Bundesgerichtshof
Urt. v. 19.06.1986, Az.: I ZR 65/84
„Aufklärungspflicht des Abgemahnten“
Abmahnung wegen wettbewerblicher Verletzungshandlungen; Konkretisierung eines gesetzlichen Schuldverhältnisses durch eine Abmahnung; Informationspflicht gegenüber dem Abmahnenden über die Unterwerfungserklärung gegenüber einem Dritten; Pflicht zur wahrheitsgemäßen und umfassenden Beantwortung einer Abmahnung; Treu und Glauben im Rahmen gesetzlicher Schuldverhältnisse
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 19.06.1986
- Aktenzeichen
- I ZR 65/84
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 14771
- Entscheidungsname
- Aufklärungspflicht des Abgemahnten
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- KG Berlin - 10.02.1984
- LG Berlin
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- MDR 1987, 24 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1987, 225-226 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1986, 1416-1418
Verfahrensgegenstand
Aufklärungspflicht des Abgemahnten
Prozessführer
A. f. T. GmbH,
vertreten durch ihren Geschäftsführer Michael B., Bu. allee ..., Be.,
Prozessgegner
U. Sportartikel Vertriebs GmbH,
vertreten durch ihren Geschäftsführer Reinhold Sch., D. Straße ..., Be.,
Amtlicher Leitsatz
Die durch eine wettbewerbliche Verletzungshandlung veranlaßte Abmahnung konkretisiert das zwischen Verletzer und Verletztem bestehende gesetzliche Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung; in dessen Rahmen kann der Verletzer nach Treu und Glauben verpflichtet sein, den Abmahnenden darüber aufzuklären, daß wegen derselben Verletzungshandlung bereits eine Unterwerfungserklärung gegenüber einem Dritten abgegeben worden ist.
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Juni 1986
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Frhr. v. Gamm und
die Richter Dr. Piper, Dr. Erdmann, Dr. Teplitzky und Dr. Scholz-Hoppe
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts vom 10. Februar 1984 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien stehen im Wettbewerb zueinander.
Die Beklagte wurde von der Vereinigung Lauterer Wettbewerb e.V. mit Schreiben vom 19. November 1981 wegen der Veröffentlichung eines Werbeinserates mit der Begründung abgemahnt, es liege eine unzulässige Ankündigung einer Sonderveranstaltung vor. Auch die Klägerin mahnte die Beklagte wegen desselben Inserats mit anwaltlichem Schreiben vom 26. November 1981 ab. Die Beklagte beantwortete dieses Schreiben nicht. Unter dem 27. November 1981 gab sie jedoch gegenüber der Vereinigung Lauterer Wettbewerb e.V. eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, die dieser am Tage darauf zuging.
Die Klägerin, die hiervon nichts wußte, hat die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 4. Dezember 1981 erwirkt, durch die der Beklagten die beanstandete Werbung untersagt worden ist. Im Widerspruchsverfahren hat das Landgericht die einstweilige Verfügung mit Urteil vom 29. Januar 1982 aufgehoben, und zwar mit der Begründung, daß der Anspruch der Klägerin durch die Abgabe der Unterlassungserklärung gegenüber der Vereinigung Lauterer Wettbewerb e.V. erloschen sei. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Die Kosten dieses Berufungsverfahrens sind durch Kostenfestsetzungsbeschluß vom 22. Juni 1982 in Höhe von 2.034,23 DM zu Lasten der Klägerin festgesetzt worden.
Die Klägerin wendet sich nunmehr im Wege der Zwangsvollstreckungsabwehrklage gegen den Kostenerstattungsanspruch der Beklagten, gegen den sie die Aufrechnung mit einem ihr vermeintlich zustehenden Schadensersatzanspruch erklärt hat. Die Klägerin hat geltend gemacht: Die Beklagte habe bewußt nur gegenüber der Vereinigung Lauterer Wettbewerb e.V. eine Unterlassungserklärung abgegeben und dies ihr, der Klägerin, verschwiegen mit dem Ziel, ihr, der Klägerin, nach Aufhebung der einstweiligen Verfügung erhebliche Kosten entstehen zu lassen. Die einstweilige Verfügung wäre niemals beantragt worden, falls die Beklagte sie auf die bereits abgegebene Unterlassungserklärung gegenüber der Vereinigung Lauterer Wettbewerb e.V. hingewiesen hätte.
Die Klägerin hat beantragt,
die Zwangsvollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts Berlin vom 22. Juni 1982 in der Sache LG Berlin 15 O 799/81 für unzulässig zu erklären.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihren Antrag wiederholt und durch den Hilfsantrag ergänzt,
die Beklagte zu verurteilen, 2.034,23 DM an die Klägerin zu zahlen.
Die Berufung ist erfolglos geblieben.
Mit ihrer zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre im Berufungsrechtszug gestellten Anträge weiter.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Klägerin stehe materiell kein Schadensersatzanspruch zu. Es bestehe keine Verpflichtung der Beklagten zur wahrheitsgemäßen und umfassenden Beantwortung einer Abmahnung, aus deren Verletzung sich ein solcher Anspruch begründen ließe. Weder aus § 823 BGB noch aus § 683 BGB lasse sich eine Aufklärungspflicht des Abgemahnten herleiten, so daß allenfalls eine besondere Rechtsbeziehung zwischen dem Verletzer und dem Abmahnenden als Grundlage einer solchen Verpflichtung in Betracht kommen könne. Eine solche Beziehung bestehe jedoch nicht; vielmehr stünden Wettbewerber zueinander lediglich in einer beliebigen Sonderbeziehung, an der auch eine Abmahnung, selbst wenn sie berechtigt sei, nichts Entscheidendes ändere. Die berechtigte Abmahnung begründe keine Antwortpflicht, sondern nur eine günstige Ausgangslage für die Kostenentscheidung, falls das Unterlassen der Antwort zum Prozeß führe.
Außerdem sei das Unterlassen einer Mitteilung seitens der Beklagten - unterstellt, letztere wäre zu einer solchen verpflichtet gewesen - nicht ursächlich für den geltend gemachten Schaden. Die Klägerin habe lediglich ihre Prozeßkosten des Verfahrens zweiter Instanz zur Aufrechnung gestellt; diese seien aber ausschließlich dadurch entstanden, daß die Klägerin gegen das die einstweilige Verfügung vom 4. Dezember 1981 aufhebende Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt habe, mit der sie unterlegen sei. Dies habe sie in Kenntnis der bereits gegenüber der Vereinigung Lauterer Wettbewerb e.V. abgegebenen Unterwerfungserklärung und mithin auf ihr eigenes wirtschaftliches Risiko getan.
II.
Das Berufungsurteil hält den Revisionsangriffen im Ergebnis stand.
1.
Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, daß die Klägerin die Zwangsvollstreckungsabwehrklage auf die erklärte Aufrechnung stützen kann, obwohl der zur Aufrechnung gestellte Kostenanspruch bereits vor Erlaß des Kostenfestsetzungsbeschlusses entstanden war. Die Vorschrift des § 767 Abs. 2 ZPO findet nämlich nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur auf die Abwehrklage gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse keine Anwendung (BGHZ 3, 381, 382 ff.; Stein-Jonas-Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 104 Rdn. 14).
2.
Rechtlichen Bedenken begegnet es dagegen, daß das Berufungsgericht eine Anspruchsgrundlage für den Schadensersatzanspruch und damit die grundsätzliche Möglichkeit von Schadensersatzansprüchen für Fälle der vorliegenden Art schlechthin verneint hat. Das Berufungsgericht hat zwar nicht übersehen, daß sich die als Grundlage rechtlicher Verpflichtungen nicht ausreichende "beliebige Sonderbeziehung" zwischen allen Wettbewerbern in ihrem allgemeinen Wettbewerbsstreben, von der das Berufungsgericht im Ansatz zu Recht ausgegangen ist, durch die rechtswidrige Wettbewerbshandlung der Beklagten zu einem gesetzlichen Schuldverhältnis der Parteien konkretisiert hat (MünchKomm-Kramer, BGB, 2. Aufl., Einl. vor § 241, Rdnr. 51). Es hat jedoch rechtsirrig übersehen, daß dieses gesetzliche Schuldverhältnis wie jede Rechtsbeziehung den Grundsätzen von Treu und Glauben unterworfen ist und daß außerdem die deliktsrechtlich begründete Beziehung der Parteien im vorliegenden Fall weiter dadurch konkretisiert worden ist, daß die Klägerin als Verletzte die Beklagte als Verletzerin abgemahnt hat.
Die durch eine Verletzungshandlung veranlaßte Abmahnung dient, da sie das Streitverhältnis bereits auf einfache und billige Weise vorprozessual beendigen und einen Rechtsstreit vermeiden soll, im Regelfall dem wohlverstandenen Interesse beider Parteien und verbindet diese daher in einer wettbewerbsrechtlichen Sonderbeziehung eigener Art, deren Inhalt wegen der jedenfalls im Regelfall gegebenen Interessenüberschneidungen in besonderem Maße durch Treu und Glauben bestimmt wird. Nach der somit im Einzelfall erforderlichen Interessen- und Pflichtenabwägung erscheint es aber geboten, den Verletzer, der durch sein unerlaubtes Handeln dem Verletzten Anlaß zur Abmahnung und - für den Fall des Schweigens auf diese - zum prozessualen Vorgehen gegeben hatte, als nach Treu und Glauben verpflichtet anzusehen, den Abmahnenden darüber aufzuklären, daß eine Unterwerfung wegen derselben Verletzungshandlung bereits einem Dritten gegenüber erfolgt ist. Denn für den Abmahnenden besteht anderenfalls die erhebliche, auf das ursprüngliche wettbewerbswidrige Verhalten des Verletzers zurückzuführende Gefahr eines sowohl überflüssigen als auch aussichtslosen Prozesses, während andererseits die Mitteilung der Unterwerfung, ihres Adressaten und ihres wesentlichen Inhalts dem Abgemahnten eine im Verhältnis zu jenem von ihm verursachten Risiko geringen, jedenfalls aber zumutbaren Aufwand bereitet (vgl. zur Frage einer Aufklärungspflicht auch - bejahend - OLG Hamburg WRP 1969, 119; OLG Frankfurt WRP 1976, 618, 622; OLG Köln WRP 1979, 392, 395; 1979, 816; 1983, 42 f.; KG WRP 1980, 81 und 1985, 152; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 21.04.1983 - 4 W 9/83, zit. nach Schmid, WRP 1985, 135 unter 1.1; Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 14. Aufl., Einl. UWG, Rdnr. 461; Ulrich, WRP 1985, 117, 119; ablehnend dagegen KG WRP 1983, 677; Ahrens, Wettbewerbsverfahrensrecht, S. 132 f. in Fn. 52; Kur, Beweislast und Beweisführung im Wettbewerbsprozeß, S. 290 ff.; Schulte, GRUR 1980, 470, 472).
Wird - wie im vorliegenden Fall - die aus der Rechtsbeziehung der Parteien erwachsende Aufklärungspflicht verletzt, so kann darin, falls der Abgemahnte schuldhaft gehandelt hat, eine positive Forderungsverletzung liegen (vgl. Staudinger-Löwisch, BGB, Vorbem. zu §§ 275 - 283, Rdnr. 19), mit der Folge, daß dem Verletzten ein Schadensersatzanspruch gegen den Verletzer zustehen kann.
3.
Für einen solchen Schadensersatzanspruch fehlt es jedoch - wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend angenommen hat - im vorliegenden Fall an der Ursächlichkeit des Verhaltens der Beklagten für den von der Klägerin geltend gemachten Schaden.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die im vorliegenden Verfahren allein zur Aufrechnung gestellten Prozeßkosten der zweiten Instanz des einstweiligen Verfügungsverfahrens ausschließlich dadurch entstanden seien, daß die Klägerin in jenem Prozeß Berufung gegen das landgerichtliche Urteil eingelegt habe, obwohl ihr zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei, daß die Beklagte eine Unterwerfungserklärung gegenüber der Vereinigung Lauterer Wettbewerb e.V. abgegeben hatte. Mit dieser Feststellung vernachlässigt das Berufungsgericht allerdings - was die Revision zu Recht rügt - die Möglichkeit einer mittelbaren Ursächlichkeit des Verhaltens der Beklagten. Das Berufungsgericht hat sich - im Gegensatz zum Landgericht - nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Klägerin das Verfügungsverfahren überhaupt noch eingeleitet hätte, wenn ihr bereits vor dessen Beginn die Tatsache der Unterwerfung gegenüber einem Dritten bekannt geworden wäre; wäre diese Frage zu verneinen, hätte das Berufungsgericht nach allgemeinen Kausalitätsgrundsätzen von einer Mitursächlichkeit des Verhaltens der Beklagten ausgehen und sein Ergebnis in Anwendung entweder der Grundsätze zur adäquaten Schadensverursachung oder des § 254 BGB begründen müssen. Daß es dies versäumt hat, nötigt jedoch nicht zur Aufhebung seines Urteils, da das Revisionsgericht aufgrund der feststehenden Tatsachen in Verbindung mit der allgemeinen Lebenserfahrung in der Sache selbst entscheiden kann.
Nach dem eigenen Sachvortrag der Beklagten sind nur zwei sinnvolle tatsächliche Alternativen feststellbar, die beide rechtlich zu dem Ergebnis des Berufungsurteils führen. Hätte die Klägerin, weil sie die ihr bekannte Rechtsauffassung des Berufungsgerichts aus dessen Urteil WRP 1981, 389 - Beseitigung der Wiederholungsgefahr auch durch Unterwerfung gegenüber einem Dritten - für angreifbar und überprüfungsbedürftig hielt, die einstweilige Verfügung auch in Kenntnis von dieser Unterwerfung beantragt, so fehlt es - wie das Landgericht angenommen hat - an der Ursächlichkeit des Schweigens der Beklagten. Beurteilte die Klägerin dagegen die Rechtslage als für sich so ungünstig, daß sie bei Kenntnis von der Unterwerfung gegenüber der Vereinigung Lauterer Wettbewerb e.V. von der Einleitung des Verfügungsverfahrens abgesehen hätte, so sind die Kosten des Berufungsverfahrens, um die es vorliegend allein geht, nicht mehr adäquat verursacht. Denn in diesem Fall stand es außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, daß die Klägerin gegen das die einstweilige Verfügung aufhebende Urteil des Landgerichts, durch das eine derart ungünstige eigene Beurteilung nochmals bestätigt wurde, Berufung einlegen würde. Mit einer so gröblich falschen Verhaltensweise der Klägerin brauchte die Beklagte nicht zu rechnen. Mindestens aber durfte - selbst bei Unterstellung einer noch adäquaten Verursachung - die Klägerin nicht Berufung einlegen, ohne gegen das Schadensminderungsgebot des § 254 BGB zu verstoßen; tat sie es gleichwohl, so hat sie auch nach dieser Vorschrift die Schadensfolge (Verfahrenskosten zweiter Instanz des Verfügungsverfahrens) selbst zu tragen. Letzteres kommt - wenngleich ohne rechtliche Subsumtion - auch im Berufungsurteil in der Wendung zum Ausdruck, daß es der Klägerin zwar unbenommen geblieben sei, ihren Rechtsstandpunkt auch noch im Berufungsverfahren durchzufechten, daß sie dies jedoch "auf ihr eigenes wirtschaftliches Risiko" habe tun müssen.
III.
Die Revision erweist sich somit im Ergebnis als erfolglos. Sie ist mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Piper
Erdmann
Teplitzky
Scholz-Hoppe