Bundesgerichtshof
Urt. v. 26.11.1986, Az.: IVb ZR 91/85
Feststellung der ehelichen Verhältnisse in einem abzuändernden Urteil; Bestimmung des angemessenen Unterhalts durch den Richter im Abänderungsverfahren; Anwendungsfall der so genannten "Differenzmethode"; Bindung an die dem Ersturteil zugrunde liegenden und in ihm bewerteten Verhältnisse
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 26.11.1986
- Aktenzeichen
- IVb ZR 91/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 13745
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG München - 17.10.1985
- AG München - 21.02.1985
Rechtsgrundlagen
- § 58 Abs. 1 EheG
- § 323 Abs. 1 ZPO
Fundstellen
- MDR 1987, 392 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1987, 516-518 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Sind in dem abzuändernden Urteil die ehelichen Lebensverhältnisse nicht festgestellt worden, hat der Richter im Abänderungsverfahren den angemessenen Unterhalt zu bestimmen; an Verhältnisse, die dem Ersturteil zugrundelagen und in ihm bewertet wurden, bleibt er gebunden.
In dem Rechtsstreit
hat der IVb - Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 1986
durch
den Vorsitzenden Richter Lohmann und
die Richter Dr. Blumenröhr, Dr. Macke, Dr. Zysk und Nonnenkamp
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 17. Oktober 1985 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - München vom 21. Februar 1985 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten beider Rechtsmittelverfahren.
Tatbestand
Die Anfang 1959 geschlossene Ehe der Parteien wurde am 14. September 1972 aus dem Verschulden des Klägers geschieden. Dieser muß aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Bad Schwalbach vom 26. September 1974 an die Beklagte gemäß § 58 Abs. 1 EheG Unterhalt zahlen. Diesen bemaß das Gericht seinerzeit nach den "Grundsätzen, die die Landgerichte Hamburg und Düsseldorf entwickelt haben". Dabei ging es von einem nach Abzug von Fahrgeldern und Auslösebeträgen verbleibenden monatlichen Nettoeinkommen des Klägers von 2.136 DM aus. Hiervon zog es zuerst ein Viertel (534 DM) als Unterhalt für die nicht erwerbstätige Ehefrau des wiederverheirateten Klägers ab. Aus der Differenz des verbleibenden Teils seines Einkommens (1.602 DM) und dem Nettoeinkommen der Beklagten von monatlich 250 DM, das sie aus einer während des Scheidungsverfahrens aufgenommenen Teilzeitarbeit als Haushaltshilfe erzielte, sprach es der Beklagten ein Drittel (abgerundet: 450 DM) zu. Damit - so führte das Gericht damals aus - verfüge die Beklagte über monatlich insgesamt 700 DM, die zur Bestreitung ihres Unterhalts reichen müßten, während dem Kläger und seiner Ehefrau 1.686 DM blieben, die gleichfalls zum Lebensunterhalt ausreichten.
Der Kläger erstrebt mit der am 5. Januar 1983 zugestellten Abänderungsklage den Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung ab Rechtshängigkeit mit der Begründung, die Beklagte sei nicht mehr bedürftig, weil ihre Einkünfte nach einer Ausweitung ihrer Berufstätigkeit auf eine Ganztagsarbeit erheblich gestiegen seien, während er außer für seine weiterhin einkommenslose Ehefrau Unterhalt auch noch für ein in der Ausbildung stehendes adoptiertes Kind leisten müsse.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat eine Bindung an die Verteilungsguote im abzuändernden Urteil verneint und den Unterhaltsbedarf der Beklagten mit einem 3/7-Anteil an dem für 1983 mit etwa 2.900 DM ermittelten monatlichen Nettoeinkommen des Klägers errechnet. Auf diesen Bedarf von 1.250 DM hat es in vollem Umfang das von der Beklagten erzielte Nettoeinkommen von monatlich 1.480 DM angerechnet; das Ergebnis - Wegfall des Unterhaltsanspruchs gegen den Kläger - hat es mit Blick auf die früheren Verhältnisse auch für angemessen angesehen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht dieses Urteil - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung - teilweise abgeändert und den Unterhaltsanspruch der Beklagten in Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Bad Schwalbach vom 26. September 1974 ab 1. Januar 1983 auf monatlich 300 DM herabgesetzt, die Klage im übrigen jedoch abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Aufgrund des Anstiegs der monatlichen Nettoeinkünfte beider Parteien seit dem Schluß der mündlichen Verhandlung im Vorprozeß - beim Kläger von 2.136 DM auf durchschnittlich 2.850 DM und bei der Beklagten von 250 DM auf 1.480 DM - haben sich die Verhältnisse, die für die Verurteilung des Klägers zur Unterhaltszahlung maßgebend waren, wesentlich geändert (§ 323 Abs. 1 ZPO).
II.
1.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß im Abänderungsverfahren für die Unterhaltsbemessung Bindungen bestehen; insbesondere können diejenigen Verhältnisse, die bereits dem ersten Urteil zugrunde lagen und dabei eine Bewertung erfahren haben, nicht abweichend beurteilt werden. Die Abänderungsentscheidung kann nur in einer unter Wahrung der Grundlagen des Unterhaltstitels vorzunehmenden Anpassung des Unterhalts an veränderte Verhältnisse bestehen (std. Rspr. des Senats, vgl. zuletzt Urteil vom 23. April 1986 - IVb ZR 30/85 - FamRZ 1986, 790 m.w.N.).
a)
Hiermit stimmt überein, daß das Berufungsgericht bei der Ermittlung der für Unterhaltszwecke einzusetzenden Nettoeinkünfte des Klägers die ihm wegen seiner Tätigkeit im Ausland zufließenden steuerfreien Spesen (Fahrtkosten, Auslösebeträge, Unterkunftsgeld) nicht berücksichtigt hat, denn das ist im abzuändernden Urteil ebenfalls nicht geschehen. Ebenso ist weiterhin davon auszugehen, daß der Kläger seiner jetzigen Ehefrau unterhaltspflichtig ist. Die Bindung an diese Grundlagen des Unterhaltstitels für 1974 ist für den Kläger günstig; demgemäß führt die Revision insoweit auch keine Angriffe.
b)
Eine Bindung an die im abzuändernden Urteil genannten Grundsätze der Landgerichte Hamburg und Düsseldorf lehnt das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 11. Januar 1984 - IVb ZR 10/82 - FamRZ 1984, 374, 375) zwar ab, es hält sich indessen an den vom Amtsgericht Bad Schwalbach zur Ermittlung des Unterhaltsanspruchs der Beklagten angewendeten Berechnungsweg gebunden, den es als "Differenzmethode" bezeichnet. Dazu hat es ausgeführt, zu den tatsächlichen Verhältnissen, die als Grundlagen des Urteils im Abänderungsverfahren unverändert bleiben müßten, gehöre der Umstand, daß es dem Richter seinerzeit nach eingehender Ermittlung der familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten aus Billigkeitsgründen unter Abwägung des jedem der Ehegatten letztlich zur Verfügung stehenden Betrages angezeigt erschien, bei der Unterhaltsbemessung das Einkommen der Beklagten von dem bereinigten (das heißt dem nach Abzug eines Viertels verbleibenden) Einkommen des Klägers abzusetzen und der Beklagten sodann die übliche Unterhaltsquote aus der verbleibenden Differenz zuzusprechen. Demgemäß sei vom derzeitigen Nettoeinkommen des Klägers (2.850 DM) wiederum zuerst ein Betrag für die Unterhaltsbedürfnisse der jetzigen Ehefrau abzuziehen; diesen hat das Berufungsgericht aber nicht mit einem Viertel von 2.850 DM, sondern im Anschluß an die Düsseldorfer Tabelle (Abschnitt BV 2, FamRZ 1984, 961, 962) mit dem Mindestbedarf einer nicht erwerbstätigen und nicht getrenntlebenden Ehefrau in Höhe von 665 DM angesetzt. Aus dem verbleibenden Einkommen des Klägers (2.185 DM) und dem der Beklagten (1.480 DM) ergebe sich eine Differenz von 705 DM, wovon der Beklagten ein Anteil von 3/7 oder abgerundet 300 DM gebühre (alle Beträge monatlich).
Dieser Beurteilung kann nicht gefolgt werden, denn sie ist von Rechtsirrtum beeinflußt.
In dem abzuändernden Urteil sind für die Unterhaltsbemessung eheliche Lebensverhältnisse nicht festgestellt worden. Die vom Gericht seinerzeit ermittelten Vermögens- und Erwerbsverhältnisse beider Parteien und die Verpflichtung des Klägers, nach Wiederheirat einem neuen Ehegatten Unterhalt zu gewähren, erlaubten es damals nicht, der Beklagten den zur Deckung ihres vollen Unterhaltsbedarfs erforderlichen Betrag zuzusprechen. Das ergibt sich unzweifelhaft aus den Überlegungen, die der Richter des damaligen Verfahrens zur Kontrolle des gefundenen Ergebnisses angestellt und am Ende der Urteilsgründe niedergelegt hat. Bei dem vom Gericht angesichts dieser Lage damals beschrittenen Berechnungsweg handelte es sich daher nicht um ein beizubehaltendes Element des damaligen Urteils, sondern um ein Hilfsmittel, das der Richter erklärtermaßen unter Orientierung an den in der Rechtsprechung der Landgerichte Düsseldorf und Hamburg dazu entwickelten Grundsätzen (vgl. etwa Düsseldorfer Tabelle, Stand 1. Januar 1973, Amtsvormund 1973, 35) zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessener Unterhalt" (in § 58 Abs. 1 EheG) verwendete und an das keine Bindung im Abänderungsverfahren besteht (Senatsurteil vom 11. Januar 1984 aaO). Dem steht nicht entgegen, daß der damals angewendete Berechnungsweg mit Differenzbeträgen und Quotenbildungen arbeitete. Solche mit Rechenwegen häufig verbundenen Elemente machen die damalige Unterhaltsbemessung noch nicht zu einem Anwendungsfall der sog. "Differenzmethode", wie sie in der Rechtsprechung nach dem Inkrafttreten des 1. EheRG bei Einkommen beider Ehegatten zur Ermittlung des Unterhaltsanspruchs des weniger verdienenden angewendet wird. Entgegen der in der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung lassen sich aus diesem im abzuändernden Urteil beschrittenen Berechnungsweg daher auch keine bindenden Feststellungen dazu entnehmen, ob die ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien bereits durch beiderseitige Erwerbseinkünfte geprägt waren.
Haben sich die Einkommensverhältnisse seit der letzten mündlichen Verhandlung in dem Verfahren, in dem das abzuändernde Urteil ergangen ist, soweit verbessert, daß jetzt eine Deckung des vollen an den ehelichen Lebensverhältnissen ausgerichteten Unterhaltsbedarfs möglich ist, besteht kein Grund, die Parteien an der früheren Beschränkung festzuhalten (vgl. Senatsurteil vom 21. Mai 1980 - IVb ZR 522/80 - FamRZ 1980, 771). In einem solchen Fall ist für die Unterhaltsbemessung ohne Bindung an die früher verwendeten Hilfsmittel allein nach der materiellen Rechtslage zu entscheiden. Das angefochtene Urteil, das irrtümlich von einer Bindung an den im früheren Urteil eingeschlagenen Berechnungsweg ausgegangen ist, kann daher keinen Bestand behalten.
2.
Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, denn sie ist zur Endentscheidung reif. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.
a)
Da die Ehe der Parteien vor dem 1. Juli 1977 aus dem Verschulden des Klägers geschieden worden ist, bestimmt sich ein Unterhaltsanspruch der Beklagten gemäß Art. 12 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 des 1. EheRG weiterhin nach § 58 Abs. 1 EheG. Dazu bedarf es zunächst der Ermittlung der Lebensverhältnisse der Ehegatten, die sich inhaltlich jedoch nicht von den ehelichen Lebensverhältnissen im Sinne des § 1578 BGB unterscheiden (vgl. BGH Urteil vom 13. Juli 1979 - IV ZR 189/77 - FamRZ 1979, 692, 693). Sie werden in Ehen, in denen nur einer der Ehegatten einer Erwerbstätigkeit nachgeht, allein durch dessen Einkommen geprägt, falls nicht andere Einkünfte den Lebensstandard der Ehegatten weiter erhöht haben (std. Rspr. vgl. Senatsurteil vom 14. November 1984 - IVb ZR 38/83 - FamRZ 1985, 161, 162). Einkünfte, die ein Ehegatte aus einer erst während der Trennung aufgenommenen Erwerbstätigkeit bezieht, können nur in Ausnahmefällen die ehelichen Lebensverhältnisse noch prägen, wenn nämlich die Aufnahme dieser Erwerbstätigkeit schon während des Zusammenlebens der Eheleute geplant oder doch vorauszusehen war (Senatsurteile BGHZ 89, 108, 112[BGH 23.11.1983 - IVb ZR 21/82] und vom 23. April 1986 - IVb ZR 34/85 - FamRZ 1986, 783).
b)
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Das Amtsgericht hat festgestellt, daß die Beklagte erst aufgrund der Trennung, wenn nicht sogar erst nach Scheidung, ihre Berufstätigkeit aufgenommen hat und die ehelichen Lebensverhältnisse von einem durch sie zu erzielenden Einkommen nicht geprägt waren. Die Berufung der Beklagten hat das nicht in Frage gestellt. Das Oberlandesgericht hat auch keine davon abweichenden Feststellungen getroffen. Danach ist davon auszugehen, daß die ehelichen Lebensverhältnisse allein durch das Erwerbseinkommen des Klägers bestimmt sind. Dieses beträgt jetzt monatlich durchschnittlich 2.850 DM. Davon ist auszugehen, weil das Einkommen des Klägers in dem seit Erlaß des abzuändernden Urteils vergangenem Zeitraum nicht in einer von der allgemeinen Einkommensentwicklung und den gestiegenen Lebenshaltungskosten auffällig abweichenden Weise angewachsen ist.
Wird der angemessene Bedarf der Beklagten im für sie günstigsten Fall mit der Hälfte dieses Einkommens bemessen, beträgt er etwa 1.425 DM im Monat. Hierauf muß sie sich ihr eigenes Einkommen von monatlich 1.480 DM mit dem Ergebnis anrechnen lassen, daß ein Unterhaltsanspruch gegen den Kläger nicht mehr besteht. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, daß ihr infolge der Trennung Mehrkosten erwachsen sind, die bei der Ermittlung ihres Unterhaltsbedarfs zu berücksichtigen wären. Da bereits das Amtsgericht im vorliegenden Verfahren zutreffend diese sog. Anrechnungsmethode angewendet hat, hätte für die Beklagte Anlaß bestanden, einen durch die Trennung verursachten Mehrbedarf spätestens im Berufungsverfahren geltend zu machen.
Bei diesem Ergebnis kann offenbleiben, wie sich die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seiner jetzigen Ehefrau auf seine Leistungsfähigkeit auswirken würde.
Blumenröhr
Macke
Zysk
Nonnenkamp