Bundesgerichtshof
Beschl. v. 23.10.1986, Az.: 4 StR 569/86
Prozessverhalten des Angeklagten als Indiz für die Glaubwürdigkeit eines Zeugen; Wertung einer Zeugenaussage, wenn ein zur Zeugnisverweigerung Berechtigter es im Ermittlungsverfahren unterlässt eine Aussage zu machen
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 23.10.1986
- Aktenzeichen
- 4 StR 569/86
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1986, 12012
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Dortmund - 09.07.1986
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- NJW 1987, 1210 (amtl. Leitsatz)
- NStZ 1987, 182-183
- StV 1987, 51-52
Verfahrensgegenstand
Vergewaltigung
Prozessgegner
Harald W. aus D., dort geboren am ... 1960, zur Zeit in Haft
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichthofs hat
nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 23. Oktober 1986
gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 9. Juli 1986 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Entführung gegen den Willen der Entführten und mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Nach den Darlegungen des Landgerichts hat der Angeklagte die Prostituierte S. am 29. April 1986 mit List zu seiner Wohnung gebrscht und sie mit einer weiteren List veranlaßt, diese zu betreten. Dort hat er mit ihr zweimal geschlechtlich verkehrt, nachdem er ihren Widerstand durch Würgen und Schläge sowie durch die Drohung, er werde sie umbringen, gebrochen hatte. Der Angeklagte bestreitet nicht, die Frau in seine Wohnung gebracht und dort mit ihr geschlechtlich verkehrt zu haben. Er behauptet aber, sie sei mit allem einverstanden gewesen.
Das Landgericht ist der Auffassung, diese Einlassung sei widerlegt. Eine die Darstellung des Angeklagten stützende Aussage seiner Mutter - die an der Tür des Zimmers des Angeklagten gelauscht und diesen sowie seine Begleiterin bei der Wegfahrt beobachtet haben will - hält das Landgericht für unglaubwürdig. Es hat dazu ausgeführt, Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aussage werde bereits durch den Umstand geweckt, daß der Angeklagte die Wahrnehmungen seiner Mutter erst am 19. Juni 1986 in die Ermittlungen eingeführt habe. Dies sei "um so verwunderlicher" als nach den Angaben eines Ermittlungsbeamten die Mutter "bereits seit Juni 1985" mit den Ermittlungen gegen ihren Sohn konfrontiert worden sei (UA 10). Es komme hinzu, daß sie den Staatsanwalt aufgesucht und dort um Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße gebeten habe, ohne die ihren Sohn entlastenden Angaben zu machen.
Diese Würdigung hält, selbst wenn man ihr entnimmt, daß die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat am 29. April 1985 und nicht - wie festgestellt - am 29. April 1986 begangen worden ist, rechtlicher Prüfung nicht stand.
Bedenklich ist schon, daß das Landgericht offenbar das Prozeßverhalten des Angeklagten als einen Umstand angesehen hat, der gegen die Glaubwürdigkeit seiner Mutter spricht. Das Aussageverhalten eines Angeklagten, der sich, wie hier, zur Sache einläßt und sich dadurch zum Beweismittel macht, kann zwar grundsätzlich von indizieller Bedeutung sein (BGHSt 32, 140, 145) [BGH 26.10.1983 - 3 StR 251/83]. Die Tatsache, daß der Angeklagte seine Mutter erst am 19. Juni 1986 als Entlastungszeugin genannt hat, kann aber nur dann ein gegen ihn sprechendes Indiz darstellen, wenn er sie überhaupt früher als Zeugin hätte benennen können. Das setzt voraus, daß er weit vor dem 19. Juni 1986 Kenntnis vom Inhalt ihrer späteren Aussage und ihrer Aussagebereitschaft hatte. Dann allerdings könnte die Tatsache, daß er sie erst später als Zeugin benannt hat, dafür sprechen, daß er selbst von der Unrichtigkeit dessen, was sie bereit war zu bekunden, überzeugt war. Dazu hat das Landgericht aber keine Ausführungen gemacht.
Es leitet die Unglaubwürdigkeit der Mutter ersichtlich auch aus einer zweiten Erwägung ab, nämlich aus der Annahme, daß diese die den Angeklagten entlastenden Beobachtungen früher offenbart hätte, wenn sie diese tatsächlich gemacht hätte. Dieser Erwägung steht schon der Umstand entgegen, daß die Mutter erst in der Hauptverhandlung als Zeugin vernommen worden ist und deshalb möglicherweise früher gar nicht erkennen konnte, daß ihre Beobachtungen zur Entlastung ihres Sohnes geeignet waren. Darüber hinaus kann ihre Unglaubwürdigkeit schon aus Rechtsgründen nicht daraus hergeleitet werden, daß sie im Ermittlungsverfahren geschwiegen und erst in der Hauptverhandlung ihre entlastenden Angaben gemacht hat. Denn als Mutter des Angeklagten war sie nicht zur Aussage verpflichtet. Sie hätte ihr Zeugnis gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO verweigern können; diese Weigerung hätte nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden dürfen (BGHSt 22, 113). Eine anfängliche Weigerung, auszusagen, kann auch später nicht zur Prüfung, ob die den Angeklagten entlastenden Angaben glaubhaft sind, herangezogen werden (BGH MDR 1979, 1040 = JZ 1979, 766; Reichen in KK § 52 Rdn. 45). Nichts anderes kann gelten, wenn ein zur Zeugnisverweigerung Berechtigter es zunächst unterläßt, von sich aus Angaben zu machen. Würden die Gründe, die ihn später doch zur Aussage veranlassen, geprüft und gewertet, so könnte er von seinem Schweigerecht nicht mehr unbefangen Gebrauch machen, weil er befürchten müßte, daß daraus nachteilige Schlüsse zu Lasten seines Angehörigen gezogen werden.
Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben, da nicht auszuschließen ist, daß das Landgericht den Angeklagten freigesprochen hätte, wenn es den Angaben seiner Mutter gefolgt wäre.
Die neu entscheidende Strafkammer wird auch der Frage nachgehen müssen, ob die Kopfverletzung, die der Angeklagte während seiner Schulzeit erlitten hat, Anlaß gibt, seine Schuldfähigkeit zu untersuchen.
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