Bundesgerichtshof
Urt. v. 06.06.1986, Az.: V ZR 96/85
Zusage eines unentgeltlichen lebenslangen Nießbrauchsrechts für den Erbfall als Ausgleich für im Haushalt erbrachte Dienste; Eigentumserwerb an dem entsprechenden Grundstück durch Zuschlag im (Auseinandersetzungs-)Versteigerungsverfahren; Geltendmachung eines Anspruchs auf (Nichterfüllungs-)Schadensersatz gegenüber den Miterben; Gesamtschuldklage; Einrede der Verjährung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 06.06.1986
- Aktenzeichen
- V ZR 96/85
- Entscheidungsform
- Versäumnisurteil
- Referenz
- WKRS 1986, 13156
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Oldenburg - 22.03.1985
- LG Aurich - 22.06.1984
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- MDR 1987, 131 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1986, 3085-3086 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Wenn das Berufungsgericht eine Klage zu Unrecht als unschlüssig angesehen und daher trotz Säumnis des Beklagten die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil der ersten Instanz zurückgewiesen hat, so kann auch dann, wenn der Beklagte auch in der Revisionsinstanz säumig ist, das Revisionsgericht nicht anstelle des Berufungsgerichts der Klage durch Versäumnisurteil stattgeben, sondern muß die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 1986
durch
den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes Dr. Thumm und
die Richter Dr. Eckstein, Linden, Dr. Räfle und Dr. Lambert-Lang
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 22. März 1985 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 22. Juni 1984 hinsichtlich der Beklagten zu a, b, i bis n, q bis s und u bis z zurückgewiesen worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, soweit darüber in dem Teilannahmebeschluß vom 12. Dezember 1985 noch nicht entschieden worden ist, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien sind - neben weiteren Personen, die an dem Rechtsstreit nicht mehr beteiligt sind - Miterben in ungeteilter Erbengemeinschaft nach dem am 22. Januar 1979 verstorbenen Wilhelm G. Der Erblasser war Eigentümer eines Hausgrundstücks, das am 1. Dezember 1983 im Wege der - nicht von der Klägerin betriebenen - Auseinandersetzungsversteigerung der Klägerin als Meistbietender zugeschlagen worden ist.
Mit der im September 1983 eingereichten Klage hat die Klägerin zunächst den Antrag angekündigt, die Beklagten zu verurteilen, ihr an dem Hausgrundstück ein lebenslängliches Wohnungs- und Nutzungsrecht in Form des Nießbrauchs einzuräumen. Im Hinblick auf ihren zwischenzeitlichen Erwerb des Grundstücks hat sie dann beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 45.618,33 DM nebst 4 % Zinsen ab Zustellung zu verurteilen.
Die Klägerin hat zur Begründung vorgebracht, daß sie dem Erblasser von 1968 an bis zu seinem Tode den Haushalt geführt und ihn betreut habe. Zwischen dem Erblasser und ihr sei vereinbart worden, daß sie ihm ihre Entlohnungsansprüche für diese Tätigkeit bis zu seinem Tode stunde und dann ein unentgeltliches Wohnungs- und Nießbrauchsrecht an dem Grundbesitz auf ihre Lebenszeit haben solle. Da die Einräumung dieses Rechts wegen der inzwischen erfolgten Versteigerung nicht mehr möglich sei, sei ihr eine Entschädigung in Geld zu zahlen. Bei einem monatlichen Nutzungswert von 500 DM abzüglich monatlicher Instandhaltungskosten von 100 DM und einer Lebenserwartung von 10,1 Jahren - die Klägerin ist am ... geboren - ergebe dies einen Betrag von 48.480 DM und unter Berücksichtigung ihres eigenen Miterbenanteils von 17/288 somit eine Forderung in Höhe von 45.618,33 DM.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme über die zwischen dem Erblasser und der Klägerin getroffenen Absprachen die Klage abgewiesen.
Im Berufungsrechtszug hat sich nur der Beklagte zu d) anwaltschaftlich vertreten lassen. Gegen die nicht vertretenen Beklagten hat der Klägervertreter den Erlaß eines Versäumnisurteils beantragt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin insgesamt zurückgewiesen.
Die Revision der Klägerin hat der Senat nur insoweit angenommen, als sie die in der Berufungsinstanz nicht vertretenen Beklagten betrifft. Insoweit verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter. Auch in der Revisionsverhandlung haben sich diese Beklagten trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertreten lassen. Die Klägerin hat Erlaß eines Versäumnisurteils beantragt.
Entscheidungsgründe
1.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist auf Grund des Beweisergebnisses zwar davon auszugehen, daß die Klägerin für den Erblasser von 1968 bis zu seinem Tode den Haushalt führte und ihn betreute und daß diese Dienste auch nicht unentgeltlich erbracht werden sollten. Es möge auch die Absicht des Erblassers gewesen sein, daß die Klägerin ihre Entlohnung nach seinem Tode in Form eines lebenslänglichen Nießbrauchs erhalten sollte; eine bindende Vereinbarung darüber sei jedoch nicht bewiesen. Ein etwaiger Anspruch auf eine fiktive Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB wäre gemäß §§ 201, 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB verjährt. Da nach dem eigenen Vortrag der Klägerin ihr Vergütungsanspruch mit dem Tod des Erblassers fällig werden sollte, habe die Verjährungsfrist mit dem Ende des Jahres 1979 begonnen; die Verjährung sei daher Ende des Jahres 1981 eingetreten. Die Rechtsansicht der Klägerin, hinsichtlich ihres in erster Linie geltend gemachten Schadensersatzanspruchs sei der Beginn der Verjährungsfrist erst mit dem Schadenseintritt - nämlich dem Zeitpunkt der Auseinandersetzungsversteigerung - anzusetzen, sei unzutreffend; auch dieser Anspruch, der nur an die Stelle der nach der Darstellung der Klägerin an sich vereinbarten Dienstleistungsvergütung getreten wäre, wäre daher, falls die behauptete Vergütungsabrede bewiesen wäre, verjährt. Einem Bereicherungsanspruch aus § 812 BGB stehe schon entgegen, daß die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag ihre Dienste nicht ohne Rechtsgrund erbracht habe; im übrigen würde auch insoweit die kurze Verjährungsfrist von zwei Jahren der §§ 201, 196 Abs. 1 Nr. 8 gelten.
Der Eintritt der Verjährung sei auch insoweit beachtlich, als es um die Klage gegen die in der Berufungsinstanz nicht vertretenen Beklagten gehe, und schließe auch insoweit mangels Schlüssigkeit der Klage einen Erfolg der Berufung aus. Zwar wirke die von dem Beklagten zu d) in beiden Instanzen erhobene Verjährungseinrede nicht auch zugunsten dieser Beklagten, da keine notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 ZPO) vorliege; die Klägerin habe jedoch die Tatsache, daß auch die anderen Beklagten im ersten Rechtszug die Verjährungseinrede erhoben hätten, selbst in das Berufungsverfahren eingeführt, desgleichen die die Einrede begründenden Tatsachen.
Somit könne auch gegen die nicht vertretenen Berufungsbeklagten kein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil ergehen, vielmehr sei die Berufung der Klägerin auch insoweit - durch unechtes Versäumnisurteil - zurückzuweisen.
2.
Trotz der Säumnis der Revisionsbeklagten ist eine Sachprüfung in vollem revisionsrechtlichem Umfang geboten (Senatsurt. v. 14. Juli 1967, V ZR 112/64, LM ZPO § 331 Nr. 3 = NJW 1967, 2162). Sie ergibt, daß die Ausführungen des Berufungsgerichts das angefochtene Urteil, soweit dieses hier zur Erörterung steht, nicht tragen.
Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht bei seiner Schlüssigkeitsprüfung an, daß auch der von der Klägerin in erster Linie geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung (der aus § 325 BGB und nicht, wie das Berufungsgericht meint, aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung herzuleiten wäre) jedenfalls verjährt sei. Dabei kann hier auf sich beruhen, ob dieser Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt der Verjährung etwa als eigenständiger Anspruch anzusehen wäre und für ihn deshalb - mangels ausdrücklicher gegenteiliger Bestimmung - die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB von 30 Jahren gälte, oder ob für ihn die Verjährungsfrist des Erfüllungsanspruchs maßgebend ist, an dessen Stelle er getreten ist (so RG JW 1918, 550 Nr. 1; BAG BB 1960, 663 Nr. 1158; MünchKomm/von Feldmann 2. Aufl. § 196 Rd. 28 und § 195 Rd. 17; Soergel/Augustin, BGB 12. Aufl. § 196 Rd. 49). Denn auch der sich aus dem Vorbringen der Klägerin ergebende ursprüngliche Erfüllungsanspruch hätte nicht der kurzen Verjährung nach § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB unterlegen.
Diese Vorschrift zielt auf ein Dienstverhältnis mit fortlaufenden Dienstleistungen und fortlaufenden Bezügen und ist nicht anwendbar, wenn für eine Tätigkeit, die als ein einheitliches Ganzes anzusehen ist, eine einmalige Vergütung geschuldet wird (RG WarnRspr 1928, 292 Nr. 143; BGH Urt. v. 23. Februar 1965, VI ZR 281/63, LM BGB § 196 Nr. 12 = NJW 1965, 1224, 1225; OLG Stuttgart FamRZ 1985, 284, 285; MünchKomm/von Feldmann a.a.O. § 196 Rd. 26; BGB-RGRK 12. Aufl. § 196 Rd. 41; Staudinger/Dilcher, BGB 12. Aufl. § 196 Rd. 54; Soergel/Augustin a.a.O. § 196 Rd. 48; Erman/Hefermehl, BGB 7. Aufl. § 196 Rd. 17; Palandt/Heinrichs, BGB 45. Aufl. § 196 Anm. 9 b). Hier liegt nach dem Vortrag der Klägerin ein Fall der letzteren Art vor. Denn danach war zwischen dem Erblasser und ihr vereinbart, daß sie für ihre auf Lebzeiten des Erblassers zu erbringenden Dienste nach dessen Tode ein Wohnungs- und Nießbrauchsrecht an dem Hausgrundstück des Erblassers auf ihre Lebzeiten erhalten sollte. Daß hiernach nicht nur die geschuldete Entlohnung in einer einmaligen Vergütung bestand, sondern auch die Dienstleistung der Klägerin als einheitliches Ganzes anzusehen ist, folgt schon daraus, daß das versprochene Entgelt völlig unabhängig von der - im voraus nicht zu überblickenden - konkreten Zeitspanne war, für welche die Klägerin den Haushalt des Erblassers besorgen und diesen betreuen sollte.
Da somit im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung davon auszugehen ist, daß der behauptete Schadensersatzanspruch der Klägerin der regelmäßigen 30-jährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB unterliegen würde und daher noch nicht verjährt sein könnte, bedarf die von der Revision in den Vordergrund gerückte Frage, ob die von den im Berufungsrechtszug nicht vertretenen Beklagten in erster Instanz erhobene Einrede der Verjährung im Berufungsverfahren - auf Grund des Vortrags der Klägerin - berücksichtigt werden durfte, keiner Erörterung. Desgleichen kann die von der Revision zur Nachprüfung gestellte Frage auf sich beruhen, an welchen Zeitpunkt bei der Berechnung der kurzen Verjährungsfrist anzuknüpfen wäre.
3.
Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.
Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß hier eine sogenannte Gesamtschuldklage im Sinn des § 2058 BGB vorliegt, bei der die beklagten Miterben nicht notwendige Streitgenossen im Sinn des § 62 ZPO sind und die auch ein Gläubiger, der selbst Miterbe ist, während des Bestehens der Erbengemeinschaft gegen andere Miterben erheben kann (Senatsurt. v. 24. April 1963, V ZR 16/62, m.w.N., WM 1963, 762 = NJW 1963, 1611, 1612 = JZ 1964, 722 mit Anm. Bötticher 723, 724). Die in erster Linie nicht auf die Unschlüssigkeit der Klage, sondern auf das Ergebnis der Beweisaufnahme gestützte Abweisung der Klage gegenüber dem Beklagten zu d) stand daher dem Erlaß eines Versäumnisurteils gegen die in der Berufungsinstanz nicht vertretenen übrigen Beklagten nicht entgegen.
Auch sonst bestehen keine Bedenken gegen die Schlüssigkeit des behaupteten Schadensersatzanspruchs. Mit dem Eigentumserwerb der Klägerin an dem Grundstück durch den Zuschlag in dem Versteigerungsverfahren ist den Beklagten die Erfüllung der gemäß §§ 1922, 1967 BGB auf sie übergegangenen vertraglichen Verpflichtung des Erblassers, der Klägerin ein unentgeltliches lebenslanges Nießbrauchsrecht an dem Grundstück zu verschaffen, unmöglich geworden. Diese Unmöglichkeit haben die Beklagten, die zuvor die Erfüllung dieser Verpflichtung verweigert haben, auch zu vertreten (§§ 280, 282 BGB). Hinsichtlich der Berechnung des Schadens ist es nicht zu beanstanden, daß die Klägerin auf den Wert des ihr zugesagten Nießbrauchsrechts abstellt, da davon ausgegangen werden kann, daß bei einer Bestellung dieses Rechts vor Durchführung der Auseinandersetzungsversteigerung der für den Erwerb des Eigentums an dem Grundstück aufzubringende Betrag entsprechend geringer gewesen wäre. Die auf ihren eigenen Miterbenanteil entfallende Quote hat die Klägerin von der Klagsumme abgesetzt.
4.
Nach alledem hätte das Berufungsgericht entsprechend dem Antrag der Klägerin gegenüber den im Berufungsrechtszug nicht vertretenen, ordnungsgemäß geladenen Beklagten gemäß § 542 Abs. 2 ZPO durch - echtes - Versäumnisurteil auf Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Verurteilung gemäß dem Klagantrag erkennen müssen. Da sich diese Rechtsfolge aus dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt ergibt (§ 561 ZPO), ist - durch Versäumnisurteil (BGHZ 37, 79) - das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Entscheidung, die das Berufungsgericht hätte treffen müssen, kann nicht etwa an dessen Stelle vom Revisionsgericht ausgesprochen werden. Denn, wie schon in RGZ 108, 257 zutreffend dargelegt worden ist, würden dadurch die prozessualen Rechte der Beklagten gekürzt. Hätte das Berufungsgericht, wie es der Rechtslage entsprochen hätte, auf Grund des § 542 Abs. 2 ZPO durch Versäumnisurteil der Klage stattgegeben, so hätte auf einen Einspruch der Beklagten deren Vorbringen sachlich geprüft werden müssen. Wenn dagegen jetzt das Revisionsgericht der Klage von sich aus durch Versäumnisurteil stattgeben würde, so würde ein Einspruch der Beklagten gegen dieses Urteil nur zu einer erneuten Prüfung des mit der Revision angefochtenen Berufungsurteils in rechtlicher Hinsicht führen und somit, wenn der Senat bei seiner oben vertretenen Ansicht verbliebe, zur Aufrechterhaltung seines Versäumnisurteils. Den in der Berufungsinstanz säumig gewesenen Beklagten wäre also die Möglichkeit genommen, im Einspruchsweg eine sachliche Nachprüfung ihres tatsächlichen Vorbringens herbeizuführen (s. auch Wieczorek, ZPO § 542 Anm. C IV a).
Dr. Eckstein
Linden
Räfle
Lambert-Lang