeß die Benutzung von Beweismitteln vereitelt, treffen deshalb Beweisnachteile, wie das aus den gesetzlichen Regelungen in §§ 427, 444, 446 ZPO mit unterschiedlicher Begründung und mit unterschiedlichen Folgerungen hergeleitet wird: Dasselbe muß gelten, wenn eine Pflicht verletzt wird, durch Vornahme von ärztlichen Untersuchungen einen Zustand zu klären, der nachträglich nicht mehr ermittelt werden kann, sofern diese Pflicht wenigstens auch zum Schutze einer in einem späteren Prozeß beweisbelasteten Partei besteht (so schon für das Unterlassen gesetzlich angeordneter Untersuchungen von Trinkwasser Senatsurteil vom 25. Januar 1983 - VI ZR 24/82 - NJW 1983, 2935 = VersR 1983, 441). Die sich aus der Behandlung des Patienten ergebende ärztliche Verpflichtung, durch entsprechende Untersuchungsmaßnahmen einen bestimmten Krankheitsstatus zu erheben, verfolgt zwar in erster Linie therapeutische Ziele. Sie dient aber auch, ähnlich wie die Pflicht zur Dokumentation der Befunde, der Wahrung des Persönlichkeitsrechts des Patienten, dem Rechenschaft über den Gang der ärztlichen Behandlung abzulegen ist. Sicherlich hat sie keinen unmittelbaren Sicherungszweck im Hinblick auf künftige Haftpflichtprozesse. Aber wenn materiellrechtlich ein Befund zu sichern und wenn darüber Rechenschaft abzulegen ist, dann kann diese Verpflichtung in einem etwaigen späteren Prozeß nicht außer Betracht gelassen werden. Die beweisbelastete Partei kann vielmehr dem zur Sicherung der Aufklärung Verpflichteten entgegenhalten, daß er schuldhaft auch die Beweislage im Prozeß verschlechtert oder vereitelt hat. In diesem Sinne ist mithin die ärztliche Verpflichtung zur Dokumentation und auch diejenige zur Befundsicherung in noch zu erörternden Grenzen auch beweis- und damit prozeßbezogen (im Ergebnis ebenso Matthies JZ 1986, 959, 611 f.; zu der insoweit abweichenden, aber überholten Ansicht des III. Zivilsenats des BGH im Urteil vom 29. November 1964 - III ZR 25/64 - VersR 1965, 91, 92 vgl. schon das angeführte Senatsurteil BGHZ 72, 132, 139; zum Teil a. A. u. a. Baumgärtel, Gedächtnisschrift für Bruns, Seite 93, 98f.; derselbe in Festschrift für Kralik, Seite 63, 69; Prütting in Festschrift 150 Jahre Landgericht Saarbrücken, Seite 257, 265ff.). Ob es dabei um die Fiktion eines Beweisergebnisses als Sanktion einer Beweisvereitlung geht (vgl. dazu Matthies aaO m. w. Nachw.), oder ob das Ergebnis daraus folgt, daß die Berufung des Aufklärungspflichtigen, der die Aufklärung unterlassen hat, auf mangelnde Aufklärbarkeit im Prozeß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt, der auch im Prozeßrecht Beachtung zu finden hat, kann für die Entscheidung offen bleiben. In jedem Falle ist die Konsequenz, daß der Prozeßpartei, die durch die von der Gegenpartei zur verantwortenden Aufklärungshindernisse benachteiligt wird, Beweiserleichterungen zugute kommen.

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b) Freilich können vielfache und unterschiedliche ärztliche Behandlungsmaßnahmen, nicht nur das Unterlassen von Befunderhebungen und deren Sicherung, dazu beitragen, daß der Ursachenverlauf zwischen einem dem Arzt zuzurechnenden Behandlungsfehler und dem Körperschaden seines Patienten nachträglich nicht mehr aufzuklären ist. Das kann in aller Regel nicht schon deshalb zu Lasten des Arztes gehen; es würde darauf hinauslaufen, den Arzt in der Mehrzahl der Fälle mit dem schwer zu führenden Beweis des Fehlens eines solchen Ursachenzusammenhangs zu belasten und damit im Ergebnis zu einer Haftung für die Verwirklichung auch des bloßen Krankheitsrisikos allein deshalb, weil der Arzt einen Fehler gemacht hat, führen. Im Regelfall muß es dabei bleiben, daß der Patient nicht nur den ärztlichen Behandlungsfehler, sondern auch dessen nachteilige Auswirkungen für seine Gesundheit nachzuweisen hat. Nur dann ist es gerechtfertigt, dem Patienten den Beweis für den Kausalzusammenhang zu erleichtern, wenn eine Befunderhebung durch eine ärztliche Untersuchungsmaßnahme angesichts der Symptome des Patienten zur Aufklärung und Sicherung des Status ärztlich zweifelsfrei geboten gewesen und schuldhaft unterlassen worden ist, und wenn ein Befundstatus, wäre er erhoben worden, wahrscheinlich den vom Patienten behaupteten Ursachenverlauf auch geklärt hätte, weil die Statussicherung gerade wegen des erhöhten Risikos eines solchen Verlaufs geschuldet war. Nur dann erscheint es unbillig, den Patienten das volle Aufklärungsrisiko tragen zu lassen. Je nach den Umständen des Einzelfalles wird der Tatrichter dann die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden ausreichen lassen müssen, um die Haftung des Arztes zu begründen. Im Einzelfall wird, etwa wenn es um grobe Versäumnisse ganz einfacher, naheliegender Befunderhebungen geht, auch eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes in Betracht kommen. Das schuldhaft bei der ärztlichen Behandlung gesetzte Maß an Unaufklärbarkeit muß sich in einer entsprechenden Verminderung des vom Patienten zu erbringenden Beweismaßes hinsichtlich des Kausalverlaufes niederschlagen. In jedem Falle kann das Fehlen eines Beweismittels, das auf einer schuldhaften ärztlichen Unterlassung bei der Behandlung beruht, ein Indiz für den Kausalzusammenhang sein, wenn ein solcher ohnehin wahrscheinlich ist; dieses Indiz kann dann die Brücke zu einem sonst fehlenden vollen Beweis bilden.

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c) Im Streitfall hat der Beklagte nach seinem eigenen Vortrag erkannt, daß der Röntgenbefund der Lunge bei der Erstklägerin »unklar« war, und daß er deshalb eine erneute Röntgenkontrolle nach Abklingen der akuten Bronchopneumonie erforderte. Das war keine ärztliche Ermessensfrage mehr; das Unterlassen einer solchen Kontrolle war vielmehr ein den Patienten gefährdender Behandlungsfehler. Die im Prozeß gehörten Sachverständigen haben in ihrem Gutachten für wahrscheinlich gehalten, daß schon die erste Röntgenaufnahme vom 1. Februar 1978 aus nachträglicher Sicht einen tuberkulösen Prozeß aufgezeigt hat. Eine Kontrollaufnahme spätestens am 6. April 1978 hätte das verdeutlicht oder, so muß bisher jedenfalls angenommen werden, Anlaß zu weiteren Untersuchung gegeben, wenn der Befund weiter »unklar« war. Damit liegt es nahe, daß die Erstklägerin nach den oben dargelegten Rechtsgrundsätzen den Beweis für den von ihr behaupteten Ursachenzusammenhang zwischen dem Fehler des Beklagten und dem von ihr behaupteten Gesundheitsschaden erbringen kann oder daß zu ihren Gunsten von einem entsprechenden Kausalverlauf ausgegangen werden muß.