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Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.05.1986, Az.: IVa ZR 146/85

Missbrauch der Vertretungsmacht durch einen Rechtsanwalt bei Bevollmächtigung zur Wahrnehmung erforderlicher Rechtshandlungen und Verfügung über Forderungen; Bindung an die Verpflichtung zu einer Berufungsrücknahme; Risikotragung des Vertretenen eines Vertretungsmissbrauchs der Vertreters; Wirkungen einer vereinbarten stillen Zession zwischen einem Altgläubiger und einem Neugläubiger

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
14.05.1986
Aktenzeichen
IVa ZR 146/85
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1986, 14807
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
Oberlandesgerichts Düsseldorf - 24.05.1985

Fundstelle

  • NJW-RR 1987, 307 (Volltext mit red. LS)

Prozessführer

Firma SSA S., B. straße ..., Z./Schweiz

Prozessgegner

Maklerin Rita G., Am G., R.

Der IV a - Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Hoegen und
die Richter Rottmüller, Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Zopfs und Dr. Ritter
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 1986
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 24. Mai 1985 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin sich wirksam zur Rücknahme der von ihr im vorliegenden Rechtsstreit eingelegten Berufung verpflichtet hat.

2

Die Klägerin behauptet, in Höhe eines Betrages von 198.341,11 DM nebst Zinsen das Mitverfügungsrecht an einer hinterlegten Maklerprovision anstelle der Beklagten zu haben. Sie hat gegen das ihre Klage abweisende Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel begründet.

3

Die Klägerin ist eine in Grundstücksgeschäften tätige Schweizer Firma. Sie hatte mit Urkunde vom 22. Dezember 1982 den Rechtsanwalt W. aus B. (W.) bevollmächtigt, in der Bundesrepublik Deutschland alle zur Wahrnehmung ihrer Rechte erforderlichen Rechtshandlungen vorzunehmen, auch über ihre Forderungen zu verfügen. In der Klageschrift hatte sie ihn als "Bevollmächtigten der Klägerin in Deutschland" bezeichnet. W. hat am 30. Januar 1985 - nach Eingang der Berufungsbegründung - mit dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten eine Vereinbarung geschlossen, wonach die Klägerin 75.000,- DM aus dem Hinterlegungsbetrag erhält, sich damit für endgültig abgefunden erklärt und die Berufung zurücknimmt. Am 23. Februar 1985 ist W. verstorben.

4

Die Durchführung der Berufung trotz dieser Vereinbarung sieht die Beklagte als arglistig an. Demgegenüber behauptet die Klägerin, sie habe den Vergleich nicht genehmigt, W. habe ihre Vollmacht mißbraucht. Ihm, der Beklagten und deren erstinstanzlichem Anwalt sei schon vor der Vereinbarung bekannt gewesen, daß die Klägerin den streitgegenständlichen Anspruch nach Rechtshängigkeit zur Sicherung an einen Darlehensgläubiger abgetreten habe. Mit W. sei sie einig gewesen, diese Abtretung zwecks Vermeidung von Komplikationen im vorliegenden Rechtsstreit als "stille Abtretung" zu behandeln.

5

Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Die Beklagte hat sich im Revisionsverfahren nicht vertreten lassen. Die Klägerin beantragt, durch Versäumnisurteil zu erkennen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist nicht begründet, so daß sie durch unechtes Versäumnisurteil (streitiges Urteil) zurückzuweisen ist. Die Klägerin muß sich daran festhalten lassen, daß sie sich, vertreten durch W., zur Berufungsrücknahme verpflichtet hat.

7

1.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, daß die Parteien im Anwaltsprozeß bindende Vereinbarungen über die Zurücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels auch außergerichtlich treffen können. Die Nichtbeachtung einer solchen Vertragspflicht führt auf die Rüge des Prozeßgegners zur Verwerfung des Rechtsmittels (st. Rspr. seit RGZ 102, 217, 221 f; zuletzt BGH Urteil vom 14.11.1983 - IVb ZR 1/82 - LM ZPO § 515 Nr. 22 = NJW 1984, 805 m.w.N.). Hiergegen wird von der Revision nichts erinnert.

8

2.

Das Berufungsgericht geht von einer dem W. umfassend erteilten Vollmacht aus, welche die Klägerin nicht etwa hinsichtlich des vorliegenden Rechtsstreits, insbesondere dessen vergleichsweiser Erledigung eingeschränkt habe. Die Revision meint, bei Abschluß der Vereinbarung habe W. als vollmachtloser Vertreter gehandelt, weil es nach der Abtretung materiellrechtlich um eine Forderung ihres Darlehensgläubigers gegangen sei. Nach der Urkunde vom 22. Dezember 1982 habe die Klägerin W. zur "Wahrnehmung unserer Rechte" und zur Verfügung über Forderungen, die "uns zustehen" bevollmächtigt, während die Klageforderung nach der Abtretung ein für die Klägerin fremdes Recht gewesen sei.

9

Bei dieser Betrachtung ist übersehen:

10

In Satz 1 der Urkunde heißt es ohne Einschränkungen: "Hiermit bevollmächtigen wir Herrn Rechtsanwalt W. ..., uns in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten". In Satz 2 wird weiterhin zwischen der "Wahrnehmung unserer Rechte" allgemein und - so die einleitende Formulierung "insbesondere" - der "Durchsetzung ... und Abwehr von Ansprüchen" als einem besonderen Fall der "Wahrnehmung unserer Rechte" unterschieden.

11

Danach ist es jedenfalls möglich und folglich für das Revisionsgericht bindend, den Gesamtinhalt der Urkunde so zu interpretieren, daß dem W. eine Befugnis zur "Wahrnehmung sämtlicher Berechtigungen" und damit die Befugnis zur Vornahme aller Rechtsgeschäfte erteilt wurde, soweit Vertretung zulässig ist.

12

Die Abtretung nach Eintritt der Rechtshängigkeit hat auf den Prozeß keinen Einfluß, § 265 Abs. 2 ZPO. Soweit der Abtretende kraft gesetzlicher oder gewillkürter Prozeßstandschaft im Prozeß verbleibt, ist er zu allen Prozeßhandlungen befugt (RGZ 166, 218, 237; BGH Urteil vom 12.7.1957 - VI ZR 176/56 - LM ZPO § 325 Nr. 9 - NJW 1957, 1635 unter 2. a.E.; Zöller/Stephan, 14. Aufl. § 265 Rdn. 8; Wieczorek, 2. Aufl. § 265 Anm. II). Das gilt insbesondere auch für einen auf den Prozeß bezogenen, ihn beendenden Vergleich, sei er nun gerichtlich oder außergerichtlich.

13

3.

a)

Der Vertretene hat grundsätzlich das Risiko eines Vollmachtsmißbrauchs durch seinen Vertreter zu tragen. Gegen einen Mißbrauch der Vertretungsmacht ist er nur dann geschützt, wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat. Das kann insbesondere dann bejaht werden, wenn sich nach den Umständen des Falles die Notwendigkeit einer Rückfrage des Vertragspartners beim Vertretenen vor Vertragsschluß geradezu aufdrängt, diese aber unterlassen worden ist (BGH Urteil vom 28.2.1966 - VII ZR 125/65 - NJW 1966, 1911 [BGH 28.02.1966 - VII ZR 125/65]; Urteile vom 10.12.1980 und 27.3.1985 - VIII ZR 186/79 und 5/84 - WM 1981, 66, 67 und 1985, 696, 698, jeweils unter II. 5.).

14

b)

Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, daß ein solcher Fall hier nicht vorliegt.

15

aa)

Das Vorbringen der Klägerin lasse nicht den Schluß zu, daß W. im Verhältnis zur Klägerin seine Pflichten verletzt habe. Zu der Sicherungsabrede, die der Abtretung an den Darlehensgläubiger zugrunde lag, sei nichts Hinreichendes vorgetragen. Deshalb könne nicht festgestellt werden, ob nicht die Klägerin trotz der Sicherungsabtretung materiellrechtlich über die Klageforderung verfügungsberechtigt geblieben sei. Sie habe hierzu auch auf Befragen keine Erklärung abgeben können. Für einen Anlaß der Beklagten, daran zu zweifeln, daß W. auch im Innenverhältnis zur Klägerin zum Vergleichsschluß berechtigt war, sei nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Die Klägerin habe die Abtretung der Klageforderung im Prozeß nicht offenbart, sondem als "stille Abtretung" behandelt. Die Beklagte habe sich deshalb auf die bei den Akten befindliche umfassende Vollmacht vom 22. Dezember 1982 verlassen können.

16

bb)

Dabei hat das Berufungsgericht nicht den von ihm im Tatbestand in Bezug genommenen Vortrag der Klägerin übersehen, der Beklagten und ihrem erstinstanzlichen Anwalt sei die Sicherungsabtretung schon vor Vergleichsabschluß bekannt gewesen. Dieser pauschale Vortrag war im Sinne eines Vollmachtsmißbrauchs nicht schlüssig, nämlich dahin, daß W. von seiner Vollmacht in einer Weise Gebrauch gemacht hätte, die für den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten als Vertragspartner des W. ersichtlich verdächtig hätte sein können.

17

Mehr als die Kenntnis von einer schlichten Sicherungsabtretung kann nach diesem unsubstantiierten Vortrag nicht unterstellt werden. Der Rechtsanwalt der Beklagten konnte deshalb mangels näherer Kenntnis annehmen, daß die Klägerin ihre Verfügungsbefugnis nicht nur wirtschaftlich behalten hatte. Denn die Klägerin hatte bezeichnenderweise im Prozeß in Absprache mit ihrem Darlehensgläubiger die Sicherungsabtretung nicht offengelegt und unverändert Leistung an sich begehrt. Bei einer solchen zwischen Alt- und Neugläubiger vereinbarten "stillen Zession" bleibt nach Inhalt und Zweck der Abtretung dem Altgläubiger das Recht belassen, über das ihm fremd gewordene Recht im Wege der Einziehung im eigenen Namen (§ 185 BGB) zu verfügen (BGHZ 26, 185, 191 ff.; Urteil vom 28.9.1982 - VI ZR 221/80 - WM 1982, 1313 unter A I. 2.). Wegen der Ermächtigung des Darlehensgläubigers stehen der Klägerin alle Rechte eines Klägers im Prozeß zu. Kommt es zu einem klageabweisenden Urteil und damit zur Feststellung des Nichtbestehens der eingeklagten Forderung, so ist auch für den Darlehensgläubiger der Anspruch trotz fehlender Offenlegung der Prozeßstandschaft endgültig verloren (vgl. BGH, Urteil vom 12.7.1957 - VI ZR 176/56 - NJW 1957, 1635, 1636). Was aber für das Urteil gilt, gilt ebenso für jede andere Erledigung der Sache im Rechtsstreit, mithin ebenfalls für einen Vergleich (vgl. RGZ 73, 306, 309; RGZ 170, 191, 192).

18

cc)

Den von der Revision vermißten Hinweis gemäß § 139 ZPO darauf, daß der Vortrag der Klägerin zum Vollmachtsmißbrauch unschlüssig war, hat der Tatrichter gegeben, wie sich aus Seite 7 Absatz 1 des Berufungsurteils ergibt.

Dr. Hoegen
Rottmüller
Dr. Schmidt-Kessel
Dr. Zopfs
Dr. Ritter