Bundesgerichtshof
Urt. v. 17.11.1986, Az.: II ZR 304/85
Verein; Vereinssatzung; Gegenstände zur Beschlußfassung; Satzungsänderungen; Sachgerechte Vorbereitung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 17.11.1986
- Aktenzeichen
- II ZR 304/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 13468
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHZ 99, 119 - 125
- JZ 1987, 526-527
- MDR 1987, 473-474 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1987, 1811-1812 (Volltext mit amtl. LS) ""Eintracht Jägermeister Braunschweig""
- ZIP 1987, 446-448
Amtlicher Leitsatz
Die Vereinssatzung kann es für zulässig erklären, daß Gegenstände zur Beschlußfassung noch nach Einberufung der Mitgliederversammlung auf die Tagesordnung gesetzt werden. Diese müssen den Mitgliedern aber - jedenfalls wenn es sich um Satzungsänderungen handelt - so rechtzeitig vor dem Zusammentritt der Mitgliederversammlung mitgeteilt werden, daß genügend Zeit zu einer sachgerechten Vorbereitung bleibt.
Tatbestand:
Der Kläger unterhält neben anderen Sportabteilungen eine Fußballabteilung. Mit seiner ersten Fußballmannschaft nimmt er an dem vom Beklagten in der ersten und zweiten Bundesliga veranstalteten bezahlten Lizenzfußball teil.
Der ebenfalls in Form eines eingetragenen Vereins organisierte Beklagte, der DFB, ist der einzige Dachverband für den Amateur- und Berufsfußballsport in der Bundesrepublik Deutschland. Seine ordentlichen Mitglieder sind die Regional- und Landesverbände des Fußballsports. Außerordentliche Mitglieder sind die Bundesliga-Fußballvereine. Sie erwerben ihre Mitgliedschaft mit der Erteilung einer Lizenz durch den Beklagten, die jeweils für ein Jahr gilt. Mit dieser Lizenz wird die Betätigung in der jeweiligen Spielklasse und damit die Benutzung der entsprechenden Vereinseinrichtungen des Beklagten erlaubt. Der Lizenzvertrag regelt die Zulassung des Vereins und die verbindliche Unterwerfung unter die Satzung, das Lizenzspielerstatut, die Ordnungen des Beklagten und die Entscheidungen der DFB-Organe.
Die Bundesliga-Vereine bestreiten einen wesentlichen Teil ihres Finanzbedarfs aus Werbeeinnahmen. Besondere Bedeutung kommt dabei neben der Bandenwerbung der seit 1973 eingeführten Trikotwerbung zu, die es interessierten Wirtschaftsunternehmen erlaubt, auf den Trikots der Spieler mit ihren Firmen, Produktbezeichnungen oder Warenzeichen zu werben. Der Kläger hat einen solchen Werbevertrag mit der W. M. Kommanditgesellschaft J. Fabrik abgeschlossen, die den Kräuterlikör »J.« vertreibt. Ende Oktober 1983 wurde durch Berichte in der Tages- und Fachpresse bekannt, daß der Kläger beabsichtige, mit diesem Unternehmen einen neuen Kooperationsvertrag abzuschließen, der den Kläger gegen einen jährlichen Betrag von 1 Million DM verpflichtet, seinen Namen auf dem Wege einer Satzungsänderung in »Sportverein J. B.« zu ändern.
Auf einer am 28. Oktober 1983 abgehaltenen Versammlung der Bundesligavereine, auf der auch der Kläger durch seinen damaligen Präsidenten vertreten war, wurden die Teilnehmer darüber informiert, daß der Vorstand des Beklagten auf dem am 29. Oktober 1983 stattfindenden Bundestag einen Dringlichkeitsantrag einbringen werde mit dem Ziel, in die Satzung des Beklagten eine Bestimmung einzufügen, die es seinen Mitgliedsvereinen untersagt, ihren Namen zu Werbezwecken zu ändern. Der Bundestag ist eine in den ungeraden Kalenderjahren abgehaltene Versammlung der Delegierten aller Regional- und Landesverbände sowie der Bundesligavereine. Er ist u. a. für Änderungen der Satzung des Beklagten zuständig.
Auf dem Bundestag des Beklagten, dem der Kläger fernblieb, wurden die Dringlichkeit des Antrags und die Satzungsänderung mündlich begründet. Die Dringlichkeit wurde einstimmig bejaht. Der noch während der Debatte abgeänderte Antrag wurde ebenfalls einstimmig angenommen. Die als § 13 a in die Satzung des Beklagten eingefügte neue Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
»Vereine
1. Die Vereine sind als Mitglieder der Mitgliedsverbände die Träger des Fußballsports. Die Vereinsnamen haben dieser Bedeutung zu entsprechen.
2. Änderungen, Ergänzungen oder Neugebungen von Vereinsnamen und Vereinszeichen zum Zwecke der Werbung sind unzulässig.
3. Für die Betriebssportgemeinschaften und Betriebssportgruppen sind die von den Landesverbänden mit den Betriebssportverbänden geschlossenen Verträge, für die Freizeitsportvereine die Aufnahmebestimmungen der Landesverbände maßgebend.
4. Verstöße dagegen führen zum Ausschluß des Vereins aus dem Mitgliedsverband, bei Lizenzligavereinen zum Entzug bzw. zur Versagung der Lizenz.«
Der Kläger sieht in dieser Satzungsänderung einen unter Verstoß gegen das geltende Vereinsrecht beschlossenen, mißbräuchlichen, ihn unbillig behindernden und gegenüber anderen Vereinen ungerechtfertigt benachteiligenden Eingriff in seine Vereinsautonomie, die auch das Recht zur Wahl des eigenen Namens umfasse. Angesichts seiner seit Herbst 1983 bestehenden Überschuldung sei er auf die zusätzlichen weiteren Einnahmen aus dem Kooperationsvertrag angewiesen gewesen. Mit den in der Berufungsinstanz gestellten Anträgen begehrt er die Feststellung, daß der die Satzung ändernde Beschluß unwirksam sei, hilfsweise, daß der Beklagte nicht berechtigt sei, gegen ihn, den Kläger, aus § 13 a der Satzung vereinsrechtliche Konsequenzen zu ziehen, wenn er die beschlossene Änderung seines Namens in »Sportverein J. B. e.V.« durchführe, insbesondere zum Vereinsregister anmelde.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision führte zu der mit dem Hauptantrag begehrten Feststellung.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist entgegen den vom Berufungsgericht geäußerten Zweifeln auch im Hauptantrag zulässig. Die Klagebefugnis und das rechtliche Interesse des Klägers folgen schon aus dem allgemeinen Grundsatz, daß das Vereinsmitglied einen Anspruch darauf hat, daß der Verein nur in den Grenzen tätig wird, die Recht und Satzung setzen. Danach ist grundsätzlich auch eine Klage zulässig, die auf die Feststellung gerichtet ist, daß ein satzungsändernder Beschluß wegen Verletzung des Gesetzes oder der Satzung nichtig ist.
2. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die streitige Satzungsänderung sei ohne Verfahrensverstoß entsprechend den in der Satzung des Beklagten und der Geschäftsordnung seines Bundestages vorgesehenen Regeln im Dringlichkeitsverfahren mit den erforderlichen qualifizierten Mehrheiten beschlossen worden. Es liege in der Natur eines Dringlichkeitsantrages, daß er mitunter erst unmittelbar vor oder zu Beginn einer Mitgliederversammlung eingebracht werde. Die im vorliegenden Fall aus der Sicht des Beklagten gebotene Eile habe ihren Grund darin gehabt, daß erst kurze Zeit vor dem alle zwei Jahre abgehaltenen Bundestag durch Presseberichte bekannt geworden sei, daß erstmals ein Verein beabsichtige, seinen Vereinsnamen zu Werbezwecken zu ändern. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
Der Bundestag des Beklagten erfüllt im Rahmen seiner Satzung die Funktion einer Mitgliederversammlung. Nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BGB ist es für die Gültigkeit eines Beschlusses der Mitgliederversammlung erforderlich, daß der Gegenstand der Beschlußfassung bei der Berufung bezeichnet wird. Diese Bestimmung bezweckt, die Vereinsmitglieder vor Überraschungen in der Mitgliederversammlung zu schützen und ihnen Gelegenheit zu geben, über die Notwendigkeit einer Teilnahme zu entscheiden und sich auf die zur Beratung anstehenden Themen vorzubereiten. Diesem gesetzgeberischen Schutzgedanken trägt auch die Satzung des Beklagten Rechnung, indem sie in § 22 Nr. 6 und 7 sowie § 17 Abs. 3 vorschreibt, daß Anträge, insbesondere solche auf Satzungsänderungen, die auf dem Bundestag behandelt werden sollen, in die Tagesordnung aufgenommen werden müssen, die den Mitgliedern zusammen mit der Ladung mindestens sechs Wochen vorher bekanntzumachen ist. Diese gesetzlichen und satzungsmäßigen Anforderungen sind im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden.
§ 32 Abs. 1 Satz 2 BGB ist allerdings, wie sich aus § 40 BGB ergibt, nachgiebiges Recht. Die Satzung kann also grundsätzlich etwas anderes bestimmen. Dies gilt vor allem für Dringlichkeitsanträge, bei denen bereits die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit die Behandlung auf der demnächst bevorstehenden Mitgliederversammlung gebieten kann, auch wenn die Einladungen bereits versandt und die in der Satzung vorgesehenen Ladungs- und Mitteilungsfristen verstrichen sind. Derartige Anträge können, wenn dies in der Satzung vorgesehen ist, auch noch nachträglich auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, so muß jedoch in anderer Weise dem Grundgedanken der in § 32 Abs. 1 Satz 2 BGB zum Ausdruck gekommenen Wertentscheidung des Gesetzgebers angemessen Rechnung getragen werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um Änderungen der Satzung handelt. Da Satzungsänderungen im allgemeinen für das Vereinsleben von einschneidenderer Bedeutung sind als andere Beschlüsse der Mitgliederversammlung, sollten sie nach Möglichkeit überhaupt nicht im Dringlichkeitsverfahren behandelt werden (in diesem Sinne Reichert/Dannecker/Kühr, Vereinsrecht 3. Aufl. Rdnr. 544). Wenn dies die Satzung aber dennoch zuläßt, so erfordert es der Schutzgedanke des Gesetzes grundsätzlich, daß die geplante Satzungsänderung den Mitgliedern noch so rechtzeitig vor dem Zusammentritt der Versammlung mitgeteilt wird, daß ihnen genügend Zeit bleibt, sich mit der durch die Dringlichkeit der Angelegenheit gebotenen Eile auf den neuen Beratungsstoff sachgerecht vorzubereiten. Reicht die Zeit für die Wahrung einer solchen Nachfrist, deren Länge sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles bemißt, nicht mehr aus, so muß die betreffende Satzungsänderung auf einer gesonderten Mitgliederversammlung beraten werden. Der finanzielle Gesichtspunkt, daß eine weitere Mitgliederversammlung zusätzliche Kosten verursachen würde, muß in diesem Fall hinter dem nach den tragenden Grundsätzen des Verbandsrechts gebotenen Schutz der Mitglieder zurücktreten. Ist die Angelegenheit so dringend, daß sie keinen Aufschub bis zu dem Zusammentritt einer neuen Mitgliederversammlung duldet, so ist an die Möglichkeit einer vorläufigen Regelung zu denken, die aber dem Beschluß der ordnungsgemäß zur Behandlung der betreffenden Angelegenheit einzuberufenden Mitgliederversammlung nicht endgültig vorgreifen darf.
Den bezeichneten Mindestanforderungen wird weder die Satzung des Beklagten noch das im vorliegenden Fall von ihm tatsächlich praktizierte Verfahren gerecht. Zwar läßt die Satzung des Beklagten in § 24 Satz 3 zumindest andeutungsweise erkennen, daß in der Einberufung nicht angekündigte Dringlichkeitsanträge in Abweichung von § 32 Abs. 1 Satz 2 BGB zulässig sein sollen. Sie enthält jedoch keine Bestimmungen über das dabei einzuhaltende Verfahren und damit auch keine Vorkehrungen gegen überraschende Beschlüsse der Mitgliederversammlung. Sie würde es mithin sogar erlauben, die Mitglieder des Bundestages erstmalig in der Sitzung selber mit einem auf Satzungsänderungen gerichteten Dringlichkeitsantrag zu konfrontieren und entspricht damit nicht den zum Schutz der Mitglieder unabdingbaren Mindestanforderungen. Das bei der Behandlung von Dringlichkeitsanträgen zu beachtende Verfahren ist ausschließlich in der Geschäftsordnung des Bundestages des Beklagten geregelt. Die dort in § 6 aufgestellte Voraussetzung, daß ein Dringlichkeitsantrag nur dann zur Abstimmung gestellt werden darf, wenn sich eine 2/3-Mehrheit dafür ausspricht, kann jedoch bei Satzungsänderungen den nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers gebotenen Schutz vor überraschenden, vorher nicht angekündigten Anträgen schon deshalb nicht ausreichend gewährleisten, weil damit für die Zulassung des Antrags keine größere Mehrheit verlangt wird als für die Satzungsänderung selber, so daß es dahinstehen kann, ob eine solche Regelung in anderen Fällen das Erfordernis vorheriger Mitteilung ersetzen könnte. Ebensowenig bedarf es deshalb einer Entscheidung, ob es genügt, wenn das bei Dringlichkeitsanträgen einzuhaltende Verfahren nicht in der Satzung, sondern nur in einer Geschäftsordnung geregelt ist, die, wie hier, nicht Teil der Satzung ist (§ 23 Nr. 2 der Satzung).
Auch bei der tatsächlichen Handhabung der angegriffenen Satzungsänderung ist dem Recht der Mitglieder auf vorherige Unterrichtung von dem Antrag des Vorstandes nicht Rechnung getragen worden. Die Absicht, den Antrag einzubringen, ist lediglich den Präsidenten der in Frankfurt am Main versammelten Bundesligavereine - und auch ihnen erst einen Tag vor dem Zusammentritt des Bundestages - mitgeteilt worden. Die ordentlichen Mitglieder dieses Gremiums, die Delegierten der Regional- und Landesverbände, haben damit keine ausreichende Gelegenheit gehabt, im Kreise der ihnen angeschlossenen Vereine eine Beratung darüber herbeizuführen, wie sie sich zu der vom Vorstand des Beklagten geplanten Satzungsänderung verhalten sollten. Bei dieser Sachlage hätte der Beklagte, wenn die Zeit nicht mehr ausreichte, um den Mitgliedern eine angemessene Frist zur Vorbereitung auf die geplante Satzungsänderung zu geben, eine endgültige Regelung dieser Frage einem außerordentlichen Bundestag vorbehalten müssen, der nach § 26 der Satzung des Beklagten von seinem Vorstand jederzeit aus wichtigem Grunde einberufen werden kann.
Da nach alledem die von dem Beklagten beschlossene Satzungsänderung schon aus verfahrensrechtlichen Gründen unwirksam ist, muß die Revision des Klägers im Hauptantrag Erfolg haben, ohne daß es darauf ankommt, ob der Beklagte materiell-rechtlich als befugt gelten kann, die Änderung der Vereinsnamen und -zeichen zu Werbezwecken für unvereinbar mit seiner Mitgliedschaft zu erklären.