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Bundesgerichtshof
Urt. v. 12.07.1985, Az.: V ZR 56/84

Zulässigkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft; Einholung einer amtlichen Auskunft von Amts wegen; Geltendmachung des Herausgabeanspruches eines Dritten im eigenen Namen; Verweigerung der Herausgabe einer Sache durch den Besitzer gegenüber dem Eigentümer

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
12.07.1985
Aktenzeichen
V ZR 56/84
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1985, 13145
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Koblenz - 25.01.1984

Fundstellen

  • NJW 1986, 1616 (red. Leitsatz)
  • NJW-RR 1986, 158 (Volltext mit red. LS)

Prozessführer

Gudrun B., U. R., M.

Prozessgegner

Firma J.B. W. GmbH & Co. KG,
vertreten durch die G. und G. W. Verwaltungs-GmbH,
diese vertreten durch die Geschäftsführer Günter und Gerhard W., S. Weg ..., Bad K.

Amtlicher Leitsatz

Im Falle einer gewillkürten Prozeßstandschaft kann der insoweit ermächtigte Nichteigentümer Herausgabe an sich selbst verlangen. Der Schuldner ist gegen einen zweiten Prozeß durch die Einrede der Rechtshängigkeit bzw. durch die Einrede der Rechtskraft geschützt.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 1985
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Thumm und
die Richter Dr. Eckstein, Prof. Dr. Hagen, Linden und Dr. Lambert-Lang
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 25. Januar 1984 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht einen Anspruch der Deutschen Bundesbahn auf Herausgabe eines Grundstücks - ohne eine darauf errichtete Lagerhalle und eine Fahrzeugwaage - geltend.

2

Das Grundstück gehört der Deutschen Bundesbahn, die es an die Klägerin verpachtet hat. Diese hat es an die Firma Heinrich M. unterverpachtet. Von ihr erlangte Heinz B. den Besitz und übertrug ihn später auf die Beklagte.

3

Gegen die Firma Heinrich M. hat die Klägerin ein rechtskräftiges Räumungsurteil erstritten.

4

Die Beklagte beruft sich auf ein abgeleitetes Recht zum Besitz und macht außerdem ein Zurückbehaltungsrecht wegen ihr abgetretener angeblicher Schadensersatz - und Bereicherungsansprüche B. gegen die Fa. M. geltend.

5

Landgericht und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat keinen Erfolg.

7

I.

Die Klage ist zulässig. Wie das Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht angenommen hat, ist die Klägerin aufgrund einer schriftlichen Ermächtigung der Deutschen Bundesbahn vom 14. März 1983 befugt, deren Herausgabeanspruch mit der vorliegenden Klage im eigenen Namen geltend zu machen (sog. gewillkürte Prozeßstandschaft).

8

1.

Eine gewillkürte Prozeßstandschaft ist zulässig, wenn der Prozeßführende vom Rechtsinhaber zu dieser Art der Prozeßführung ermächtigt ist und ein rechtliches Interesse an ihr hat (BGHZ 78, 1, 4 [BGH 03.07.1980 - IVa ZR 38/80] m.w.N.; BGH Urt. v. 21. März 1985, VII ZR 148/83, Umdruck S. 9 - zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt). Entgegen der Ansicht der Revision liegen diese Voraussetzungen hier vor.

9

a)

Zu Unrecht zieht die Revision in Zweifel, daß der Aussteller der erwähnten Urkunde vom 14. März 1983 zur Vertretung der Deutschen Bundesbahn berechtigt gewesen ist. Um diese Frage zu klären, hat der Senat von Amts wegen (vgl. zur Befugnis des Revisionsgerichts, über von Amts wegen zu berücksichtigende Prozeßvoraussetzungen Beweise zu erheben BGHZ 31, 279, 282; BGH Urteile v. 21. Juni 1976, III ZR 22/75, NJW 1976, 1940 und v. 25. Oktober 1977, VI ZR 198/76, VersR 1978, 155) gemäß §§ 557, 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO eine amtliche Auskunft der Bundesbahndirektion Saarbrücken eingeholt (vgl. zur Zulässigkeit eines solchen Verfahrens auch die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs v. 11. April 1958, V ZR 140/55, NJW 1958, 1779 und v. 29. Oktober 1963, VI ZR 125/62, MDR 1964, 44). Nach dieser Auskunft ist die Ermächtigungsurkunde von dem Bundesbahndirektor Erwin S. unterzeichnet, der seinerzeit der zuständige Fachdezernent bei der Bundesbahndirektion S. und damit zur Vertretung der Deutschen Bundesbahn berechtigt gewesen ist (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Bundesbahn i.V.m. § 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 Buchst. b Verwaltungsanordnung der Deutschen Bundesbahn (VwO); vgl. Finger, Kommentar zum Allgemeinen Eisenbahngesetz und Bundesbahngesetz, § 19 VwO Anm. 2 d).

10

b)

Das rechtliche Interesse der Klägerin, den Herausgabeanspruch der Deutschen Bundesbahn im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, ergibt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, aus ihrem Pachtvertrag mit der Deutschen Bundesbahn und ihrem daraus folgenden Recht zum Besitz des Grundstücks.

11

2.

Die Prozeßführungsbefugnis der Klägerin ist nicht davon abhängig, ob der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB selbständig abtretbar ist (vgl. zu dieser umstrittenen Frage Staudinger/Gursky, BGB 12. Aufl. § 985 Rdn. 3 m.eing.N.). Denn der Eigentümer kann jedenfalls einen Dritten ermächtigen, diesen Anspruch im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen (BGH Urteile v. 5. Februar 1964, VIII ZR 156/62, WM 1964, 426, 427 = LM BGB § 985 Nr. 24 und v. 8. Januar 1964, V ZR 93/63, FamRZ 1964, 137).

12

3.

Entgegen der Meinung der Revision bestehen keine prozessualen Bedenken dagegen, daß die Klägerin Herausgabe an sie selbst verlangt. Die Berechtigung hierzu hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei der Ermächtigung vom 14. März 1983 entnommen. Der Einwand der Revision, bei einer solchen Prozeßführungsbefugnis verbleibe dem Eigentümer nur ein "nacktes Eigentum", greift schon deswegen nicht durch, weil der Eigentümer die Ermächtigung jederzeit widerrufen kann. Dagegen, daß der Schuldner etwa mit zwei Prozessen überzogen wird, ist dieser durch die Einrede der Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) und - nach rechtskräftigem Abschluß des einen Prozesses - durch die Einrede der Rechtskraft geschützt (vgl. BGHZ 78, 1, 7) [BGH 03.07.1980 - IVa ZR 38/80].

13

II.

1.

In der Sache hat das Berufungsgericht ausgeführt: Der Beklagten stehe gegenüber dem Herausgabeanspruch kein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB zu. Auf ein eigenes Besitzrecht gegenüber der Eigentümerin berufe sie sich selbst nicht. Aber auch daraus, daß ihr Rechtsvorgänger den Besitz von seiner Vorbesitzerin, der Firma Heinrich M., erlangt habe, könne sie kein Besitzrecht herleiten. Es fehle nämlich an einem Besitzrecht der Firma M. oder des Rechtsvorgängers der Beklagten gegenüber der Deutschen Bundesbahn und an einer Berechtigung zur Besitzüberlassung. Die Firma M. habe allenfalls ein Besitzrecht gegenüber der Klägerin aufgrund eines Rechtsverhältnisses mit dieser gehabt, das ihr aber die Besitzüberlassung an den Rechtsvorgänger der Beklagten nicht gestattet habe. Inzwischen habe die Klägerin gegenüber der Firma Heinrich M. ein rechtskräftiges Urteil über die Herausgabe des Grundstücks erwirkt.

14

Auch diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.

15

Nach § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Besitzer die Herausgabe der Sache allerdings auch dann verweigern, wenn der mittelbare Besitzer, von dem er sein Recht zum Besitz ableitet, dem Eigentümer gegenüber zum Besitz berechtigt ist, sofern der mittelbare Besitzer zur Überlassung des Besitzes befugt war (§ 986 Abs. 1 Satz 2 BGB). Eine derartige Besitzrechtskette will die Revision daraus folgern, daß die Klägerin - als Pächterin des Geländes - das Grundstück an die Firma Heinrich M. unterverpachtet und die Firma Heinrich M. ihrerseits im Rahmen einer Betriebsveräußerung den Besitz dem Heinz B. und dieser ihn der Beklagten überlassen habe. Bei einer Betriebsveräußerung sei eine Unterverpachtung die übliche Form und Methode, um die ansonsten notwendige Zustimmung des Vermieters zu einem Eintritt in das bestehende Mietverhältnis zu vermeiden. Das gemäß § 549 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderliche Einverständnis des Vermieters oder Verpächters zu einer Unterverpachtung im Falle einer Betriebsveräußerung werde bei der Vermietung oder Verpachtung an ein gewerbliches Unternehmen in der Regel stillschweigend erklärt.

16

Mit diesem Hinweis kann die Revision nicht durchdringen. Dabei kann offenbleiben, ob die Beklagte nicht schon wegen der Rechtskraft des gegen die Firma M. ergangenen Räumungsurteils gehindert ist, sich auf deren Besitzrecht zu berufen (vgl. RG LZ 1924, 818; BGB-RGRK/Pikart, 12. Aufl. § 986 Rdn. 30; Soergel/Mühl, BGB 11. Aufl. § 986 Rdn. 17); denn die Beklagte hat keinerlei Einwände gegen die Richtigkeit dieses Urteils vorgetragen. Deshalb ist davon auszugehen, daß der Fa. M. kein Besitzrecht mehr zusteht. Demgemäß kann auch die Beklagte von der Fa. M. kein Besitzrecht ableiten. Im übrigen hat die Revision auch keinen übergangenen Tatsachenvertrag aufgezeigt, demzufolge zwischen der Fa. M. und Heinz B. sowie zwischen B. und der Beklagten jeweils Unterpachtverhältnisse bezüglich des Grundstücks bestanden hätten.

17

2.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts kann die Beklagte ein Recht zum Besitz des Grundstücks auch nicht aus einem Zurückbehaltungsrecht herleiten, das sie darauf stützt, ihr seien Schadensersatz- und Bereicherungsansprüche gegen die Deutsche Bundesbahn von ihrem Rechtsvorgänger abgetreten worden. Diese - auch von der Revision nicht in Frage gestellte - Auffassung begegnet im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken.

18

Für einen Schadensersatzanspruch sowie für einen Bereicherungsanspruch (wegen finanzieller Investitionen) eines Rechtsvorgängers der Beklagten vermißt das Berufungsgericht mit Recht einen substantiierten Vortrag.

19

Einen Bereicherungsanspruch wegen der auf dem Betriebsgrundstück errichteten Halle und der Fahrzeugwaage hat das Berufungsgericht ebenfalls verneint. Dies ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Als Anspruchsgrundlage kommt insoweit nur ein an die Beklagte abgetretener Bereicherungsanspruch aus § 951 Abs. 1 in Verbindung mit § 946 BGB in Betracht. Ein solcher Anspruch setzt einen Rechtsverlust voraus, der darauf beruht, daß eine bewegliche Sache mit einem Grundstück als dessen wesentlicher Bestandteil verbunden wird. An dieser Voraussetzung fehlt es hier.

20

Das Berufungsgericht hat allerdings offengelassen, ob Halle und Fahrzeugwaage wesentliche Bestandteile des Grundstücks oder nur Scheinbestandteile im Sinne des § 95 BGB geworden sind. Die Frage ist aber rechtlicher Natur (BGH Urt. v. 4. Juli 1984, VIII ZR 270/83, WM 1984, 1236, 1237 m.w.N.) und kann vom Revisionsgericht entschieden werden, weil die dafür erheblichen Tatsachen vom Berufungsgericht festgestellt worden sind. Zu den Bestandteilen eines Grundstücks gehören gemäß § 95 Abs. 1 BGB solche Sachen nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind. Von einer solchen Zweckbestimmung ist nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts für die Halle und die Fahrzeugwaage auszugehen. Die Deutsche Bundesbahn ist nicht verpflichtet, diese Sachen zu übernehmen, und ist daher auch nicht um sie bereichert.

21

Auf die weiteren Erwägungen, die das Berufungsgericht für den Fall angestellt hat, daß Halle und Waage wesentliche Bestandteile des Grundstücks sein sollten, kommt es hiernach nicht mehr an.

22

III.

Nach alledem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Dr. Thumm
Dr. Eckstein
Hagen
Linden
Lambert-Lang