Bundesgerichtshof
Beschl. v. 11.11.1986, Az.: X ZR 56/85
„Transportfahrzeug“
Aussetzung der Verhandlung im Rechtsstreit über eine Patentverletzung (Verwendung eines Fahrzeugs zum Transport von Fertiggaragen); Erfolgsaussicht des ergriffenen Rechtsbehelfs; Zutreffende Würdigung von Patentschriften in einer Einspruchsentscheidung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 11.11.1986
- Aktenzeichen
- X ZR 56/85
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1986, 15097
- Entscheidungsname
- Transportfahrzeug
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- GRUR 1984, 36 "Transportfahrzeug"
- GRUR 1987, 284 "Transportfahrzeug"
Prozessführer
Firma H. H. Bauunternehmung GmbH, B.straße ..., S.,
gesetzlich vertreten durch ihre Geschäftsführer Edgar H. und Wilhelm Anton Hu., ebenda,
Prozessgegner
Firma K.-Bausysteme AG, C., jetzt: Via M., CH ... St. Mo., Sch.,
gesetzlich vertreten durch den Präsidenten des Verwaltungsrats Dr. Guido R.,
Redaktioneller Leitsatz
Eine Aussetzung der Verhandlung im Rechtsstreit über eine Patentverletzung kommt nur dann in Betracht, wenn ein gegen ein erteiltes Patent ergriffener Rechtsbehelf einige Erfolgsaussicht hat.
In dem Rechtsstreit
hat der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 1986
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Bruchhausen und
die Richter Brodeßer, von Albert, Dr. Jestaedt und Dr. Broß
beschlossen:
Tenor:
Die Aussetzung der Verhandlung wird abgelehnt.
Gründe
A.
I.
Die Klägerin ist Inhaberin des deutschen Patents 23 42 158 (Klagepatents), das am 21. August 1973 angemeldet und dessen Anmeldung am 6. März 1975 offengelegt wurde. Die Erteilung des Patents wurde am 30. Juni 1983 veröffentlicht. Gegen die Patenterteilung hat die Firma Georg D. Einspruch eingelegt, der jedoch beim Deutschen Patentamt zur Aufrechterhaltung des Patents geführt hat (Beschluß vom 4. Juli 1986). Über die hiergegen eingelegte Beschwerde der Einsprechenden ist noch nicht entschieden.
Das Klagepatent betrifft ein Fahrzeug mit einem Aufbau für das Aufladen, Transportieren und Abladen von vorgefertigten Gebäuden, vor allem Stahlbetonfertiggaragen.
II.
Die Beklagte verwendet für den Transport eines Teiles der von ihr hergestellten und vertriebenen Fertiggaragen Transportfahrzeuge mit einem "Deuringer-Aufbau". Der Aufbau der Fahrzeuge entspricht im Kern der Offenlegungsschrift 26 33 683.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte greife durch die Benutzung des Fahrzeugs mit dem "D.-Aufbau" beim Transport eines Teils ihrer Fertiggaragen in das Klagepatent ein. Ihre auf Unterlassung, Rechnungslegung sowie Feststellung der Entschädigungs- und Schadenersatzpflicht gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Der Antrag der Beklagten, die Verhandlung bis zur rechtskräftigen Erledigung des gegen das Klagepatent schwebenden Einspruchsverfahrens auszusetzen, wurde dort abgelehnt.
Mit der Revision begehrt die Beklagte, das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen; hilfsweise verfolgt sie das Begehren auf Aussetzung der Verhandlung gemäß § 148 ZPO weiter. Die Klägerin beantragt, den Aussetzungsantrag abzulehnen.
B.
Der Antrag der Beklagten auf Aussetzung der Verhandlung konnte keinen Erfolg haben.
I.
Das Berufungsgericht hat hierzu dargelegt, eine Aussetzung der Verhandlung komme nur in Betracht, wenn das Klagepatent mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht rechtsbeständig sei. Diese hohe Wahrscheinlichkeit bestehe nur dann, wenn das Klagepatent im Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen oder die Erfindungshöhe angesichts des vorliegenden Standes der Technik so fragwürdig geworden sei, daß sich ein vernünftiges Argument für die Zuerkennung der Erfindungshöhe nicht finden lasse. Bloße Zweifel des Verletzungsgerichts an der Erfindungshöhe rechtfertigten hingegen eine Aussetzung nicht. Außerdem müsse der dem Verletzungsgericht vorgelegte Stand der Technik dem Klagepatent näher stehen als der im Patenterteilungsverfahren bereits berücksichtigte; denn der dort berücksichtigte Stand der Technik habe der zuständigen Erteilungsbehörde gerade keinen Anlaß gegeben, das Patent zu versagen. Die Beurteilung der Frage, ob einem Patent Erfindungshöhe zukomme, sei eine wertende Entscheidung, die nicht vom Verletzungsgericht zu treffen sei.
Diese vom Berufungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung (vgl. z.B. auch Urt. v. 16.11.1978 GRUR 1979, 188) begegnet keinen Bedenken; sie steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa Urt. v. 8.10.1957 GRUR 1958, 75 - Tonfilmwand -; Urt. v. 22.11.1957 GRUR 1958, 179/180 - Resin -; Urt. v. 6.3.1959 GRUR 1959, 320/324 - Moped-Kupplung -). Hiernach kommt eine Aussetzung der Verhandlung im Rechtsstreit über eine Patentverletzung nur dann in Betracht, wenn ein gegen ein erteiltes Patent ergriffener Rechtsbehelf einige Erfolgsaussicht hat.
Die hiergegen von der Revision geführten Angriffe gehen fehl. Wollte man der Revision folgen, würde die Rechtsstellung, die das erteilte Patent seinem Inhaber vermittelt (§§ 9 ff. PatG 1981), weitgehend entwertet und Rechtsbehelfe gegen das erteilte Patent geradezu provoziert. In Anlehnung an die genannte Rechtsprechung ist sonach die Verhandlung nicht schon dann auszusetzen, wenn der Bundesgerichtshof zu der aufgeworfenen Frage der Patentfähigkeit einer unter Schutz gestellten Lehre, wenn sie Gegenstand einer Patentnichtigkeitsklage wäre, das Gutachten eines Sachverständigen einholen würde. Auch der Hinweis der Revision auf die Vorschrift des § 80 VwGO, vor allem § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, geht fehl. Es handelt sich hierbei erkennbar um eine Ausnahme, weil es sich um die Aussetzung der Vollziehung bei der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten handelt. Im übrigen geht die Verwaltungsgerichtsordnung vom Grundsatz der aufschiebenden Wirkung aus (§ 80 Abs. 1 Satz 1). Diese Regelung ist vom Gesetzgeber gerade nicht in das Patentgesetzübernommen worden. Mit der Veröffentlichung im Patentblatt treten die gesetzlichen Wirkungen des Patents ein (§ 58 Abs. 1 Satz 3 PatG 1981) und dem Einspruch kommt in dieser Hinsicht keine aufschiebende Wirkung zu (§ 59 PatG 1981). Ferner kann für die Frage der Aussetzung wegen dieser noch schwebenden "Einspruchsbeschwerde" nicht ausschlaggebend sein, ob schon eine Entscheidung des Bundespatentgerichts ergangen ist, wie die Revision meint; denn der "nachgeschaltete" Einspruch gemäß § 59 PatG 1981 führt zu einem Beschluß der mit technischen Mitgliedern besetzten Patentabteilung (§ 61 PatG 1981). Es ist aber nicht dargetan, daß dem gegen ihren Beschluß vom 4. Juli 1986 ergriffenen Rechtsbehelf einige Erfolgsaussicht zukäme, wie es für eine Aussetzung der Verhandlung des Patentverletzungsrechtsstreits erforderlich wäre.
II.
1.
Die Klagepatentschrift bezeichnet es als das der Erfindung zugrunde liegende Problem, bei einem Aufbau eines Fahrzeugs der in Rede stehenden Art die Bauhöhe des Auslegers so weit zu vermindern, daß auch unter ungünstigen Bedingungen zwischen der Unterseite des hochgeschwenkten Torblattes und der Oberseite des Auslegers ausreichend Platz für das Auf- und Abladen des Gebäudes verbleibt (Sp. 2 Z. 45-51). Es geht also darum, die Bauhöhe des verschieblichen und verschwenkbaren Ausleger teils, der in die Garage einfährt, zu verringern.
Der Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
"Fahrzeug mit einem Aufbau für das Aufladen, Transportieren und Abladen von vorgefertigten Gebäuden, insbesondere Stahlbetonfertiggaragen, das auf einem mit Stützen aushebbaren Rahmen einen mit einem rückwärtigen Arm durch eine stirnseitige Öffnung des Gebäudes einfahrbaren und an das Gebäude anschließbaren Ausleger aufweist, dessen mit dem hinteren Arm biegesteif verbundener vorderer Arm in einem Schwenklager angeordnet und zusammen mit dem hinteren Arm mittels mindestens eines Arbeitszylinders auf- und abschwenkbar ist, dessen auf dem Aufbau horizontal verschiebbares Widerlager von dem Ausleger durch einen Lenker mitgenommen wird, dadurch gekennzeichnet, daß die beiden Arme des Auslegers eine starre Baueinheit sind, daß das Schwenklager an einem unter Führungsschienen eines den Aufbau tragenden Hilfsrahmen laufenden vorderen Wagen angeordnet ist und daß der Lenker für das Widerlager der Arbeitszylinder mit dem vorderen Arm verbunden ist."
Zur Lösung des obengenannten Problems wird gemäß Anspruch des Klagepatents ein Fahrzeug mit einem Aufbau für das Aufladen Transportieren und Abladen von vorgefertigten Gebäuden, vor allem Stahlbetonfertiggaragen, mit folgenden Merkmalen vorgeschlagen (in Anlehnung an die Merkmalsanalyse im Beschluß des Deutschen Patentamts vom 4. Juli 1986, S. 6 f.):
(a) | 1. | Fahrzeug |
---|---|---|
(b) | 2. | mit einem Rahmen, der mit Stützen ausgehoben werden kann, |
3. | und mit einem (als ganzes auf dem Aufbau verschieblichen und verschwenkbaren) Ausleger, | |
(d-i) | 4. | dessen Arme (vorderer und hinterer Arm) eine starre (biegesteife) Baueinheit bilden. |
(f) | 5. | Der vordere Arm ist in einem Schwenklager (61) angeordnet, |
(k) | 6. | das an einem vorderen Wagen (48) angeordnet ist, |
(l-m) | 7. | der unter Führungsschienen (41) eines den Aufbau tragenden Hilfsrahmens (37) läuft. |
(e) | 8. | Der hintere (rückwärtige) Arm, der durch eine stirnseitige Öffnung des Gebäudes einfahren und an das Gebäude angeschlossen werden kann, |
(f) | 9. | kann (zusammen mit dem vorderen Arm) mittels mindestens eines Arbeitszylinders (74) auf- und abgeschwenkt werden. |
(g) | 10. | Das Widerlager (69) des Arbeitszylinders (74/76) kann auf dem Aufbau horizontal verschoben werden |
(n) | 11. | und ist über den Lenker (98) mit dem vorderen Arm (91) verbunden, der es mitnimmt. |
2.
Die Revision bezweifelt die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents vor allem unter Hinweis auf die DOS 21 41 522 und die FR-PS 12 31 726. Die DOS 21 41 522 war im Verfahren vor der Erteilung des Klagepatents nicht in Betracht gezogen worden. Zu wurde aber im Einspruchsverfahren sachlich gewürdigt. Auch nach dem Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist nicht ersichtlich, daß die genannten Patentschriften in der Einspruchsentscheidung im Ergebnis unzutreffend gewürdigt worden wären.
Der Kern des Klagepatents besteht darin, daß alle Teile der Vorrichtung, die der Horizontal- und Vertikalbewegung des Auslegers dienen, auch dann im Bereich des Fahrzeugaufbaus verbleiben, wenn der Ausleger in das Gebäude eingefahren ist, d.h. sie verbleiben vor der Vorderkante des aufzunehmenden oder abzusetzenden Gebäudes. Das ist bei dem Ausleger nach der DOS 21 41 522, wie sich aus Figur 2 ergibt, nicht der Fall. Die Beklagte hält dem entgegen, Anspruch 1 dieser Offenlegungsschrift habe einen anderen Ausleger zum Gegenstand als in den Figuren 1 bis 5 dargestellt sei. Hiernach entfalle das U-förmige "Zwischenstück" des längsverschiebbaren Führungsrahmens (10) und der Führungsschlitten (20) werde nur bis zum hinteren Fahrzeugende verfahren. Die Hubeinrichtung (22/23) verbleibe deshalb ebenfalls außerhalb des aufzunehmenden oder abzusetzenden Gebäudes. Das offenbart Anspruch 1 der DOS 21 41 522 nicht, ebensowenig die Beschreibung hierzu (S. 2 2. Abs.). Diese Offenlegungsschrift bezieht sich auf ein Fahrzeug mit einer Ladeeinrichtung für große Kästen, die nach der Zeichnung Böden aufweisen. Sie spricht davon, daß ein Führungsrahmen und ein Führungsschlitten verwendet werden, die in gleicher Weise teleskopartig aus- und einfahrbar seien. Zudem kann die Beklagte bei der von ihr bevorzugten Auslegung des Anspruchs 1 nicht erklären, welche Bedeutung dem Führungsrahmen (10) oder dem Führungsschlitten (20) noch zukommt. Einer von beiden müßte mangels Funktion - zumal nach der in der mündlichen Verhandlung gefertigten Skizze - entfallen. Unklar bleibt dann allerdings, wie der Boden des zu befördernden Gebäudes auf dem Fahrzeug untergebracht wird. Die Figuren 3 und 4 der DE-PS 21 41 522 (s.a. Fig. 3 und 4 der DOS 21 41 522) legen den Schluß nahe, daß bei einem Wegfall des U-förmigen "Zwischenstücks" entweder die Hubeinrichtung ein Absetzen des Gebäudes auf das Fahrzeug verhindert oder der Arm des Auslegers so lang ausgebildet werden muß, daß es gar nicht mehr mit dem gesamten Boden auf dem Fahrzeug während des Transports aufliegt. Es mag zutreffen, daß die Gegenstände von Anspruch 1 und 2 der DOS 21 41 522 nicht eindeutig sind; eine solche Unklarheit erlaubt es nicht, ihr eine einseitige Ausdeutung zu geben, denn es wäre bei der von der Beklagten vorgenommenen Auslegung völlig unverständlich, warum sämtliche Figuren nur das ungünstige Ausführungsbeispiel zeigen, nicht hingegen das von der Beklagten nunmehr behauptete günstigste Beispiel nach Anspruch 1 gemäß ihrem Verständnis.
Des weiteren lehrt die DOS 21 41 522 weder in ihren Ansprüchen noch in ihrer Beschreibung, daß die Hubeinrichtung (22, 23) im Bereich des Fahrzeugaufbaus und damit außerhalb des aufzunehmenden Gebäudes verbleibt. Schließlich bietet sie keinerlei Anregung dafür, daß bei Aufgabe des teleskopierbaren Auslegers ein sehr langer Arm erforderlich wird und wie dieser und die dazu völlig umzugestaltende Hubeinrichtung auszubilden seien. Eine Anregung in dieser Richtung für eine derartige technische Lehre vermag der Senat der DOS 21 41 522 nicht zu entnehmen.
Der Senat vermag auch der Würdigung, die die Beklagte der FR-PS 1 231 726 gibt, nicht zu folgen. Diese Druckschrift lehrt einen Ausleger, der nicht in das Ladegut hineinreicht. Aus diesem Grunde kommt der Fachmann, wie im Beschluß über die Aufrechterhaltung des Klagepatents zutreffend dargelegt ist, gar nicht erst auf den Gedanken, nach einer Lösung für das Platzproblem zu suchen. Dieses tritt erst mit dem Einführen des Auslegers in das aufzunehmende Gebäude auf. Die Beklagte übersieht in diesem Zusammenhang, daß Portalkräne schon lange bekannt waren und daß sich wegen des ihnen eigenen Krafteingriffs von außen bei ihnen die Problematik des Klagepatents auch bei einer Weiterentwicklung von vornherein nicht stellte. Was sie dieser Auffassung entgegensetzt, entspringt einer unzulässigen ex-post-Betrachtung. Erst wenn man das Klagepatent kennt, mag es naheliegen, die Hänge- in eine Hubeinrichtung umzukehren. Gegen die Auffassung der Beklagten in diesem Zusammenhang spricht schon der Umstand, daß Fachleute in Kenntnis der FR-PS 1 231 726 aus dem Jahre 1960 noch zehn Jahre später eine hiervon abweichende Hubeinrichtung entwickelt haben.
Nach allem kommt der Beschwerde gegen den Beschluß des Deutschen Patentamts vom 4. Juli 1986 aufgrund der hier gebotenen Prüfung nicht die Erfolgsaussicht zu, die zu einer Aussetzung der Verhandlung im vorliegenden Patentverletzungsrechtsstreit Veranlassung bieten könnte.
Brodeßer
von Albert
Jestaedt
Broß