Bundesgerichtshof
Urt. v. 18.02.1986, Az.: 1 StR 640/85
Natürliche Handlungseinheit bei wechselnden Tatmitteln; Heimtückisches Handeln bei bis zum Tod andauernder Bewusstlosigkeit des Opfers; (Sukzessive) Mittäterschaft bei Totschlag; Beurteilung der sexualbezogenen Handlung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 18.02.1986
- Aktenzeichen
- 1 StR 640/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 16160
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Memmingen - 15.07.1985
Rechtsgrundlagen
Verfahrensgegenstand
Totschlag
Prozessführer
Willie Edward J. aus U., geboren am ... 1963 in W. (USA),
In der Strafsache
hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
in der Sitzung vom 18. Februar 1986,
an der teilgenommen haben:
der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schauenburg,
die Richter am Bundesgerichtshof Kuhn, Dr. Schikora, Dr. Foth, Dr. Granderath als
beisitzende Richter,
der Staatsanwalt ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
der Rechtsanwalt Dr. ... aus M. als Verteidiger in der Verhandlung sowie
die Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 15. Juli 1985 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu 13 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Sowohl die - zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte - Revision der Staatsanwaltschaft als auch die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
Die Revision der Staatsanwaltschaft
Nach den Feststellungen des Urteils bildete das gesamte auf Tötung von Sabine I. abzielende Tatgeschehen eine natürliche Handlungseinheit. Die Täter begaben sich in die Wohnung der Frau, damit diese umgebracht werde, und führten dieses Vorhaben aus, bis sie sich des Erfolges sicher waren. Daß der von dem anderweit verurteilten David Q. anfänglich eingeschlagene Weg (tiefe Schnitte am Hals und kräftiges Würgen) noch nicht zum Ziel führte, weshalb Q. und der Angeklagte später außerdem insgesamt mindestens elf Siehe in die Brust der Frau führten, ändert an der Einheit der Handlung nichts; die Täter waren auf eine bestimmte Art und Weise der Tötung nicht festgelegt (vgl. Dreher/Tröndle StGB 42. Aufl. § 211 Rdn. 6 a m.w.Nachw.). Auch die zwischendurch vorgenommenen sexuellen Handlungen der Täter ändern nichts daran, daß eine Tötungshandlung vorliegt; sobald die Täter sahen, daß ihr Opfer entgegen der Erwartung noch nicht tot war, setzten sie ihr auf Tötung gerichtetes Handeln sogleich fort.
Weil natürliche Handlungseinheit vorliegt, gibt das am Beginn der Tat stehende heimtückische Handeln der Täter der gesamten Tat ihr Gepräge. Dadurch, daß Q. das schlafende Opfer mit mehreren Fausthieben bewußtlos schlug - ein Zustand, der bis zu dessen Tod andauerte -, um jede gegen das Tötungshandeln gerichtete Gegenwehr auszuschalten, nutzte er die Arg- und Wehrlosigkeit für sein Vorhaben aus. Der Angeklagte erkannte, daß sein Begleiter die schlafende Frau bewußtlos geschlagen hatte, um das Tötungsvorhaben zu erleichtern; auch der Angeklagte machte sich diesen Zustand zunutze.
Das hat zur Folge, daß jedes die Tötung der Frau fördernde täterschaftliche Handeln des Angeklagten, in welchem Zeitpunkt vor Beendigung der Tat es auch erfolgte, den Tatbestand des heimtückisch begangenen Mordes erfüllt. Daher kann unentschieden bleiben, ob der Angeklagte zusätzlich in Verdeckungsabsicht handelte (was wegen des von Anfang an bestehenden Tötungsplanes nicht ohne weiteres bejaht werden kann) oder ob sein Handeln - was das Landgericht nicht geprüft hat - von niedrigen Beweggründen bestimmt war.
Die Staatsanwaltschaft beanstandet zur Recht, daß die Strafkammer, was den ersten Handlungsteil angeht, beim Angeklagten ohne weitere Prüfung Beihilfe zum Mord und nicht Mittäterschaft annimmt. Die Frage, ob das eine oder das andere vorlag, wäre unter Würdigung aller hierfür maßgebenden Gesichtspunkte zu prüfen gewesen. Auch das spätere Verhalten des Angeklagten mußte hierbei nicht von vornherein außer Betracht bleiben, so etwa der Umstand, daß der Angeklagte, sobald er wieder Lebenszeichen des Opfers bemerkte, sogleich und von sich aus seinen Begleiter aufforderte, das ursprüngliche Vorhaben zu Ende zu führen und die Frau zu töten. Das kann im Zusammenhang mit der vor der Tat vom Angeklagten getanen Äußerung ("Let's go and kill her") auf eine von vornherein über die bloße Beihilfe hinausgehende Beteiligung des Angeklagten hindeuten, unbeschadet des Umstandes, daß der Plan zur Tötung ursprünglich vom Begleiter des Angeklagten (dessen Freundin das Opfer gewesen war) herrührte.
Schon aus diesem Grunde hat die Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg.
Auch dann, wenn der Angeklagte nicht von vornherein als Mittäter zu qualifizieren wäre, käme er zu einem späteren Zeitpunkt als solcher in Betracht. Das hat das Schwurgericht an sich richtig erkannt; es hat den Angeklagten als Mittäter verurteilt. Allerdings ist es - ohne nähere Erörterung - der Meinung, der Angeklagte sei erst dann Mittäter geworden, als er selbst auf die Frau einstach, nachdem Quintero sich außerstande sah, weiterhin zuzustechen; es sieht den Angeklagten als sukzessiv handelnden Mittäter an (UA S. 47, 49). Nicht geprüft - jedenfalls nicht dargelegt - hat das Schwurgericht dagegen, ob der Angeklagte nicht schon zu dem Zeitpunkt, als beide Täter nach dem Geschlechtsverkehr Lebenszeichen bemerkten, der Angeklagte daraufhin, um das zu überprüfen, den Hals einer Flasche in die Scheide der Frau steckte und, als er sich dadurch Gewißheit verschafft hatte, seinen Begleiter aufforderte, die Frau "endgültig zu töten" (UA S. 17), Mittäter wurde. Daß er zu diesem Zeitpunkt den Tod der Frau aus eigenem Interesse wollte (und nicht nur das Tun Q. unterstützte), könnte sich zum einen aus der selbst vorgenommenen Prüfung, ob die Frau noch lebte, sowie aus der Aufforderung an Q., zum anderen aber auch daraus ergeben, daß er, als Q. daraufhin sechsmal zugestochen hatte und die Frau noch immer lebte, sogleich zum Messer griff und mindestens fünfmal zustach, "um den Tod des Mädchens doch noch sicherzustellen und endgültig herbeizuführen und um jedes Risiko infolge eines Überlebens des Mädchens für sich und David Q. auszuschalten" (UA S. 18). Das zeigt sein eigenes Interesse am Tod der Frau; es liegt nahe, daß dieses Interesse auch schon bestand, als er Q. aufforderte, die Frau vollends zu töten.
Würde sich ergeben, daß der Angeklagte von Anfang an oder jedenfalls zu der Zeit Mittäter war, als er Q. aufforderte zuzustechen, so käme es auf die Rechtsfigur der sukzessiven Mittäterschaft nicht an, weil dem Angeklagten das Handeln Q. zuzurechnen wäre. Es steht fest, daß der Tod der Frau durch die Stichverletzungen verursacht wurde (UA S. 45); ob durch ihre Gesamtheit oder durch einzelne von ihnen, wäre ebensowenig von Bedeutung wie die Frage, welcher Täter welchen Stich gesetzt hätte.
Demgegenüber hätte sich das Schwurgericht von seinem Standpunkt aus näher mit der Todesursache - wobei auch eine Beschleunigung des Todeseintritts von Bedeutung hätte sein können - befassen müssen. Auch bei sukzessiver Mittäterschaft ist erforderlich, daß der Täter einen die Tatbestandsverwirklichung fördernden Tatbeitrag erbracht hat. Bleibt sein Tun auf den weiteren Ablauf des Geschehens ohne jeden Einfluß, kommt mittäterschaftliche Mitwirkung trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch einen anderen geschaffenen Lage nicht in Betracht. Es bleibt dann die Möglichkeit des Versuchs (BGH, Urteil vom 11. Juni 1974 - 1 StR 147/74 - bei Dallinger MDR 1975, 365 [BGH 14.05.1974 - 1 StR 366/73]).
Ob der Angeklagte durch die Manipulation mit der Flasche gegen § 179 StGB verstoßen hat, hängt davon ab, ob er schon vor dieser Manipulation mindestens für möglich hielt, daß die Frau noch lebte, und trotzdem handelte. Dagegen kommt es - entgegen der Auffassung der Revision - nicht darauf an, ob der Angeklagte hier in wollüstiger Absicht vorging; denn die vorgenommene Handlung war nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eindeutig sexualbezogen (vgl. BGHSt 29, 336, 338).
II.
Die Revision des Angeklagten
Auch dieses Rechtsmittel hat Erfolg. Das Schwurgericht geht - wie schon erwähnt - davon aus, der Angeklagte sei erst dann "vom bloßen Gehilfen zum Mittäter" geworden, als Q. sich außerstande sah, weiter zuzustechen (UA S. 47). Daß die vom Angeklagten sodann geführten mindestens fünf Stiche die Tatbestandsverwirklichung förderten, liegt zwar nach dem Ablauf der Dinge nicht fern, ist aber nicht besonders festgestellt und versteht sich nicht von selbst. Nur dann aber, wenn der Angeklagte einen solchen fördernden Tatbeitrag erbrachte, war er Mittäter und mußte sich die zuvor von Q. erbrachten Tathandlungen zurechnen lassen (BGH a.a.O.). Zwar ist nicht zweifelhaft, daß schon die vorherige Aufforderung an Q. die Frau vollends zu töten, die Tat förderte. Das wäre aber in dieser Hinsicht vom Standpunkt des Schwurgerichts aus (das den Angeklagten zu diesem Zeitpunkt noch als Gehilfen ansah) ohne Belang. Allerdings könnte das Verhalten des Angeklagten, wie oben ausgeführt, ihn schon zu dieser Zeit zum Mittäter stempeln.
Jedenfalls reichen die Feststellungen des Schwurgerichts nicht aus, den Angeklagten als (sukzessiven) Mittäter anzusehen. Sie genügen - andererseits - nicht, ihn allein wegen seiner Stiche als (Neben-) Täter anzusehen; denn auch hierzu hätte die Frage der Ursächlichkeit eingehender behandelt werden müssen, als das Schwurgericht dies tat.
Auf die von der Verteidigung sonst erhobenen Einwendungen kommt es nicht mehr an.
Kuhn,
Schikora,
Foth,
Granderath